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4. … als ob Schleiermacher Musil gelesen hätte. Zur anthropologischen Relevanz des christlichen Theismus

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Die theologische Bezugnahme auf die Philosophie kennt über die gerade skizzierte Aufgabe, den Gottesbegriff denkerisch zu sichern, hinaus, die ebenfalls philosophisch einzulösende Aufgabe, die anthropologische Relevanz der christlichen Gottesrede, ihre humane Bedeutsamkeit aufzuweisen. Dazu einige Ausführungen, mit denen ich meine Überlegungen dann auch abschließen werde. Ich kann dabei unmittelbar noch einmal beim späten Schelling einsetzen, der, an dieser Stelle zutiefst in der idealistischen Philosophie beheimatet, die ursprüngliche Praktizität des Gottesgedankens freilegt. Es besteht offenkundig ein Zusammenhang zwischen dem menschlichen Selbstverständnis |58|und dem Begriff, den sich der Mensch von Gott macht. Dabei hängt die Rede von Gottes Personalität von dem Stellenwert ab, den das Bewusstsein, ein freier Mensch zu sein, jeweils einnimmt. Das bedeutet, dass die Plausibilität eines personalen Gottesbildes ganz wesentlich vom Bewusstsein der Freiheit abhängt. Mit Schelling formuliert: „Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes“31. Dass Freiheit der Gottheit „Höchstes“ ist, dass, mit anderen Worten, die Idee einer vollkommenen Freiheit der dem Menschen angemessene Sinnbegriff ist, zehrt von dem Bewusstsein, dass uns Freiheit das „Höchste“ ist! Aber wie ist es um das Bewusstsein, dass Freiheit das Höchste ist, eigentlich bestellt? Diese Frage so zu stellen hängt mit der Vermutung zusammen, dass die Krise des personalen Theismus aufs engste mit einer Krise des Freiheitsbewusstseins zusammenhängen dürfte. Wer, wie ich, gelegentliche anachronistische Sprachspiele liebt, weil sie infrage stehende Sachverhalte recht gut anschaulich machen, wird meinem Vorschlag etwas abgewinnen können, Schleiermacher zum Leser Robert Musils zu machen: Zu einem „Mann ohne Eigenschaften“ passt ein Gott ohne Eigenschaften; sein Gott wird, so heißt es in den Religionsreden, „ein Wesen ohne bestimmte Eigenschaften“ sein32. Ins Systematische gewendet: Deutungen zur Krise des personalen Theismus müssen in jedem Fall psychologische und soziologische Analysen zur individuellen wie gesellschaftlichen Verfasstheit des Freiheitsbewusstseins mit einbeziehen. Die Krise des personalen Theismus verlangt mithin nach modernitätstheoretischen Deutungen, die sich – erwähnt seien an dieser Stelle diesbezügliche Voten von Jürgen Habermas – mit der Regression des Freiheitsbewusstsein in zweckrationalen Systemzwängen ebenso beschäftigen wie mit den Erhaltungsbedingungen einer autonomen Vernunftmoral angesichts biotechnischer Eingriffsmöglichkeiten.33 Schellings Diktum, dass Freiheit unser und der Gottheit Höchstes sei, kennt bei ihm die Wendung, dass der Durchbruch des Persönlichen im Menschen aufs engste mit der Offenbarung des persönlichen Gottes zusammenhängt34. Es ist, folgen wir Schelling, nicht allein so, dass erst in der Offenbarung Gott als ein persönlicher Gott erscheint, sondern die geschichtliche Offenbarung ist Schelling zufolge |59|ineins die Konstitution des Menschen als eine freie Persönlichkeit. Verstehen wir Schellings Überlegungen zu diesem Thema falsch, wenn wir sie als einen Reflex darauf deuten, dass das Bewusstsein des Menschen von sich als einer Person auf Sinnprämissen aufruht und von einem Sinnvertrauen getragen wird, das die Vernunft als solche nicht zu verbürgen vermag? Denn könnte es, das wäre die Pointe, auf die es mir hier ankommt, gar sein, dass der uns vertraute Begriff des philosophischen Theismus von geschichtlich vermittelten Sinnvorgaben abhängig ist, wie sie im Offenbarungsbewusstsein der christlichen Tradition festgehalten werden? Das würde bedeuten, dass der philosophische Theismus von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann.

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