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Die Metren der Manes Monavi Caspar CunradsCunrad (Cunradi), CasparManes MonaviLyrik (1571–1633)

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Dennis Pulina

Caspar Cunrad kann mit Recht als ein außergewöhnlich begabter Dichter gelten und hat ebenso mit Recht bereits seinerzeit viel Ansehen für seine literarischen Arbeiten genossen. 1571 in Breslau geboren, studierte er an der Artistenfakultät in Frankfurt/Oder, wechselte nach Wittenberg und nach Leipzig. Nach dem Erwerb des Magistergrades 1597 und Hauslehrertätigkeiten in seiner Heimat ging er zum Studium der Medizin nach Basel, wo er 1604 zum Doktor der Medizin graduiert wurde. Den Rest seines Lebens verbrachte er als Arzt in Breslau, wurde dort 1621 Stadtphysikus und starb ebendort 1633.1

Cunrad war Förderer und Mittelpunkt des späthumanistischen schlesischen Humanismus und trat auch selbst als Dichter auf. Neben zahlreichen Epigrammen ist hier vor allem seine Prosopographia melica zu nennen, ein Werk, das ihm weitreichende Bekanntheit verschaffte. Es handelt sich dabei um einen Literaturkalender mit 3000 DistichenDactyluselegisches Distichon auf gelehrte und bedeutende Männer. Zu ihren Namen sind ihr Beruf sowie Geburts- und Todesdatum angegeben. Als – wenn auch damals nicht seltene – Auszeichnung wurde Cunrad 1601 zum Dichter gekrönt.

Ein weniger bekanntes, aber höchst erstaunliches Werk sind Cunrads Manes Monavi, dem Inhalt nach eine Trauer- und Trostschrift zum Tod Jacob MonausMonau, Jacob, der Form nach lyrische Dichtung in einer Vielzahl verschiedener und teils antik nicht belegter Maße.Monau, Jacob2 Der Verstorbene stammte aus vornehmer und reicher Familie und war seinerzeit eine bedeutende Persönlichkeit in Breslau. 1546 dort geboren, absolvierte Monau sein Studium in Leipzig, wo er Teil der reformatorischen Bewegung und Anhänger Melanchthons wurde. Nach Aufenthalten in Genf, Padua, Wien und anderen Städten führte ihn sein Weg zurück nach Breslau, wo er „es sich leisten [konnte], beruflichen Belangen nach einem ausgedehnten Studium nur gelegentlich und ohne großen Aufwand nachzugehen“.Monau, Jacob3 Damals scharte er auch eine Gruppierung Reformierter um sich. Durch diese Art Mäzenatentum, aufgrund seiner Reisen und seines Aufstiegs „zu einer zentralen Figur des international agierenden Calvinismus“ kannte man ihn über die Landesgrenzen hinaus, und zwar vor allem „auf dem Weg der Kontaktpflege, des gelehrten Austausches, was vor allem hieß über den epistolaren Verkehr“.4 Als Monau 1603 verstarb, dichtete Cunrad die Manes Monavi, womit er sich in die Tradition frühneuzeitlicher Manes-Literatur als Denkschriften an verstorbene Persönlichkeiten stellte – man denke etwa an die Manes Juniani des Janus DousaDousa, JanusManes Juniani oder die Manes Scaligeri des Daniel HeinsiusHeinsius, DanielManes Scaligeri. Cunrads Gedichte sind teils Klagen, teils Trostspender, sehr stark aber gibt er ihnen den Charakter von Briefen mit der Aufforderung, sich an Monau Monau, Jacobzu erinnern. Dabei sind neben Familie, Freunden und Bekannten MonausMonau, Jacob auch mythologische Gestalten wie der Fährmann Charon, die Natur, die Stadt Breslau, Sonne und Mond oder der Tod selbst Adressaten, die jeweils mit ad und Namensnennung den Titel der einzelnen Gedichte bilden. In Ad Iohannem Iacobum Grynaeum benutzt Cunrad selbst das Wort epistolaris: Conradumque tuum, quem iam complexus amore es, / Crebro loquela vise epistolari („Suche Deinen Cunrad, den Du schon mit Deiner liebevollen Zuneigung umarmt hast, häufig mit brieflicher Rede auf“ [V. 21–22]). Neben der Form, die nebst einer expliziten adscriptio als Titulatur gelegentlich auch Abschieds-Grußworte enthält (z.B. Salue ergo, o Fili carissime! [Ad Fridericum Filium, V. 33] oder Longos ad usque vive saluus annos [Ad Ioh. Iac. Grynaeum, V. 20]), erweisen sich auch Appelle, Mahnungen und Handlungsanweisungen an die Adressaten als brieftypisch.Rindtfleisch (Bucretius), Daniel5 Als dichterisches Gesamtwerk sind die Manes Daniel Rindtfleisch (1562–1621), genannt Bucretius, Cunrads Vorgänger im Amt des Breslauer Stadtphysicus, zugeeignet.

Die einzelnen Gedichte enthalten nicht nur feinsinnigen Inhalt, sondern sind auch hinsichtlich ihrer Metren bemerkenswert. Ziel dieser Arbeit ist es, anhand von vier Gedichten einen Einblick in Cunrads metrische Technik, ihre Vielfalt und Innovation zu geben. Zugrunde gelegt wird der Erstdruck von 1603.6 Auf dem späteren Abdruck in den Delitiae poetarum Germanorum (1612, Bd. 2, 1018–1054) basiert ein wertvoller index metrorum, der im Rahmen des CAMENA-Projektes an der Universität Mannheim angelegt wurde.7 Dabei fehlen bislang noch wenige Metren bzw. sind sie nur mit „Fancy Metre“ bezeichnet. Dieser Index soll hier zunächst vervollständigt werden:

Ad Nicolaum a Burckhaus in Stoltz Tristicha aus elegischem DistichonDactyluselegisches Distichon + AdoneusAdoneus
Ad Iustum Lipsium SotadeusIonicusa maioreSotadeus (mit tr2 im 3. Metrum)
Ad Johannem Jacobum Grynaeum Theologum Basiliensem Disticha aus daktylischem HexameterDactylusHexameter + katalektischem iambischem SenarIambusSenar:katalektisch
Ad Charontem Disticha aus katalektischem iambischem DimeterIambusDimeterkatalektisch + katalektischem iambischem SenarIambusSenarkatalektisch
Manes Monavi Ad Fridericum Filium 3. archilochische StropheArchilochiusArchilochium tertium
Ad Theodorum, Danielem et Philippum-Jacobum Rindfleisch Bucretios, fratrem germanos Disticha aus iambischem DimeterIambusDimeter und katalektischem iambischem Dimeter

In der Vielfalt und Kombinatorik der MetrenPolymetrie sieht Cunrad offenkundig die Möglichkeit, den emotionalen Duktus der Gedichte formal zu unterstützen, was an den konkreten Analysen im Folgenden deutlicher werden soll. Grundsätzlich ist die Technik, verschiedene, in der Antike getrennte Metren neu zu kombinieren allerdings schon seit dem Mittelalter bekannt.HorazPolymetrie8

Da uns der daktylische HexameterDactylusHexameter von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit in Fülle und mitsamt wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegt, soll mit der Analyse der metrischen Technik eines hexametrischen Gedichts begonnen werden. Adressat ist hier die Natur (Ad naturam):

Ō Nātūra parēns |3m rērūm, |4m pūlchērrima mūndī
Fōrmātrīx, |2m quāe lārga |3w tuō |4m prōfūndis in Ōrbem
Dōna sinū; |2m quāe sūmma |3w parīs, |4m quāequ(e) īnfima; cāelī
Quāe mōtūm |2m gyrās, |3m cāelīque quod |4/5 ūspi(am) in ōrbe (e)st;
Sūbter at hūnc |2m quattuōr |3m dīstīnguis et |4/5 ēxprimis āpte
Cōrpora prīncipiīs, |3m quōrūm |4m cōncōrdia dīscors
Fōrmās prōgenerāt |3m variās: |4m pērfēctior īlla,
Quāe Dīvīs |2m propiōr |3m dīvīnāe |4/5 pārticul(am) āurāe
Īntus habēt, |2m fōrmāta lutō |4m meliōre: sed īlla
Ūt meliōr |2m lōngēqu(e) |3m aliā |4m prāestāntior ōmnī, 10
Sīc brevis hē͡i |2m āevī (e)st! |3m Oritūr, |4m moritūrque: diēs nam
Īnterit(u) ānticipāt |3m sōmnī |4m soror, |4/5 īn nihilūmque
Nōbil(e) opūs, |2m nihilūm |3m fuerāt |4m quod inānte, resōlvit.
Nōn ita Cōrnīcīs, |3m nōn Cōrv(i) |4m it(a) inūtilis āetas;
Nōn Cōrvī, |2m nōn Āssyriāe |4m soci(a) |4/5 ābsque volūcris; 15
Nōn sērpēntigenī |3m generīs, |4m quōd iām seni(o) hōrrēns
Ēxuviās |2m spīnīs |3m crēdīt, |4m tremulāmque senēctam
Cūm cute dēpōnēns |3m iuvenēscīt |4/5 cōrpore tōtō.
Ō hominī, |2m Nātūra potēns, |4m nōn |4/5 prōvida! sīcne
Fāctūrāe |2m meliōris opūs |4m brevitāte refīngī 20
Dēbuit, ēxtrēmām |3m dīgn(um) ēxāequāre senēctam?
Sēd revocō, |2m Nātūr(a); Hominī |4m Tū |4/5 prōvida: nāmque
Quō Dīs prōximiōr, |3m Tūt(e) hōc |4m fēstīnius ūrgēns
Hīs sociās |2m citiūs, |3m sēdēs |4m ubi |4/5 fāta quiētās
Pārticipānt, |2m ōmnīque |3w carēntia |4/5 gāudia fīne. 25
Īsthūc Mōnaidēs |3m cēssīt |4m jām, |4/5 Tē duce, cāelō
Dīgnus, ut īndīgnē |3m fāctūm |4m putet |4/5 īste, vel īlle.
Ērgō vīvat ibī, |3m vigeātque: Sed, |4/5 ō bona, Tū Me
Āudī, quāe |2m rogitō |3m brevibūs |4m quōd |4/5 dēfuit ānnīs
Mōnaviī, |2m dā Būcreadāe |4m celerēmque senēctam 30
Ād lōngōs |2m ēxtēnde |3w diēs, |4m vegetūmque minīstrā
Rōbur et ēvalidās |3m prāeclār(o) |4m īn |4/5 pēctore vīrēs:
Sīc qu(ae) in eūm |2m Tib(i) opēs |3m sūnt ēffūs(ae) |4/5 āmpliter, īlle
Lārgiter ēffūndēt |3m reliqu(a) īn |4m tua |4/5 plāsmat(a), et Ōrcō
Sūbtrahet ād |2m sērās |3m languēntia |4/5 cōrpora mēssēs. 35

O Natur, Schöpferin aller Dinge, wunderschöne Weltgestalterin, die du großzügig Geschenke aus Deinem Schoß in die Welt ergießt. Du erzeugst das, was ganz oben liegt, und das, was ganz unten liegt. Du drehst die Bewegung des Himmels und was vom Himmel irgendwo auf der Erde liegt: Aber darunter unterscheidest und bringst du die Körper in geeigneter Weise nach vier Regeln hervor, von denen die zwieträchtige Eintracht verschiedene Formen erzeugt: jene ist vollkommener, welche den Göttern nähersteht und in sich einen kleinen Anteil göttlichen Hauches trägt, geformt aus besserem Schlamm. Aber jene, wenn sie auch besser und bei weitem vorzüglicher ist als jede andere, so kurz, ach, ist ihr Leben! Sie entsteht und scheidet dahin: Die Schwester des Schlafs [mors, der Tod] nimmt das Tageslicht nämlich vorzeitig weg und löst das edle Werk ins Nichts auf, in das Nichts, das es vorher gewesen war. Nicht das Dasein einer Krähe, nicht das eines Raben ist so nachteilig; nicht das eines Raben, nicht das eines assyrischen Vogels [Phönix] ohne Gefährten an seiner Seite: Nicht das des Schlangengeschlechtes, das, wenn es schon vor Altersschwäche starr ist, seine Haut einem Dornbusch anvertraut und, wenn es das zitternde hohe Alter mit seiner Haut zusammen ablegt, mit seinem ganzen Körper wieder jung wird. O mächtige Natur, wie wenig Fürsorge trägst du für den Menschen! Hätte das Werk eines besseren Geschöpfes nicht ebenso wegen der Kürze der Zeit wiedererschaffen werden müssen, und hätte es nicht das äußerste Alter erreichen müssen – würdig war es dem doch? Doch ich widerrufe, Natur: Du trägst Fürsorge für den Menschen! Denn weil du den Göttern näher bist, drängst du eilig darauf, den Menschen schnell mit diesen zu verbinden, dort, wo unser Geschick uns ruhigen Wohnsitz bietet und Freuden, die nie ein Ende haben. Dorthin schied Jacob Monau schon und Du hast ihn geführt, er, der des Himmels würdig war, auch wenn dieser oder jener meint, es sei zu Unrecht so gekommen. Also möge er dort leben und möge es ihm dort gut gehen: Aber, o Gute, hör mir zu, wonach ich wieder und wieder frage! Was den kurzen Jahren Monaus fehlte, gib es dem Daniel Rindtfleisch, verlängere sein schnelles Alter zu einer längeren Frist, und gib rüstige Stärke und starke Kräfte in einer so vorzüglichen Brust: Die Kräfte, die so durch dich reichlich in ihn geflossen sind, wird jener reichlich in deine übrige Schöpfung ergießen, und seinen schlaffen Körper wird er dem Tod zu einer späten Ernte entreißen.

Anlass für das Verfassen des Gedichtes im Hexameter ist unter anderem die Tradition des LehrgedichtLehrgedichts und des HymnosHymnus. Sowohl Metrum als auch Inhalt weisen auf LukrezLukrez und VergilVergil hin. Einen Anklang an die vergilische Bukolik mag man in den Themen Natur, Schöpfung und Tod sehen. Außerdem gliedern sich 17 Verse, das sind 49% relativ zur Versanzahl, insbesondere durch bukolische DiäreseDactylusHexameterZäsuren und Diäresen. Schließlich ist auch die Jenseitsvorstellung sedes ubi fata quietas aus Vergil, Aeneis 1,208VergilAeneis wohlbekannt.

Gegenüber der gewöhnlichen Prosodie der Antike ist festzustellen, dass Cunrad sich keine Freiheiten nimmt. Eine generelle Schwierigkeit allerdings bei der Skansion bilden frühneuzeitliche EigennamenEigennamen. Zeitgenössische Dichter scheinen aufgrund eines fehlenden Maßstabes bzw. fehlender Vorläufer hier schlicht je nach Metrum eine für sie passende Messung vorgenommen zu haben. Dies sei an zwei Beispielen illustriert: Es kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob Cunrad bei Bucreadae (V. 30) von einer SynäreseSynizese ausging, da sich dieses Wort in den Manes kein weiteres Mal finden lässt. Anders verhält es sich bei Monaides (V. 26). Dasselbe Wort tritt in Ad Justum Lipsium zweifellos in den Versen 26 und 51 in daktylischer Messung Mōnă-ĭdes auf, im selben Gedicht in Vers 16 aber mit einer kurzen (!) Binnensilbe trochäisch Mōna͡ides (siehe unten). Ebenso wird in Ad Iohannem Iacobum Grynaeum die Prosodie Monāvī verwendet, wohingegen in Ad Davidem Pareum in den Versen 1, 15 und 16 Mōnăvĭus zu skandieren ist. Abgesehen von diesen Verschleifungs- und Längendifferenzen wurden Eigennamen offenkundig nicht nur metrisch, sondern auch orthographisch flexibel dem Metrum eingepasst (vgl. Monavus vs. Monavius). So findet sich ebenfalls in Ad Iohannem Iacobum Grynaeum in Vers 3 Rauraca gegenüber Rauriaca in Vers 19.

Da gerade der HexameterDactylusHexameter in seinem Tempo aufgrund der variablen Verwendung von DaktylenDactylus und SpondeenSpondeus relativ frei ist, lohnt sich eine Analyse ihrer Verteilungen. Da Cunrad regelgemäß im fünften Versfuß einen DaktylusDactylus setzt, kann sich die Analyse auf die ersten vier Versfüße beschränken, deren 16 mögliche Kombinationen die folgende Tabelle darstellt.9

1 dsss 21 9 dssd 14, 17, 27
2 ddss 6, 32, 33 10 ddsd 5, 12, 24
3 dsds 3, 10, 18, 19, 22 11 sdsd
4 sdss 1, 8, 23, 26 12 dsdd 9, 11, 25, 30, 34, 35
5 ssss 13 sssd 4
6 ddds 14 ssdd 15, 31
7 ssds 2 15 dddd 13
8 sdds 7, 29, 16 16 sddd 20, 28
Summe 17 (48,6%) Summe 18 (51,4%)

Tabelle 1:

Daktylen-Spondeen-Verbindungen in den einzelnen Versen

Grundlage dieser kleinen Statistik sind gerade 35 Verse, was keineswegs als repräsentativ für Cunrads Dichtung gelten kann. Allerdings bildet ein Gedicht durchaus ein Werk in sich, und insofern ist es einer Analyse wert, welche Rhythmik gerade dieser Brief aufweist und wie sie hinsichtlich antiker Vorbilder zu bewerten ist. Die in der ersten Spalte angegebenen ersten acht MusterDactylusHexameter haben in Vergils Aeneis eine relative Häufigkeit von 72,78%, in Ovids Werken immer >80% außer in den Amores (78,84%), in Horaz’ Ars poetica 65,89%.Dactylus10 Bei keinem namhaften Autor der Antike oder Spätantike tritt auch nur entfernt ein derart ausnivelliertes Verhältnis zwischen den ersten acht und den zweiten acht Mustern auf. Die zwei häufigsten Muster in Cunrads Ad naturam sind dsds (14%) und dsdd (17%). Als häufigstes Muster tritt dsds in den Argonautica des Valerius Flacchus, den Epen des Statius, sowie bei Claudian, Sidonius und weiteren spätantiken Autoren auf. Hingegen findet sich dsdd bei keinem der von Duckworth untersuchten Autoren unter den vier häufigsten Mustern. Cunrad schafft also eine variatio, die sich bewusst von antiken Vorbildern abhebt. Trotz vieler Reglementierungen im Hexameter, deren man sich zu Cunrads Zeit sehr wohl bewusst war, kann ein Dichter seinem Werk so eine neue Melodie geben, und Cunrad bedient sich gerade der in der antiken Dichtung seltenen Daktylen-Spondeen-VerbindungenSpondeus, um diese variatio zu kreieren.

Nicht weniger bedeutend für den Klang eines HexameterDactylusHexameterZäsuren und Diäresens sind Zäsuren und Diäresen. Von ihnen finden sich in Ad naturam die klassisch hergebrachten: Trithemimeres (2m)DactylusHexameterZäsuren und Diäresen, Penthemimeres (3m) DactylusHexameterZäsuren und Diäresen, κατὰ τρίτον τροχαῖονDactylusHexameterZäsuren und Diäresen (3w), Hephthemimeres (4m) und bukolische Diärese (4/5) DactylusHexameterZäsuren und Diäresen.11 Die folgenden Tabellen illustrieren die jeweilige Verteilung und Kombination:

# (abs.) % (rel.)
2m 21 60%
3m 25 71%
3w 5 14%
4m 26 74%
4/5 18 51%

Tabelle 2:

Einzelne Zäsuren und Diäresen

3m 1 3% 2m + 3m + 4m 4 11%
3m + 4m 6 17% 2m + 3m + 4/5 4 11%
3m + 4/5 2 6% 2m + 3w + 4/5 1 3%
2m + 4m 2 6% 2m + 4m + 4/5 2 6%
3m + 4m + 4/5 4 11% 2m + 3m + 4m + 4/5 2 6%
2m + 3w + 4m 3 9%

Tabelle 3:

Zäsuren- und Diäresenkombinationen

Die Häufigkeiten der Einzelzäsuren ähneln am ehesten Lukan (2m [51,3%], 3m [80,4%], 4m [71,7%]) und Vergils Aeneis (2m [51,5%], 3m [84,5%], 4m [75,6%].DactylusHexameterZäsuren und Diäresen12 Das Verhältnis Hephthemimeres zu Penthemimeres beträgt 1,04, Trithemimeres zu PenthemimeresDactylusHexameterZäsuren und Diäresen (gleicht fast dem zu Hephthemimeres) 0,84.DactylusHexameterZäsuren und Diäresen13 Solch hohe, in der lateinischen Antike nicht zu findende Verhältnisse sagen schlicht aus, dass keine Zäsur maßgeblich vorherrschend ist. In der Ausgewogenheit der Zäsuren gelingt Cunrad eine variatio, die man mit der Ausgewogenheit der Natur, die die Adressatin des Gedichtes ist, in Verbindung bringen kann. Im Wissen um die antike RhythmikRhythmus des Hexameters und mit ausreichendem Selbstbewusstsein erzeugt Cunrad situationsbezogen eine ganz neue und andere Färbung des Metrums.

Einen weiteren Einblick in Cunrads Dichtung soll ein Gedicht an Justus LipsiusLipsius, Justus (1547–1606) geben. Beim Metrum handelt es sich um einen SotadeusXE“Ionicusa maioreSotadeus“, also einen brachykatalektischen ionischen Tetrameter a maiore, wobei hier – wie nicht selten in der antiken lateinischen Dichtung – durch AnaklaseAnaklase ein DitrochäusTrochaeusDitrochaeus an die Stelle des dritten Ionicus tritt. Dieses Versmaß findet sich z.B. bei Ennius, Plautus, Petron und Martial.

Līpsī, tuus īll(e), īlle tuūs Monāvus, īlle
Mūsārum amor ēt Phōeb(i), Aretēsque, māgnus īlle
Fāmāe Geniūs, Dūdithi(o) |2/3 ēt Cratōn(i) honōris
Pār nōminequ(e) ātqu(e) īngeniī vegēnte nīsu:
Īll(e), īnqu(am), amor īngēns tuus, |2/3 ūnic(a) īll(a) et ūna, 5
Gērmānāe Fideī glōria, |2/3 sīdus āequitātis
Ēx Ēlysiā tērre(a) abīvit īn beātam
Īll(am) Ēlysiām, Cēlit(um) ubī perēnnitātes
Sūnt pērpetuāe, gāudiaqu(e) |2/3 ātque gāudiōrum
Īndīvidu(i) īllī comitēs, amōr, volūptas, 10
Rīsūs sine plānctū, sine |2/3 lūct(u) amōenitātes:
Mēntēs ubi māgn(ae) āccipiūnt suī labōris
Hē͡ic prōmeritūm prāemi(um), et |2/3 īn beātitātis
Īll(a) ārce beātī clueūnt serēnitāte
Āetērn(a) animās īnter Olȳmpicās micāntēs. 15
Īllūc abiīt Mōna͡ides, |2/3 ēt morātur īllē͡ic
Nōs, quōtquot in hōc cūrrimus |2/3 ōrbitātis ōrbe,
Pērfēct(um) ubi nīl, nīl propriūm, nihīl perēnne;
Sēd flūxa, sed īnfīrm(a), et ināni(a) ōmni(a) ātque
Vēnt(i) īnstar et ūmbrāe tenuīs. Modō qu(ae) obōrta 20
Mōrtī prope sūnt, hērbula |2/3 cēu tenēlla cāmpī,
Quāe sōl(e) oriēnt(e) ēxoritūr, cadīt cadēnte,
Āc īn nihilūm, cēu nihilūm fuīt, recēdit.
Ēt nōs obit(um) hūnc, āut abitūm magīs beātum
Plōrēmus adhūc, ēt lacrumīs ben(e) ēxpedītum 25
Tīngāmus itēr Mōnaidāe? Qu(i) abīvit hērcle
Dāmn(o) hāut sine māgn(o) Āoniāe sodālitātis:
Āt nēc sine māgn(o) āetheriāe sodālitātis
Ādplāus(u) et amīc(a) ūndique |2/3 grātulātiōne.
Mēns lōng(e) aliā (e)st, Līps(i), animī Tibī, metāllō 30
Cūi dē meliōrī meliōr Deūs cerēbrum
Cōnflāvit, et īn Mūsipotēns tuī sacēllum
Fūdīt capitīs. Fāt(o) abiīt, quod āevitērnum
Āetērn(o) ab in āev(um) ōmnia |2/3 dīrigīt regēndō.
Hūic vēlle renīt(i); hūic aliquīd vel ōbrogāre, 35
Vēl vēll(e) aliquā quīd ratiōne dērogāre,
Ēst stūltitiāe, (e)st īmpietātis. Hāut valēmus
Mūtāre, semēl quōd statuīt Deī volūntas.
Ērgō potiūs, quōd Deus |2/3 īpse vūlt, velīmus.
Ēt cārcere͡o dē pūlvere |2/3 cōrporīs solūtāe 40
Cēlēst(i) animāe cāel(i) habitācla grātulāntēs,
Quōd trīstitiāe nōstr(o) anim(o) |2/3 hīnc manēt, levēmus,
Cōmmūn(em) ibi nōbīs eti(am) |2/3 ēsse mānsiōnem,
Ād qu(am) īlle praeīvīt, cito |2/3 quāmque nōs petēmus.
Īst(am) īps(i) igitūr quīn requi(em) |2/3 īnterīm sināmus, 45
Hāncqu(e) ād requi(em) īst(a) īnquietūdin(e) ādparāntēs,
Quāe dēvia, quāequ(e) āvia |2/3 mānsiōn(e) in īsthāc,
Vītēmus, et ūn(o) īntuitū legāmus ūnam
Īllhāncce viām, quām reparāvit īlle nōbis,
Quīqu(e) īpsa viā (e)st, vītaque |2/3 qu(i) īpsa, vēritāsque. 50
Hāc Mōnaidēs trānsiit; |2/3 hācce trānseūndum
Nōbīs etiām, quōtquot in |2/3 hāc viā labōrum
Stāmūs miserī. Cōnstituāmus ērgo nōstra
Sīc pēctora nē fōrs metuāmus āntra mōrtis
Squālēntia, quāe iānua |2/3 sūnt ad āevitātem. 55

Lipsius, Dein Freund, jener, jener, Dein Jacob Monau, jene Liebe der Musen und Apollons und der Tugend, jener große Geist der Fama, der Dudith und Craton14 an Ehre und Namen gleichauf war, und dessen Geist immer lebhaft beschwingt war: Jener, sage ich, Dein außerordentlicher Freund, jener einzigartige und einzige Ruhm des deutschen Glaubens, ein Stern der Gerechtigkeit, ging aus dem irdischen Elysion in jenes glückselige Elysion, wo die Ewigkeit der Himmelsbewohner beständig ist, die Freuden und jene einzelnen Begleiter der Freuden, die Liebe, die Lust, das Lachen ohne Schmerz und der Liebreiz ohne Trauer: Wo die großen Seelen hier den verdienten Lohn ihrer Mühe erhalten und in jener Burg der Glückseligkeit glückselig genannt werden wegen der ewigen Heiterkeit unter den glänzenden Seelen des Olymp. Dorthin schied Jacob Monau und wartet dort auf uns, uns alle, die wir auf dieser verwaisten Erde laufen, wo nichts Vollkommenes, nichts Eigentümliches und nichts Ewiges existiert, sondern nur alles Flüchtige, Schwache und Leere, das dem Wind und einem zarten Schatten gleicht. Was gerade entstand, ist schon dem Tod nahe, wie das ganz zarte junge Gras auf dem Feld, das mit dem Sonnenaufgang entsteht und mit ihrem Untergang zu Boden sinkt und ins Nichts, wie es Nichts war, zurückgeht. Und wir beweinen diesen Tod oder eher glücklichen Fortgang noch und benetzen den gut gebahnten Weg Jacobs mit Tränen? Bei Hercules, dieser ging nicht ohne großen Schaden für die Gemeinschaft der Musen: Aber er ging auch unter großem Beifall der Gemeinschaft im Himmel und ihrer freundschaftlichen Freudesbekundung all überall. Das Denken Deines Geistes, Lipsius, ist ein ganz anderes, Du, dem ein besserer Gott einen Sinn aus besserem Metall zusammengeschmolzen und in das musenmächtige Heiligtum Deines Kopfes ergossen hat. Er ging gemäß seinem Schicksal fort, das ewig ist und von Ewigkeit zu Ewigkeit in seiner Herrschaft alles lenkt. Es zeugt von Dummheit und von Gottverlassenheit, sich ihm widersetzen zu wollen, ihm irgendetwas entgegenzustellen oder etwas aus irgendeinem Grund wegnehmen zu wollen. Wir sind nicht in der Lage, etwas zu verändern, was der göttliche Wille einmal beschlossen hat. Also lasst uns lieber das wollen, was Gott selbst will. Und indem wir uns für die himmlische Seele, die von der kerkerhaften Asche des Körpers befreit ist, wegen ihrer Wohnstatt im Himmel freuen, lasst uns das, was in unserem Geist an Traurigkeit übrigbleibt, damit lindern, dass auch für uns dort ein gemeinsames Haus steht, zu dem jener vorausging und zu dem auch wir schnell hineilen wollen. Lass uns also in der Zwischenzeit selbst jene Ruhe zulassen und uns für diese Ruhe durch unsere Unruhe bereitmachen. Lass uns das meiden, was vom Weg abführt und was in diesem Haus abgelegen ist, und lass uns mit einem Blick jenen einen Weg auswählen, welchen jener für uns erneuert hat, der der Weg selbst ist und der das Leben selbst ist und die Wahrheit. Auf diesem Weg ging Jacob hinüber; von hier müssen auch wir hinübergehen, wir alle, die wir auf diesem Weg der Mühen elend stehen. Richten wir unsere Herzen also so aus, dass wir nicht etwa schmutzige Höhlen des Todes fürchten, die (eigentlich) Tore zur Ewigkeit sind.

Zunächst muss der Aufbau der Verse 6 und 40 erläutert werden, die je eine Länge zu viel zu enthalten scheinen. In Vers 6 besteht der erste Ionicusa maioreIonicus a maiore aus drei Längen und zwei Kürzen (Gērmānāe fide|ī). Mit keiner versimmanenten Argumentation kann diese Länge begründet werden, vielmehr stoßen wir hier auf ein Phänomen, das nur die griechische Dichtung kennt. Dort konnten EigennamenEigennamen, die nicht ins Metrum passten, ausnahmsweise an den Anfang gesetzt werden, wodurch der erste Versfuß zu lang wurde, so beispielsweise geschehen beim griechischen tragischen iambischen TrimeterIambusTrimeter, wo ein AnapästAnapaestus am Anfang zulässig war. Daran wird sich Cunrad bei der Nationalitätsangabe ein Vorbild genommen haben. Eine ähnliche Problematik findet sich im zweiten Versfuß von Vers 40, der zunächst naiv gemessen cārcere|ō dē pūlvere| lautet, das wäre mit drei Längen und zwei Kürzen im Versfuß. An dieser Stelle wird man eine Synärese in der Endsilbe zu vermuten haben: cārcere͡o. Anschließend tritt aufgrund der nachfolgenden Hebung eine Iambenkürzung dieser Endsilbe ein, sodass ēt cārcere͡o dē pūlvere sich ins Metrum fügt.

ElisionElisionen finden sich auf 55 Versen insgesamt 65, was 118% relativ zur Versanzahl entspricht. Dieses Verhältnis muss schon erstaunen. Hermann stellte in seinen Analysen römischer Dichter „ein [im Laufe der Zeit] mehr und mehr sich steigerndes Streben [heraus], die Elision bei Anwendung der Sprache für die Poesie möglichst zu vermeiden“.Elision15 Zur Synalöphe in mittelalterlicher, lateinischer Dichtung konstatiert Klopsch: „Der […] Gebrauch […] ist bereits bei Ovid auf ein Mittelmaß reduziert (Met. 19,7%); und es spricht für die Einfühlung und den Geschmack der besten Dichter des 12. Jh., daß sich die SynalöphenhäufigkeitElision bei ihnen in der gleichen Größenordnung hält.“Lipsius, Justus16 Einen Erklärungsansatz für eine so hohe Anzahl an Elisionen liefert vielleicht abermals der Blick auf die inhaltliche Ebene, bzw. hier auf den Adressaten, Justus Lipsius. Dieser habe, so unterrichten uns zeitgenössische Quellen, in seinem Latein zunächst einen klassisch-ciceronianischen Stil gepflegt, sich in seinem Ausdruck dann aber Tacitus und dessen brevitas verschrieben.XE“Ionicusa maioreSotadeus“17 Die zu beobachtende Elisionenhäufigkeit mag diesen (gelegentlich auch mit obscuritas verbundenen) brevitas-Stil des flämischen Philologen widerspiegeln, ob aber als Hommage oder als Spott, sei dahingestellt. Da Lipsius sich im Übrigen als Plautus-Editor einen Namen gemacht hat, bleibt zuletzt noch zu vermuten, dass Cunrad deshalb den seltenen Sotadeus wählte, wie er in ein paar Versen bei Plautus vorhanden ist, z.B. Amphitryon 168PlautusAmphitruo. Aus demselben Grund wird er auch die archaisierenden Formen illhancce (V. 49) und hacce (V. 51) gewählt haben.

In Bezug auf die Verstechnik mangelt es der Forschung an aussagekräftigen Analysen, Statistiken und Vergleichen des SotadeusIonicusa maioreSotadeus, was zweifelsohne dem spärlichen Material geschuldet ist. Die einzige ausführlichere Untersuchung dazu hat Hermann geleistet.Ionicusa maioreSotadeus18 Darin kommt er nach der Analyse griechischer Dichter zum Schluss, dass ein solcher Vers aus zwei Teilen bestehe und eine Diärese nach dem zweiten Versfuß vorliegen müsse.19 Der Vollständigkeit halber ist diese im Text kenntlich gemacht: 22 Verse werden durch sie gegliedert, d.i. 40%. Diese geringe Anzahl an 2/3-Diäresen bzw. die bis zu sieben Versen umfassenden Abschnitte ohne Einschnitt sowie die über 100 weiteren Möglichkeiten für Zäsuren und Diäresen, die in diesem Text gegeben sind, sprechen dafür, dass Cunrad weitere Einschnitte im Sinn hatte. Eine bloße Aufzählung der Möglichkeiten und Häufigkeiten bringt für sich gesehen an dieser Stelle jedoch keinen Ertrag und so wird darauf verzichtet.

Wenden wir uns dem nächsten Gedicht zu. Die Manes Monavi ad Fridericum Filium sind an Jacob Monaus Sohn Friedrich MonauMonau, Friedrich (1592–1659) adressiert.

Ō Fīl(i)! ō dūlcīs |3m Fīlī Friderīc(e)! o ēxpetīta
Meī volūptas |3w ēt favīssa cōrdis!
Ēn ego sūspirāns, |3m mōrtī prope, |4/5 dīssolūtiōnem
Mūndī subīntrō |3w sēmit(am) |4w ūnivērsī:
Ātqu(e) ēxāntlātōs |3m pōst cūrriculī meī labōrēs 5
Fruī beātā |3w gāudeō quiēte.
Āt Tū mī Fīlī |3m cārīssime, |4/5 Pātre dēstitūtus
Nē plānge mūltūm, |3w quēstibūsque mēstīs
Tē cruciā: Tibi Jōva Patēr: dabit |4/5 īs rogātus ōmne,
Vītāe quod hūius |3w pōstulābit ūsus. 10
Nōn tibi dīvitiās, |3m nōn rūra, bovēs, ovēs rēlīnquo;
Tagōve lēct(a) in |3w āureō metālla:
Sēd vītāe fāmāeque decūs, quod abūnd(e) in ūnivērsō
Vigēre cērnes |3w ēt virēre mūndō.
Tū modo fāc, mea quō |3m vēstīgia |4/5 pōne cōnsecūtus 15
Nātūs bonī bonus |3w āudiās Parēntis.
Sīs pius īnprīmīs; |3m venerāre supērstitēm parēntem;
Verēre Pātris |3w ērgo |4w cōnstitūtōs
Tūtōrēs Tibi prōmeritōsque suō labōr(e) honōrēs
Cūm dēbit(a) īllīs |3w ēxhib(e) |4w ōbsequēla. 20
Ēt Prāecēptōrēs |3m adamāns sapiēntiām requīre,
Quāe sōla T(e) ōmni |3w grātiā beābit.
Līnque malūm; sēctāre bonūm; pedis |4/5 ōrbitām tuīque,
Ōmnēsque vīt(ae) ēxāmin(a) |4w āctiōnēs.
Sīc Tibi dīa Salūs |3m aderīt; Tibi |4/5 sīc necēssitātī 25
Erīt quod, hāut quīd |3w dēfiēt bonōrum.
Mītt(e) erg(o), ō Fīlī, |3m mītt(e) ō lacrumāsqu(e) et ēiulātūs!
Diūque cār(o) hāut |3w īnvidē Parēntī
Ōptātām requiēm: |3m quīn hōc Mihi |4/5 fāc vel ūltimūm dēs,
In Tē Mihī quō |3w vīta |4w lōnga sūbsit 30
Vīrtūtīsque tuāe, |3m vītāeque decēntis ādparātū,
Quāe sōla nōs leth(i) |3w ēximūnt tenēbrīs.
Sālu(e) erg(o), ō Fīlī |3m cārīssime! |4/5 sālu(e) o! ātque lōngum
Valēns, patērna |3w iūssa |4w nē relīnque.

O Sohn! O liebreizender Sohn Friedrich! O meine Wonne, nach der ich gesucht habe, O tiefste Kammer meines Herzens! Ach, dem Tode nahe ersehne ich meine Auflösung und begebe mich auf den Weg, den die ganze Welt nimmt. Und ich freue mich darauf, nach den Mühen, die ich in meinem Leben ausgehalten habe, glückselige Ruhe zu genießen. Aber du, mein liebster Sohn, verlassen vom Vater, klage nicht viel, quäle dich nicht mit traurigem Jammer: Gott ist dein Vater, er wird dir, wenn du ihn bittest, alles geben, was dieses Leben fordern wird. Ich lasse dir keine Reichtümer, keine Ländereien, keine Ochsen und keine Schafe zurück noch im goldenen Tajo geschöpftes Metall: Aber die Zierde des Lebens und eines guten Rufes, die du in Hülle und Fülle auf der ganzen Welt blühen und gedeihen siehst. Du aber handle so, dass du, wenn du meinen Spuren hinterhergefolgt bist, als guter Sohn eines guten Vaters giltst. Sei vor allem fromm; verehre das, was von deinem Vater überlebt. Achte die Vormunde, die er für dich eingesetzt hat, und eweise ihnen mit geschuldetem Gehorsam die Anerkennung, die sie sich sich durch ihre Mühen verdient haben. Und in der Liebe zur Weisheit, welche alleine dich mit aller Gnade glücklich machen wird, suche dir Lehrer. Lasse das Schlechte hinter dir, folge dem Guten; Prüfe den Lauf deines Fußes und alle Taten deines Lebens. So wird dir das göttliche Heil zuteilwerden; und so wird dir das, was an Gutem nicht mangelt, zu einer Notwendigkeit werden. Lass also, Sohn, lass Tränen und Seufzer sein! Sei nicht lange böse auf die von deinem lieben Vater gewünschte Ruhe: Nein, tu dies für mich und gib es mir als Letztes, damit mir in dir ein langes Leben zuteil wird durch den Glanz deiner Tugendhaftigkeit und deines rechten Lebens. Sie allein entreißen uns den Schatten des Todes! Lebe also wohl, o liebster Sohn, lebe wohl und bleibe lange gesund, lass die Anweisungen des Vaters nicht hinter dir!

Hier liegt die dritte archilochische StropheArchilochiusArchilochium tertium vor, ein Distichon aus Archilochius maior,Archilochius d.i. vier Daktylen + drei Trochäen im ersten Vers, und katalektischem iambischem TrimeterIambusTrimeterkatalektisch im zweiten. Unter den prosodischen Auffälligkeiten ist zunächst auf dēfiēt (V. 26) hinzuweisen, dessen klassische Messung dēfīēt lauten müsste. Dass Cunrad irrtümlich von Vokalkürzung ausging, ist aufgrund der spärlichen Verwendung des Verbs in der lateinischen Dichtung der Antike aber nicht verwunderlich. In der Metrik ist die Auflösung des zweiten Versfußes in Vers 16 zu einem AnapästAnapaestus ungeläufig. In Horaz’ OdenሴiሴHorazOdenሴiሴ 1,4, das ebenfalls in der dritten archilochischen StropheArchilochiusArchilochium tertium verfasst ist, enthalten keine der Verse in katalektischem iambischem TrimeterIambusTrimeterkatalektisch eine derartige Auflösung. Cunrad hat dies vermutlich unbewusst von den Dramatikern übernommen. Da er sonst, abgesehen von seltenen SpondeenSpondeus, reine IambenIambus verwendet, wird er diesen AnapästAnapaestus schon als ungewöhnlich wahrgenommen, aber um des Polyptotons willen eine Ausnahme gemacht haben.

Der Archilochius maior Archilochiushat eine reguläre männliche Zäsur ArchilochiusZäsurim dritten DaktylusDactylus sowie eine Diärese nach dem vierten Daktylus. Die regulären Zäsuren des iambischen Trimeters sind die PenthemimeresIambusTrimeterZäsuren und Diäresen im dritten Fuß sowie die HephthemimeresIambusTrimeterZäsuren und Diäresen im vierten Fuß. Eine Auswertung führt zu folgenden Ergebnissen:

katal. ia3 # % (/17) Archilochius maior # % (/17)
3w 16 94% 3m 3 76%
4w 6 35% 4/5 8 47%
3w + 4w 5 29% 3m + 4/5 6 35%

Tabelle 4:

Zäsuren und Diäresen in der 3. archilochischen Strophe

In Horaz Oden 1,4HorazOden findet sich in jedem ArchilochiusArchilochius sowohl Diärese ArchilochiusDiäreseals auch Zäsur, im iambischenIambus Vers findet sich in allen Versen die Penthemimeres sowie in zwei Versen, d.i. 20%, HephthemimeresIambusTrimeterZäsuren und DiäresenIambusTrimeterZäsuren und Diäresen. HorazHoraz diente Cunrad offenbar weniger als Vorbild als vielmehr als Anreger und Inspiration. Dass dieses im Lateinischen seltene Metrum jedoch durch das Mittelalter und bis in die Frühe Neuzeit bekannt war, ist auch dem „bedeutendste[n], kunstvollste[n], universalste[n] frühchristliche[n] Dichter“Prudentius20 zu verdanken, Prudentius, der zu den wichtigsten Schulautoren im Mittelalter gehörte und für einen theologischen Gelehrten wie Cunrad noch genauso viel bedeuten musste. Der zwölfte Hymnus seines Peristephanon, PrudentiusPeristephanond. i. die Passio Apostolorum [sc. Petri et Pauli] besitzt genau dieses Metrum.Horaz21 Die Zahlen zu den Zäsuren lauten wie folgt: 3m (97%), 4/5 (82%), 3w (100%), 4w (10%). Das lateinische Mittelalter verwendet das Metrum kaum. Norberg führt als prominentes Beispiel das Sanctum simpliciter patrem Fulberts von Chartres auf,22 das folgende Einschnitte enthält: 3m+4/5 (100%), 3w (100%), 4w (33,3%). Diese Zahlen entsprechen ziemlich gut denen des Horaz. Dass ein Bischof im ausgehenden Frühmittelalter sich mehr an HorazHoraz hält als an PrudentiusPrudentius, unterstreicht mindestens, dass Cunrads freierer Umgang mit den Einschnitten ungewöhnlich ist, vielleicht sogar neu. Wieder ist hier allerdings die nachantike lateinische Literatur zu wenig aufgearbeitet, um eine fundierte Einschätzung vornehmen zu können.

Abschließend sei noch auch auf die ElisionElisionen in Cunrads Gedicht hingewiesen, 21 an der Zahl, was 62% entspricht. Dieses Verhältnis steht in einem krassen Widerspruch zu HorazHoraz, da niemand anders als er „mehr danach strebte, die Elision zu vermeiden, und [niemand anders] dies mit grösserem Erfolg that“.Elision23 Will man den Synalöphen bei Cunrad einen inhaltlichen Sinn geben und sie nicht bloß auf Nachlässigkeit zurückführen, könnte man an die lautmalerische Abbildung eines schluchzenden Silbenverschluckens denken.

Als letztes Gedicht soll hinsichtlich seiner Form Ad mortem in diese Untersuchungen einbezogen werden, wobei hier nur die ersten vier von insgesamt 16 Versen zitiere:

Mors fera dic, per iras

Te tuas oro, Monavum cur properas necando

Perdere? cur perennem

Invides vitam cupido nominis atque famae?

Grausamer Tod, sag, ich bitte dich bei deiner Wut, warum beeilst du dich, Monau umzubringen? Warum neidest du ihm, der nach Namen und Ansehen strebte, ewiges Leben?

Das Gedicht ist metrisch nicht nur an der zweiten (oder „größeren“) sapphischen StropheSapphicus, bei der zweimal auf einen AristophaneusAristophaneus ein Sapphicus maior folgt, von Horaz, Oden 1,8HorazOden orientiert, sondern ist – abgesehen von den syllabae ancipites am Versende – dazu metrisch kongruent. Die beiden Gedichte haben nicht nur je Vers dieselben Längen und Kürzen, vielmehr auch dieselben Zäsuren und Diäresen, nämlich eine Zäsur in der zweiten sowie eine Diärese in der vierten Hebung. Auf den ersten Blick ist an eine klassische Horaz-ParodieHorazparodia zu denken, ein damals populäres Genre, das Cunrad auch selbst gepflegt hat.Rindtfleisch (Bucretius), DanielMonau, Jacob24 Und in der Tat haben die beiden Gedichte inhaltlich mehr als nur Berührungspunkte: Oden 1,8 handelt von einem Jüngling, der von Liebe zu einer gewissen Lydia besessen, seine Männlichkeit aufgibt und völlig verweichlicht. Das lyrische Ich stellt dann an Lydia die Frage, woher dieses Verhalten rührt. In Cunrads Gedicht ist der Tod der Adressat, der erklären soll, warum er Jacob Monau der Welt entrissen hat.

Trotzdem kann man nicht umhin, einen weiteren potenziellen Grund für diese metrische Nähe auszumachen. Da Cunrad dieses seltene Metrum abgesehen von Oden 1,8HorazOden ganz unbekannt gewesen sein dürfte, hat er wohl jegliche Veränderungen vermieden. Vor und nach Horaz hat die zweite sapphische StropheSapphicus in der lateinischen Literatur der Antike keine Anwendung gefunden. Nur ganz selten ist sie im Mittelalter zu finden, Stotz verneint für die Zeit einen „lebendige[n] Besitz“Sapphicus25 der größeren sapphischen Stophe. Derart unkundig, stand Cunrad nur eine so detailgetreue imitatioImitation offen.

Cunrads metrisch vielfältige Manes zeugen von einer präzisen Kenntnis antiker griechisch-lateinischer Metren, insbesondere lyrischer. Ihm gelingt es, durch seine metrischen Variationen für jedes Gedicht und jeden Adressaten einen einzigartigen Ton anzustimmen, der den Inhalt der Trauer unterstützt. Dabei lässt sich auch ein Sinn für metrische Innovationen erkennen, der aus seiner Kenntnis nicht nur der metrischen Traditionen der Antike, sondern auch ihrer Entfaltung bis in seine Zeit entspringt. Wie einst HorazHoraz sich nach dem genauen Studium der griechischen Dichter Freiheiten hatte herausnehmen können, die dem Lateinischen unbekannt waren, vermochte das auch Cunrad für seine Zeit. Die Manes sind ein gutes Beispiel dafür, dass eingehendere Studien zur Metrik neulateinischer Lyrik ein Desiderat sind. Sie könnten zeigen, wie einerseits Inhalt und Form verbunden ist und wie andererseits der antike metrische Maßstab nicht immer einfach auf neulateinische Gedichte übertragen werden kann.

Neulateinische Metrik

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