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Der Zufall des Glücks
ОглавлениеEine Einleitung
«Ein Mann kann zwischen mehreren Methoden wählen, sein Vermögen loszuwerden: Am schnellsten geht es am Roulette-Tisch, am angenehmsten mit schönen Frauen und am dümmsten an der Börse.»
Börsen- und Finanzexperte André Kostolany
Glücksspiele müssten eigentlich Pechspiele heissen, denn nur selten im Leben stehen die Aussichten auf einen Hauptgewinn so schlecht. Wissen Sie, wie gross Ihre Chance ist, im Lotto den Jackpot zu knacken? Sie steht etwa 1:140 Millionen und ist damit ungefähr 14 Mal geringer, als im Laufe Ihres Lebens vom Blitz erschlagen zu werden. Warum es dennoch mehr Lottomillionäre als Blitztote gibt? Ganz einfach: Während jedermann sich schnell unter ein schützendes Dach begibt, wenn es anfängt zu gewittern, spielen jahrein, jahraus Millionen von Menschen Lotto in der Hoffnung auf das grosse Geld.
Glück – Schicksal – Zufall
Sie alle glauben an das Glück, das ausgerechnet ihnen den ersehnten Gewinn zuspielen möge. Fortuna ist seit der Renaissance die Göttin, die aus ihrem reichen Füllhorn die Gaben über die Menschheit ausschüttet. In der Antike sah man Fortuna noch wesentlich skeptischer. «Fors» bedeutet in der lateinischen Sprache nicht nur «blinder Zufall», sondern auch das kleine Wörtlein «vielleicht». Die Göttin Fortuna war es also, die dem menschlichen Geschick nicht nur die günstigen, sondern auch die ungünstigen Umstände sandte. Kein Wunder, dass für die Künstler der Antike Fortuna ausser dem Füllhorn noch ein zweites Attribut besass: das Steuerruder, wie es auf Schiffen benutzt wurde. Damals war es schliesslich ein gefährliches Wagnis, die See zu befahren. Viele Schiffe scheiterten, wenige kamen an. Aber wer auf den wenigen seine Ladung sicher in den Hafen gebracht hatte, dessen (finanzielles) Glück war gemacht. Wem das Glück hold war, so antike Vorstellungen, der mochte sich gar die Welt unterwerfen. Und so stützt Fortuna ihr Steuerrad häufig auf die Weltenkugel.
Die gleiche Vorstellung begegnet uns an den Wänden der christlichen Kirchen des Mittelalters. Dort beherrscht Fortuna das irdische Jammertal und thront als Königin über dem Schicksalsrad, das alle Menschen mitreisst. Nur Fortuna selbst ist diesem Kreislauf entzogen. Die Menschen aber müssen sich ihm stellen: Die Armen befördert das Rad des Schicksals nach oben, die Reichen stürzt es herab. Niemanden lässt Fortuna dort, wo er ist.
Die Erfahrung, die hinter diesem eindrucksvollen Bild steckt, ist in unserer hoch technisierten Welt fast verloren gegangen. Der Zufall scheint keinen Platz mehr zu haben. Wir suchen die Verantwortlichen gerichtlich, wenn sich ein Radreifen an einem ICE-Wagen löst und zum schwersten Unglück der Ära der Hochgeschwindigkeitszüge führt. Ursachenforschung hat Hochkonjunktur, und wo immer uns der Zufall kalt erwischt, reagieren wir panisch.
Wie sollen wir damit umgehen, dass die Natur eben nicht berechenbar ist? Sie schafft Menschen, die leicht, und solche, die schwer lernen. Da kann das beste Schulsystem nichts ausrichten. Was sollen wir gegen zufällige Schäden des Erbguts machen? Reale Behinderungen lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man Behinderte «anders Begabte» oder «Menschen mit besonderen Fähigkeiten» nennt. Vulkane brechen aus und Börsenkurse brechen zusammen. Wann dies geschieht, kann bis heute niemand exakt vorhersagen.
Die Welt ist vom Zufall beherrscht, jeden Tag, überall. Und doch strebt der Mensch nach Sicherheit. Sie haben Angst, einen Unfall zu erleiden? Schliessen Sie eine Unfallversicherung ab. Sie fürchten, berufsunfähig zu werden? Dagegen gibt es die Berufsunfähigkeitsversicherung. Versicherungen geben uns heute das Gefühl, dem Glücksspiel des Lebens Paroli bieten zu können. Niemand denkt dabei daran, dass Versicherungen nichts anderes tun, als dem Versicherten eine Wette gegen das Schicksal anzubieten.
Die Gesetzmässigkeiten des Zufalls
Hinter jedem Zufall steht nämlich eine Gesetzmässigkeit, die Versicherungen mithilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu ergründen suchen. Wir wissen, dass Menschen Unfälle haben. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass eine Frau im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die auf dem Land wohnt und ein kleines Auto fährt, einen tödlichen Unfall verursacht? Wahrscheinlicher, als dass ein junger Mann unter 20, der in Zürich einen Porsche anmeldet, bei einem Frontalzusammenstoss Verletzungen erleidet, die ihn für den Rest des Lebens zum Krüppel machen? Ein Mathematiker könnte diese Frage mithilfe der Statistik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Sicherheit richtig beantworten. Die Versicherungen müssen nun lediglich für die verschiedenen Risikogruppen die Prämien so berechnen, dass die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite ist.
Dem Zufall auf der Spur
Entdeckt haben Philosophen den mathematischen Aspekt des Zufalls um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Damals vertrieb man sich in der internationalen guten Gesellschaft die überflüssige Zeit mit unterschiedlichen Glücksspielen. Nicht jeder reüssierte und nicht jeder hatte das Geld, seine Verluste leichten Herzens verschmerzen zu können. Kein Wunder, dass sich die vom Glück Vernachlässigten überlegten, unter welchen Umständen sich die Wahrscheinlichkeit, in einem Spiel den Sieg davonzutragen, erhöhen würde. Einer von ihnen hiess Antoine Gombaud, Chevalier de Méré (*1607, †1684). Er kannte einen Mathematiker, dem er auf einer gemeinsamen Reise die entscheidende Frage zu stellen wagte.
Was danach folgte, ging als Geburtsstunde der Wahrscheinlichkeitsrechnung in die Geschichte ein. Blaise Pascal (*1623, †1662) schrieb im Jahr 1654 an Pierre de Fermat (*1665), einen befreundeten Mathematiker, und bat ihn, bei der mathematischen Lösung zweier Probleme zu helfen:
1 Was ist wahrscheinlicher: Bei vier Würfen mit einem Würfel mindestens eine Sechs zu werfen oder bei 24 Würfen mit zwei Würfeln mindestens eine Doppelsechs?
2 Eine Münze wird von zwei Spielern wiederholt geworfen. Für jede Zahl erhält der erste einen Punkt, für jeden Kopf der andere. Wer zuerst 5 Punkte erzielt, gewinnt den Einsatz. Nach sieben Würfen hat der erste Teilnehmer 4, der zweite 3 Punkte. Das Spiel muss abgebrochen werden. Wie soll der geleistete Einsatz gerecht aufgeteilt werden?
Um dieses Problem zu lösen, griff Pierre de Fermat auf eine Methode zurück, die bereits der Mailänder Arzt Girolamo Cardano angewandt hatte: Er zählte. Wie oft, wenn er eine Münze nach oben warf, fiel sie auf die eine, wie oft auf die andere Seite? Das Ergebnis war spektakulär, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag: Es mag unmöglich sein vorauszusagen, ob beim nächsten Wurf Kopf oder Zahl fallen wird. Wenn man ein Spiel aber lange genug spielt, nähert sich die Zahl der tatsächlichen Ergebnisse der zu erwartenden Wahrscheinlichkeit an.
Mit anderen Worten: Wenn es zwei Möglichkeiten gibt, wie eine Münze fallen kann, so stehen die angenommenen Chancen für jede der beiden Seiten 1:1. Auch wenn in der Realität vielleicht 20 Mal hintereinander der Kopf oben zu liegen kommt, werden bei Zehntausenden von Würfen Kopf und Zahl in einem annähernd ausgeglichenen Verhältnis gefallen sein. Und je grösser die Zahl der Würfe, umso grösser die Annäherung an die mathematisch angenommene Wahrscheinlichkeit.
Das Wesen des Zufalls
Theoretisch, so möchte man meinen, müsste es – so man die Gesetze der Wahrscheinlichkeit kennt – doch möglich sein, zumindest bei einigen Glücksspielen die Bank zu überlisten. Pferdekenner auf dem ganzen Globus behaupten, einen todsicheren Tipp für das nächste Rennen zu haben. Und doch ist es geradezu eine Überraschung, wenn einmal der Favorit siegt.
Hier ergeben unzählige kleine Umstände ein grosses Ganzes – genau wie im richtigen Leben, auch wenn wir es dort nicht Zufall, sondern Schicksal zu nennen pflegen, wie beispielsweise folgende Geschichte zeigt:
1992 führte die Deutsche Bahn nach einer sehr kurzen Prüfphase neue Radreifen ein. Eine Anlage für einen Dauerbelastungstest dieser Reifen gab es damals noch nicht, sodass man sich für Überlegungen hinsichtlich des Verschleisses auf die Theorie beschränken musste. Und hier versagten zunächst einmal die Ingenieure: Sie zogen nicht alle Faktoren in Betracht und verrechneten sich gründlich. Eigentlich gar kein Problem, doch dummerweise war ein Überwachungssystem, das einen Riss in einem Radreifen melden und so die Berechnung korrigieren hätte können, 1995 aus Kostengründen abgelehnt worden. Damit hing alles an einem Mechaniker, der am 2. Juni des Jahres 1998 den ICE Conrad Röntgen mit einer allerdings unzureichenden Leuchtstoffröhrenuntersuchung prüfte. Trotzdem sah er das Wesentliche: Er notierte, dass der Reifen auffällig sei. Warum er diesen Mangel dennoch nicht behob, dafür kennen wir die Gründe nicht. Sie mögen trivial gewesen sein. Als nun am folgenden Tag, dem 3. Juni 1998, eben dieser Radreifen brach, meldete ein Fahrgast den Unfall dem Zugbegleiter. Statt die Notbremse zu ziehen, ging der vorschriftsmässig zur Unglücksstelle, um die Meldung erst zu verifizieren, und wurde damit das letzte Glied in einer langen Kette von unglücklichen Umständen, die zum Tod von einhundertundeinem Menschen während des Eisenbahnunglücks von Eschede führte.
Diese Ursachenkette, die zwar komplex, aber durchaus noch nachvollziehbar erscheint, ist ein Klacks im Verhältnis zu den vielen Komponenten, die dazu führen, dass ein Pferd ein Rennen gewinnt, ein Fussballfan im Sporttoto alle richtigen Ergebnisse ankreuzt oder eine Roulettekugel auf die gesetzte Zahl fällt. Kurz, die Zahl der Faktoren, die nötig sind, um das Ergebnis eines Glücksspiels vorauszusagen, ist zu hoch, als dass eben dieses Ergebnis mit einiger Sicherheit berechnet werden könnte.
Die Berechnung des Unberechenbaren
Nicht, dass es nicht versucht worden wäre. Immer wieder hoffen clevere Physiker und Mathematiker darauf, das Glück in Formeln zu pressen. Der erfolgreichste Versuch bisher geht auf die Initiative des Astrophysikers J. Doyne Farmer (*1952) zurück. Den hatte sein Freund in die Spielcasinos von Las Vegas geschleppt. Fasziniert verstand der junge Forscher, dass er mittels des Spiels genug Geld würde verdienen können, um sich die Freiheit zu leisten, die er sich wünschte. Zusammen mit anderen jungen Wissenschaftlern wie Robert S. Shaw und Norman Packard gründete er die Gruppe der Eudaimonen. Sie planten, mithilfe der Mathematik und der angewandten Physik das Roulette von Las Vegas zu knacken. Den Gewinn wollten sie in eine freie wissenschaftliche Gemeinschaft investieren.
Die Gruppe bediente sich modernster Technik, um anhand von Messungen voraussagen zu können, wohin die Roulettekugel rollen würde: Sobald die Roulettekugel in das Rad eingeworfen wird, rotiert sie zunächst regelmässig am oberen Rand des Rades, bis sie der Luftwiderstand soweit gebremst hat, dass die Bahnen der langsamer werdenden Kugel diese tiefer in den Kessel herabgleiten lassen. Dies ist der Zeitpunkt des «Rien ne va plus» und damit der Moment, an dem der Zufall ins Spiel kommt. Je nachdem, wo und in welchem Winkel die Kugel auf welche Raute aufschlägt, wird sie nach ihrem Abprall und vielen weiteren Aufschlägen in eines der Zahlenfächer fallen. Die Eudaimonen hatten es durch unzählige Messungen nach guten zwei Jahren so weit gebracht, dass sie kurz vor dem Ruf «Rien ne va plus» berechnen konnten, auf welche Raute die Kugel zuerst aufschlagen würde. Damit konnten sie zwar nicht vorhersagen, welche Zahl fallen würde, aber immerhin, in welchen Fächern die Kugel am Ende des Spiels sicher nicht liegen würde.
Schon diese Berechnung verhalf ihnen zu einem enormen Vorteil gegenüber der Bank. Während ein Spieler beim amerikanischen Roulette nach einer Runde von einem Dollar durchschnittlich noch 95 Cent übrig hat, steigerten die Eudaimonen ihren Gewinn auf 1,40 Dollar. Die schönsten Hoffnungen aber zerplatzten, als sie eine erste Zwischenrechnung aufstellten. Die Kosten für technische Hilfsmittel deckten gerade die Gewinne, von der Energie, die in die Experimente investiert worden war, völlig zu schweigen.
Doch die Protagonisten des Unternehmens hatten einen neuen Forschungszweig begründet, die Chaosforschung, die Erforschung von Phänomenen, die so komplex sind, dass sie sich unserer herkömmlichen Berechnung entziehen. Was J. Doyne Farmer, Robert S. Shaw und Norman Packard in den späten 1970er-Jahren mithilfe des Roulettes begonnen hatten, das führen sie in ihrem Unternehmen Prediction Company bis heute erfolgreich fort. Im Auftrag der UBS berechnet diese Forschungsgruppe seit vielen Jahren die zukünftigen Bewegungen auf den Aktienmärkten.
Die Börse als Glücksspiel: Ein Vorwurf
Das Glücksspiel fand nie die Billigung der moralischen Instanzen. Alle Kirchen verurteilten es: die Katholiken, weil sie die Leichtfertigkeit missbilligten, mit der ihre Gläubigen Hab und Gut verspielten; die Protestanten, weil sie sich sorgten, ein hoher Gewinn würde den Charakter ihrer Schäflein verderben.
Solange der Adel zivilisiert sein Vermögen am Karten- oder Roulettetisch aufs Spiel gesetzt hatte, war dagegen nichts einzuwenden gewesen. Als aber die Arbeiter ihren Spargroschen zur Lotterie trugen, da schritten die Moralisten ein. Ein Balzac zum Beispiel – seinerseits mit seinen erfolglosen Spekulationen sicher nicht das Idealbild eines sparsamen Familienvaters – wetterte vehement über das Lotto als «Opium der Armut». Nicht wenige sahen, dass die Hoffnungen der Unterschicht auf die Rettung durch das grosse Los viel gemeinsam hatten mit der Besessenheit, mit der manch ein Unternehmer auf dem jungen Aktienmarkt spekulierte. Joseph De la Vega schrieb im Jahr 1688 – auf dem Höhepunkt der Lotterien und Lottos – das erste Buch über die Börse. Darin lässt er einen Philosophen, einen Händler und einen Aktionär miteinander diskutieren. Zurück bleibt die Vorstellung, der Börsenhandel sei nichts als ein Glücksspiel, der Spekulant der Spieler. Seitdem wird dieser Vorwurf immer wieder aufgegriffen. «Die Börsenspiele haben den Reiz aller Lotterien: den Reiz, den ein schneller Gewinn für den Spieler darstellt», so Jean-Baptiste Say (*1767, †1832), ein einflussreicher Wirtschaftstheoretiker des beginnenden 19. Jahrhunderts. Ähnlich Clément Juglar (*1819, †1905), der das Verhalten der Spekulanten bei einer Hausse folgendermassen schildert: «Der Geschmack am Spiel bei anhaltender Hausse ergreift die Einbildungen mit dem Verlangen, in kurzer Zeit reich zu werden wie in einer Lotterie.» Da ist der Schritt nicht mehr weit, Spekulanten als Zocker oder Finanzjongleure zu bezeichnen, wie es in heutigen Schlagzeilen häufig geschieht.
Was will diese Publikation?
Was ist Vorurteil, was Realität? Inwieweit liegt es in der Natur des Menschen zu spielen? Warum wenden sich die einen angewidert von jeder Form des Glücksspiels ab, während andere fasziniert ihr Vermögen aufs Spiel setzen?
Diese Publikation und die damit verbundene Ausstellung «Das Spiel mit dem Glück» möchten zu genauem Hinsehen anregen, zum Wahrnehmen der feinen Unterschiede und dazu, den eigenen Umgang mit dem Spiel des Lebens zu überdenken.
Ursula Kampmann