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Die Treuhand

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Die Treuhandanstalt war eine noch in der Spätphase der DDR unter dem damaligen Ministerratsvorsitzenden Hans Modrow gegründete Institution des öffentlichen Rechts mit der Aufgabe, die bisherige DDR-Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft der BRD zu überführen. Sie war von Anfang 1990 bis Ende 1995 tätig, im letzten Jahr unter dem umständlichen Namen »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben«.

Ein Gutteil der Treuhandtätigkeit ist in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt, und erst seit Ende der 1990er-Jahre beginnt eine langsame und längst fällige Aufarbeitung der Treuhandarbeit. Parallel zu dieser weitgehenden Unbekanntheit der Treuhandaktivitäten besteht nicht nur im Osten eine überwiegend negative Einschätzung der Treuhand, was sich z. B. in Buchtiteln wie den folgenden äußert:

•Dirk Laabs (2012): Der deutsche Goldrausch: Die wahre Geschichte der Treuhand

•Dietmar Grosser (2013): Treuhand in Thüringen: Wie Thüringen nach der Wende ausverkauft wurde

•Otto Köhler et al. (2011): Die große Enteignung: Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte

•Klaus Behling (2016): Die Treuhand: Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte

•Klaus Huhn (2009): Raubzug Ost: Wie die Treuhand die DDR plünderte

In der Tat ist die Geschichte der Treuhand auch mit Vorfällen von Korruption, Veruntreuung und betrügerischer Bereicherung verbunden (oder auch mit groben Fehleinschätzungen der Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Betriebe und mit entsprechenden Fehlentscheidungen). So entstand von der Treuhand das Bild eines negativen Gründungsmythos der Wiedervereinigung mit entsprechenden negativen Überzeugungen wie »Die wollen dich doch sowieso alle über den Tisch ziehen«, was natürlich auch auf erlebten Erfahrungen beruhte, wie dem betrügerischen Verkauf wertloser Versicherungen oder eigentlich schrottreifer Autos. Was wiederum Wasser auf die Mühlen der AfD mit ihrer eigenen Opfermythologie bedeutet.

Aber es bestand in der Treuhand doch ein sehr großes und ernsthaftes Bemühen bei Vorsitzenden wie Detlev Rohwedder oder Birgit Breuel, das der Treuhand überantwortete DDR-Staatsvermögen tatsächlich »zu treuen Händen« zu verwalten.

Es gibt gegenwärtig noch viel zu wenig genaueres Wissen zum Thema, und die Aktenlage besteht aus mehr als zusammen 45 km an Länge ausmachenden Schriftstücken oder an die 100 000 Akten, die zu sichten sind!11

Die sächsische Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping hat in ihrem lesenswerten, 2018 erschienenen Buch Integriert doch erst mal uns – Eine Streitschrift für den Osten eine bedenkenswerte Idee formuliert. Sie schlägt die Bildung einer gesamtdeutschen »Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts der frühen Nachwendezeit« (Köpping 2018, S. 155 ff.), also eine Art Wahrheitsund Versöhnungskommission, vor, in der auch die Treuhandakten und viele weitere Zeugnisse zu Mauerfall und der Folgezeit aufgearbeitet werden mit dem Ziel, die Geschichte der Nachwendezeit in eine gemeinsame Version zu fassen.12

Petra Köpping schließt die Einrichtung eines staatlich finanzierten Gerechtigkeitsfonds ein, durch den wendebedingte Ungerechtigkeiten wie drohende Altersarmut durch den Verlust der zu DDR-Zeiten erworbenen Rentenansprüche anerkannt und wenigstens etwas ausgeglichen werden.

Nach all den skizzierten Herausforderungen und Problemen – zum Schluss: Was können wir tun? Und vor allem: Was möchten wir tun?

Meine Antwort: die enorm positiven Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in fast allen Lebensbereichen und allen Regionen der Welt anerkennen.

Walter Wüllenweber, Politikwissenschaftler und Journalist beim Stern, hat diese positiven Entwicklungen in seinem 2018 erschienenen Buch unter dem Titel zusammengefasst: Die frohe Botschaft – mit dem Untertitel: Es steht nicht gut um die Menschheit – aber besser als jemals zuvor (Wüllenweber 2018).

Dort heißt es:

»Die vergangenen Jahrzehnte waren die beste Phase in der Geschichte des Homo sapiens. Noch nie waren die Menschen (global gesehen) so gesund, so gebildet, so reich, so frei und so sicher vor Gewalt wie heute. Fast alle Entwicklungskurven zeigen steil nach oben. Doch in den Köpfen hat sich das gegenteilige Bild festgesetzt: Gewalt und Elend nehmen zu, alles verschlechtert sich, die Welt steht am Abgrund.

Diese apokalyptische Botschaft ist die Mutter aller Fake News und die Basis für den Siegeszug der Populisten. Um Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Migration zu bewältigen, müssen die Gesellschaften die Lehren nicht nur aus ihren Fehlern ziehen, sondern vor allem auch aus ihren Erfolgen. Darum ist es kein Wohlfühl-Programm, die nachgewiesenen Verbesserungen in allen Bereichen des Lebens zu erkennen und zu würdigen. Die frohe Botschaft ist die politischste Botschaft unserer Zeit.«

Und weiter:

»Die weit verbreitete Weltsicht, alles verschlechtert sich, ist offenbar auch bei politisch interessierten, lesenden Altbaubewohnern die dominante Haltung. Gerade in diesem Milieu – und wir hier können uns dem durchaus zurechnen – gehört der ›Immerschlimmerismus‹ zum kulturellen Selbstverständnis … Seit den 70er-Jahren gilt in dem Teil der Gesellschaft, der sich für aufgeklärt hält, jeder Warner prinzipiell als klug und weitsichtig. Wer […] auf Verbesserungen hinweist, ist naiv oder uninformiert. Dieses Buch jedoch vertritt den Standpunkt: Das prägende Merkmal unserer Zeit ist nicht der Niedergang, sondern die weltweite Aufwärtsentwicklung in einem historisch einmaligen Ausmaß. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten in dieser Frage eindeutiger nicht sein.«

Dieses Buch lege ich Ihnen ans Herz – weil es faktenbasiert und äußerst sorgfältig recherchiert ist. Und weil es in der extrem komplexen Nachwendezeit vor allem dem gefährlich aufkommenden Populismus die mächtigste Gegenposition entgegenhält, die es nun einmal gibt: Tatsachen. Und zwar äußerst erfreuliche Tatsachen.

Dazu nur ein paar Kapitelüberschriften – Sie können bei sich nebenbei beobachten, wie immer wieder ein »Ja, aber …« auftauchen mag:

•Der mehr als 70-jährige Frieden nach dem 2. Weltkrieg

•Noch nie so umweltbewusst: Das Wasser wird sauberer, das Ozonloch schließt sich, die Luft wird sauber, das Essen wird gesünder etc.

•Abnahme von Gewaltkriminalität – und zwar besonders dort, wo viele Zuwanderer leben!

•Der Analphabetismus stirbt aus

•Das erfolgreichste Mittel gegen Armut ist: die Globalisierung

Und sehr vieles mehr.

Wüllenweber unterstreicht ausdrücklich, dass ein äußerst negativer Sachverhalt bisher noch unangetastet bleibt: die ständige Umverteilung von Vermögen und Erträgen nach oben – sodass immer weniger Personen immer mehr besitzen. Allein das reichste 1 % der Weltbevölkerung besitzt mehr als die restlichen 99 %, Tendenz steigend zugunsten der Reichen – oft genug mit üblen Methoden wie Land Grabbing (= sich über unübersichtliche Investorenketten riesige Landflächen aneignen) oder Water Grabbing (notorisches Beispiel: Nestlé).

Diese inakzeptablen Ungerechtigkeiten sollten gewiss einer der Faktoren sein, die uns davon abhalten, uns einfach nur auf die genannten positiven Entwicklungen zu beschränken.

Es gibt aber noch weitere Gründe, die unsere Anerkennung der positiven Wirklichkeiten einschränken.

Ich will hier nur einen dieser Gründe nennen: den Pessimismusreflex. Er besteht darin, dass wir inmitten der besten aller bisherigen Welten leben und gleichzeitig negativen bis apokalyptischen Vorstellungen von der Weltlage anhängen, verbunden mit solchen »Weisheiten« wie: Pessimisten sind Hellseher, die schwarzsehen – oder: Ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat.

Ein Grund für dieses Phänomen ist eine aus unserem weit zurückliegenden Stammesleben in kleinen Gruppen (von maximal etwa 150 Mitgliedern) herrührende Angst- und Alarmbereitschaft gegenüber allgegenwärtigen lebensbedrohlichen Gefahren. Diese uralten neurophysiologischen Bahnungen gehören zu unserer Natur und benötigen heute unseren Verstand und unser Bewusstsein, um als unzeitgemäß erkannt und entmachtet zu werden. Sonst, siehe Francisco Goya, schläft unsere Vernunft in alten Reflexmustern, und wir gebären immer aufs Neue die Monster ständiger Angstbereitschaft, kurz den Populismus.

Wir wissen ja auch, dass die eigentlich sensationellen Nachrichten guter Entwicklungen uns nicht weiter anmachen – »Heute keine Unfälle auf der B 19« verkauft sich nicht, sondern »blood sells«, wie es Journalisten formulieren, also Katastrophen und dramatische Missstände aller Art – dies aus unserem stammesgeschichtlichen Erbe des Lebens in kleinen Überlebensgemeinschaften, wo wir ständig in Angstbereitschaft und auf dem Sprung sein mussten.

Diese Zeiten sind vorbei, und wir sind eingeladen, nicht in einer Art Retro-Illusion zu leben, wozu Populisten auffordern, als habe es Evolution nie gegeben.

Und, noch einmal, das mächtigste Mittel dafür sind die Fakten und die Freude daran, sie zu kennen und zu verbreiten.

Eben habe ich frisch aus der Druckerei Norbert Pötzls Buch Der Treuhand-Komplex (Pötzl 2019) bekommen, das zurzeit wohl beste Buch über Treuhand und Wende.

Am Schluss erwähnt Pötzl den Verein »Ost-West-Forum Gut Gödelitz«, dessen Beschreibung ich an Sie weitergebe als eines der wesentlichen Anliegen auch dieser Tagung:

»Im Gutshaus Gödelitz (Nähe Dresden) erzählen sich regelmäßig seit 1994 jeweils eine Handvoll Ost- und Westdeutsche ein Wochenende lang gegenseitig ihre Lebensgeschichten. Wolfgang Thierse (aus Ostdeutschland stammender Ex-Bundestagspräsident u. v. m.) und der niedersächsische, aus Mecklenburg stammende Politologe Peter von Oertzen haben die Anregung zu dieser Dialogform gegeben. Die Gesprächsteilnehmer, insgesamt waren es bereits mehr als 3000, hören einander zu, lassen ausreden, niemand wird beurteilt oder kritisiert. Damit sollen vor allem die tief gehenden Vorurteilsstrukturen aufgebrochen werden, die die Beziehungen zwischen Ost und Westdeutschen belasten.«

Diese Tagung war gewiss ein eigenes, wertvolles Ost-West-Forum Naumburg – vielen Dank und alles Gute!

Vom Träumen und Aufwachen

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