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Klassengesellschaftliche Tendenzen und Gegentendenzen:
das Verhältnis Land-Stadt, Generationen, Konfessionen und Minderheiten
ОглавлениеDie bisherige Analyse hat ergeben, daß die klassengesellschaftlich-dichotomische Struktur der Wilhelminischen Gesellschaft im Krieg klarer als zuvor hervortrat, wenn auch einzelne Faktoren in die umgekehrte Richtung wirkten. Die gemeinsame Klassenlage sämtlicher Arbeitnehmer schälte sich klarer heraus, da Lohn- und Gehaltsdifferenzen in der Regel abnahmen und die Polarisierung der Einkommensstruktur sich wahrscheinlich verschärfte. In ihrer gemeinsamen absoluten und relativen Verarmung glichen sich die Lebenschancen der Lohn- und Gehaltsempfänger tendenziell aneinander an. Der Zugang zu Konsumgütern, Vergnügen, Freizeit, Erholung, Erziehung für die Kinder etc. verringerte sich nivellierend für alle Arbeitnehmer. Ihr Lebensstil wurde ähnlicher, ebenso wie ihre Arbeitsverhältnisse – man denke nur an den Abbau bisheriger Angestelltenprivilegien wie Arbeitsplatzsicherheit und Anciennitätsbezahlung im Krieg. Daraus und aus der allgemeinen Dominanz materieller, ökonomischer Kriterien in einer Phase größter Knappheit resultierte die abnehmende Bedeutung traditioneller, nichtökonomischer Statusmerkmale in der Fremd- und in der Selbsteinschätzung der Betroffenen. Zunehmend trat die ökonomisch bedingte Klassenzugehörigkeit, die Arbeitnehmereigenschaft, im Bewußtsein der Lohn- und Gehaltsempfänger in den Vordergrund und ermöglichte gemeinsame Interessen und Kooperationen, die gemeinsame Proteststellung gegen die Herrschenden und teilweise auch die gemeinsame Stellungnahme im Konflikt. Auf der anderen Seite vermieden die meisten Produktionsmittelbesitzer und ihre leitenden Angestellten die Degradierung der Masse der Abhängigen. Angesichts gemeinsam gefühlter Herausforderungen schliffen sich Differenzen und Divergenzen zwischen verschiedenen Kategorien von Unternehmern und Arbeitgebern ab: In ihrer Haltung, Politik und Organisation dominierte zunehmend der Gesichtspunkt der Klassenlage, nämlich der Besitz von Produktionsmitteln und die Verfügungsgewalt darüber, als allen gemeinsames Kennzeichen.
Dies alles waren aber nur Tendenzen. Weder trat sozioökonomisch eine völlige Uniformierung innerhalb der beiden Lager ein, noch teilten alle Abhängigen ein gleiches, gar revolutionäres Bewußtsein. Lange tradierte, schichtenspezifische Unterschiede verschwanden nicht ganz, verschiedene Organisationen blieben auf jeder Seite bestehen, die sich verschärfenden Klassengegensätze und Klassenspannungen wurden nur sehr unvollkommen in Klassenkonflikte umgesetzt – und anderes mehr. Es zeichneten sich sogar Gegentendenzen ab. Einzelne besonders hoch verdienende Arbeiter und ökonomisch absinkende Handwerker bzw. Kleinkaufleute, die kriegsbedingte Differenzierung nach Branchen je nach ihrer Rüstungswichtigkeit, wohl auch die Zunahme regionaler Spannungen innerhalb des Unternehmerlagers – dies alles widerspricht den aus dem anfangs vorgestellten Klassenmodell abgeleiteten Erwartungen. – Dennoch, und obwohl die verschärfenden und die auflockernden Tendenzen nicht derart auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können, daß sie quantitativ gegeneinander zu gewichten wären: Im Krieg näherte sich die deutsche Gesellschaft, soweit bisher untersucht, dem idealtypischen Modell einer Klassengesellschaft, von dem diese Untersuchung ausging, statt sich von ihm zu entfernen.
Dieses Ergebnis wäre nun im Hinblick auf bisher nicht oder kaum berücksichtigte Wirtschafts- und Sozialbereiche (vor allem den ländlichen) zu überprüfen; es wäre zu fragen, ob in diesen ähnliche Polarisierungen nach Klassenkriterien abliefen wie im industriellen Bereich und wie im »Mittelstand«. Auch wäre gesondert und auf einer erweiterten Materialbasis zu untersuchen, ob tatsächlich (wie auf der Grundlage des Ausgangsmodells und der bisherigen Ergebnisse zu erwarten) andere, nicht-klassengesellschaftliche Gegensatz-, Spannungs- und Konfliktlinien (z.B. die zwischen den Konfessionen, den Generationen, zwischen Land und Stadt etc.) im Krieg relativ zu den Klassenlinien zurücktraten. Hierzu können nur einige wenige, sehr vorläufige Anmerkungen gemacht werden.
Eine zunehmende Betonung klassengesellschaftlicher Strukturen innerhalb des landwirtschaftlichen Bereiches müßte sich in zwei überprüfbaren Veränderungen gezeigt haben: einmal in einer schärferen Unterscheidung und Spannung zwischen den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern einerseits und den landwirtschaftlichen Arbeitgebern und selbständigen Besitzern andererseits; zum anderen in der Reduktion von sozialökonomischen Unterschieden, Interessendivergenzen, Spannungen und Konflikten innerhalb der Gruppe der landwirtschaftlichen Eigentümer aller Art.
In den Publikationen des großagrarisch bestimmten Bundes der Landwirte während des Krieges und in den Monatsberichten der Stellvertretenden Generalkommandos spielten ländliche Klassenspannungen und -konflikte eine geringe Rolle; die Abwanderung der Landarbeiter in die besser bezahlende Industrie und der durch knapp eine Million Kriegsgefangene und ca. 500.000 andere ausländische Arbeiter nur ungenügend ausgeglichene Arbeitskräftemangel überhaupt scheinen für die ländlichen Arbeitgeber ein größeres Problem gewesen zu sein als Arbeiterproteste. Diese fehlten jedoch nicht ganz. Im April 1917 berichtete das II. Armee-Korps (Stettin) von einer Verschärfung der Arbeiterverhältnisse auf dem Lande wegen unzureichender Ernährung und übermäßiger Anstrengung der nicht sich selbst versorgenden Arbeitskräfte. In den ersten Kriegsjahren »konnten den Schnittern aus den bisher belassenen Gerstenanteilen Zulagen gegeben werden, entweder in Gestalt von Gerstgrütze oder durch vermehrte Brotration, indem von dieser Gerste ein Zusatz von Mehl zum Brot gewährt wurde. Jetzt ist das zu Ende. Kohl und Wruken gibt es nicht mehr. Die noch vorhandene Gerste ist genommen. Kartoffeln und Brot reichen nicht aus, und so hungern tatsächlich die Schnitter auf dem Lande seit kurzem. Der Erfolg tritt täglich mehr zutage, es herrscht große Unzufriedenheit unter denselben, Arbeitseinstellungen haben stattgefunden und Militär hat eingreifen müssen, obwohl es zu ernstlichen Unruhen bisher noch nicht gekommen ist.«1 Wiederholt setzten sich Sprecher landwirtschaftlicher Verbände für die partielle Militarisierung der ländlichen Arbeiterverhältnisse ein, die aber primär auf eine maximale Ausbeutung der Kriegsgefangenen und gegen die durch das Hilfsdienstgesetz zwar verringerte, aber nicht völlig abgestellte Arbeiterfreizügigkeit abzielte2. Die gegenüber Friedenszeiten zunehmenden Kontakte mit Städtern und sozialistischen Ideen (vor allem an der Front, aber auch durch Berührung mit Aushilfsarbeitern aus der Stadt), die abnehmenden Reallöhne3, die Beschneidung der Freizügigkeit, die selbst auf dem Lande abnehmende Ernährung und die allgemeinen Lasten des Krieges dürften auch in der Landarbeiterschaft die Protestbereitschaft gegenüber ihren Herren erhöht haben. In den letzten Kriegsmonaten und in der Revolution traten entsprechende Ressentiments und Feindseligkeiten denn auch durchaus ans Licht4.
Doch blieben solche Protestbereitschaft, Spannungen und Konflikte, so scheint es, selbst in den lohnarbeiterreichen ostelbischen Gebieten, erst recht in den primär klein- und mittelbäuerlichen Bezirken Mittel- und Süddeutschlands in engen Grenzen und weit hinter dem zurück, was für den industriellen Bereich oben geschildert wurde. Dazu trugen traditionelle Eigenarten der ländlichen Arbeitsverfassung bei: Von den 3,2 Millionen landwirtschaftlichen Arbeitern (1907) waren 1,3 Millionen Knechte und Mägde, für die in der Regel noch keine Trennung von Arbeits- und Privatsphäre eingetreten war und die deshalb noch eng unter der Kontrolle und dem Einfluß ihrer Herrschaft standen; in bäuerlichen Bereichen galt auch der Tagelöhnerstatus vor 1914 noch nicht als Lebens- und Dauerstellung; kleiner Eigenbesitz war überdies mit ihm vereinbar; die Klassenscheidung hatte sich im ländlichen Bereich trotz des fortschreitenden Zerfalls des Patriarchalismus noch sehr viel weniger klar herauskristallisiert als in Industrie und Handel. Die Gesindeordnung, die gesetzliche Vorenthaltung der Koalitionsfreiheit für die Landarbeiter bis Kriegsende und andere rechtliche Vorteile der ländlichen Herren vor allem in den gutswirtschaftlichen Bezirken Ost-Elbiens, die Unkenntnis der Landarbeiter und das Fortwirken älterer Traditionen in Lebensführung und Orientierung stützten zudem die Herrschaftsgewalt des ländlichen Arbeitgebers in spezifischer Weise ab und verhinderten die gewerkschaftliche und sozialdemokratische Erfassung der Landarbeiter weitgehend bis zur Revolution. Schließlich ist zu beachten, daß die ländlichen Arbeiter, die immer noch zu einem großen Teil Naturalentlohnung erhielten, der Gefahr des Hungers sehr viel weniger ausgesetzt waren und besser versorgt wurden als viele Städter5.
Spannungen und Konflikte zwischen einzelnen Kategorien und Gruppen landwirtschaftlicher Eigentümer und Unternehmer fehlten im Krieg nicht ganz. Klein- und Mittelbauern hegten mehrfach den Verdacht, daß die staatlichen Kontrollen, Bestandsaufnahmen und Beschlagnahmen gegen sie selbst schärfer angewandt würden als gegen die einflußreichen Großgrundbesitzer. Teilweise verschmolz dieses Mißtrauen mit regionalen Spannungen6. Auch in der Stellungnahme zu sozial- und allgemeinpolitischen Initiativen der zweiten Kriegshälfte – so zum Fideikommißgesetz, das im Januar 1917 im preußischen Abgeordnetenhaus eingebracht wurde, letztlich einer weiteren rechtlichen Absicherung der Großgrundbesitzermacht in Preußen dienen sollte und große Erregung in die politische Debatte brachte7, wie auch zur Wahlrechtsreform, zur Parlamentarisierungsfrage und teilweise sogar zur Kriegszielagitation – lebten Vorkriegsdifferenzen zwischen dem großagrarisch dominierten Bund der Landwirte und anderen sehr viel kleineren, liberalen oder kleinbäuerlich-demokratischen Verbänden wieder auf8.
Die Hauptklagen der kleinen und mittleren Bauern richteten sich jedoch ganz vorwiegend gegen Angriffspunkte und Mißstände, die auch von den Großgrundbesitzern bekämpft wurden und die nicht als Folge von deren Privilegien oder überlegenen Einflußchancen verstanden werden konnten. Die Klage über Arbeitskräftemangel angesichts der den ländlichen Bereich überdurchschnittlich scharf treffenden Einberufungen und die zunehmende Verbitterung über die äußerst vielfältigen, sich vermehrenden, als ungerecht und ineffektiv empfundenen Eingriffe der schnell wachsenden staatlichen Zwangswirtschaft standen überall in den Klagen und Protesten an erster Stelle. Der Mangel an Arbeits- und Futtermitteln, die Überarbeitung, die Mißgunst gegenüber den angeblich bevorzugten Städtern und der Ärger über die Kritik der städtischen Konsumenten an der Landwirtschaft kamen hinzu. Je später im Krieg, desto klarer rückte jedoch bei großen und kleinen Produzenten der Haß auf die bürokratischen Eingriffe in die Produktion und in die Verteilung landwirtschaftlicher Produkte eindeutig ins Zentrum der Unzufriedenheit. Angeblich zu niedrige Erzeuger-Höchstpreise angesichts steigender Selbstkosten und nicht kontrollierter Preise der vom Landwirt zu kaufenden Industrieprodukte; Verfütterungs-, Hausschlachtungs- und andere Verbote, die schnell wechselten und deren Einhaltung teilweise nicht einmal durch schärfste polizeiliche Kontrollen gewährleistet werden konnte; Beschlagnahmen, die im Winter 1917/18 militärische Suchtrupps in die Bauernhöfe führten; eine Flut von Erhebungen und Verordnungen; die Sperrung der Mühlen; die schnelle Veränderung der Lieferbedingungen innerhalb des weitgehend verstaatlichten oder kommunalisierten Verteilungssystems; die Ohnmacht gegenüber Behörden, Kriegsstellen und Kriegsgesellschaften, die zugleich immer neu bewiesen, daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren und Landwirtschaft vom grünen Tisch aus zu betreiben schienen; auch die ungerechten örtlichen Unterschiede von behördlich diktierten Lieferbedingungen vor allem in der ersten Kriegshälfte – all diese und andere Konsequenzen einer Kriegswirtschaft, die das Marktprinzip im landwirtschaftlichen Bereich sehr viel rigoroser durch Planung, Verwaltung und Zwang zu ersetzen suchte als im gewerblichen, die allerdings nicht verhindern konnte, daß jenes Marktprinzip sich quasi durch die Hintertür, im Schleichhandel nämlich, dennoch wieder durchsetzte, verbitterten die Klein- und Mittelbauern in ganz ähnlicher Weise wie die Großagrarier im Bund der Landwirte9. Angesichts dieses zunehmend als zentrale und gemeinsame Bedrohung eingeschätzten staatlichen Interventionismus scheinen trotz anderweitig fortwirkender Differenzen landwirtschaftlicher Großgrundbesitz und bäuerlicher »Mittelstand« im Krieg in ähnlicher Weise enger zusammengerückt zu sein wie Industrie und Handwerk im gewerblichen, Groß- und Kleinhandel im kommerziellen Bereich10.
Wenn somit also von einer gewissen Tendenz zur schärferen Durchzeichnung klassengesellschaftlicher Strukturen auch im ländlichen Bereich gesprochen werden kann, so stellt sich doch gleich die Frage, ob der in den Klagen der Bauern zum Ausdruck kommende Stadt-Land-Gegensatz nicht quer zu der klassengesellschaftlichen Frontlinie verlief, sie mithin modifizierte und schwächte. Hierbei ist zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden.
Auf der Ebene der großen Kapitalbesitzer und Unternehmer schliff der Krieg die Divergenzen zwischen dem gewerblich-kommerziellen und dem agrarischen Bereich ab, ließ er Großindustrielle und Junker enger als vor dem Krieg zusammenrücken. Zwar hielt die Abwanderung ländlicher Arbeitskräfte in die Stadt einen alten Konflikt zwischen industriellen und agrarischen Kapitalisten am Leben. Doch zum einen beseitigten die Hochkonjunktur des Krieges und die wie ein Hochschutzzoll wirkende Blockade einige zentrale Streitpunkte zwischen Großlandwirtschaft und Teilen der Industrie, insbesondere den Zankapfel der Zölle. Zum anderen kooperierten Großindustrie und Großlandwirtschaft in zunehmend geschlossener Phalanx und in klarer Absetzung von den großen Arbeitnehmerverbänden für einen Siegfrieden und für (im Detail durchaus kontroverse) annexionistische Kriegsziele11. Schließlich bildeten sie immer eindeutiger und vordringlicher eine gemeinsame Front im Kampf gegen die »staatssozialistischen« Eingriffe, für die »Freiheit der Wirtschaft« von staatlichem Interventionismus und für freies Unternehmertum. In diese Abwehrfront schwenkten die Agrarier, die noch zu Beginn des Krieges selbst für Höchstpreise, Beschlagnahmen und zentrale Verteilungsstellen (allerdings unter größtem Einfluß der landwirtschaftlichen Selbstverwaltungsorgane) argumentiert und damit ihre langjährige protektionistische, Marktskeptische, freihandelsfeindliche und partiell antikapitalistische Politik fortgesetzt hatten, allerdings erst etwas später ein als die industriellen Sprecher12. Für den ehemals eher anti-marktwirtschaftlich und staatsprotektionistisch eingestellten BdL führte sein Vorsitzender Roesicke im Mai 1917 aus, es sei schlecht, wenn man »die zentralisierte Bureaukratie an die Stelle des dezentralisierten Verkehrs« setze. »… wenn der Kaufmann zum Bureaukraten wird, und der Bureaukrat zum Kaufmann, dann gibt es einen schlechten Klang.« Der Kampf gegen die »Einschränkungen der Bewegungsfreiheit des Landwirts, die Hemmung und förmliche Aufhebung seiner Selbständigkeit in der Wirtschaftsführung« wurde zu einem ganz zentralen Thema in der Argumentation der Agrarier seit 191713.
Der Einsatz für einen Siegfrieden angesichts wachsender Bereitschaft der Massen für einen Verständigungsfrieden und die Abwehr der Interventionen eines sich allmählich parlamentarisierenden Staats verwirklichten immer klarer die häufig beschworene »Solidarität sämtlicher Erwerbsstände, wie sie Bismarck gewünscht hatte«14, die Solidarität der großen Unternehmer in Stadt und Land auf einer breiteren (nämlich den Bdl und den Hansa-Bund einschließenden) Basis, als es das »Kartell der schaffenden Stände« 1913 versucht hatte. Mit Annexionspolitik und Abwehr staatlicher Interventionen verknüpften sich zudem bei der überwiegenden Mehrheit der vereinigten Unternehmer – aber doch ohne einen eher konzessions- und reformbereiten, in Teilen der verarbeitenden Industrie, des Bankwesens und des Großhandels beheimateten kleinen linken Flügel (Bdl, Deutscher Bauernbund) – seit 1917 die Verurteilung der verfassungs- und sozialpolitischen »Neuorientierung«, insbesondere der zunehmenden Gewerkschaftsmacht, der Demokratisierung des preußischen Wahlrechts und der Steigerung der Reichstagsmacht15.
Im hier benutzten Begriffssystem bedeutet diese zunehmende Kooperation der agrarischen und industriellen Kapitalbesitzer eine weitere, an frühere Koalitionen von »Eisen und Roggen« anknüpfende, sie erweiternde und intensivierende Betonung des Klassengesichtspunktes. Machtverschiebungen im Verhältnis der beiden Partner zueinander, die im Krieg wahrscheinlich zu einer stärkeren Betonung des »industriestaatlichen« Elements führten, wären gesondert zu untersuchen16.
Dieser Tendenz zum Ausgleich zwischen städtischen und ländlichen Kapitalisten und damit zur stärkeren Durchzeichnung klassengesellschaftlicher Strukturen wirkte jedoch das oft bezeugte, in unteren und mittleren Schichten sozialpsychologisch bedeutsame Spannungsverhältnis Stadt-Land entgegen, das sich angesichts der Nahrungsnot und des städtisch-ländlichen Hungergefälles, der weit publizierten eigennützigen Handlungen von Landwirten (Hortung, Produktionsrückgang bei verringerten finanziellen Anreizen, etc.), angesichts des die Landwirte verärgernden Hamsterunwesens und der fühlbar eingreifenden, wenn auch wenig erfolgreichen staatlichen Kontrollen im Krieg zweifellos verstärkte und gewissermaßen quer zum Klassengegensatz verlief. Die Monatsberichte der Stellvertretenden Generalkommandos kamen immer wieder und mit starker Betonung auf die antistädtischen Ressentiments der Bauern und die antiländliche Feindseligkeit der städtischen Bevölkerung zurück. So berichtete das II. Armee-Korps im Herbst 1916 von dem wachsenden Mißtrauen der pommerschen Bauern gegen die Städter. Der General schrieb: »Es ist charakteristisch, was mir vor wenig Tagen eine Bauersfrau sagte, deren Mann Soldat ist. Sie meinte: Ich arbeite jetzt seit einem Jahr allein auf dem Hofe und habe zur Hilfe einen Gefangenen. Wenn ich abends müde nach Hause komme, muß ich den Viehstall ausmisten und morgens wieder früh auf, um die Kühe zu melken. Wenn mir jetzt die Butter genommen wird, verkaufe ich meine Kühe, die haben einen guten Preis. Ich behalte nur eine für mich, die kann man mir nicht nehmen, und ich habe weniger Arbeit. Ich kann bald nicht mehr. Ich werde mich nicht für die Berliner schinden, die kommen auch nicht und misten mir meinen Stall aus.«17 Wenig später berichtete das Kasseler Stellvertretende Generalkommando: »Die Gegensätze zwischen Stadt und Land verschärfen sich bedauerlicherweise immer mehr. Die gesamte städtische Bevölkerung, ohne Unterschied des Besitzes, schaut mit Neid auf die ländlichen Verhältnisse, wo offensichtlich die Lebensmittel, die der Städter besonders schmerzlich vermißt, Butter, Milch, Eier, Schweinefleisch, noch in vielleicht oft übertrieben dargestellten Mengen vorhanden sind und die Lebenshaltung gegenüber dem Frieden sich nur wenig geändert haben soll. Es werden vielfach Versuche gemacht, das Verständnis für die Not der städtischen Industriebevölkerung den landwirtschaftlichen Kreisen beizubringen.« Im selben Bericht kam ein hoher Hofbeamter aus Thüringen zu Wort: »Der große und der kleine Gutsbesitzer wie der Bauer, alle lassen sich in ihrem Verhalten nicht in erster Linie durch nationale, sondern durch enge, egoistische Beweggründe bestimmen. Nicht nur in Mecklenburg, Oldenburg, Holstein, wie überall in Thüringen, Provinz Sachsen, Franken, Posen, Schlesien habe ich – wenn auch natürlich gegen die Friedensverhältnisse Beschränkungen und große Schwierigkeiten eingetreten sind – im Vergleich zum Leben des Städters Wohlleben gefunden. Milch, Eier, Butter, kurz alle nötigen Nahrungsmittel waren mehr als ausreichend vorhanden. Nur ganz ausnahmsweise treffe ich auf dem Lande, besonders beim Bauern, das Verständnis, helfen zu müssen durch willige Abgabe des Überschüssigen, nein, vielmehr hämische Freude, daß der Städter betteln kommen muß. Noch immer fehlt also die Einsicht in den Ernst der Lage, noch immer herrscht eine gewisse Gleichgültigkeit. Soll man es glauben, daß der Besitzer eines größeren Rittergutes nur drei Schweine füttert, lediglich weil es ihm unbequem ist, mehr zu halten?« – Und der Karlsruher Stellvertretende General stimmt zu: »Die Meinung, daß Kartoffeln in der Hoffnung auf höhere Preise im Frühjahr zurückgehalten werden, hat sich bei der städtischen Bevölkerung festgesetzt und trägt wiederum zur Verschärfung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land bei. Dieser Gegensatz ist überhaupt eine der bemerkenswertesten und betrübendsten Erscheinungen des Krieges.«18
Solche Zitate ließen sich beliebig oft wiederholen. Sie sprachen vom Neid der Landarbeiter, aber auch mancher Bauern auf die besser verdienenden Industriearbeiter und die Kriegsgewinne der Industriellen und Händler; von der Erbitterung der Bauern, wenn ihnen der Kaufmann in der Stadt gegen Ende des Krieges seine Waren nur gegen Naturalbezahlung überließ, während Städter noch mit Geld bezahlten; über die gegenseitigen Animositäten zwischen Landwirten und Städtern, die beim zunehmend zur Massenerscheinung werdenden »Hamstern« auftraten; von dem Ärger der Landwirte über die davonziehenden, kaum kontrollierten Preise nichtlandwirtschaftlicher Produkte und von dem Verdacht der Städter, daß Knappheit und hohe Lebensmittelpreise auch mit nachlassenden Produktionsleistungen und Abgabe-Verweigerungen der Bauern zu tun hätten19.
Solchen Spannungen lagen reale Interessenunterschiede zugrunde, die im Klassenunterschied nicht aufgehen. Doch ist zu bedenken, daß es sich hauptsächlich um einen Gegensatz zwischen Produzenten und Konsumenten handelte, die Konsumenten in der großen Mehrzahl aber Arbeitnehmer und die Produzenten durchweg Eigentümer waren, das geschilderte Spannungsverhältnis sich also weitgehend in die deutlicher werdenden Klassenfronten einfügte, wenn es auch nicht als Moment der Klassenspannung erlebt wurde. Insbesondere die Bauern fühlten und verhielten sich in ihrer Abneigung gegen die Städter nicht primär als Produktionsmittelbesitzer und Arbeitgeber gegenüber den lohn- und gehaltsabhängigen Massen. Eher scheint für die unteren und mittleren ländlichen Schichten »die Stadt« bis zu einem gewissen Grade das Symbol oder der Ort der nicht verstandenen, aber als drückend erlebten Herrschaft gewesen zu sein, wo »die da oben« alle jene Entscheidungen fällten, die auch dem Landbewohner zwar nicht Hunger, jedoch große Lasten auferlegten20.
Neben diesem massenwirksamen Aspekt der Stadt-Land-Spannungen überlebten und vertieften sich gar im Weltkriegs-Deutschland andere Spannungs- und Konfliktlinien, die nicht mit den stärker hervortretenden Klassenlinien in eins fielen. Neben regionalen Ressentiments wie der anti-preußischen Abneigung in einigen süddeutschen Gegenden21 und neben deutsch-polnischen Spannungen, die in den Ostprovinzen nach der Proklamation des Königreichs Polen zunahmen22, gilt dies insbesondere für den seit Ende 1915 immer virulenter werdenden Antisemitismus. Wie in anderen Krisen zuvor diente hierbei eine nicht-klassengesellschaftliche Differenzierung, die sich im Zuge der fortgeschrittenen Assimilierung der Juden bis 1914 bereits weitgehend, wenn auch nicht ganz – man denke an die vom Gesamtdurchschnitt abweichende Berufsstruktur der jüdischen Minderheit – eingeebnet hatte, als Kanal und Ventil für sich selbst nicht verstehende, verzerrte Proteste, Aggressionen und Unzufriedenheiten, die aus Quellen resultierten, welche mit dem Angriffsobjekt, den Juden, nichts Ursächliches zu tun hatten23. So schrieb z.B. ein Landrat aus dem Bezirk des XXI. A.K., »daß die Bevölkerung ihrem Unmut darüber deutlich Ausdruck gegeben hätte, daß besonders bei den kriegswirtschaftlichen Einrichtungen, bei denen Geld zu verdienen sei, die Juden bevorzugt würden und daß der Krieg häufig als ein Geldkrieg bezeichnet würde. Äußerungen wie z.B.: Die Juden haben noch nicht genug verdient, deshalb hört der Krieg noch nicht auf, seien nicht selten. Die unsinnigsten Behauptungen würden dabei aber auch leichtgläubig als Wahrheit hingenommen. Nicht uninteressant dürfte sein, wie sich die Linien-Kommandantur Posen hierüber ausspricht. Sie schreibt: In der Stadt wie auf dem Lande ist eine immer stärker werdende anti-semitische Bewegung nicht zu verkennen. In den Städten verdienen die Juden an allen Lebensmitteln und an allen Gegenständen des täglichen Bedarfs, auf dem Lande tritt dem Besitzer bei der Abnahme von Vieh, Stroh, Kartoffeln, Getreide usw. als Kommissionär des Viehhandelsverbandes oder der zahlreichen Kriegsgesellschaften fast immer ein Jude entgegen, der mühelos und ohne Gefahr die sehr hohen Provisionen einsteckt!«24
Neben Kriegsgewinnen und Wucher wurde den Juden, nachdem die Wirkungen des Burgfriedens nachgelassen hatten, in aller Öffentlichkeit und völlig unberechtigt, Drückebergerei vor dem Militärdienst vorgeworfen, was im Oktober 1916 zu dem Entschluß des Preußischen Kriegsministeriums führte, eine Judenzählung unter Soldaten und Offizieren durchzuführen! Die Ergebnisse dieser »größte[n] statistische[n] Ungeheuerlichkeit, deren sich eine Behörde [bis dahin] schuldig gemacht« hatte (Franz Oppenheimer), wurden dann nicht veröffentlicht25. Schließlich wurden, insbesondere in der zweiten Kriegshälfte, liberale, demokratische und sozialdemokratische Friedens- und Reformforderungen als »jüdisches Gift«, die nachlassende Widerstandskraft der Bevölkerung als Folge der »jüdischen Zersetzung« denunziert26. So sehr dieser in Vorkriegstraditionen wurzelnde, unter dem Druck der Kriegsjahre deutlicher werdende Antisemitismus in breiten Kreisen, insbesondere des städtischen und ländlichen Mittelstandes, verbreitet gewesen sein und damit ein aktualisierbares Potential dargestellt haben mag, so wichtig ist es zu betonen, daß dieses Potential nur mit Hilfe von demagogischen Manipulationen aktiviert werden konnte. Und hier geschah im Krieg, so scheint es, eine entscheidende Ausweitung im Vergleich zur Vorkriegszeit: Antisemitismus wurde unter den brutalisierenden Wirkungen des Krieges und in der Angst vor der »demokratischen Flut« akzeptabler für Teile des Besitz- und Bildungsbürgertums, die bis dahin den aggressiven kleinbürgerlichen oder bäuerlichen Antisemitismus eher stillschweigend toleriert als unterstützt und geteilt hatten. Deutlicher als bisher versuchten nun kleine Teile der in ihrer Machtstellung bedrohten Herrschaftsschichten, den Antisemitismus als antisozialistisches und antidemokratisches Manipulationsinstrument aufzubauen und einzusetzen, besonders als die Hoffnung auf eine sozialimperialistische Pazifizierung der inneren Konflikte durch äußere Expansion im Herbst 1918 zusammenbrach und zudem eine Militärdiktatur als Damm gegen die mobilisierten Massen keine Chance mehr hatte. In der Führungsspitze des in der Vaterlandspartei mit den mächtigsten Unternehmerverbänden zusammenarbeitenden Alldeutschen Verbandes, der die rechte Opposition gegen die Regierungspolitik ideologisch und propagandistisch anführte, wurde der Antisemitismus als Kampfinstrument gegen Parlamentarisierung, Demokratie und Sozialismus kaltblütig benutzt und geschürt27. Zwar scheiterte noch der jetzt erstmals unternommene Versuch28, unter Vorwegnahme einiger faschistischer Herrschaftstechniken die Mobilisierung der Massen zu akzeptieren, aber u.a. mit Hilfe des Antisemitismus in eine antisozialistische, antiliberale und letztlich antidemokratische Richtung abzubiegen – dies gelang mit unkontrollierbaren Konsequenzen für die konservativen Herrschaftsgruppen selbst bekanntlich erst in den folgenden anderthalb Jahrzehnten, in denen sich die klassengesellschaftliche Transformation, wie sie hier für den Weltkrieg analysiert wird, und insbesondere die geschilderte begrenzte Linkswendung eines Teiles des Kleinbürgertums denn auch nicht fortsetzten, sondern mit dem Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung zunehmend verzerrt und quasi gebrochen wurden. Dieser Versuch zeigt aber, wie sehr der anschwellende Antisemitismus der Kriegsjahre, der zunächst quer zum Klassenkonflikt zu verlaufen scheint, doch zugleich als Mittel des Klassenkampfes von oben und als Mittel zu seiner Ablenkung und Zähmung im Interesse der Herrschenden zu verstehen ist.
Dennoch: soweit solche Strategie Erfolg hatte, bzw. soweit der ja nicht völlig auf alldeutsche Manipulation zurückführbare »Sündenbock«-Mechanismus in Teilen der Bevölkerung dazu führte, erlittene Not und Übervorteilung in Richtung antisemitischer Ressentiments und Proteste abzulenken, soweit trug der Antisemitismus ähnlich wie andere Spannungen zwischen Regionen und andere Phobien gegen nationale oder ethnische Minderheiten dazu bei, daß sich keine ganz klaren Solidaritäten aufgrund von Klassenzugehörigkeit herauskristallisierten, daß sich die klassengesellschaftliche Struktur nicht voll durchsetzte, sondern von einem Gewirr anderer, sich überschneidender Fronten weiterhin bis zu einem gewissen Grade überlagert blieb.
Dagegen traten andere im Frieden wirksame Differenzierungen und Konflikte im Krieg durchaus zurück: Der traditionelle Unterschied zwischen Jungen und Alten ließ nicht nur auf dem Gebiet der Verdienste, sondern auch in weniger leicht faßbaren sozialen Beziehungen nach. Insofern militärische Tugenden, wie physische Kraft und Stärke, im Krieg eine Aufwertung erfuhren und der Familienzusammenhalt sich lockerte, ließ die Abhängigkeit der Jugendlichen nach und änderten sich traditionelle, oft ritualisierte Formen der Respektbezeugung29. Das (natürlich begrenzte) Verblassen des Unterschiedes Jung-Alt zeigte sich auch in der abnehmenden Kohäsion und Homogenität der jugendlichen Subkultur, der Jugendbewegung, in der die allgemeinen, gesamtgesellschaftlichen, vor allem politischen Trennungslinien stärker als bisher sichtbar wurden30. Ähnliches gilt wahrscheinlich für die Konfessionszugehörigkeit. Mindestens in der protestantischen Kirche verstärkte die Kriegszeit Konflikte, die gesamtgesellschaftliche Frontstellungen reflektierten31. Für die katholische Kirche bedeutete das relative Zurücktreten konfessioneller Merkmale stärkere Integration in die Gesamtgesellschaft32. Nicht-klassenmäßige Unterschiede lagen dem oft genannten Spannungsverhältnis Front-Heimat zugrunde33. Doch selbst in diesem machten sich trotz aller aus dem hohen Verlust an Menschen bedingten Aufstiegschancen und trotz der vielbeschworenen, auch sicher oft wirksamen Schützengrabengemeinschaft klassengesellschaftliche Spannungen bemerkbar, die ungefähr denen in der Heimat entsprachen34. Die ungleiche Behandlung und Ernährung von privilegierten Offizieren und kämpfenden Mannschaften an der Front gehörte in den Berichten der Fronturlauber und Kriegsversehrten zu den Themen, die die Stimmung in der Heimat ungünstig beeinflußten35.
Anmerkungen
1 Zusammenstellungen der Monats-Berichte der stellvertretenden Generalkommandos (MB) im Generallandesarchiv Karlsruhe, 15.4.1916–3.8.1917, hier Bericht v. 3.5.1917, 23.
2 Vgl. O. v. Kiesenwetter, Fünfundzwanzig Jahre wirtschaftspolitischen Kampfes. Geschichtliche Darstellung des Bundes der Landwirte, Berlin 1918, 194; ähnlich auch der katholische bayerische Bauernführer Heim in: G. Heim u. S. Schlittenbauer, Ein Hilferuf der deutschen Landwirtschaft, Regensburg o.J. (1916), 68ff.; F. Münch, Die agitatorische Tätigkeit des Bauernführers Heim, in: K. Bosl Hg., Bayern im Umbruch, München 1969, 301–44, bes. 314. Vgl. auch F. Aereboe, Der Einfluß des Krieges auf die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland, Stuttgart 1927, 32–35. – Das HDG sah vor, daß Hilfsdienstpflichtige, die vor dem 1. Aug. 1916 in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet hatten, nicht in einen anderen Zweig (auch nicht in einen anderen Hilfsdienstbetrieb) übernommen werden durften.
3 Vgl. Aereboe, 126, 128.
4 Vgl. Prinz Max v. Baden, Erinnerungen u. Dokumente, G. Mann u. A. Burckhardt Hg., Stuttgart 19.682, 548, Anm. 1 über den »Bolschewismus« der Landarbeiter in Hinterpommern, die »schon seit Wochen die Aufteilung der herrschaftlichen Güter nach russischem Muster erörtern« (Mitteilung an Max v. Baden von Anfang November); weiterhin E. v. Oldenburg-Januschau, Erinnerungen, Leipzig 1936, 208f. zum »Geist der Auflehnung« in seinem Gutsbezirk im November 1918.
5 Vgl. Aereboe, 124–29; W. Mattes, Die bayerischen Bauernräte, Stuttgart 1921, 33–36; vgl. auch den BdL-Funktionär Kiesenwetter, der sich Anfang 1918 (233f., 238f.) scharf gegen die Ausdehnung der Vereinsgesetz-Novelle auf das Land wendet und dabei nicht erkennen läßt, daß Arbeiterkonflikte für seinen Verband schon zu dieser Zeit ein wichtiges Problem waren, zumal er mit dem Frh. v. Wangenheim auf einen »deutschen Frieden«, auf Annexionen und ihre sozial »versöhnlichen« Wirkungen hoffte. Vgl. neuerdings: H. Muth, Die Entstehung der Bauern- u. Landarbeiterräte im Nov. 1918 u. die Politik des Bundes der Landwirte, VfZ 21. 1973, 1–38.
6 Vgl. den Bericht des Saarbrückener AKs in MB, 3.5.1917, 22 über tiefe Mißstimmung der dortigen Bauern gegenüber den Großgrundbesitzern des Ostens, die angeblich weniger ablieferten und das Nichtabgelieferte teurer verkaufen durften. – Bereits im Jan. 1917 berichtete das V. AK (Posen) über eine »in letzter Zeit wahrnehmbare Verschärfung der Stimmung der Bauern gegen die Grundbesitzer« (MB, 3.2.1917, 11). Vgl. auch Mattes, 56 zu Klagen bayrischer Bauern über Bevorzugung der größeren Eigentümer, vor allem der Fideikommißbesitzer.
7 Vgl. Th. v. Bethmann Hollweg, Betrachtungen zum Weltkriege, 2, Berlin 1921, 171f.
8 Vgl. etwa zum nationalliberal orientierten, sich im Krieg auf die FVP hin bewegenden »Deutschen Bauernbund«: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland 1, 415–421, bes. 418. – Mattes, 56–59, 63 zum katholischen Bayerischen Bauernverein und zu seinen gegen den unbeschränkten Großgrundbesitz gerichteten Forderungen; dessen linker Flügel um Gandorfer setzte sich im Juli 1918 für einen Verständigungsfrieden ein.
9 Vgl. etwa die hauptsächlichen Angriffspunkte und Klagen bei Helm/Schlittenbauer, 5–19, 46–56, 61 ff. und die von ihnen wiedergegebenen Auszüge aus Briefen von fast durchweg klein- und mittelbäuerlichen Mitgliedern ihrer Organisation (91–120, 127–35, bes. 118–20); die häufig wiederholten Schilderungen der ländlichen Stimmungen in den MB im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abt. IV, 3.8.1917–3.10.1918, z.B. 15.7.1918, 2f., 26; 8.9.1916, 5f.; 3.8.1917, 10ff.; 3.11.1917, 27ff.; 3.6.1918, 26f.; 3. 8.1918, 15ff.; auf der anderen Seite die Erinnerungen des radikalen Junkers Oldenburg-Januschau, 145–72; die BdL-offiziöse Kritik der Kriegswirtschaft bei Kiesenwetter, 173–232; und die Kritik des konservativen, dem BdL sehr nahestehenden Westarp, 365–431. Wir können hier weder die Einzelheiten der staatlichen Eingriffe noch die Berechtigung der landwirtschaftlichen Klagen und Kritik untersuchen. Vgl. vor allem A. Skalweit, Die deutsche Ernährungswirtschaft, Stuttgart 1927, u. Aereboe, 29–107, dessen Beurteilung der Kriegsverwaltungswirtschaft jedoch allzusehr von einem landwirtschaftlichen Interessenstandpunkt gefärbt zu sein scheint, welcher sich auch in der sachlich dennoch sehr erhellenden Analyse von v. Westarp durchhält.
10 Bestätigend: E. Lederer, Die sozialen Organisationen, Berlin 1922, 144ff.
11 Vgl. Kiesenwetter, 223ff.; Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Bd. 1, 122–49, bes. 145f.; D. Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschland, 1897–1918, Köln 2076, 456ff., 465ff., 504ff.; oben S. 68f.
12 Mit Westarp wird man von einer Wende der konservativen Politik in dieser Frage sprechen können, auf deren Ursachen es zurückzukommen gilt, vgl. Westarp, 386ff., 390f., 397, 406, 410–19. Die Wendung gegen die »Zwangswirtschaft« und den »Staatssozialismus« dominiert auch im Bericht des BdL-Direktors Kiesenwetter von Anfang 1918, insbes. 188–89, 210f., 217–21, 230; vgl. weiter die Reden von Rötger (CVDI), Wangenheim und Roesicke (BdL) auf der »Kriegstagung des BdL« 1917, in: Bund der Landwirte. Kgr. Bayern 19. 1917, am 25.2. u. 4.3.; ebd. 20. 1918, am 28.7. (»Wer ist schuld an unserer Wirtschaftspolitik?«), am 29.9. u. 27.10.; weiter Oldenburg-Januschau, 145–72 u. 193–204, bes. 196 (seine Rede in der BdL-Versammlung im Zirkus Busch im Feb. 1918).
13 Vgl. Kiesenwetter, 220 (Zitat Roesickes aus dem Reichstag vom 11.5.1917) und 210f.
14 Vgl. die unter diesem Motto stehende gemeinsame Sitzung des Deutschen Handelstages, des Ka. d. Dt. Ind., des Dt. Landwirtschaftsrats und des Dt. Handwerks- und Gewerbekammertags am 28. Sept. 1914, nach: Deutsche Arbeitgeber-Zeitung 13. 1914, am 4. Okt. Ebd. 15. 1916, am 12. März zum sehr versöhnlich formulierten Gegensatz über die Arbeitskräfte. Vgl. auch MKdl Nr. 216. 17. Aug. 1918, 3165f.: Abdruck von »Landwirtschaft und Industrie. Eine zeitgemäße Betrachtung über ihre innigen Wechselbeziehungen«.
15 Vgl. Kap. II, Anm. 210, und oben S. 68f.; Kiesenwetter, 249–258, bes. 256f. zu einer Eingabe vom Dez. 1917 gegen das allgemeine Wahlrecht in Preußen. Diese Eingabe wurde von den Verbänden des »Kartells« von 1913, nicht aber vom Ka. d. Dt. Ind., Bdl oder Hansabund unterzeichnet, die gleichwohl in der Kriegszielfrage und bei der Abwehr des staatlichen Interventionismus mit den »Kartell«-Verbänden gemeinsame Sache machten.
16 Lederer (Soziale Organisationen, 114ff.) nahm die Aufrechterhaltung des großagrarischen Machtanteils an. R. Lewinsohn (Morus), Die Umschichtung der europäischen Vermögen, Berlin 1926,159ff. weist auf die Kriegsgewinne der Agrarier und ihre Entschuldung durch die im Krieg anlaufende Inflation hin. – Vgl. aber Aereboe, 84ff.; Grebler u. Winkler, 85ff. zum Substanzverlust und zu langfristigen Schädigungen der Landwirtschaft im Krieg. H. Rosenberg, Zur sozialen Funktion der Agrarpolitik im Zweiten Reich, in: ders., Probleme der deutschen Sozialgeschichte, Frankfurt 1969, 77 sieht den Krieg als Beginn des Abstiegs der Junker. Differenzierend: A. Günther, Die Folgen des Krieges für Einkommen u. Lebenshaltung der mittleren Volksschichten Deutschlands, in: Meerwarth u.a., 259ff.
17 MB, 8.9.1916, 5.
18 MB, 3.12.1916, 5, 6.
19 Vgl. z.B. MB, 17.1.1917, 8; 3.3.1917, 15ff.; 3.6.1917, 18f.; 3.11.1917, 17; 3.4.1918, 17; 3.9.1918, 29.
20 Deutlich in dem oben wiedergegebenen Zitat der pommerschen Bäuerin; vgl. auch K.-L Ay, Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des Ersten Weltkrieges, Berlin 1968, 109–22, 151.
21 Vgl. zum bayerischen Preußen-Haß, der durch das Auftreten reicher Touristen aus dem Norden gestärkt wurde: Ay, 108f., 119f., 134–48; vgl. auch MB, 3.9.1918; oben Kap. II, Anm. 298.
22 Vgl. MB, 3.12,1916, 12f.; 17.1.1917, 6f.; 3.2.1917, 5; 3.3.1917, 5f.; 3.4.1917, 5; 3.5.1917, 7ff.; 3.9.1918, 14ff.; 3.10.1918, 11ff.
23 Allgemein zum Zusammenhang zwischen (abnehmenden) realen Gruppendifferenzierungen zwischen Juden und Nicht-Juden einerseits und den aus ganz anderen Quellen resultierenden Aggressionen und Protestpotentialen andererseits vgl. E. G. Reichmann, Die Flucht in den Haß, Frankfurt o. J.
24 MB, 3.2.1917, 7–8; ähnlich MB, 8. 9.1916, 3; 7.11.1916, 4; 3.12.1916, 10.
25 Vgl. W. Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, in: W. E. Mosse Hg., Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916–1923, Tübingen 1971, 424–27, der überhaupt (409–42) ausführliches Material zum Antisemitismus im Krieg ausbreitet.
26 Vgl. ebd., 438, pass.
27 Vgl. ebd., 436–42; D. Stegmann, Zwischen Repression und Manipulation. Konservative Machteliten und Arbeiter- und Angestelltenbewegung 1910–1918. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der DAP/NSDAP, in: Achiv f. Sozialgeschichte 12. 1972, 396ff. – Zur Tradition antisemitischer Manipulation durch radikalkonservative Politiker: H.-J. Puhle, Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus im wilhelminischen Reich (1893–1914). Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei, Hannover 1966, 125–40.
28 Zur DAAP und ihrem Scheitern: Stegmann, Repression, 394ff.
29 Vgl. O. Baumgarten u.a., Geistige u. sittliche Wandlungen des Krieges in Deutschland, Stuttgart 1927, 15, 70ff.; zur Verengung der Verdienstunterschiede zwischen Jüngeren und Älteren vgl. oben S. 31. Weiter: W. Flitner, Der Krieg u. die Jugend, in: Baumgarten, 291 (zum partiellen Abbau des traditionellen Unterschieds Lehrer-Schüler).
30 Ebd., 296–302, bes. 346; M. Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau, Stuttgart 1957, 29ff. über die Politisierung des »Wandervogels«.
31 Vgl. E. Foerster, Die Stellung der evangelischen Kirche, in: Baumgarten, 89–148, 122ff.
32 Vgl. A. Rademacher, Die Stellung der katholischen Kirche, in: Baumgarten, 149–216, 179, 204ff. – Insofern beide Kirchen sich mit dem alten System weitgehend identifiziert hatten und z.T. propagandistische Funktionen für den Staat im Krieg übernommen hatten – für die katholische Kirche galt beides weniger als für die protestantische –, gehörten sie zu den Verlierern dieses Krieges. Wahrscheinlich ging der Einfluß von Geistlichen in den Oberschichten durch den Krieg zurück; vgl. A. Günther, Folgen, 116ff. – Zu den Kirchen als Propagandainstrumenten: E. Lederer, Zur Soziologie des Weltkriegs, Archiv 39. 1915, 374; Ay, 89–94; W. Pressel, Die Kriegspredigt 1914 bis 1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands, Göttingen 1967; H. Missalla, »Gott mit uns«. Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914–1918, München 1968.
33 Vgl. A. Mendelssohn-Bartholdy, The War and German Society, New Haven 1937, 6ff., 27.
34 Das gilt mehr für die meist untätige Flotte als fürs Heer. Vgl. D. Horn, The German Naval Mutinies of World War I, New Brunswick, N. J. 1969; zum Heer: Archiv 41. 1916, 914f.; Baumgarten, 54; Ay, 102–09.
35 Dies wird immer wieder in den MB betont, so 8.9.1916, 8; 3.11.1917, 24; 3.9.1918, 5; vgl. auch die Ausführungen Gröbers gegenüber Ludendorff, in: E. Matthias u. R. Morsey Bearb., Die Regierung des Prinzen M. v. Baden, Düsseldorf 1962, 228.