Читать книгу SOKO Marburg-Biedenkopf - Группа авторов - Страница 12
Wenn’s in der Salzgrotte summt …
ОглавлениеTATJANA KRUSE
Ist hier noch frei?«
Der Mann zwinkert mir zu. Er ist ungefähr in meinem Alter, trägt einen weißen Leinenanzug von Hugo Boss und duftet nach Armani. Zielstrebig ist er auf mich zugekommen, obwohl alle anderen Liegen frei sind. Das und seine professionelle Ausstrahlung lassen mich wissen: er ist mein Mann. Mit ihm habe ich mich hier verabredet.
»Ja, bitte«, sage ich zu dem Mann und nicke.
Ich bin Kurier. Weiblicher Kurier. Nein, nicht die Sorte, die Ihnen heute bringt, was Sie gestern bestellt haben. Keine ungeduschte, ungekämmte Unter-Mindestlohn-Fahrerin. Ich trage Haute Couture, dufte dezent nach Chanel No. 5 und überbringe »Informationen«. Keine hochpreisigen Informationen wie beispielsweise chemische Formeln aus Kosmetik- oder Pharmazielaboren, Marketingstrategien von Konkurrenzunternehmen oder militärische Einsatzpläne. Nein, ich überbringe höchstpersönliche Botschaften. So wie jetzt.
Das Schöne an meinem Beruf ist die Abwechslung. Mein voriger Auftrag führte mich ins Hotel Sacher in Wien, wo sich meine Zielperson und ich uns mittels Room Service je ein Stück Sacher-Torte aufs Zimmer bringen ließen. Eine Freude für den Magen. Und jetzt liege ich in der Salzgrotte der Lahn-Dill-Bergland-Therme. Eine Freude für die Lunge.
Bei leiser, sphärig instrumentaler Entspannungsmusik und zwanzig Grad Raumtemperatur entspannt man sich hier zwischen Salzziegeln, gefertigt aus dem besonderen Salz vom Toten Meer, und atmet eine Luft, die reich ist an Mikroelementen wie Magnesium, Natrium und Kaliumchlorid, was in einer Dreiviertelstunde fast so gut tut wie ein dreitägiger Aufenthalt an der See. Das erfinde ich nicht, das habe ich im Faltblatt gelesen, während ich auf meine Kontaktperson gewartet habe.
Der Vorschlag kam von ihm. Die Therme liege verkehrstechnisch für uns beide günstig, und zur Mittagszeit im Hochsommer sollten wir die Grotte für uns haben. Meinte er. Und darum liege ich jetzt hier und chillaxe, diese herrliche Mischung aus chillen und relaxen.
»Sehr entspannend«, sagt er und zwinkert mir zu.
»Wirklich sehr entspannend«, bestätige ich.
Das ist jetzt keine Erkennungsparole, er muss darauf nicht antworten »Und in China fällt gerade ein Sack Reis um«, damit ich weiß, es mit dem Richtigen zu tun zu haben. Nein, es handelt sich einfach um Small Talk. Wiewohl die meisten meiner Kontaktpersonen normalerweise zu angespannt sind, um zu plaudern. Geschweige denn zu zwinkern.
Er breitet die Decke, die man gegen potenzielle Fröstelanfälle zur Verfügung gestellt bekommt, über seinen Knien aus und lässt die Liege nach hinten klappen.
Ich klappe meine Liege ebenfalls zurück und genieße den gleich darauf einsetzenden Horizontal-Komfort. Ich atme die salzgeschwängerte Luft tief ein und wieder aus und wieder ein und wieder aus und spüre förmlich, wie meine Zellen jubeln. Ja, hier lässt es sich aushalten.
Aber wir sind nicht zum Vergnügen hier.
Gerade will ich auf das Geschäftliche zu sprechen kommen, als die Tür aufgeht und ein greises Paar eintritt. Raschelnd eintritt. So eine Salzgrotte darf man ja in Straßenkleidung aufsuchen, nur für die Schuhe gibt es »Überschuhe« aus Plastik. Die beiden schlurfen zu zwei Liegen, die am weitesten von uns entfernt sind.
Das ist jetzt blöd, denke ich. Eine gewisse Privatsphäre ist für die Informationsübergabe unabdingbar. Aber vielleicht geht es trotzdem. Alte Leute hören ja schlecht.
Der Mann neben mir dreht den Kopf zu mir und sagt: »Unglaublich entspannend.«
»Pst!«, mahnt die Greisin von der anderen Seite der Grotte und guckt streng in unsere Richtung. Ihr Gatte tätigt derweil im Liegen einige Lockerungsübungen mit Armen und Beinen. Keine Ahnung, ob es Absicht ist, aber die Bewegungsabfolge ist nicht fließend, sondern ruckartig. Er erinnert an einen Käfer, der auf den Rücken gefallen ist und krampfhaft versucht, sich umzudrehen.
Nein, die werden nichts mitkriegen, denke ich und wende mich wieder meinem Nebenlieger zu.
Doch da – verdammt! – geht die Tür erneut auf, und zwei Herren treten ein.
Unwillkürlich entringt sich mir ein Seufzer. Die Nachricht, die ich zu überbringen habe, ist sehr privat. Ich hatte wirklich gehofft, mit der Kontaktperson allein zu bleiben – es ist eine kurze Nachricht, eine einzige, ungestörte Minute hätte schon gereicht.
Die Herren nicken zur Begrüßung, nehmen auf zwei Liegen neben dem Seniorenpaar Platz, lehnen sich zurück und schließen die Augen. Sie tun das alles zeitgleich, als ob sie es geübt hätten. Wie Synchronschwimmer, nur eben nicht im Wasser, sondern an Land. Aber vermutlich sind es einfach nur Stammgäste. Geschäftsleute, die sich hier in der Grotte einen Mittagsentspannungsquickie gönnen.
Ich richte mich auf und lehne mich zur Seite. »Ich soll Ihnen etwas ausrichten«, flüstere ich dem Mann neben mir zu.
»Was?«, sagt er und hält den Kopf leicht schräg, als müsse er sein Ohr justieren.
Da geht die Tür erneut auf. Nicht schon wieder, denke ich.
Eine nicht mehr ganz junge Frau mit grau melierten Zöpfen tritt ein. Sie trägt einen Bademantel über einem türkisgrünen Badeanzug. Ihre Haut glänzt und duftet, als habe sie eben eine Massage mit ätherischen ölen bekommen. Offenbar gönnt sie sich einen Wellness-Tag in der Lahn-Dill-Bergland-Therme.
»Findet hier gleich die Progressive Muskelentspannung statt?«, ruft sie.
»Nein, die gibt’s nur dienstagabends«, antwortet die Greisin, deren tattriger Gatte immer noch zuckt.
»Ach so, na egal«, befindet unser Neuankömmling und legt sich auf die nächste freie Liege neben den beiden Herren.
»Was sagten Sie gerade?«, fragt mich die Zielperson neben mir.
»Pst!«, ruft die Oma.
Ich seufze erneut. Es ist ja nicht so, dass ich alle Zeit der Welt habe. Der Folgeauftrag in Genf wartet schon. Warum stellt sich der Typ neben mir jetzt dumm? Deshalb ist er doch hier, weil er weiß, dass ich eine wichtige Nachricht an ihn habe – darüber, wie die fragliche Angelegenheit final aus der Welt zu räumen sei.
Hilft ja nichts, denke ich nach kurzem Blick auf die anderen Salzgrottenbesucher, ich muss jetzt zu Potte kommen.
»Ich soll Ihnen ausrichten, dass es ein Fehler war, Möppelchen zu vergiften«, sage ich leise, aber dezidiert, zu dem Mann gebeugt.
»Äh … wie meinen?«
»Möppelchen, den Mops. Sie haben es sich mit dem falschen Hundebesitzer verdorben«, erkläre ich.
Exakt diese Angelegenheit sollte ein für alle Mal erledigt werden, indem er erledigt wurde. Final. Und zwar von mir.
Doch jetzt stutze ich. Der verständnislose Ausdruck, mit dem er mich ansieht, wirkt verteufelt echt. öhm, hat er sich etwa nur neben mich gelegt, weil er mit mir flirten wollte?
In diesem Moment geht schon wieder die Tür auf, und ein dicklicher, älterer Herr stapft in die Salzgrotte. Die beiden Taschen seines Bademantels beulen sich verdächtig aus. Sein Blick wandert zu mir.
Meine Hand umklammert die SIG Sauer mit Schalldämpfer unter der Decke in meinem Schoß.
Sollte ich mich in der Zielperson tatsächlich vertan haben? Hat womöglich der Dicke den ständig kläffenden Mops der Geliebten des russischen Oligarchen vergiftet? Ich weiß nur, dass meine Zielperson ein Mann ist – der Nachbar der Gespielin. Wie viele Männer, die aussehen, als könnten sie einen kläffenden Mops vergiften, kann es schon geben? Hatte ich gedacht. Offenbar doch mehr als vermutet.
Etwas unschlüssig schaue ich von meinem Nebenlieger zu dem Neuankömmling.
Der erwidert meinen Blick und greift in seine Bademanteltaschen.
Was ich in diesem Moment nicht wusste: sein Blick ist nur zufällig auf mich gefallen, weil so ein Blick ja immer irgendwohin fallen muss, außer man schließt die Augen. Im Bruchteil einer Sekunde muss ich entscheiden, ob in Wirklichkeit er meine Zielperson ist. Und ob er womöglich weiß, dass man mich auf ihn angesetzt hat, und er nun seinerseits Gegenmaßnahmen ergreifen will.
Ich darf kein Risiko eingehen.
Also ziehe ich meine SIG Sauer mit Schalldämpfer unter der Decke über meinen Beinen hervor und schieße dem gewichtigen Bademantelträger direkt zwischen die Augen.
Gemeinhin denkt man ja, eine beschalldämpfte Handfeuerwaffe würde ein leises »Plop« machen, wenn man jemand damit erschießt. Aber es ist mehr ein »Summmm«. Das Summmm integriert sich nahtlos in die Entspannungsmusik in der Salzgrotte.
Der Dicke sackt bäuchlings auf die Liege vor ihm. Dabei kullern zwei Gummi-Enten aus seinen Bademanteltaschen. Möglicherweise wollte er sie nach der Salzgrotte im Thermalbecken zu Wasser lassen. Tja, sie würden von nun an nie wieder dümpeln …
Die Frau mit den Zöpfen hat alles mitbekommen und springt verschreckt auf.
Summmmm, machte der Schalldämpfer.
»Haben Sie oder haben Sie nicht vor zwei Wochen den Mops Moppel vergiftet?«, wende ich mich nun genervt an meinen Nebenlieger.
Der ist mittlerweile so bleich wie sein Leinenanzug weiß ist. Er schüttelt den Kopf. Im Grunde ist das aber auch egal, denn er hat schon viel zu viel gesehen.
Summmmm.
Einer der beiden Geschäftsmänner ruft: »Mops? Haben Sie gerade Mops gesagt?«
Ich stehe auf und trete mittig vor die Liegen der beiden Männer.
»Sind Sie die Frau, die mir am Telefon gesagt hat, der Mops-Vorfall ließe sich regeln, wenn ich mich mit ihr hier in der Salzgrotte treffe?«, fragt der links vor mir. »Ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass ich meinen Anwalt mitgebracht habe!«
Na also, geht doch, denke ich. Einen quälenden Moment lang habe ich schon Angst gehabt, zum ersten Mal in meinem Leben meinem Auftraggeber keinen erfolgreichen Vollzug vermelden zu können.
Statt einer Antwort jage ich erst dem Mann links, dann dem Mann rechts eine Kugel in den Kopf. Summmmm.
Perfekt, denke ich.
Ich schaue zu den beiden Alten. Die Oma ist eingeschlafen, bei offenem Mund. Sie schnarcht leise. Der Opa macht – mit geschlossenen Augen – immer noch seine Lockerungsübungen. Die haben beide nichts mitgekriegt.
Ich zögere kurz. Soll ich …?
Aber irgendwann muss es auch mal gut sein. Eine Handvoll Toter ist ein absolut adäquates Pensum für einen Arbeitsvormittag und bezahlt bekomme ich ohnehin nur eine.
Fünf Leichen reichen!
Die beiden Alten sollen ihren Lebensabend in Ruhe bis zum Ende genießen. Also verstecke ich die SIG Sauer unter meinem Kostümblazer, atme noch einmal tief die salzige Luft ein – ah, herrlich! – und gehe.