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5 Hochschuldidaktischer Ausblick
ОглавлениеDie Geschichte des Faches Bibelkunde zeigt, dass es zumindest zwei Wurzeln hat. Zum einen entstand Bibelkunde als Schulfach, für das bibelkundliche Lehrbücher als Unterstützung der Lehrenden abgefasst wurden. In der Konzeptionsentwicklung des Schulfachs wurde Bibelkunde sehr bald mit apologetischen Aufgaben verbunden. Bibelkunde sollte an höheren Schulen durch historisch zuverlässiges Wissen und rationale Reflexion Interesse und Sympathie mit der christlichen sowie der jüdischen Religion in ihren jeweiligen konfessionellen Prägungen wecken. Zum anderen wurde Bibelkunde als Teil der klassischen Einführungsvorlesungen in das Alte und das Neue Testament nach und nach in die universitäre Lehre integriert. Bibelkunde diente hier einer strukturierten und an den einleitungswissenschaftlichen Fragen ausgerichteten Erschließung der Quellen für den akademischen Unterricht.
Während die Modulbeschreibungen und Studien- und Prüfungsordnungen nicht auf die apologetische Tradition des Faches Bibelkunde eingehen, wurde in der qualitativen Befragung deutlich, dass bibelkundliches Wissen sehr wohl unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung um Deutungen biblischer Texte für Gegenwartsfragen bedeutsam ist. Dies wurde allerdings weniger auf die Verteidigung der verfassten Konfessionen gegenüber religionskritischen Infragestellungen bezogen, sondern vielmehr als eine Möglichkeit gesehen, die individuellen religiösen Überzeugungen gegenüber biblizistischen Herausforderungen behaupten zu können. In diesem Sinne ist die Kenntnis der biblischen Schriften und ihrer Aussagen ein Lerngegenstand, der für einen Teil der Studierenden hohe identitätsbildende Funktion hat, somit im Kernbereich theologischer Identität angesiedelt ist und in der Auseinandersetzung um theologische, sozialethische und politische Geltungsansprüche eine wichtige Rolle spielt. Diese fachspezifischen Gesichtspunkte lassen Bibelkunde nicht als ein Fach wie jedes andere erscheinen. Die Hochschuldidaktik hat sich mit den besonderen identitätsbildenden sowie kontroverstheologischen Funktionen zu befassen und diese disziplinär eigenwillige Lehr-/Lern-Tradition zu berücksichtigen. Zu dieser Lehr-/Lern-Tradition gehört auch die Überschneidung von Bibelkunde und Einleitungswissenschaften. Die Thematisierung des vorausgesetzten und stichwortartig rekapitulierten Einleitungswissens, das sich in der Regel als Infragestellung der sich dem einfachen Bibellesen erschließenden faktualen und narrativen Grundstruktur der Bibel von der Schöpfung bis zur Endzeit erweist, ist eine zentrale Anforderung an eine gute Bibelkunde. Insofern kann Bibelkunde auch nicht auf die Thematisierung grundlegender hermeneutischer Grundprinzipien verzichten. Die Schriften des Alten und Neuen Testaments sind zunächst und vor allem geschichtlich bedingte Schriften, die als Produkte menschlichen Kulturschaffens über keinen exklusiven supranaturalen Wissensvorsprung verfügen.
Daraus ist zu folgern, dass eine ‚reine‘ Bibelkunde als Teil des akademischen Unterrichts nicht zu rechtfertigen ist. Jede Bibelkunde hat grundlegende einleitungswissenschaftliche und elementare hermeneutischen Grundentscheidungen als ihre Voraussetzungen zu bestimmen und transparent zu machen. Die hochschuldidaktische Kernfrage der akademischen Lehre von Bibelkunde als Inhalt und Aufbau der Bibel lautet demnach: Wie werden die Beziehungen der Bibelkunde zur Einleitungswissenschaft und zur Hermeneutik wahrgenommen, erläutert und diskutiert? In welcher Weise auf der Basis einer Klärung dieser Frage die narrativen Zusammenhänge hervorgehoben, Einzelerzählungen ausgewählt und Akzentuierungen im Stoff vorgenommen werden, ist demgegenüber zweitrangig, gleichwohl aber alles andere als unwichtig. Jeder Lehrende in der Bibelkunde wird sich bereits bei der Behandlung der ersten Kapitel der Genesis entscheiden müssen, in welcher Weise er die Unterscheidung von priesterschriftlichen und nicht-priesterschriftlichen Texten bzw. die Annahmen der verschiedenen Ursprungshypothesen in seine bibelkundliche Lehrveranstaltung einfließen lässt.1 Er kann sie aber nicht ignorieren oder durch eine vereinfachte narrative Harmonisierung ersetzen.
Diese Überschneidung von Bibelkunde und Einleitungswissenschaft berechtigt überhaupt erst dazu, Bibelkunde als akademische Lehrveranstaltung zu bezeichnen und in Studien- und Prüfungsordnungen zu integrieren. Passagen in Prüfungsordnungen, die das Auswendiglernen biblischer Texte im Wortlaut verlangen, stellen demgegenüber einen Rückschritt dar, der an die Wurzeln des Faches im Religionsunterricht der Volksschule im 19. Jahrhundert erinnert.
Wird diese Überschneidung mit der Einleitungswissenschaft berücksichtigt, dann kann Bibelkunde als eigenständige Lehrveranstaltung angeboten werden. Es ist allerdings zu beachten, dass angesichts des Umfangs des Stoffes in einer zweistündigen Lehrveranstaltung für Altes bzw. Neues Testament die der Bibelkunde vorausgesetzten und mitgeteilten einleitungswissenschaftlichen Entscheidungen nicht selbst diskursiv und kritisch erschlossen werden können, sondern nur mit einer eher geringen reflexiven Tiefe mitgeteilt und exemplarisch plausibel gemacht werden können. Hier besteht dann die Gefahr, dass die eingebrachten einleitungswissenschaftlichen Entscheidungen, wo sie über unmittelbare Evidenzen und Plausibilitäten hinausgehen, als dezisionistisch gesetzt wahrgenommen werden. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine Verbindung von bibelkundlichen und einleitungswissenschaftlichen Fragen in einer vierstündigen Einführungsvorlesung nach dem Vorbild, das in Georg Fohrers Einführung vorliegt, als die adäquate Lösung für Bachelorstudiengänge bzw. für das Lehramtsstudium ohne Kenntnisse der biblischen Sprachen. Dort können Bibelkunde und Einleitungswissenschaft miteinander verbunden gelehrt und geprüft werden.
In Studiengängen, in denen die Kenntnis der biblischen Sprachen vorausgesetzt wird, stellen sich angesichts der fachlichen Spezialisierung getrennte Lehrveranstaltungen als angemessener dar. In diesen Studiengängen sollten demnach Bibelkunde und Einleitungswissenschaft getrennt gelehrt werden, wobei aber die Forderung, auch der Bibelkunde elementare einleitungswissenschaftliche Entscheidungen zugrunde zu legen, aufrecht erhalten bleibt. In der Praxis wird es dann gelegentlich zu Spannungen und Widersprüchen zwischen den in der Bibelkunde vertretenen Sichtweisen und den weit komplexeren Erörterungen in den Einleitungswissenschaften kommen, die aber hochschuldidaktisch gesehen als eine produktive Herausforderung für den akademischen Unterricht bewertet werden können.