Читать книгу SOKO Marburg-Biedenkopf - Группа авторов - Страница 10
Blutmondnacht
ОглавлениеJÜRGEN HÖVELMANN
Einige Kilometer südlich von Marburg, am Zusammenfluss von Lahn und Allna, ist unweit des Ortes Niederweimar die »Zeiteninsel« geplant. Auf einem künstlich aufgeschütteten Areal in den Flussauen wird in der Nähe von historischen Ausgrabungsstätten ein Gelände entstehen, auf dem fünf verschiedene Zeitstationen von der römischen Kaiserzeit (um Christi Geburt) bis zurück in die Mittelsteinzeit (ca. 9000 v. Chr.) dargestellt bzw. erlebbar gemacht werden.
Die Geschichte, um die es hier geht, spielt in einem kleinen Weiler der Eisenzeit (ca. 500 v. Chr.), wie er in der zweiten Station der Ausstellung auf der »Zeiteninsel« präsentiert werden soll.
Ja, man nennt mich Peredur, das ist mein Name. Ich spüre eure fragenden Blicke und auch die Anklage, die in ihnen liegt. Viele werden mich für verrückt halten, aber sagt selbst: Wie viel verrückter wäre es wohl gewesen, den Dingen ihren freien Lauf zu lassen?
Ich lebe mit meiner Sippe am Zusammenfluss von Lahn und Allna. Früher war ich bekannt als Jäger, aber heute, wo sich mein Leben dem Ende zuneigt, bin ich für alle nur noch ein alter Mann. Sehr lange weile ich nun bereits unter den Lebenden und wer weiß schon, wie wenig Zeit mir noch bleibt, bis mich irgendeine Krankheit oder ein anderer heimtückischer Dämon endgültig dahinrafft? Es kann nicht mehr allzu lange dauern, denn ich bin einer der betagtesten Männer meiner Sippe.
Es ist schon unzählige Monde her, dass ich bei der Jagd verkrüppelt wurde. Mein rechter Arm ist seitdem ein einziges schlecht verheiltes Wundmal. Drei Finger meiner rechten Hand fehlen, und auch Teile meines Gesichts haben die Wölfe entstellt – an jenem Tag, als sie mich in einen Hinterhalt lockten, aus dem es kein Entrinnen gab. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Ereignisse, derentwegen ich mich heute zu rechtfertigen habe, sind erst seit einigen Monden vergangen.
Seit ich entstellt wurde, bin ich kein Jäger mehr. Die Gemeinschaft lässt mich Holz sammeln, denn dazu tauge ich noch, wie auch zum Hüten der Schafe und Rinder. Keine Arbeiten für einen Mann, der einmal zu den stolzesten Ernährern der Sippe gehörte. Aber auch wenn mein Haar langsam grauer wird, so ist mir wenigstens meine frühere Muskelkraft geblieben. Die meisten von uns arbeiten auf dem Felde, aber dafür kann ich nicht mehr eingesetzt werden. Seit meiner Verwundung fehlt mir einfach das Geschick, einen Acker zu bestellen.
Immerhin genießt mein Wort bei unseren Anführern einige Wertschätzung, das kann mir niemand mehr nehmen. Der weise Myrddin lässt mich häufig an seinen überlegungen teilhaben. Oft diskutieren wir bis spät in die Nacht. Wenn alle anderen schon in ihren Hütten verschwunden sind, sitzen wir noch am Lagerfeuer und teilen einander unsere Gedanken mit.
Auch bei Koloman, der die Geschicke unserer Sippe leitet, genieße ich hohes Ansehen. Bevor er seine Entscheidungen trifft, werde ich häufig nach meiner Meinung gefragt. Das sind die Momente, in denen mir bewusst wird, dass ich doch noch zu etwas tauge. Dann denke ich manchmal, dass mein Dasein doch noch mehr bereithält, als das eines einfachen Holzsammlers und Viehhirten. Ihr seht, ich habe einen gewissen Rang in unserer Gemeinschaft. Niemand käme also auf den Gedanken, ich könnte den Verstand verloren haben.
So haben mich auch am Vorabend der Ereignisse Myrddin und Koloman wieder ins Vertrauen gezogen. Was der weise Schamane uns zu sagen hatte, war aber auch von größter Bedeutung für unser aller Leben: Er sagte, eine Krise würde heraufziehen. Die Götter hätten sich gegen uns verschworen und würden uns schon bald auf eine schwierige Probe stellen. Die Mächte der Natur sollten sich gegen uns wenden und die Götter würden nur durch eine Opfergabe wieder zu besänftigen sein.
Das sagte er mit einem Blick auf mich. Ich wusste sofort, dass ich dies als Aufforderung zu verstehen hatte, mich der Sache anzunehmen.
»Denkst du an jemand bestimmtes?«, fragte ich ihn unsicher, obwohl ich für meinen Teil bereits eine Entscheidung getroffen hatte.
»Das überlasse ich ganz deinem Willen«, antwortete er. »Aber wir wissen alle drei, wer aus unserer Sippe sicher nicht zum Wohlgefallen der Götter handelt.«
»Ihr Verhalten ist eine Schande für unsere gesamte Gemeinschaft«, sagte Anführer Koloman und wendete sich dann ganz offen mir zu. »Also meinen Segen hast du!«
Am nächsten Abend stand ich auf dem zentralen Feuerplatz unserer kleinen Ansiedlung und hatte bereits begonnen, Holz aufzustapeln. Später, wenn die Nacht Einzug hielt, wollten wir das Feuer entfachen, um uns daran zu wärmen und um wilde Tiere fernzuhalten. Ich schaute hinüber zu den Stallungen. Unweit der Stelle, wo auch wir Menschen des Weilers uns regelmäßig erleichterten, sah ich sie!
›Oh, Belana! Zu lange schon hast du meine Blicke auf dich gezogen. Kaum einen Mann der Sippe hast du jemals ausgelassen, nur an mir konntest du stets vorbeigehen.‹
Und wie sie ihr Fleisch an den muskulösen Körper Adairs drückte. Hatte ich sie nicht erst vor einigen Tagen mit seinem Bruder Alanus gesehen? Junge, gut gebaute Jäger in ihrer vollen Manneskraft konnten ihr wohl gefallen.
›Ich weiß schon, was du bei ihnen suchst, was du bei mir nicht zu finden glaubst. Können sie es dir geben?‹
Adair sagte etwas, worauf sie ihn herzlich anlachte. Ihr Frohsinn tat mir in der Seele weh. Warum konnte sie mir niemals so begegnen? Sie mit ihren wollüstigen Lippen, der langen Mähne und der weit offenen Karobluse, die großzügige Einblicke auf ihren vollen Busen bot, hätte jeden Mann der Sippe haben können – und vermutlich hatte sie bereits fast jeden von ihnen.
Am Nachmittag hatte ich ihr gesagt, dass wir beide in der Nacht an den Fluss wandern müssten. Sie hatte nur genickt, ahnte nichts mit ihrem allzu kindlichen Gemüt.
Ich stapelte weiter das Holz auf, aber konnte nicht anders, als immer wieder zu den beiden jungen Leuten hinüberzublicken, die sich immer näherkamen. Es brannte mir in den Augen und noch mehr auf der Seele, ihnen zuschauen zu müssen, aber dennoch konnte ich meine Blicke nicht von ihnen lassen.
Es wurde langsam dunkler, längst war das Feuer entfacht, das Nachtmahl eingenommen. Kälte schien vom Fluss heraufzuziehen, sich aller zu bemächtigen. Hier war der Ort, wo die Gemeinschaft gerne am Abend zusammenkam, um miteinander zu trinken und sich zu beratschlagen. In jener Nacht jedoch war alles anders. Kaum jemand sagte etwas. Obwohl Myrddin niemandem außer Koloman und mir von seiner Vision erzählt hatte, lag eine stille Spannung über dem Platz.
Wenngleich ich nah am Feuer saß, zog ich den überwurf enger über meinen Kittel, denn mir liefen kalte Schauer über den Rücken. Die Flammen malten zuckende Lichter auf die Gesichter der Anwesenden. Alle waren sie in jener Nacht gekommen, selbst die Schwachen und Kranken, die sich sonst schnell in ihre Hütten zurückzogen. Sogar die Schwachsinnigen waren an diesem Abend mit dabei. Obwohl alle stets streng darauf achteten, sich nur mit den Mitgliedern der Sippe zu paaren, damit unsere Linie bewahrt blieb, kam es immer wieder zu Fällen von Geisteskrankheit oder auch seltsamer körperlicher Gebrechen in unserer Gemeinschaft. Sie waren sonst eher Außenseiter und gingen ihre eigenen Wege, aber an jenem Abend schienen auch sie wie magisch angezogen von etwas Seltsamem, das in der Luft lag.
»Hört ihr?« merkte die alte Moja, die große Mutter, auf. Angsterfüllt und rastlos blickten ihre Augen in der Runde umher.
»Ja«, flüsterte Sirona, die nach der keltischen Göttin der Heilung Benannte, mit belegter Stimme. »Die Tiere geben seit einer Weile keinen Ton mehr von sich. Das ist unheimlich!«
Alle rückten noch ein kleines Stück näher zusammen. Das Gefühl der Gemeinschaft hatte etwas Wohltuendes an sich.
»Beruhigt euch!«, rief Koloman zur Ordnung auf und versuchte, seiner Stimme den Anschein von Gelassenheit zu geben. »Immerhin haben wir eine Vollmondnacht. Wir haben also beste Sicht. Es wird schon nichts passieren.«
Sehr überzeugend war er dabei nicht. Zu sehr konnte er sich an die Weissagung des alten Myrddins erinnern, den er nun auch sorgenvoll anblickte.
»Es hat begonnen«, raunte dieser mir im Brustton der überzeugung zu und teilte den anderen nun ebenfalls seine Vision mit. »Die Götter haben sich gegen uns verschworen, ich habe es gewusst!« Mit ruhiger, gefasster Stimme erzählte er den Mitgliedern der Sippe, was er Koloman und mir bereits am Vortag gesagt hatte.
Mit großem Entsetzen hörten ihm alle zu. Sein Wort hatte großes Gewicht in der Gemeinschaft. Viele Male schon hatte er mit seinen Voraussagen recht behalten.
Die Minuten verstrichen und immer mehr machte sich ein ungutes Gefühl in der Runde breit. In allen Anwesenden schien die Gewissheit aufzusteigen, dass sich Myrddins Prophezeiung einmal mehr als richtig erweisen sollte. Den ganzen Tag über hatten dunkle Wolken den Himmel verhangen, aber seit einer ganzen Weile ließen größere Lücken Mond und Sterne hervorscheinen.
»Da seht!«, schrie einige Zeit später eine junge Frau namens Meriel auf und deutete zum Himmel, »dort liegt ein Schatten auf dem Mond!«
Wir konnten es kaum glauben, aber die junge Frau hatte recht. Langsam, immer weiter und weiter, schien sich ein kreisrunder Schatten von links über den Mond zu ziehen, der an diesem Abend auch noch ganz besonders groß wirkte.
Es half nichts, ich musste das Versprechen, das ich den beiden anderen gegeben hatte, einhalten. Bald schon würde ich mit Belana zum Fluss gehen. Es gab keine andere Lösung, jetzt wo sich Myrddins Weissagung zu bewahrheiten schien.
»Oh ihr Götter!«, schrie die alte Moja. »Welcher Frevel mag euch erzürnt haben, dass ihr das Antlitz der Natur auf diese Weise entstellt. Ich habe schon so vieles erlebt, aber das ist mehr als mein Geist erfassen kann.«
Alle waren aufgestanden und schauten ungläubig zum Himmel. Selbst jene, die sonst immer zu allem viele Worte fanden, konnten, so schien es, nicht begreifen, wie ihnen geschah.
Immer weiter rückte der Schatten über dem Mond vor. Ein großer Teil seiner linken Seite war schon bedeckt und es wurde immer dunkler. Selbst das Feuer schien erlöschen zu wollen, als würde es sich den seltsamen Ereignissen ergeben. Myrddin fasste zwei Mitglieder der Sippe bei den Händen und ließ sie alle gemeinsam einen großen Kreis bilden. Bald wurden hektisch Gebete angestimmt. In dem Stimmenwirrwarr konnte ich nur einzelne, kaum verständliche Wortfetzen ausmachen.
Ich fasste Belana bei der Hand, zog sie aber aus dem Kreis der Betenden heraus.
»Komm, mein Kind, wir müssen gehen!«
»Ausgerechnet jetzt?«, fragte sie entsetzt. Natürlich bereitete ihr der Gedanke Angst, den Schutz der Gemeinschaft zu verlassen und mit mir hinaus ins Ungewisse zu gehen.
»Ja, es muss sein«, betonte ich. »Es ist etwas, das wir für uns alle hier tun müssen!«
Ein wenig musste ich sie hinter mir herziehen. Fast unbemerkt von den anderen konnten wir uns von der Feuerstelle entfernen, denn wie gebannt starrten alle zum Himmel. Nur Koloman und eine der älteren Frauen nahmen kurz Notiz von uns und schauten uns einige Augenblicke hinterher.
»Wo gehen wir denn hin?«, fragte die junge Sünderin.
»Schweig, mein Kind. Du wirst es schon sehen.«
Noch bevor die Kleine schreien und weitere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, schaffte ich sie von jenem Ort weg und einen kleinen Abhang hinab. Dahinter wurde die Landschaft wieder flacher und wir mussten unsere Schritte mit etwas weniger Bedacht setzen.
Und wieder ging mein Blick zum Himmel. Welch seltsames Schauspiel ereignete sich da? Nackte Panik stieg in mir auf. Hatte der Schamane wirklich recht, und die Götter sich gegen uns verschworen? Mittlerweile glaubte ich seiner Prophezeiung ohne jeden Vorbehalt. Hoffentlich würde meine Tat die gewünschte Wirkung erzielen. Immer widerwilliger ließ sich allerdings Belana mitführen.
Nach einigen Minuten erreichten wir das schilfige Randgebiet des Ufers.
»Ich will lieber zurück!«, rief sie und beschleunigte damit nur noch meine Schritte. Immer fester und unerbittlicher wurde der Griff meiner gesunden linken Hand.
›Hättest du mir nur jemals mehr Aufmerksamkeit geschenkt!‹, dachte ich bei mir. ›Vielleicht hätte ich jetzt eine andere dazu auserkoren. Es ist deine eigene Schuld, dass es so weit kommen muss.‹
Ich war häufig am Fluss, dort kannte ich mich aus. Wie oft schon war ich in einem unbeobachteten Moment hierher gekommen und hatte den Stimmen aus dem Reich der Toten gelauscht, die man hier unten am Fluss vernehmen konnte? Diese Stimmen, die ein Lied sangen von bitterer Vergänglichkeit. Sie wollten mich sanft zu sich auf den Grund des Flusses rufen. An jenem Abend hörte ich sie lauter als jemals zuvor.
›Da, ich höre sie ganz genau. Einige Augenblicke noch, dann sind wir ganz nah bei ihnen.‹
Ich verharrte an einer Stelle, um sie besser zu verstehen. Sie sprachen so klar und deutlich zu mir, wie ich gerade zu euch rede.
»Gleich sind wir da. Hörst du ihre Rufe?«, fragte ich Belana.
Die Hure schaute mich mit einem verständnislosen Blick an. Danach eilten ihre Augen panisch zwischen mir und dem Mond hin und her, dessen Fläche nun fast vollständig wie von einer zweiten flachen Scheibe bedeckt schien.
»Endet hier nun alles?«, fragte sie mit bebender Stimme, dabei schien sie allerdings weniger mit mir als mit dem Mond zu reden.
Wer war nun verrückt? Ich war es ganz gewiss nicht! Ich war vielmehr der Einzige, der die Gemeinschaft retten konnte. In meinen Händen lag unser aller Wohl und Wehe.
Ich führte sie weiter an den Rand des Flusses. Noch eine kurze Böschung und wir waren angelangt. Schon standen wir bis an die Knöchel im Wasser. Der Saum ihres langen Rockes wurde nass.
»Was geschieht denn nun?«, fragte sie wieder und ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass sich der Mond rot gefärbt hatte. Sie wollte noch etwas sagen, aber der Anblick hatte ihr die Stimme verschlagen. Auch ich konnte es kaum glauben und starrte wie gebannt hinauf.
»Es muss getan sein«, sagte ich. »Wir können nicht noch mehr Zeit verlieren.«
Sie zögerte kurz, wusste nicht, was sie antworten sollte. Panik schien ihre Gesichtszüge zu lähmen.
»Kannst du sie nicht hören? Die Toten am Grund des Flusses. Hörst du nicht, wie sie nach dir rufen?«
»Peredur, du bist völlig wahn…!« versuchte sie noch zu schreien, doch ich unterbrach sie.
»Euch zum Wohlgefallen!«, rief ich laut aus. Die drei Worte waren ebenso zum Mond gerichtet, wie auch an die Toten in den kühlen Fluten.
Sie wollte sich losreißen, aber ich hielt sie noch immer fest gepackt. Ihren kurzen Moment der Unachtsamkeit nutzte ich aus und zerrte sie nun vollends in das Wasser hinein.
»Ich weiß, sie rufen auch mich, aber meine Stunde ist noch nicht gekommen! Kannst du sie nun endlich hören?«
Sie wollte noch etwas sagen, aber sie brachte nur noch ein kurzes Gluckern zustande, während ich sie unter die Wasseroberfläche drückte. Ein Schwall großer Luftblasen stieg auf, als sie sich mit Händen und Füßen zu wehren versuchte. Danach folgten zahlreiche kleinere Bläschen.
»Du hättest es anders haben können, doch nun ist dein Leben verwirkt!«
Ich spürte, wie mir ihre Fingernägel einige tiefe Wunden in die Unterarme rissen, aber unbeirrt drückte ich sie weiter unter Wasser. Trotz der allgegenwärtigen Dunkelheit meinte ich, ihre weit aufgerissenen Augen dicht unter der Wasseroberfläche zu sehen. Ein Anblick, den ich lange nicht vergessen werde, obwohl ich mir selbst nicht erklären kann, warum ich ihren Todeskampf überhaupt in dieser Schattenwelt beobachten konnte.
Sie versuchte, mir in die Hände zu beißen, aber sie kam nicht heran. Zu geschickt hatte ich sie gefasst. Ein Verrückter wäre zur Planung und Ausführung der Tat niemals fähig gewesen! Auch wenn mir einige Finger fehlen, hielt ich sie unerbittlich unter Wasser. Ja, unbändige Kraft habe ich trotz allem noch!
Während ihre Zuckungen langsam ein wenig nachließen, gelang es mir, die Augen von ihr zu lassen, und den blutroten Mond zu betrachten. Völlig ungeachtet meiner Tat, hatte sich an seinem Anblick nichts geändert. Große Panik wollte in mir aufsteigen. Sollte sich die Mühe nicht gelohnt haben? Nahm das Schicksal nun doch völlig unbarmherzig seinen Lauf? Sollten wir trotz allem nicht verschont werden?
Noch einige letzte Zuckungen, ein finales sanftes Beben, und alles Leben war endgültig aus ihr gewichen. Ich beschwerte ihren Körper mit einem kleinen Felsbrocken, den ich mir schon am Nachmittag zu diesem Zweck ausgesucht hatte. War es nicht äußerst geschickt, wie ich den schweren Block mit zahlreichen Streifen Schilf an ihr festzurrte? Niemand, der nicht bei Verstand ist, bringt es zu solch einer Meisterschaft in dem, was er tut!
Ich sah ihr dabei zu, wie sie langsam auf den Grund des Gewässers glitt. ›Gehab’ dich wohl, du schönes Kind. Schade, dass wir nicht füreinander bestimmt waren! Mögen dich die Toten mit Freude empfangen. Sollen alle in Stille ruhen, bis sie auch mich dereinst in ihrer Mitte willkommen heißen!‹
Eine Weile hatte ich den Mond nicht mehr betrachtet. Jetzt, wo mein Werk vollendet war, fand sich wieder Gelegenheit dazu. Er wirkte nun nicht mehr ganz so glutrot, und der dunkle Schatten schien nach rechts aus ihm heraus zu wandern. Es hatte also ganz den Anschein, als hätte meine Tat die Götter doch noch besänftigt, ganz so, wie wir drei Eingeweihten es im Sinn gehabt hatten.
Als ich wieder an der Feuerstelle ankam, war die Angst einem angeregten Stimmengewirr gewichen. Koloman und der weise Myrddin schauten mich wohlwollend an, als ich ihnen mit einem kurzen Blick andeutete, dass die Tat vollbracht war.
Ich gesellte mich zu ihnen und blickte zufrieden zum Himmel. Der Schatten auf dem Mond war nicht mehr zu sehen, und auch seine rote Färbung war verschwunden.
Ihr seht nun: Ich habe im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte wie auch im Sinne der Allgemeinheit gehandelt. Wie könnt ihr euch also anmaßen, über mich richten zu wollen?