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Stressreaktionen

Clemens Lorei

Prof. Dr. rer. nat,. Dipl.-Psych., Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung

1. Hintergrund

Fasst man Stress als Reaktion auf das subjektiv empfundene Missverhältnis zwischen den Anforderungen einer Situation und den eigenen Bewältigungsmöglichkeiten auf (vgl. Kapitel Stressmanagement in diesem Band), so stellt sich unmittelbar die Frage, worin diese Reaktion besteht. Einerseits nützt die Kenntnis von Stressreaktionen, um zu erkennen, dass ein Stressgeschehen vorliegt. Darauf aufbauend ermöglicht dann dieses Wissen, solche Reaktionen bei sich und bei anderen Personen zu akzeptieren. Die Akzeptanz ist einfach, wenn man die Stressreaktionen kennt. Und abschließend bietet sich dann die Chance, gezielt Stressbewältigung anzugehen. Dies erfordert einerseits das Erkennen eines Stresszustandes bei sich oder anderen. Zum anderen muss man wissen, an welcher Stelle im Stressprozess man warum (vgl. die Kapitel Stress & Leistung sowie Stress und Gesundheit in diesem Band) mit welchen Bewältigungsstrategien ansetzen kann (dazu mehr im Kapitel Stressmanagement in diesem Band). Die Lernziele dieses Kapitels sind:

• Stressreaktionen kennen

• Stress anhand von Stressreaktionen (u. Ä.) erkennen können

2. Überblick Stressreaktionen

2.1. Definition Stressreaktionen

Die Stressreaktion ist die Reaktion des Subjektes auf Stressoren bzw. die subjektive Differenz zwischen den Anforderungen der Situation und den (angenommenen) Bewältigungsmöglichkeiten. Diese Reaktionen sind eine Anpassung des Subjektes an diese Anforderung auf verschiedenen Ebenen und Vorbereitung zur Bewältigung der Situation. Geht man von einem Stressprozess aus, ist die Stressreaktion die Folge der Bewertungen des Stressors und der Vorläufer der Stressbewältigung (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1


Geht man davon aus, dass Stress dazu dienen soll, einen Organismus zu Angriff oder Flucht zu motivieren, so ergeben sich verschiedene sinnvolle Änderungen innerhalb dieser Person. In diesem Sinne sollte eine Optimierung des Zustandes der Person dabei beinhalten:

• Vorbereitung des Körpers auf körperliche (Hoch-)Leistung und mögliche Verletzungen

• Fixierung auf schnelle Handlungen

• Reduzierung von lang andauernden Prozessen (also bewusstes Nachdenken, ausführliche Problemlösungen)

In der Literatur finden sich verschiedene Klassifikationssysteme. Stressreaktionen werden dabei regelmäßig in 3 bis 5 Bereiche unterteilt. Einig ist man sich dabei aber, dass sich die Reaktionen mindestens in kognitiv und körperlich aufteilen lassen. Weitere Unterteilungen nehmen die Kategorien Emotionen und Verhalten hinzu. Litzcke & Schuh (2010, S. 23) unterteilen dabei sogar die körperlichen Reaktionen nochmals in ein muskuläres und ein vegetativ-hormonelles System.

2.2. Körperliche Stressreaktionen2

Die körperlichen Stressreaktionen optimieren den Organismus hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit zu körperlichen Höchstleistungen. Dies beinhaltet vor allem die Aktivierung des entsprechenden Nervensystems (Sympathikus) und die Bereitmachung des muskulären Systems inklusive seiner Versorgung. Die beiden Wege der nervösen Aktivierung (siehe Kapitel in diesem Band) führen insbesondere zu einer Erhöhung der Herzschlagfrequenz und des Blutdrucks in Verbindung mit einer ausgeprägteren Atmung. Dies ermöglicht eine bessere Versorgung mit Sauerstoff, was grundlegend für körperliche Anstrengungen ist. Daneben wird die Energieversorgung durch eine Anpassung des Blutzuckerspiegels optimiert. Weiterhin werden Hormone ausgeschüttet, die u. a. eine bessere Wundversorgung ermöglichen und das Schmerzempfinden bei Verletzungen senken. Auch die Muskulatur spannt sich vor (erhöhter Tonus), um für Aktivitäten und Abwehr bereit zu sein und wird besser durchblutet. Sie ist damit besser versorgt. Schweiß wird vorsorglich abgesondert, um den Körper zu kühlen, wenn er sich durch anstrengende Leistungen erhitzt. Gleichzeitig werden alle Prozesse des Körpers reduziert, die sich eher auf Entspannung, Erholung und Regeneration ausrichten (Verringerung der Aktivität des Parasympathikus).

2.3. Kognitive Stressreaktionen3

Das Kognitive System umfasst vor allem das Denken, Wahrnehmen, Informationsverarbeiten, Erinnern, Entscheiden, Planen und Problemlösen. Man kann davon ausgehen, dass die Stressreaktion in akuten Gefahrensituationen eine Überlebensfunktion hat. Damit wird klar, dass das kognitive System hier alle eher „geistigen“, umfangreichen und auf andere als das aktuelle und unmittelbare Ereignis ausgerichteten Zustände reduzieren muss. Plakativ ausgesprochen muss sich der Organismus auf das aktuelle Problem fokussieren und alle anderen kognitiven Prozesse hemmen oder ausblenden. Damit geht eine Änderung der Wahrnehmung einher: Wahrgenommen wird vor allem alles, was zentral für das Problem erscheint. Dinge, die für peripher gehalten werden, werden ausgeblendet (vgl. Kapitel Stress & Leistung in diesem Band). Dabei ist zu beachten, dass die Bestimmung, was nun zentral ist und was nicht, allein dem Subjekt unterliegt (allerdings nicht bewusst ist). Es ist möglich, dass der Organismus sich auf die tatsächliche Gefahr konzentriert oder aber diese Gefahr nur Auslöser für die Wahrnehmung eines negativen Gedankens ist, um den sich dann anschließend „alles dreht“, während das eigentliche Problem „vergessen“ wird. Die Gedanken kreisen dann nur um die Person selbst und ihren Zustand. Je nach Stressstärke wird neben dieser Fokussierung auch die „Verarbeitungskapazität“ des kognitiven Systems reduziert (siehe Kapitel Stress & Leistung in diesem Band). Konzentration und Aufmerksamkeit nehmen ab, die geistige Leistungsfähigkeit sinkt. Einfachere Denkmuster werden vorgezogen, Vereinfachung und eher kurzfristige Überlegungen sind wahrscheinlich. Gedächtnisleistungen werden reduziert. Der Abruf aus dem Langzeitgedächtnis kann erschwert oder sogar verhindert (Blackout) und das Behalten im Kurzzeitgedächtnis gestört sein (verminderte Kapazität, ständiges „Überschreiben“ der aktuellen Inhalte durch Informationsflut). Die Sprache wird schneller und fehleranfälliger. Die Verwendung unpassender Worte wird häufiger. Die Reaktionszeit kann ansteigen.

Tabelle 1


2.4. Emotionale Stressreaktionen4

Bedrohliche Situationen lösen neben Stress auch Emotionen wie Angst oder Ärger aus. Informationsüberflutung oder -entzug führen zu Unsicherheit. Überforderung, Frustration und auch Aggression können Folgen sein. Bei ausweglos erscheinenden Situationen stellt sich das Gefühl von Kontrollverlust ein. Längerfristig kann dies in Resignation, Apathie und Hilflosigkeit enden. Das Selbstwertgefühl sinkt mit abnehmender Kontrolle und Erfolg in der Stresssituation.

2.5. Stressreaktionen auf Verhaltensebene5

Auf der Verhaltensebene werden Aktivitäten gezeigt, die einerseits häufig als Übersprungshandlungen bezeichnet werden (also Handlungen, die Ausdruck der hohen Erregung sind) anderseits häufig auch als (meist wenig bewusste oder absichtliche) Versuche verstanden werden können, die Anforderung oder auch den Stress zu bewältigen, beispielsweise soziale Unterstützung zu erlangen, Kontrolle subjektiv zu empfinden, die Situation zu ignorieren etc.

Tabelle 1 gibt einen auszugsweisen Überblick über verschiedene Reaktionen und bietet Ansätze für deren gezielte Bewältigung bzw. Entspannung auf einer Ebene, wenn diese im Fokus der Stressbewältigung stehen sollen (vgl. Kapitel Stressmanagement in diesem Band, sowie Suinn, 2005; Draksal, 2005).

3. Abgrenzung Stressreaktionen – Stressfolgen – Coping

Während es unmittelbar nachvollziehbar ist, dass man Stressreaktionen, die direkt am Stressgeschehen beteiligt sind von Stressfolgen, die eher zeitlich verzögert auftreten, abgrenzt, so ist dies in der Umsetzung im Einzelfall nicht immer eindeutig und trennscharf möglich. Während es vielleicht noch bei körperlichen Reaktionen (z. B. endokrine und hormonelle Prozesse), die unmittelbar Teil des Stressprozesses sind (vgl. Selye, bzw. Kapitel Stresstheorien in diesem Band), relativ eindeutig scheint, ist dies bei Reaktionen auf der Verhaltensebene nicht mehr so eindeutig. Es kann bei Verhaltensweisen schwierig sein herauszufinden, ob sie Teil des Stressprozesses und damit Stressreaktionen im engeren Sinn sind oder bereits Folgen6 davon. Andererseits erscheint es auch möglich, dieses Verhalten als Bewältigungsansätze anzusehen. So kann vermehrtes Reden als eine Stressreaktion auf der Verhaltensebene gedeutet werden, aber auch als Bewältigungsvorsatz im Sinne davon, soziale Unterstützung zu erhalten, oder als Folge einer körperlichen Stressreaktion der „Energieabfuhr“ aufgrund körperlicher Erregung dienen. Damit stellt sich das Problem der Unterscheidung bzw. Abgrenzung:

• Was sind unmittelbare Stressreaktionen und was sind kurzfristige bzw. langfristige Folgen?

• Was sind Stressreaktionen und was ist schon mehr oder minder bewusste bzw. absichtliche Bewältigung?

Diese Fragestellungen sind dabei nicht nur akademischer Natur, sondern erfahren ihre besondere Relevanz wenn systematisch interveniert wird. Dann kann es nämlich entscheidend sein, an welchem Punkt Stressbewältigung ansetzt. Eine reine Symptombehandlung kann zu Verschiebungseffekten oder nur scheinbar bewältigten Situationen führen. Im Beispiel des vermehrten Rededrangs würde ein angestrengtes Schweigen diese Reaktion sicherlich eindämmen, wäre aber kaum geeignet, das Erregungsniveau zu senken oder den Bedarf an sozialer Unterstützung zu decken. Gerade das Unterdrücken eines Rededrangs führt möglicherweise dazu, dass der erlebte Stress zunimmt, da man ein Verhalten, das einem subjektiv zu helfen scheint, nicht zeigen kann.

4. Wie erkenne ich Stress?

Wenn die Situation, in der Stress auftritt, der betroffenen Person besonders relevant und bedrohlich erscheint, dann wird diese Person ihren Wahrnehmungsfokus vor allem auf die Situation und ihre Anforderungen richten. Damit wird aber häufig auch der Blick auf den eigenen Systemzustand vernachlässigt, was paradox klingt: Einerseits ist man zwar den Stressreaktionen ausgesetzt und fühlt sich auch gestresst. Andererseits wird dieser Zustand der Person nicht in dem Maße oder der Art bewusst, dass sie ein absichtliches und bewusstes Gegensteuern, also Coping bzw. Stressbewältigungsmaßnahmen, einleitet. Weiterhin kann es notwendig oder hilfreich sein, bei anderen Personen, mit denen man zusammenarbeitet (Teamkollege, Streifenpartner, Mitarbeiter), Stress zu erkennen, um diese Kollegen zu unterstützen, sich auf ihr Verhalten einstellen zu können oder sie als Führungskraft nicht zu überfordern. Dabei sind verschiedene Stressreaktionen für andere nicht direkt wahrnehmbar (z. B. Herzschlag, Gedanken, Gefühle), sondern können mitunter nur über Indizien erschlossen oder erfragt werden. Das Erschließen kann dabei auch Stressfolgen, also unmittelbare oder verzögerte Konsequenzen der Stressreaktionen, beinhalten. Im Nachfolgenden wird deshalb nicht streng zwischen Folgen und Reaktionen getrennt.

Als Heurismus zum Erkennen von Stressprozessen kann neben der Beobachtung von Stressreaktionen auch die Berücksichtigung der Situation genutzt werden. Sind hier potenzielle Stressoren abzusehen, können diese die Möglichkeit zu einer Stressepisode bieten. Da aber Stress aufgrund seiner Subjektivität und der individuellen Bewertungen nicht generell auftritt, sind entsprechende Ereignisse nur ein Indiz, das mehr oder minder wahrscheinlich Stress auslösen kann. Es kann dabei hilfreich sein, Ergebnisse von Studien zu kennen, die die Häufigkeit und die Bewertungen von Ereignissen durch betroffene Personen erfassten (siehe Kapitel zum Stresserleben von Polizeibeamten in diesem Band).

4.1. Stressreaktionen in akuten Situationen

Zunächst werden verschiedene Signale in Einsatzsituationen vorgestellt, die genutzt werden können, um das Auftreten von Stress leichter erkennen zu können.

4.1.1. Bei Einsatz- und Verfolgungs fahrten

Einsatz- und Verfolgungsfahrten sind Stresssituationen, die sich besonders durch Zeitdruck, hohe Geschwindigkeiten in der Informationsverarbeitung und Reaktion sowie hohe Bedeutung des Handelns hinsichtlich des Einsatzzieles auszeichnen. Ungerer & Ungerer (2008, S. 105) führen als Ursachen für Unfälle in solchen Situationen die eingeschränkte visuelle Informationsaufnahme (vor allem des peripheren Sehens), einen zu langsamen Abruf des notwendigen Fahrmanövers aus dem Gedächtnis oder zu geringe Ausführungsschnelligkeit der notwendigen Fahrfertigkeiten an. Neben der eingeschränkten bzw. verringerten Informationsaufnahme und -verarbeitung werden die beiden anderen Aspekte in der Praxis häufig als mangelnde Stressstabilität des Handelns bezeichnet. Dies bedeutet, dass in Ruhe und bei ausreichend Zeit ein der Situation entsprechendes Verhalten zwar gezeigt werden kann, dieses aber in einer Stresssituation nicht gezeigt wird, da hier entsprechende bewusste Steuerungs- und Regelungsmechanismen und Denkkapazitäten nicht mehr zur Verfügung stehen. Das Handeln kann dann nicht mehr bewusst durch nahezu vollständige Überlegungen gesteuert werden, sondern muss automatisch abgerufen und umgesetzt werden. Eine durch umfangreiches Training erreichte Stressstabilität von Maßnahmen ist deshalb für eine sichere Beherrschung in kritischen Situationen unumgänglich.

In einer Einsatz- und Verfolgungsfahrt ist meist davon auszugehen, dass sich Fahrer und auch Beifahrer im Stress befinden. Die Stressreaktionen umfassen u. a. die Verschlechterung der Informationsverarbeitung (Ungerer & Ungerer, 2008, S. 108) und z. B. einen sehr hohen Puls. Dabei ist zu beachten, dass dieser Stress nicht plötzlich und in vollem Umfang auftritt, sondern ein ansteigendes Stressprofil darstellt. Dabei wird die volle Auswirkung dieser Stresssituation häufig erst ab einem kritischen Schwellenwert bemerkt (Ungerer & Ungerer, 2008, S. 109). Um aber zu intervenieren und den Anstieg des Stresses mit seinen Effekten zu überwachen, eigenen sich folgende Vorwarnzeichen, die teilweise bereits als Folgen der Stressreaktionen anzusehen sind (Ungerer & Ungerer, 2008, S. 109; Ergänzungen und Beispiele in Klammern vom Autor dieses Beitrages):

• Häufung von Beinaheunfällen (ruckartige Fahrmanöver, Reagieren im letzten Moment, nur durch Zufall oder Eingreifen des Beifahrers verhinderte Unfälle)

• vermehrt Verkehrszeichen übersehen

• spätes Erkennen von Verkehrsteilnehmern (Wo kam denn der her? Was war denn das?)

• zunehmende Unruhe, z. B. sich Kratzen

• wiederholte Suchbewegungen bei der Fahrzeugbedienung, Bedienungselemente werden nicht auf Anhieb gefunden

• Schwierigkeiten beim im Gedächtnis behalten von Verkehrsteilnehmern auf Kreuzungen, wiederholtes Nachschauen, Blickverunsicherung (Anfahren und wieder Stoppen, ständiges Hin- und Herschauen, Beifahrer aggressiv auffordern zu schauen)

• mehr auf die Umgebung als auf das Täterfahrzeug achten

• mit den Gedanken abschweifen (z. B. an angenehme Dinge denken)

4.1.2. In unklaren oder chaotischen Polizeieinsätzen

Unklare Polizeieinsätze im Streifenteam sind häufig durch angespannte und nicht eindeutige Situationen gekennzeichnet. Insbesondere ist dies der Fall, wenn die Lage zu eskalieren droht und sich in Richtung Gewalteinsatz hin entwickelt. Dabei ist jedoch nicht klar, ob diese potenzielle Gefahr sich auch realisiert, bzw. wie dies verhindert werden kann. Bei eher chaotischen Einsatzlagen stürzt eine Masse an Informationen auf die entscheidende Person ein. Sie soll davon die richtigen und bedeutenden auswählen und geeignete Maßnahmen ableiten. Beide Situationen erzeugen großen Stress. Die eine durch einen akuten Informationsentzug, die andere durch akute Informationsüberlast, was als häufige Stressursache für polizeiliche Einsätze anzusehen ist (Ungerer & Ungerer, 2008, S. 70). Dabei erhöht sich im Laufe der Lage zunehmend die Belastung der Polizeibeamten, bis deutliche Stressreaktionen und Einschränkungen auftreten (vgl. Ungerer & Ungerer, 2008, S. 71 f.). Als Vorwarnsymptome (nicht vollständig) für mögliche stressbedingte Einsatzfehler nennen Ungerer & Ungerer (2008, S. 72; Ergänzungen und Beispiele in Klammern vom Autor dieses Beitrages und Ungerer & Morgenroth, 2001, S. 101):

• wiederholt hinschauen müssen (also auch Übersehen von gut sichtbaren Objekten, nicht Wahrnehmen von hinzukommenden Personen)

• erst bei Wiederholung Sprechfunk verstehen (nachfragen, insbesondere nach schon Gesagtem)

• sich vergreifen (Handlingsfehler, Waffe nicht mehr wegstecken können)

• sich versprechen (falsche Wortwahl, übertrieben komplizierte Satzkonstruktionen)

• Orientierungsschwierigkeiten (in die falsche Richtung – ins falsche Zimmer laufen, Personen mal hierhin und dann wieder woanders hin schicken/stellen lassen)

• an sich herumzerren (die Hand an der Waffe fasst ständig die Waffe neu, sich an die Nase fassen, Harre sortieren, Brille justieren)

• Ausrüstung und Kleidung drückt und ist unbequem

• jeder stört (übertriebene Härte oder Wortwahl gegen Unbeteiligte oder Zwischenfragen)

• Missmutigkeit (pampige Antworten, eskalierende Kommunikation)

• „mentales Fremdgehen“ (sich gedanklich von der Situation abwenden und sich mit anderen Dingen beschäftigen)

• Nebensächlichkeiten, die nicht zentral der Problembewältigung dienen, erledigen

• Aktivitätsüberschuss (zu schnelles Durchführen von Aufgaben, zu frühes Beginnen mit Aktionen, hektisches Hantieren)

• unerledigten Dingen mental nachhängen, bzw. darüber grübeln

4.1.3. In Führungssituationen

Ungerer (2003, S. 103) führt Verhaltensweisen (er nennt sie Symptome) von Führungskräften bei der Stabsarbeit an:

• in Lagen mit Informationsüberlast,

• in Lagen unter Bedrohungsbewertung,

• in Lagen unter Informationsentzug und

• in Lagen mit Ungewissheitsbewertung.

In Lagen, die durch einen Überfluss an Informationen gekennzeichnet sind, können folgende Verhaltensweisen und Reaktionen Ausdruck von massivem Stress sein (für die anderen Situationen sei auf Ungerer, 2003, verwiesen):

• Übersicht geht verloren

• Rückgang und zunehmend fehlerhafte Sprachverarbeitung

• Verstecken von Meldungen

• sinnloses Festhalten an Vorschriften, (insbesondere an Vorschriften für Dinge, die zur Lagebewältigung nicht zentral sind)

• Auftragstaktik weicht der Befehlstaktik

• taktische Verarmung

• zunehmende Missachtung der rechtlichen Vorschriften

• Entscheidungsverzögerungen

• Beratungsreserven für die zu führenden Einsatzkräfte schwinden

• Schrotschussverhalten (Aktions- und Redeschwall)

• kognitive Leistungen werden fehlerhaft (falsche Vorauskalkulationen)

• Falschbewertung von Lagen nimmt zu

• Schwierigkeiten werden nicht mehr erkannt (Tabuisierung, Maskierung und Ignorieren von kritischen Lagen)

• „mentales Fremdgehen“, Nebengedanken drängen sich auf

• Zunahme von Nebentätigkeiten (Aufträge werden nicht mehr ausgeführt und zunehmend anderweitige Dinge erledigt)

• Verantwortung wird delegiert

• Vertrauenskrise (anderen Personen, Mitarbeitern wird nicht mehr vertraut)

• individuelle Sinnkrise

4.2. Stressreaktionen und -folgen bei chronischem Stress

Bei chronischen, lang anhaltenden oder regelmäßig wiederholten Stressepisoden ohne hinreichende Erholung treten neben den aktuellen Stressreaktionen auch Stressfolgen auf. Diese finden sich vor allem im Bereich Gesundheit (siehe Kapitel Stress und Gesundheit in diesem Band) und auf der Leistungsebene (siehe Kapitel Stress & Leistung in diesem Band) wieder. Es wird an dieser Stelle deshalb nur kurz auf die Detektion anhand dieser Folgen eingegangen. Verschiedene Fragebögen mit unterschiedlicher Zielsetzung bezüglich der Diagnose Stress führen Litzcke & Schuh (2010, S. 36 ff.) auf. Besonders auffällig sollten als Folgen sein:

• häufige Erkrankungen (vor allem Infekte) durch geschwächtes Immunsystem

• Schlafstörungen

• längerfristige negative Leistungsentwicklung

• sozialer Rückzug

• Zynismus

• mangelndes Interesse an sonst beliebten Aktivitäten, Verlust des Spaßes oder der Freude

• Gefühl der geistigen Leere

• körperliche oder geistige Erschöpfung

• Zukunftsängste

• Konzentrationsschwierigkeiten

• anhaltende Gereiztheit

• anhaltende Verspannungen

• Gewichtsveränderungen (ohne Absicht)

• verstärktes Suchtverhalten (z. B. Rauchen, Trinken, Einkaufen, Naschen)

4.3. Stress erzeugende Lebensereignisse

Es gibt Ereignisse, auf die die meisten Menschen mit anhaltendem Stresserleben reagieren. Holmes & Rahe (1967) haben diese kritischen Lebensereignisse zusammengestellt und durch Befragung ihre Belastungsstärke in eine Rangreihe gebracht. Die Belastungswerte können kumulieren, wenn eine Person mehrere Ereignisse in einem Zeitraum erlebt. Damit wird entsprechend die Belastung umso ausgeprägter. Es kann allein die Kenntnis dieser Ereignisse ausreichen, um anzunehmen, dass diese Person belastet ist. Dies stellt natürlich keinesfalls sicher, dass ein entsprechendes Belastungserleben vorliegt und macht auch das Erkennen von Stressreaktionen und -folgen nicht unnötig, hilft aber dem Erkennen, da es als Faustregel dienen kann.

Für die Polizeiarbeit sind entsprechende Einsätze, Ereignisse und Umstände bekannt (siehe Kapitel in diesem Band), bei deren Erleben das Risiko steigt oder es sogar wahrscheinlich ist, dass ein Stresserleben auftritt. Ihre Kenntnis hilft Führungskräften und Kollegen, betroffene Polizeibeamte zu unterstützen und bieten Betroffenen die Chance, sich vorzubereiten und nachbereitend damit auseinanderzusetzen. Tabelle 3 zeigt eine Rangreihe von belastenden Ereignissen im Polizeidienst (nach Klemisch, Kepplinger & Muthny, 2005).

Fazit

Das Wissen um Stressreaktionen in Verbindung mit Bewältigungsstrategien kann helfen, den Kontrollverlust durch Stress aufzuheben. Damit werden Stress und seine Effekte auf das Verhalten und Erleben des Menschen berechenbarer. Vorbereitung auf Stresssituationen und professionelles Handeln unter Stress wird möglich. Ein absoluter Kontrollverlust tritt nicht notwendigerweise ein oder muss nicht lange anhalten. Hierdurch wird es möglich, anderen Personen, also sowohl Kollegen als auch „Bürgern“, bei der Situationsbewältigung zu helfen. Dies stellt in der Polizei eine sehr wichtige Fähigkeit dar. Kenntnisse um Stressreaktionen ermöglichen nämlich Perspektivenübernahme und Empathie. Letztlich kann sich der Beamte somit auf andere Personen einstellen, ihr Erleben und Verhalten ein Stück weit nachvollziehen und damit auch beeinflussen, wodurch er besser (und auch stress freier) seine Ziele erreicht.

Tabelle 2

Auszug aus der Liste kritischer Lebensereignisse nach Holmes & Rahe (1967) (Auszug).

BelastungswertLebensereignis
100Tod des Ehepartners
73Scheidung
65Trennung vom Ehepartner
63Zwangsaufenthalt im Gefängnis oder anderer Institution
63Tod eines nahen Verwandten
53Schwere körperliche Verletzung oder Krankheit
50Heirat
47Kündigung durch den Arbeitgeber
45Pensionierung
44Stärkere Veränderung in der Gesundheit oder im Verhalten eines Familienmitgliedes
40Schwangerschaft
39Sexuelle Schwierigkeiten
39Erweiterung der Familie (z. B. durch Geburt/Adoption oder Einzug eines älteren Verwandten usw.)
39Größere geschäftliche Veränderung (z. B. Fusion/Neuorganisation/Bankrott usw.)
38Größere Veränderung in der Finanzlage (eine gegenüber dem Normalzustand große Verschlechterung oder Verbesserung)
37Tod eines engen Freundes
36Wechsel zu anderer Arbeit
35Größere Veränderung der Zahl der mit dem Ehepartner geführten Auseinandersetzungen (z. B. viel häufigere oder seltenere Auseinandersetzungen über Kindererziehung, persönliche Angewohnheiten usw.)
31Größerer Kredit (z. B. zum Kauf eines Hauses, Geschäfts usw.)
29Größere Veränderung im Verantwortungsbereich bei der Arbeit (Beförderung/ Zurückversetzung, Versetzung)
29Sohn oder Tochter zieht aus (z. B. Heirat, Universitätsbesuch)
29Probleme mit Schwiegereltern
26Ehefrau beginnt oder hört auf/außer Haus zu arbeiten
25Größere Veränderung in den Wohnbedingungen (z. B. Bau eines neuen Hauses, Umbau, Verschlechterung des Hauses oder der Wohngegend)
23Schwierigkeiten mit dem Vorgesetzten
20Größere Veränderung in Arbeitszeiten oder -bedingungen
17Aufnahme einer kleineren Hypothek oder eines geringen Darlehens (z. B. zum Kauf eines Autos/eines Fernsehapparates, einer Gefriertruhe usw.)
16Größere Veränderung der Schlafgewohnheiten (viel mehr oder weniger Schlaf oder Veränderung der Schlafenszeit)
15Größere Veränderung der Essensgewohnheiten (Essen viel größerer oder geringerer Mengen/andere Essenszeiten oder anderer Ort, an dem gegessen wird)
11Geringe gesetzliche Vergehen (im Straßenverkehr, verkehrswidriges Verhalten als Fußgänger, Ruhestörung usw.)

Tabelle 3

Rangreihe von belastenden Ereignissen im Polizeidienst (nach Klemisch, Kepplinger & Muthny, 2005) (Auszug).

EreignisProzentwert der befragten Polizisten, die dieses Ereignis als stark oder sehr stark belastend eingeschätzt haben
Suizid eines Kollegen88
Verletzung eines Kollegen86
Gefährdung eigenen Lebens78
Schusswaffeneinsatz79
Verletzung eines Kindes72
Vorbereitung auf misshandeltes Kind69
Überbringen Todesnachricht65
Gefühl von Hilflosigkeit64
körperlich angegriffen werden68
körperliche Gewalt gegen Personen58
widersprüchliches Verhalten Vorgesetzter48
eigene körperliche Verletzung47
Konflikte mit Vorgesetzten47
Konflikte mit Kollegen44
anonym bedroht werden48
Umgang mit HIV-Infizierten46
fehlende Anerkennung42
Umgang mit aggressiven Personen40
Umgang mit Leichen39
Widerstand bei Festnahme38
unklare Lage bei Einsatz33
schlechte Ausrüstung33
Verfolgungsfahrt Sondersignal34
Umgang mit Verbrechensopfern28
Arbeitsüberlastung31
Unfall mit Dienstfahrzeug27
Konfrontation mit Opfern27
Schichtdienst31
Entscheidungen unter Zeitdruck19
Einsatz bei Familienstreitigkeiten20
beschimpft werden17
als Zeuge vor Gericht16
Überstunden machen müssen11
Langeweile im Dienst10
Personenkontrollen4

Literatur

Bartholdt, L. & Schütz, A. (2010). Stress im Arbeitskontext. Ursachen, Bewältigung und Prävention. Weinheim: Beltz.

Draksal, M. (2005). Mit mentaler Wettkampfvorbereitung zum Erfolg (2., überarb. und erw. Neuaufl.). Leipzig: Draksal.

Holmes, T. H. & Rahe, R. H. (1967). The Social Readjustment Scale. Journal of Psychosomatic Research, 11 (2), 213-218.

Klemisch, D., Kepplinger, J. & Muthny, F. A. (2005). Stressfaktoren und Positiva im Polizeiberuf – Selbsteinschätzungen durch Polizeibeamte. Polizei & Wissenschaft, 2/2005, S. 10-20.

Kaluza, G. (2011). Stressbewältigung: Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung (2. Aufl.). Berlin: Springer.

Litzcke, S. M. & Schuh, H. (2010). Stress, Mobbing und Burn-out am Arbeitsplatz. Heidelberg: Springer.

Suinn, R. M. (2005). Behavioral Intervention for Stress Management in Sports. International Journal of Stress Management, 12 (4), S. 343-362.

Ungerer, D. (2003). Der militärische Einsatz. Bedrohung-Führung-Ausbildung. Postdam: Miles-Verlag.

Ungerer, D. & Morgenroth, U. (2001). Analysen des menschlichen Fehlverhaltens in Gefahrensituationen. Empfehlungen für die Ausbildung. In Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für Zivilschutz (Hrsg.): Zivilschutz-Forschung, Band 43. Bonn: Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für Zivilschutz.

Ungerer, D. & Ungerer, J. (2008). Lebensgefährliche Situationen als polizeiliche Herausforderungen. Entstehung – Bewältigung – Ausbildung. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft.

2 Ausführlichere und weiter gehende Beschreibungen der Stressreaktion als die hier nachfolgenden finden sich bei Kaluza (2011), Litzcke & Schuh (2010) sowie Barthold & Schütz (2010).

3 Vgl. Kaluza (2011), Litzcke & Schuh (2010) sowie Barthold & Schütz (2010).

4 Vgl. Kaluza (2011), Litzcke & Schuh (2010) sowie Barthold & Schütz (2010).

5 Vgl. Kaluza (2011), Litzcke & Schuh (2010) sowie Barthold & Schütz (2010).

6 siehe Abbildung 1

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