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2.2 Was ist fremdsprachendidaktische Forschung? Und welches sind ihre zentralen Forschungsfelder?
ОглавлениеFremdsprachendidaktische Forschung konstituiert sich durch ihren Gegenstandsbereich, „das Lehren und Lernen fremder Sprachen in allen institutionellen Kontexten und auf allen Altersstufen“ (Bausch/Christ/Krumm 2003: 1). Aufgrund der Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte wurde diese bekannte Definition durch die Elemente Zweitsprachen und außerinstitutionelle Kontexte sowie den Aspekt der Forschungsmethoden ergänzt. Bausch et al. formulieren in der Neuauflage des „Handbuch[s] Fremdsprachenunterricht“ als Gegenstandsbereich die Beschäftigung mit „dem Erwerb, Lernen und Lehren von fremden Sprachen bzw. Zweitsprachen […] mit differenzierten gegenstandsangemessenen Methoden“ (Bausch et al. 2016: 1). Während die Ursprünge fremdsprachendidaktischer Forschung bereits im 19. Jahrhundert liegen (vgl. Kap. 3.1), etablierte sich die Fremdsprachendidaktik als universitäre Disziplin erst nach dem 2. Weltkrieg. Folgende sechs Merkmale sind als besonders charakteristisch herauszustellen (vgl. im Folgenden Bausch/Christ/Krumm 2003; Doff 2008 und 2010; Edmondson/House 2006; Grotjahn 2006; Wilden/Rossa 2019):
1 Das wichtigste Charakteristikum fremdsprachendidaktischer Forschung ist ihr ErkenntnisinteresseErkenntnisinteresse. Noch in den 1950er und 60er Jahren wurde die zentrale Aufgabe der Didaktik darin gesehen, praktische Empfehlungen für den schulischen Unterricht zu geben. Seit den 1970er Jahren ist nicht zuletzt unter dem Einfluss der Sprachlehrforschung sowohl eine stärker theoretisch ausgerichtete (Grundlagen-)Forschung als auch eine stärkere Ausdifferenzierung des Theorie-Praxis-Bezuges zu beobachten. Das theoretische Ziel fremdsprachendidaktischer Forschung besteht – ganz allgemein – darin, die einzelnen Faktoren fremdsprachlichen Lernens und Lehrens differenziert zu erforschen und in ihrem Zusammenwirken immer genauer zu verstehen. Das praktische Ziel besteht – grob gesagt – darin, die Qualität des Fremdsprachenunterrichts und außerunterrichtlicher Lernangebote theoretisch und/oder empirisch begründet beständig zu verbessern. Dies kann angesichts der Vielfalt und Komplexität der Praxis jedoch nicht durch simple Ableitung theoretisch gewonnener Erkenntnisse geschehen, sondern nur in der Interaktion zwischen Theorie und Praxis. Als anwendungsorientierte Wissenschaftanwendungsorientierte Wissenschaft zeichnet sich die Fremdsprachendidaktik daher durch ein beständiges Wechselspiel zwischen Forschung und Anwendung aus.1 Generelles Ziel ist es, durch das forschungsgeleitete Aufstellen, empirische Überprüfen und erkenntnisbasierte Ausschärfen von theoretischen Grundlagen, Begriffen, Konzepten und Modellen das Erkennen, Verstehen und Erklären von komplexen Lehr- und Lernsituationen voranzutreiben und das Handeln in diesen Situationen zu verbessern.
2 Charakteristisch für den Gegenstandsbereich der Fremdsprachendidaktik ist weiterhin seine FaktorenkomplexionFaktorenkomplexion (Königs 2010), denn beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen wirken zahlreiche Faktoren zusammen. Ein bekanntes Modell stammt von Edmondson (1984, wiedergegeben in Edmondson/House 2006: 25, im Folgenden leicht adaptiert). Er unterscheidet fünf große, sich gegenseitig beeinflussende Faktorenkomplexe:
Unterricht (beeinflusst durch Curriculum, Lern-/Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Prinzipien, Übungsformen, Lehrwerke, Medien usw.)
Lehr- und Lernumgebungsfaktoren (Dauer, Frequenz, Ausstattung, Lerngruppengröße usw.)
personenbezogene Faktoren, d. h. Lehrkräfte und Lernende (personale Faktoren, Ausbildung, Motivation/Interesse, fremdsprachige Kompetenzen etc.)
soziopolitische Faktoren (Status der Fremdsprache, Fremdsprachenpolitik, Ausbildung, ökonomische Bedingungen etc.)
wissenschaftliche Faktoren (Ergebnisse aus der Sprachlehrforschung und der Fremdsprachendidaktik sowie aus den Bezugswissenschaften).
Angesichts der Vielzahl und der Interdependenz der – keinesfalls vollständig aufgeführten – Einzelfaktoren leuchtet unmittelbar ein, dass die isolierte Darstellung und Erforschung eines Einzelfaktors forschungsmethodisch nicht sinnvoll zu realisieren ist. Fremdsprachendidaktische Forschung muss sich daher auch bei der notwendigen Fokussierung auf einen oder wenige Faktoren stets der Tatsache bewusst sein, dass es sich um Einzelaspekte innerhalb eines komplexen Gefüges handelt.
1 Fremdsprachendidaktik ist aufgrund des weiten und komplexen Gegenstandsbereiches, der durch die vielen Sprachen, Institutionen und Traditionen eine weitere Ausdifferenzierung erfährt, eine vielfältige und heterogene Forschungsdisziplin.
2 Aus diesen drei Merkmalen ergibt sich das vierte: Fremdsprachendidaktische Forschung ist interdisziplinärinterdisziplinär, denn sie greift sowohl inhaltlich als auch forschungsmethodisch auf Bezugswissenschaften zurück. Je nach Gegenstand und Fragestellung handelt es sich z.B. um die Erziehungswissenschaften, die Linguistik und Literaturwissenschaft, die Kultur- und Medienwissenschaften, die Sozialwissenschaften und/oder die Psychologie. Dabei stellt sich immer wieder die Herausforderung, die Theorien, Modelle und Erkenntnisse aus den Bezugswissenschaften (selbst-)bewusst für die spezifischen Fragen und Interessen der Fremdsprachendidaktik zu nutzen und die unterschiedlichen Perspektiven mit Fokus auf die Fremdsprachendidaktik zu integrieren.
3 Dieses interdisziplinäre und integrierende Vorgehen hat zur Folge, dass fremdsprachendidaktische Forschung durch eine große Breite an methodischen Herangehensweisen charakterisiert ist und sich je nach Gegenstand und Forschungsfrage unterschiedlicher methodischer Ansätze und Verfahren bedient. Dazu überprüft sie die Passung zwischen ihren Fragen und den Ansätzen bzw. Verfahren verwandter Disziplinen und wandelt sie ggf. ab. In diesem Prozess entstehen zunehmend spezifisch fremdsprachendidaktische forschungsmethodische Zugänge und Forschungsdesigns.
4 Aus dem Theorie-Praxis-BezugTheorie-Praxis-Bezug ergibt sich, dass Praktiker*innen (wie Lerner*innen, Lehrer*innen oder Ersteller*innen von Curricula und Prüfungen) nicht nur Forschungspartner*innen sind, sondern auch selbst zu Forschenden werden können, die selbst oder in Zusammenarbeit mit universitären Forscher*innen sie interessierende Fragen untersuchen. Im Design der Aktionsforschung und der insbesondere im englischsprachigen Raum verbreiteten Forschungsrichtung der teacher research (s. Kap. 4.2) liegen dafür weithin akzeptierte Forschungsansätze vor. Das Gros der fremdsprachendidaktischen Forschung findet allerdings an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, in geringem Umfang auch an außeruniversitären Einrichtungen wie dem Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) statt (vgl. auch Kap. 8).
5 Charakteristisch für die Fremdsprachendidaktik ist weiterhin, dass der allergrößte Teil der Forschung von den Wissenschaftler*innen selbst angestoßen und durchgeführt wird, wobei den Qualifikationsarbeiten von Nachwuchswissenschaftler*innen besondere Bedeutung zukommt. AuftragsforschungAuftragsforschung z.B. von Länderministerien oder Behörden ist eher selten. Neben den vielen Forschungsprojekten in Einzelarbeit entstehen zunehmend Arbeiten in kleineren Forschungsverbünden (z.B. in Graduiertenkollegs oder Research Schools) oder als Teil großer interdisziplinärer Projekte (s. auch Kap. 8).