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Einleitung

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Christian Lange, Karl Pinggéra

Das Christentum des Nahen und Mittleren Ostens ist im abendländischen Kulturkreis eine weithin unbekannte Größe geblieben. Das mag damit zu tun haben, dass sich die Wahrnehmung des Orients oft schwerpunktmäßig auf den Islam richtet. Nur gelegentlich findet das orientalische Christentum die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. In der Berichterstattung zum Irak etwa wird seit dem jüngsten Golfkrieg immer wieder auf die Besorgnis erregende Lage der einheimischen Christen hingewiesen. Aus Ägypten werden Meldungen weitergegeben, die von wiederholten Gewalttaten an Christen sprechen. Wird die krisenhafte Entwicklung des Libanon ins Visier genommen, fehlen nicht Mitteilungen über politische Gruppierungen eines noch immer relativ hohen christlichen Bevölkerungsanteils. Die Eigenart der Kirchen, zu denen Christen im Orient gehören, rückt dabei allerdings kaum in das Blickfeld.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das Christentum im Orient zum allergrößten Teil kein Produkt von Missionsbemühungen aus Europa oder Nordamerika ist. Seit der Zeit der Apostel lassen sich im Orient die Spuren einer kontinuierlichen Christentumsgeschichte verfolgen. Im Westen wird leicht vergessen, dass die christliche Religion im Orient entstanden ist, hier ihre früheste Verbreitung gefunden und ihre erste Ausprägung erfahren hat. Auf orientalische Christen muss es deswegen befremdlich wirken, wenn sie von westlichen Gesprächspartnern in der Annahme, ihre Konversion sei sicher erst in der jüngeren Vergangenheit geschehen, gelegentlich gefragt werden, wann sie oder ihre Familie denn zum christlichen Glauben gekommen seien.

In konfessioneller, ethnischer und sprachlicher Hinsicht gleicht die Christenheit des Orients einem vielfarbigen Mosaik. Die je eigene Geschichte, Liturgie und Spiritualität der verschiedenen Kirchen mutet manchmal fremd an. Eine genauere Kenntnis des orientalischen Christentums ist deswegen aber um so wünschenswerter. Einige der orientalischen Kirchen bewahren gottesdienstliche und theologische Traditionen des ältesten Christentums auf. Über Jahrhunderte pflegten sie in unterschiedlichen Sprachen eine reiche Literatur, die zum gemeinsamen Erbe des Christentums wie auch des Orients zählt. Unter islamischer Herrschaft wurden die Christen zwar Zug um Zug zu einer religiösen Minderheit, doch haben sie weiterhin wichtige Beiträge zum kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Leben geleistet. Das gilt in manchen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens unvermindert bis heute fort. Im orientalischen Christentum begegnen wir der wechselhaften Geschichte einer religiösen Minderheit unter islamischer Herrschaft. Die Erfahrungen, die von orientalischen Christen dabei gemacht wurden und werden, sollten zum selbstverständlichen Bestandteil christlich-islamischer Dialoge gehören.

Die Beschäftigung mit dem Christlichen Orient trägt auf ihre Weise dazu bei, ein einseitig auf Europa fixiertes Bild des Christentums zu überwinden. Angesichts des Zusammenwachsens der einen Welt, des zunehmenden Austausches zwischen Völkern und Kulturen war Ostkirchengeschichte für den Marburger Kirchenhistoriker Peter Kawerau (1915 - 1988) „nicht Ausdruck eines abseitigen, weltfremden Spezialistentums, sondern Ausdruck des Fortschritts der theologischen Wissenschaft auf dem Gebiet der Kirchengeschichte.“ Wer von ihr keine Notiz nehme, müsse sich darüber im Klaren sein, „dass er ein objektiv falsches, den modernen Anforderungen nicht genügendes Geschichtsbild mit sich durchs Leben trägt, das moderne wissenschaftliche Erkenntnisse einfach ignoriert“ (Kawerau, P.: Einführung in das Studium der Ostkirchengeschichte, Marburg 1984, 6).


Die Beschäftigung mit dem Christlichen Orient trägt dann auch dazu bei, die Landkarte christlicher Konfessionen im eigenen Land besser lesen zu lernen. Die Migrationsbewegungen der jüngeren Vergangenheit haben dazu geführt, dass alle im vorliegenden Band behandelten Kirchen heute als Teil ihrer weltweiten Diaspora in den Staaten des deutschen Sprachraums vertreten sind. Gemeinden orientalischer Kirchen sind damit in unsere unmittelbare Nähe gerückt. Aber erst historische und konfessionskundliche Grundkenntnisse über „die Anderen“ ermöglichen das Gelingen ökumenischer Kontakte.

Bei den Kirchen, die im vorliegenden Band vorgestellt werden, handelt es sich um eine Auswahl, von der die Welt des Christlichen Orients nicht erschöpfend erfasst wird. Gegenstand unseres Bandes sind diejenigen Kirchen, die sich von der römisch-byzantinischen Reichskirche getrennt haben. Es entspricht einer konfessionskundlichen Tradition, diese Kirchen unter dem Begriff „altorientalisch“ zusammenzufassen (vgl. etwa Müller: Geschichte der orientalischen Nationalkirchen, 269f.). Wie zu zeigen sein wird, waren für diese Trennung unterschiedliche Auffassungen in der Christologie ausschlaggebend. Um der besseren Orientierung willen scheint es ratsam, schon an dieser Stelle die einander widerstreitenden theologischen Diskurse kurz zu benennen. Die folgende konfessionskundliche Orientierung soll zudem deutlich machen, warum es durchaus stimmig und sinnvoll ist, sich in einem Band allein auf die „Altorientalen“ zu konzentrieren.

Die Reichskirche hatte sich auf dem Konzil von Chalkedon (451) darauf festgelegt, von einer „Person“ (Hypostase) und zwei Naturen, nämlich einer göttlichen und einer menschlichen, in Christus zu sprechen, um das Wesen des Gottessohnes angemessen zu beschreiben. Die Christen Persiens nahmen im Laufe des fünften bis siebten Jahrhunderts mehrheitlich eine Lehre an, wonach Christus nicht nur in zwei Naturen, sondern auch in zwei „Hypostasen“ in einer Person existierte. Nicht nur organisatorisch, sondern auch dogmatisch war die Persische Kirche nun von der Reichskirche getrennt. Diese einst die Weiten Asiens umspannende Missionskirche bezeichnet sich selbst als „Apostolische Kirche des Ostens der Assyrer“.

Schon im fünften Jahrhundert wurde Chalkedon auch von einer anderen Seite her angegriffen: Dort lehnte man die Rede von den zwei Naturen ab und lehrte die eine gottmenschliche Natur Christi. Im Laufe des sechsten und siebten Jahrhunderts entstanden im ganzen Orient eigene Kirchen, die sich aus dem Reichskirchenverband lösten, um dieser sogenannten „miaphysitischen“ Lehre anzuhängen (griech.: mia physis, „eine Natur“). Dazu gehören die Äthiopische, Armenische, Eritreische, Koptische, Syrische und Malankara Orthodoxe Kirche. Im Sprachgebrauch heutiger Ökumene werden diese miaphysitischen Kirchen als „orientalisch-orthodoxe“ Familie bezeichnet. Diese orientalisch-orthodoxen Kirchen werden im vorliegenden Buch zusammen mit der Apostolischen Kirche des Ostens unter der Bezeichnung „altorientalisch“ zusammengefasst.

Der Ausdruck „östlich-orthodox“ findet dagegen auf jene Kirchen Anwendung, die zur byzantinischen Kirchenfamilie zählen (und die im vorliegenden Band nicht behandelt werden). An erster Stelle stehen hier die alten reichskirchlichen Patriarchate von Konstantinopel, Alexandreia, Antiocheia und Jerusalem; es folgen die teils viel größeren Kirchen Ost- und Südosteuropas (etwa die Russische, die Serbische, die Rumänische oder die Bulgarische Orthodoxe Kirche). Innerhalb dieser Kirchengemeinschaft genießt der Patriarch von Konstantinopel einen Ehrenvorrang. Die drei im Nahen Osten gelegenen Patriarchate von Alexandreia, Antiocheia und Jerusalem werden in der Regel „griechisch-orthodox“ genannt. Darin spiegelt sich die Tatsache, dass sie aus der alten, griechischsprachigen Reichskirche hervorgegangen sind. Nur im Fall des alexandrinischen Patriarchates ist der Ausdruck „griechisch“ heute noch bis zu einem gewissen Grad ethnisch gedeckt. Das Patriarchat umfasst in Ägypten nach wie vor eine stark geschrumpfte Zahl von Gläubigen, die sich in kultureller Hinsicht als Hellenen verstehen, während in Schwarzafrika aber auch Angehörige einheimischer Völker missioniert wurden. In Jerusalem liegt lediglich die Kirchenleitung in den Händen von Griechen, das Kirchenvolk besteht aus Arabern. In Antiocheia sind Kirchenvolk und Kirchenführung arabisch.


Im Falle Alexandreias und Antiocheias tritt uns die Spaltung des orientalischen Christentums in besonderer Schärfe vor Augen. Denn hier begegnen uns jeweils mehrere Patriarchen. , die den Namen der Stadt in ihrem Titel führen. So nennt sich das Oberhaupt der Griechisch-Orthodoxen, der Koptisch-Orthodoxen und der Koptisch-Katholischen Kirche jeweils „Patriarch von Alexandreia“. Den Titel eines Patriarchen von Antiocheia führen sogar fünf Kirchenführer: der griechisch-orthodoxe, der griechisch-katholische, der syrisch-orthodoxe, der syrisch-katholische und der maronitische Patriarch. Vergegenwärtigen wir uns, was der Titel „Patriarch“ nach allgemein ostkirchlichem Verständnis bedeutet: Haupt und Vater einer eigenständigen, sich selbst regierenden Kirche zu sein. Dass es in Alexandreia drei und für Antiocheia sogar fünf Patriarchen gibt, ist nach alt- und ostkirchlichem Verständnis etwas, was es eigentlich nicht geben darf; denn grundsätzlich kann es in einer Stadt nur einen Bischof geben.

Wie die Titulaturen der einzelnen Patriarchen anzeigen, führte das Bestreben der Römisch-Katholischen Kirche, die Orientalen in die Gemeinschaft mit bzw. unter dem römischen Papst zu führen, in Mittelalter und früher Neuzeit zu einer weitgehenden Verdoppelung der Hierarchien. Zu den östlich-orthodoxen und altorientalischen Kirchen traten mit Rom „unierte“ Kirchen: zu den drei griechisch-orthodoxen Patriarchaten die Griechisch-Katholische (auch „Melkitisch“ genannte) Kirche; zur Apostolischen Kirche des Ostens die Chaldäische Kirche; zu den orientalisch-orthodoxen Kirchen die Äthiopisch-, Armenisch-, Koptisch- und Syrisch-Katholische Kirche; in Indien entstanden ferner die Syro-Malabarische und die Syro-Malankarische Kirche, die dem ost- bzw. westsyrischen Ritus folgen. Dabei konnte in der Regel nur ein kleinerer Teil des Klerus und der Gläubigen gewonnen werden, die nun unter eigenen, in Gemeinschaft mit Rom stehenden Patriarchen geleitet werden. Lediglich der im Libanon beheimateten maronitischen Kirche fehlt ein orthodoxes Pendant. Sie gehört zum Zweig des syrischen Christentums und hat ihre Zugehörigkeit zu Rom schon im Mittelalter ohne Spaltung erklärt.

Es entspricht dem evangelischen Verständnis vom Wesen der Kirche, dass die zahlreichen protestantischen Kirchen des Orients keinen Anspruch auf die altkirchlich-patriarchalen Titel und die damit verbundenen Leitungsansprüche erheben. Dennoch haben auch die protestantischen Christen ihre Ursprünge zumeist in den alten östlich-orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen. Die europäischen und nordamerikanischen Missionsgesellschaften beabsichtigten seit dem 19. Jahrhundert zwar, Muslime für den christlichen Glauben zu gewinnen, doch waren solche Versuche zum Scheitern verurteilt. Das islamische Gesetz verbietet den Übertritt zu einer anderen Religion. Apostasie gilt als todeswürdiges Verbrechen. So waren es Angehörige der alteingesessenen Kirchen, die zu den nun auch im Orient vertretenen protestantischen Kirchen übertraten.

Die Gruppe der Kirchen, die wir als „altorientalische“ zusammenfassen, hebt sich in mehrfacher Hinsicht von den übrigen Kirchen des Orients ab: Durch ihre ekklesiale Eigenständigkeit haben sie das eigene orientalisch-christliche Erbe vollständiger als andere Kirchen bewahren können. So waren die östlich-orthodoxen Patriarchate seit dem Mittelalter und erst recht in der Neuzeit unter den Einfluss des Patriarchates von Konstantinopel geraten. Ihre eigene Prägung auf dem Feld der Liturgie, der Spiritualität, der Theologie wie auch des kirchlichen Rechts haben sie dadurch weithin verloren. Erst in jüngster Zeit werden Bemühungen erkennbar, das ursprüngliche Erbe wieder zu entdecken und zu pflegen – vor allem im Patriarchat von Antiocheia. Die protestantischen Kirchen folgen ohnehin durchgehend westlichen Ausdrucks- und Reflexionsformen des Glaubens. Die mit Rom unierten Kirchen, auch jene, die das Seitenstück zu einer orientalisch-orthodoxen Kirche darstellen, folgen zwar in Fragen des Ritus der eigenen Tradition. Doch war die Pflege ihres Erbes lange Zeit verknüpft mit den Schwierigkeiten, die sich aus der Zugehörigkeit eines auf Rom zentrierten Weltkatholizismus ergaben. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein lässt sich beobachten, dass Frömmigkeit, Kult und Disziplin immer stärker der lateinischen Kirche angeglichen wurden. Diese Vorgänge werden zu Recht als „Latinisierung“ beschrieben. Obwohl spätestens das Zweite Vatikanische Konzil (1962 - 1965) die katholischen Ostkirchen dazu ermutigte, zu ihren eigenen Traditionen wieder zurückzukehren, ist das Problem der Latinisierung noch keineswegs überall gelöst worden. Das gilt auch für das Gebiet des kirchlichen Rechts. Es liegt zwar ein neues Rechtsbuch für die unierten Kirchen vor, doch wird von nicht wenigen Kanonisten die Auffassung vertreten, dass dabei den Eigenheiten ostkirchlicher Rechtsauffassung zu wenig Raum gewährt wurde.

Die Eigentümlichkeit der altorientalischen Kirchen zeigt sich nicht zuletzt in der Pflege ihrer Liturgien. Allein schon die Sprachen, in denen hier Gottesdienst gefeiert wird, macht etwas von der Vielfalt der altorientalischen Kirchen deutlich. Neben semitischen Sprachen (Äthiopisch, Syrisch, Arabisch) finden auch eine afro-asiatische Sprache (Koptisch), eine indoeuropäische Sprache (Armenisch) und eine dravidische Sprache (das südindische Malayalam) Verwendung. Geographisch reicht der Radius unseres Bandes vom Kaukasus bis zu den Quellen des Nils und von der Levante bis an die Südspitze Indiens. Dort, im südindischen Bundesstaat Kerala, führen sich die Christen auf die Predigttätigkeit des Apostels Thomas zurück. In einer überaus komplexen Kirchengeschichte hat sich dieses Thomaschristentum in den letzten fünf Jahrhunderten auf eine Vielzahl von christlichen Konfessionen verteilt. In unserem Zusammenhang werden wir mehrfach nach Kerala geführt: Neben zwei mit Rom unierten Kirchen verteilt sich die Thomaschristenheit heute auch auf Kirchen der syrisch-orthodoxen Tradition und auf die Apostolische Kirche des Ostens.


Nach dem bisher Gesagten wird es sinnvoll erscheinen, wenn zwei Themen vorab dargestellt werden, da sie das orientalische Christentum als Ganzes bzw. weithin betreffen: die christologischen Diskussionen der Alten Kirche und die Lebensbedingungen unter dem Islam (Christian Lange, S. 1 - 20).

Danach werden die einzelnen Kirchen in historischen Längsschnitten dargestellt (Karl Pinggéra, S. 21 - 88). Hier sollen wesentliche Stationen ihres Werdens bis in die Gegenwart vorgestellt werden. Voran steht die Apostolische Kirche des Ostens der Assyrer, der aufgrund ihrer singulären konfessionellen Stellung und der weiten geographischen Ausdehnung, die sie im Laufe der Geschichte erreichte, etwas mehr Raum gegeben wird.

Schließlich wurden aus der Fülle möglicher Einzelaspekte zwei Themen ausgewählt, die näher entfaltet werden: die altorientalischen Kirchen in der Ökumene (Dietmar W. Winkler, S. 89 - 122) sowie ihre Liturgie und Spiritualität (Erich Renhart, S. 123 - 158). Hier wird Hintergrundwissen vermittelt, das in besonderer Weise zum besseren Verständnis und zur gelingenden Begegnung mit altorientalischen Kirchen beitragen kann. Über andere Themenfelder kann man sich leicht einen Zugang über die im Literaturverzeichnis genannten Handbücher erschließen.

Um dem Charakter einer Einführung besser entsprechen zu können, erleichtern Übersichtsgraphiken und Landkarten die Orientierung. Die wenigen ausgewählten Quellenangaben finden sich im Fließtext kurz zitiert; die vollständigen Angaben können dem Quellen- und Literaturverzeichnis ab Seite 163 entnommen werden. Für die Eigennamen und Fachbegriffe aus den verschiedenen orientalischen Sprachen wurde bewusst eine stark vereinfachende Wiedergabe gewählt. Ein Glossar erläutert wichtige Fachbegriffe, die im Text nicht bzw. nicht immer an Ort und Stelle erklärt werden.

Die altorientalischen Kirchen

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