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Brasilianisierung
ОглавлениеDer deutsche Soziologe Ulrich Beck prägt den Begriff B. um die Jahrtausendwende und spricht wahlweise von der „B. Europas“ (Beck 1997, 266) oder der „B. des Westens“ (Beck 1999, 7). Der Neologismus steht bei Beck für einen Wandel der Arbeitsverhältnisse (↗ Arbeit) in der westlichen ↗ Welt – weg von sicheren, langfristigen Anstellungsverhältnissen mit Vollbeschäftigung, hin zu prekären, unbeständigen, heiklen Erwerbsbedingungen (↗ Armut). Im ↗ Zentrum des Westens (↗ Okzident) werden sich Vorläufigkeit, Unsicherheit, Vielfalt und Risikobehaftung der ↗ Praktiken und Lebensweisen des Südens ausbreiten, so Becks Prognose. Der Namensgeber Brasilien (↗ Dephasierung) kann als nationalstaatliches Beispiel angeführt werden, da sich dort nur ein kleiner Teil der ↗ Menschen in Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen befindet. Der wesentlich größere Teil ist in prekären Erwerbsverhältnissen angestellt, wobei der Arbeitsnomadismus (↗ Nomadismus) weit verbreitet ist. Raumtheoretisch sind Becks Regionalisierungsweisen (↗ Region) B.e, Europa oder der Westen sind als Konzepte und damit in der ↗ Logik relationaler (↗ Relationalität) und ↗ postmoderner Räume zu verstehen. Voraussetzungsvoll für einen tieferen räumlichen Zugang wird Becks (1996) ↗ Theorie der reflexiven Modernisierung: Diese hat das Beherrschtwerden der ↗ Gemeinschaft durch die Nebenfolgen und selbstgemachten Unsicherheiten der Industriealisierung der Ersten Moderne im Blick, darin wird das ↗ Handeln und nicht der ↗ Raum als vorrangig konzeptionalisiert. Daran schließt der Begriff der ↗ Globalisierung an, der die ↗ Risse der ↗ Topologien der Ersten Moderne ausleuchtet, die sich v.a. im Bedeutungsverlust nationalstaatlicher ↗ Ordnungen zeigen. Globalisierung wird von Beck auch als Enträumlichung (↗ Verschwinden) der sozialen Sphäre (↗ Sozialraum) begriffen, wobei transnationale soziale Räume die ↗ Ortsbindung der Gemeinschaften aufheben (↗ Glokalisierung), was sich auch in der prekären Dimension der B. spiegelt.
Literatur: Beck 1986 u. 2008; Ludes 2011.
Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft, Frankfurt a. M.
Ders. (1996): Wissen oder Nicht-Wissen?, in: Reflexive Modernisierung, hg. v. dems., A. Giddens u. S. Lash, Frankfurt a.M., 289–315.
Ders. (1997): Was ist Globalisierung?, Frankfurt a. M.
Ders. (1999): Schöne neue Arbeitswelt, Frankfurt a. M./New York.
Ders. (2008): Weltrisikogesellschaft, Frankfurt a. M.
Ludes, Peter (2011): Brasilianisierung Europas und indische Vielfalt, in: ders.: Elemente internationaler Medienwissenschaften, Wiesbaden, 65–82.
Tobias Nehrdich