Читать книгу Inspiration Schweiz - Группа авторов - Страница 23

Оглавление

Dreimal verbrachte Johannes Brahms ausgedehnte ­Sommer­ferien in Thun. Beim ersten Aufenthalt entstand die ­A-Dur-Violinsonate, die «Thuner».

Gustav Mahler war ein Sommerkomponist. An seinen Sinfonien arbeiten konnte der Wiener Operndirektor nur in den Theaterferien. Johannes Brahms hatte keine derartige Hauptbeschäftigung, aber auch ihm ging im Sommer das Komponieren besonders leicht von der Hand, ob in Pörtschach, Ischl oder Mürzzuschlag in Österreich, in Wies­­­ba­den oder Baden-Baden in Deutschland oder in der Schweiz.

Diesem Land war er seit einer Reise, die er mit Clara Schumann und deren Kindern (nach dem Tod von Robert) un­ternommen hatte, schwärmerisch zugetan und kehrte immer wieder. Zwar war die Schweiz musikalisch nur «halb entwickelt», aber in Basel und Bern, Zürich und Winterthur sassen begeisterte «Brahminen», die sein Werk propagierten und ihren Schöpfer gern empfingen.

«Schweizer Sommer» verbrachte Brahms 1866 in Fluntern und 1874 in Rüschlikon; 1868 nahm er seinen Vater ins Berner Oberland mit. Von Rosenlaui aus schrieb er an Clara eine Postkarte mit einer Alphornmelodie, der er den Text unterlegte: «Hoch aufm Berg – tief im Tal – grüss ich Dich – vieltausend Mal.» Er hat das Signal dann im Schlusssatz seiner Ersten Sinfonie markant eingesetzt.

Drei Sommer, von 1886 bis 1888, hat Brahms in Thun verbracht. Zahlreiche Werke entstanden dort, die zweifellos von der lieblichen Landschaft und deren Kontrast mit der Hochgebirgssilhouette angeregt wurden, ohne dass ein vergleichsweise signalhafter Bezug nachzuweisen wäre. Aber das ist bei der Musik, zumal bei einem «Nichtprogram­matiker» wie Brahms, ohnehin schwer.

Im ersten Sommer – ein langer Sommer, er dauerte vom 27. Mai bis zum 5. Oktober – entstanden mehrere Kammermusikwerke, darunter die 2. Cellosonate op. 99, das 3. Klaviertrio op. 101 sowie Lieder und Chorsätze. Die 2. Violinsonate op. 100, die er ebenfalls in diesen Wochen schrieb, trägt gar den Beinamen «Thuner Sonate». Sie «malt» die Landschaft nicht, sondern zeigt höchstens einen Abdruck der wohlig-beschwingten Stimmung, die Brahms in seiner Sommerresidenz erfüllte. Er hatte sich beim Tischlermeister und Kaufmann Johann Spring eingemietet, im heute eingemeindeten Vorort Hofstetten in einem geräumigen Holzhaus direkt am Ufer der Aare, mit Blick auf den Fluss und die Bergriesen dahinter: Niesen, Eiger, Mönch, Jungfrau.

«Ich glaube, es ist die schönste Wohnung, die ich noch hatte», schreibt er an seinen Verleger Simrock. Er hatte Platz (zum Auf- und Abgehen durch mehrere Zimmer, dabei komponierte er), und er hatte Ruhe; im nahen Bern wohnte Joseph Viktor Widmann, Redaktor beim «Bund» und ein alter Freund, den er übers Wochenende besuchen konnte. Der «Freienhof», ein gemütlicher Biergarten, war nicht weit, «für meine Behaglichkeit ist das nichts Kleines». Zu dieser Behaglichkeit gehörte gutes Essen, guter Wein, eine kräf­tige Zigarre und witzige Konversation. Geselligkeit war in Thun möglich, aber wichtiger noch: Allein sein konnte er, so viel er wollte.

Brahms war ein Frühaufsteher; morgens bereitete er sich seinen Kaffee selber (die Kaffeemaschine hatte er aus Wien mitgebracht) und ging dann spazieren; am Ufer entlang, auf die Hügel, über Wiesen und durch den Wald. Dabei flogen ihm die Einfälle zu, die er dann in der Wohnung ausarbeitete. «Alle Welt kennt ihn, wenn er, im Wollhemd, leichtem Rock und Beinkleid, aber ohne Weste und Halstuch, oft auch ohne Kragen, den Hut in der Hand, stundenlange Wege in der Umgebung macht», berichtet ein Zeitgenosse.

Ausserordentlich inspirierend muss der Anblick der Natur mit ihrem lieblichen Vordergrund und dem grandio­sen Gebirgspanorama auf den gebürtigen Flachländer gewirkt haben. So «voller Melodien» sei die Landschaft, «dass er aufpassen muss, dass er nicht drauftritt», heisst es in einem Brief. Einige sind in die A-Dur-Sonate eingegangen. Diese ist aber natürlich kein Natur-, sondern ein Kunstprodukt, gespeist auch weniger von Natur- als von Kunstverweisen.

Dass die Sonate mit derselben Tonfolge beginnt wie das Preislied aus Wagners «Meistersingern», ist Zufall. Regelrecht zitiert finden sich dagegen mehrere Lieder aus eigener Feder; im Seitenthema des ersten Satzes erklingt «Wie Melodien zieht es», Verweise gibt es auch auf «Komm bald», ein weiteres Lied nach Versen seines norddeutschen Landsmanns Klaus Groth, und auf «Mein Lieb ist schön wie die Sonne». Das waren sozusagen musikalische Vertrau­lichkeiten, denn die Sonate ist «in Erwartung der Ankunft einer lieben Freundin» geschrieben, wie Brahms verriet. Dabei handelte es sich um die Sängerin Hermine Spies, die zweimal auf einen Tag hereinschaute und mit Brahms neue und alte Lieder am Klavier durchnahm.

Auch in Bern, wohin es ihn am Wochenende immer wie­der zog, sorgte er für musikalische Unterhaltung, trug zwar mit Vorliebe Bach vor, war sich aber auch nicht zu schade, der Jugend zum Tanz aufzuspielen. Auch besuchte er mit grossem Vergnügen Operettenaufführungen im «Schänzli».

Zu einer engeren Zusammenarbeit mit Widmann kam es dagegen nicht; dieser hatte darauf gehofft, Brahms werde ein Opernlibretto von ihm vertonen. Aber mit der Oper hatte der Komponist ebenso abgeschlossen wie mit Heiratsplänen. Stattdessen bedichtete umgekehrt Widmann die «Thuner Sonate», nachträglich. Er entwarf mit blühender Fantasie einen Traum von einem Ritter und einem Mädchen, das in einem Feennachen fährt, gezogen von Libel­len. Der Traum verfliegt, das Lied bleibt: «Doch, mag es klingen auch vor tausend Ohren / im Fürstensaal, in stolzen Städten viel – / Es bleibt doch unsres Landes, hier geboren / An dieses klaren Flusses Wellenspiel.» So bleibt, dürfen wir verstehen, die A-Dur-Sonate Thun zugehörig. Brahms jedenfalls hat das Gedicht sehr gemocht.

Martin Ebel

Inspiration Schweiz

Подняться наверх