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Die altorientalischen Kirchen: Dogmengeschichtliche Orientierung – Leben im Haus des Islam

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Christian Lange

Im vorliegenden Band wird auf S. 21 - 88 die geschichtliche Entwicklung der Christen im Orient getrennt nach einzelnen Kirchen behandelt. Um Wiederholungen zu vermeiden, sollen zwei grundlegende Themen vorab behandelt werden, von denen alle bzw. mehrere Kirchen betroffen sind: die Diskussion um das wahre Wesen Christi, weil durch sie die Kircheneinheit im Orient zerbrochen ist; und die Lebensbedingungen der orientalischen Christen im Haus des Islam, in dem diese seit dem siebten Jahrhundert leben.

1. Dogmengeschichtliche Orientierung: Der Christus-Glaube in der Alten Kirche und der Zerfall der kirchlichen Einheit im Orient

1.1 Die Anfänge der Christologie in den neutestamentlichen Schriften

In seinem Standardwerk Jesus der Christus im Glauben der Kirche führt Alois Grillmeier aus, dass der Ursprung der Christologie, also der Frage nach dem Dasein Christi als Gott und Mensch, in der judenchristlichen Urgemeinde zu suchen sei (Grillmeier: Jesus der Christus I, 14). Auf die im Judentum verwurzelten Jünger habe Jesu öffentliches Auftreten „messianisch“ gewirkt. Daher habe die Überzeugung, dass der gekreuzigte Jesus von den Toten auferstanden sei, dazu geführt, dass Aussagen Jesu wie die über den kommenden „Menschensohn“ von Lk 12,8 in der Rückschau „christologisch“ erklärt worden seien: Die Auferstehung des Herrn sei deshalb als „Erhöhung und Inthronisation des Menschensohnes“ gedeutet und weitere sich aus der jüdischen Messiaserwartung ergebende „Funktionen“ und „Ehrentitel“ seien auf Jesus übertragen worden. Diese Entwicklung habe zu einer Reflexion über die Frage geführt, wer Jesus gewesen sei. Dieses Nachdenken habe sowohl zu christologischen Hoheitstiteln wie zu „christologischen“ Bekenntnisformeln geführt, die bereits in den neutestamentlichen Schriften greifbar werden. So setzen die synoptischen Evangelien Jesus beispielsweise mit dem „Gesalbten“ (griech. Christos) gleich (Mk 8,29), sprechen ihn als „Sohn Davids“ (Mk 12,35) und „Sohn Gottes“ (Mk 1,1) an oder nennen ihn den „Erlöser“ (Lk 2,11) und den „Herrn“ (Mk 12,36). Eine frühe Bekenntnisformel begegnet im Brief an die Römer, wo es von Jesus heißt: „der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Aufstehung von den Toten“ (Röm 1,3 - 4).

Im Brief an die Galater entfaltet Paulus den Gedanken der Präexistenz Christi – der Vorstellung, dass der Sohn Gottes bereits vor der Welt existiert habe: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen“ (Gal 4,4). Im „Loblied auf Christus“ des Briefes an die Kolosser wird Jesus als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ und „Erstgeborener der ganzen Schöpfung“, durch den „alles erschaffen“ wurde, bezeichnet (Kol 1,15 - 16).

Die dem Johannesevangelium zu Grunde liegende Tradition schließlich identifiziert Jesus mit dem von Gott gesandten Logos. Er ist das endgültige „Wort“ (logos), das Gott an die Menschen richtet: „Und der Logos ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14). Im Gegensatz zu Moses, der den Menschen als Gottes Mittler das Gesetz brachte (Joh 1,17), ist Jesus mehr als Moses: Er ist der sich selbst offenbarende Gott (Joh 14,9), er ist Träger von Gnade und Wahrheit (Joh 1,14). Insofern ist der göttliche Logos selbst Gott (Joh 1,1), der einziggeborene Sohn des Vaters, der allein den Vater geschaut hat (Joh 1,18). Der Logos existiert deshalb über der Zeit, ist aber zugleich in der Schöpfung gegenwärtig und wirksam.

1.2 Die Diskussionen um die Einheit Gottes der ersten Jahrhunderte

An diese frühen christologischen Aussagen knüpften die Christen des zweiten Jahrhunderts an. Ihnen ging es um die Fragen: Wer war Christus? Und: Wie kann Gott nur ein einziges göttliches Wesen sein, wenn er einen Mensch gewordenen Sohn hat? Damit stand zunächst die Problemstellung im Vordergrund, die Einheit und Einzigkeit Gottes zu bewahren. Ein erster Lösungsansatz bestand beispielsweise darin, Jesus als einen gewöhnlichen Menschen, als Sohn des Josefs und der Maria, zu betrachten. Dieser sei während der Taufe von Gott adoptiert worden, als die Stimme des Vaters vom Himmel gerufen habe: „Du bist mein geliebter Sohn“ (Mk 1,11). In Jesus hätten der Heilige Geist bzw. die göttliche Wirkkraft (dynamis) so gewirkt wie in den alttestamentlichen Propheten. Dieser „Adoptianismus“ wird auch „dynamistischer Monarchianismus“ genannt.

Ein anderes Denkmodell begriff Jesus als eine bloße Erscheinungsform (modus) des Vaters, weswegen der Sohn im Grunde genommen der Vater sei. Diesen „Modalismus“ bzw. „modalistischen Monarchianismus“ soll Noët aus Smyrna vertreten haben: „Dieser eine, welcher erschienen sei, der die Geburt aus der Jungfrau auf sich genommen und als Mensch unter Menschen geweilt habe, bekannte sich den Augenzeugen gegenüber als Sohn wegen der erfolgten Zeugung; denen aber, die es faßten, verbarg er es nicht, daß er der Vater sei“ (Hipp., ref. 9,10,9). Daher rührt auch die Bezeichnung „Patripassianismus“ für diese Vorstellung: Nach ihr muss Gott, der Vater (pater), selbst gelitten haben (passus est), da er sich den Menschen in der Erscheinungsform des Sohnes gezeigt hat.

Nach einer weiteren, zum Beispiel von Basileides von Alexandreia geäußerten Lehrmeinung, hat der von Gott gesandte Erlöser nur zum Schein einen Leib angenommen. Diese Auffassung wird als „Doketismus“ (griech. dokein, „scheinen“) bezeichnet. Dieser „Doketismus“ findet seine Erklärung teilweise in der von vielen gnostisch orientierten Theologen geteilten Überzeugung, dass es zwei göttliche Prinzipien gebe, die sich gegenüber stehen: Der „gute Gott“ des Neuen Testamentes, und der „Schöpfergott“ – oder abwertend „Demiurg“ – des Alten Testamentes. Der „gute Gott“ stand dabei für die geistige, ideelle Welt, der „Schöpfergott“ hingegen für die materielle Schöpfung, aus der die geistigen Seelen befreit werden mussten.

Gegen solche Ansichten nämlich haben „großkirchliche“ Theologen die ersten zusammenhängenden Denkmodelle einer christlichen Trinitätslehre entwickelt. Tertullian von Karthago (ca. 160 - 220) hat präzise Formeln geprägt, die sowohl die Einheit Gottes als auch die Dreiheit der Personen von Vater, Sohn und Heiligem Geist zum Ausdruck bringen. Er hielt an der einen „Substanz“ Gottes fest, in der die drei göttlichen Personen, in denen sich Gott den Menschen im Lauf der Heilsgeschichte mitteilt, leben. Das innere Verhältnis der göttlichen Personen zueinander hat dann vor allem Origenes (185 - 253 / 54) einer näheren Klärung zugeführt. Gott ist für ihn im strengen Sinne nur der Vater. Der Sohn, der vom Vater in einer ewigen „Zeugung“ hervorgebracht wird, ist ihm untergeordnet. Die relative Eigenständigkeit der göttlichen Personen findet ihren terminologischen Niederschlag, wenn Origenes für sie den Begriff „Hypostasen“ verwendet. Damit stand das begriffliche Instrumentarium bereit, mit dem im vierten Jahrhundert um die Frage nach dem Verhältnis der göttlichen Personen zueinander gerungen wurde.

1.3 Der Areianische Streit

Im vierten Jahrhundert beschäftigte die Christen im Römischen Reich eine Streitfrage, die mit dem Namen des Areios (ca. 260 - 336), eines Presbyters in Alexandreia, verbunden ist: die Frage, inwieweit der Sohn „eines Wesens“ (homoousios) mit dem Vater sei oder nicht. Auch wenn umstritten ist, welche Lehrmeinung Areios tatsächlich vertreten hat, da von seinen Werken nur Fragmente erhalten sind, scheint das Festhalten am Monotheismus sein vordringliches Anliegen gewesen zu sein. Für ihn war der Sohn ein Geschöpf des Vaters – zwar das erste und bedeutendste aller Geschöpfe und vor allen Zeiten geschaffen, aber eben doch ein Geschöpf und somit dem Vater untergeordnet. Allein Gott, der Vater, war für Areios unvergänglich, ohne Anfang und ungeschaffen. Gott sei erst in dem Moment zum Vater geworden, als er den Sohn schuf.

Die Auffassungen des Areios sind auf den Widerstand des Bischofs Alexander von Alexandreia († 328) und seines Anhängers und späteren Nachfolgers Athanasios (ca. 295 - 373) gestoßen. Dieser beharrte darauf, dass der Sohn kein Geschöpf sei. Da Gott für Athanasios ein einziges „Wesen“ (ousia) und eine einzige „Hypostase“ (hypostasis) war, musste der Sohn „eines Wesens“ mit dem Vater sein, wenn er vollständig Gott – und eben kein Geschöpf – sein sollte. Daher ist der areianische Streit im Laufe der Zeit auch zu einer Auseinandersetzung um dieses Schlüsselwort der „Homoousie“ des Sohnes geworden.

Samt seinen Anhängern wurde Areios wohl 318 / 19 aus der Kirche von Alexandreia ausgeschlossen. Da die Bischöfe Euseb von Kaisareia (ca. 260 - 340) und Euseb von Nikomedeia († 341) Areios hingegen unterstützten, weitete sich der Streit aus. Er führte dazu, dass Kaiser Konstantin zu einem neuen Mittel griff, um die Frage zu lösen: Er berief die Bischöfe des Reichs zu einem Konzil, das im Jahr 325 in Nikaia zusammentrat. Dort setzten sich die Gegner des Areios durch. Die Väter des Konzils formulierten nämlich, dass der Sohn aus dem Vater „geboren“, aber nicht „geschaffen“ sei. Der Sohn müsse das Wesen des Vaters teilen, also „eines Wesens mit dem Vater“ sein, da Gott nur ein Wesen und eine Hypostase sei. Der Sohn ist dabei dem Vater nicht untergeordnet, sondern wie dieser selbst Schöpfer, weil „durch ihn alle Dinge geschaffen worden sind“ (vgl. Joh 1,3). Daher habe es auch keine Zeit gegeben, in der er nicht gewesen wäre (Wohlmuth: Decreta, 5).

Mit diesem Konzilsbeschluss war die Diskussion aber nicht beendet, sondern dauerte bis in das letzte Viertel des vierten Jahrhunderts an. Im Grunde genommen standen sich Vertreter zweier Sichtweisen gegenüber. Für die einen existierten drei göttliche Hypostasen (Vater, Sohn und Heiliger Geist), die sich in ihrem Rang und ihrer Herrlichkeit unterschieden (vgl. das Glaubensbekenntnis der sogenannten „Kirchweihsynode“ von Antiocheia 341; Kelly: Glaubensbekenntnisse, 266 - 267). Für die anderen gab es nur ein Wesen und eine Hypostase in Gott. Daher musste der Sohn „eines Wesens“ mit dem Vater sein. Ein Kompromiss zwischen beiden Zugangsweisen schien kaum möglich. Deshalb entstand in den 350er Jahren eine neue Richtung, die eine Diskussion der umstrittenen Fachbegriffe dadurch ausklammern wollte, dass sie diese einfach mit dem Hinweis verbot, sie seien nicht biblisch. Stattdessen wurde der Sohn als dem Vater „ähnlich (homoios) in allen Dingen“ beschrieben. Auf einer Doppelsynode von Seleukeia und Arminium wurde dieses „homöische“ Bekenntnis 359 / 60 zur Norm im gesamten Reich erklärt.


Im Widerspruch zu dieser Formel verständigten sich die Anhänger des Konzils von Nikaia (die „Altnizäner“) mit gemäßigten Verteidigern der Drei-Hypostasen-Lehre („Homoiousianern“) auf einer Synode von Alexandreia (362). Die theologische Grundlage für den Kompromiss leistete die sogenannte „neunizänische“ Theologie, indem sie die bis dahin als gleich gebrauchten Begriffe „Wesen“ und „Hypostase“ neu deutete. Seit dieser begrifflichen Klärung bezeichnete das „Wesen“ die Einheit Gottes, während die drei gleichrangigen (!) „Hypostasen“ die Personen von Vater, Sohn und Heiligem Geist umschrieben. Basileios von Kaisareia (ca. 329 - 379) veranschaulichte dies so: „Die Unterscheidung zwischen Natur und Hypostase ist dieselbe wie zwischen dem Gemeinsamen und dem Besonderem, z.B. zwischen dem Lebewesen und diesem bestimmten Menschen“ (ep. 236,6). Mit dieser begrifflichen Trennung konnte auch für Befürworter der Drei-Hypostasen-Lehre der Sohn dem Vater als „aus dem gleichen Wesen“ (homoousios) bekannt werden. Auf Grund der Unterstützung des Kaisers Theodosios (379 - 395), der in dem Edikt Cunctos Populos von 380 den Glauben der Bischöfe von Rom und Alexandreia als verbindlich für die Bewohner des Reichs erklärte, vermochte sich diese „neunizänische“ Richtung durchzusetzen. Die später als Zweites Ökumenisches Konzil anerkannte Synode von Konstantinopel hat 381 diese Entscheidung bekräftigt.

1.4 Der Beginn der vertieften christologischen Diskussion: Apollinaris von Laodikeia

Mit Apollinaris von Laodikeia (ca. 310 - 390) verschob sich der Akzent der Debatte. Zunächst hatte Apollinaris die nizänische Partei unterstützt. Nachdem die Gottheit des Logos anerkannt worden war, warf der Bischof von Laodikeia die Problematik auf, wie sich Gottheit und Menschheit in Christus zueinander verhielten. In dieser Problemstellung erwies sich Apollinaris als von Platons Lehre vom Menschen beeinflusst. Denn Apollinaris lehrte, dass der göttliche Logos bei seiner Menschwerdung zwar einen menschlichen Leib und eine menschliche Seele angenommen habe. Da sich seiner Meinung nach zwei vollkommene Dinge nicht miteinander vereinigen konnten, sei an die Stelle des menschlichen Geistes (nous) jedoch der göttliche Logos selbst getreten. Insofern erkannte Apollinaris auf der einen Seite zwar die vollständige Gottheit Christi an, lehnte aber auf der anderen Seite die Auffassung ab, Christus sei auch ein vollständiger Mensch gewesen. Christus war für Apollinaris demnach „Gott“ bzw. „Geist im Fleisch“ (nous ensarkos), weswegen sein christologisches Modell auch als „Logos-Sarx-Schema“ bezeichnet wurde. Dieses Schema beinhaltet die Gefahr, den Fleisch gewordenen Logos zu einem gottmenschlichen Zwischenwesen zu machen, das kein vollständiger Mensch mehr ist.

Apollinaris stieß auf den Widerspruch insbesondere der drei „Kappadokier“: Basileios von Kaisareia (329 - 379), Gregor von Nazianz (326 - 390) und Gregor von Nyssa (335 - 394). Diese bestanden aus soteriologischen Gründen darauf, dass Christus ein vollständiger Mensch gewesen sein müsse. Denn nur das könne erlöst werden, was (von Gott) vollständig angenommen worden sei. Die Frage, die Apollinaris aufgeworfen hatte – in welchem Verhältnis göttliches und menschliches Sein in Christus stehen – leitete gleichwohl die Auseinandersetzungen des fünften Jahrhunderts ein.

1.5 Die Auseinandersetzung um Nestorios

Durch diesen Anstoß des Apollinarios, das er in seinem christilogischen Modell ausführte, intensivierte sich die Diskussion um das Verhältnis zwischen Gottheit und Menschheit in Christus: die Christologie. Dabei standen sich zwei Denkschulen gegenüber: die antiochenische und die alexandrinische Denkrichtung.

Die Antiochenische Schule betonte die Zweiheit der Naturen in Christus. Theodor von Mopsuestia (ca. 350 - 429), ihr prominentester Vertreter, unterstrich: „So lehren uns die heiligen Schriften den Unterschied der beiden Naturen. Dies müssen wir also unbedingt erkennen: wer der Annehmende ist und wer der Angenommene, daß der Annehmende die göttliche Natur ist, die für uns alles bewirkt hat, während dieser die menschliche Natur ist, die für uns angenommen worden ist von dem, der Ursache aller Dinge ist [.]“ (Theod. hom. cat. 8,10). Theodor unterschied demnach zwischen dem göttlichen Logos, der sich als eigene Natur mit dem Menschen (anthropos), d.h. der menschlichen Natur in Christus, vereint hat. Deshalb ist diese Lehre auch als „Logos-Anthropos-Christologie“ bekannt geworden. Die Einung der beiden Naturen vollzog sich für Theodor nicht auf der Ebene der Natur, sondern in der einen „Person“ (prosopon). Folgerichtig sprachen Vertreter der antiochenischen Schule davon, dass Christus in zwei Naturen und einer „Person“ existierend zu denken sei.


Der Vorteil dieser Position bestand darin, dass sie die Zweiheit Christi in den beiden Naturen der Gottheit und der Menschheit verständlich beschreiben konnte. Da sie den Terminus der „Person“ (prosopon) wählten, um das Objekt der Einung der beiden Naturen in Christus zu beschreiben, und von einer „Einwohnung“ des göttlichen Logos in dem angenommen Menschen sprachen, taten sie sich aber ungleich schwerer damit, darzulegen, dass sich Gottheit und Menschheit in Christus wirklich „geeint“ hätten. Gegner dieser Anschauung warfen deshalb Theologen wie Theodor und seinen Anhängern vor, sie spalteten den einen Christus in zwei eigenständige, nur durch eine lose Verbindung miteinander geeinte selbstständige „Personen“ auf, oder sie lehrten einen „Adoptianismus“.


Im Gegensatz zu diesem eher rationalen Zugang bildete die Bibelstelle Joh 1,14 („und der Logos ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“) den Ausgangspunkt für die alexandrinische Christologie. Kyrill, Bischof von Alexandreia (412 - 444), brachte diese Vorstellung in seinem Zweiten Brief an Nestorios zum Ausdruck, der, in Antiocheia theologisch ausgebildet, seit 428 als Bischof in Konstantinopel residierte: „Denn wir sagen nicht, daß die Natur des Wortes verwandelt wurde und Fleisch geworden ist; aber auch nicht, daß sie in einen ganzen Menschen aus Seele und Leib verwandelt wurde; vielmehr dies, daß das Wort, indem es das mit einer vernunftbegabten Seele beseelte Fleisch mit sich selbst der Hypostase nach einte, auf unaussprechliche und unbegreifliche Weise Mensch geworden und Menschensohn genannt worden ist, nicht alleine seinem Willen oder Gutdünken entsprechend, aber auch nicht allein gleichsam in der Annahme einer Person; ferner behaupten wir, daß die Naturen, die sich zu einer wahrhaftigen Einheit verbunden haben, zwar verschieden [sind], Christus und der Sohn aber einer aus beiden [ist], nicht etwa weil der Unterschied der Naturen wegen der Einung aufgehoben worden wäre, sondern vielmehr weil die Gottheit und Menschheit durch die unaussprechliche und geheimnisvolle Verbindung zu einer Einheit uns den einen Herrn und Christus und Sohn gebildet haben“ (Wohlmuth: Decreta, 41).

Für die Alexandriner vollzog sich die Einung der beiden Naturen Christi also auf der Ebene der „Hypostase“ und der „Natur“. Deshalb bestanden sie darauf, dass von einer „hypostatischen Union“ der beiden Naturen ausgegangen werden müsse. Darunter verstanden sie die Vorstellung, dass der göttliche Logos sich mit dem vollkommenen, beseelten und vollständigen Fleisch so geeint habe, dass beide Naturen nach der Einung nurmehr eine einzige, zugleich göttliche und menschliche Hypostase, Natur und Person bildeten. Kyrill übernahm daher die – einer missverständlichen Deutung nicht verschlossene – Formel von der „einen Fleisch gewordenen Natur des Gott-Logos“ (mia physis tou theou logou sesarkomene).

Die Stärke dieser Position bestand darin, dass es den Alexandrinern vergleichsweise einfach gelang, die Einheit der beiden Naturen in Christus zutreffend zu beschreiben. Es stellte sie aber vor eine große Herausforderung, darzulegen, dass Christus ein vollständiger Mensch geblieben sei, wenn sie zwar von zwei Naturen vor der Einung, aber nur noch einer – wenn auch „zusammengesetzten“ – Natur nach der Einung ausgingen. Gegner dieser Auffassung konnten nämlich aus der Formulierung „zwei Naturen vor der Einung, aber nur eine Natur nach der Einung“ schließen, dass die menschliche Natur Christi in der göttlichen Natur aufgegangen sein müsse, wenn es nach der Einung der beiden Naturen in Christus nur noch eine Natur gebe. Der Fleisch gewordene Logos wäre damit kein vollständiger Mensch mehr.

Die Auseinandersetzung zwischen Kyrill und Nestorios begann damit, dass Nestorios in Predigten in Konstantinopel den Titel „Gottesgebärerin“ (theotokos) für Maria ablehnte. Seiner antiochenischen Ausbildung folgend, bevorzugte er die Bezeichnung „Christusgebärerin“ (christotokos), da „für ihn die beiden Naturen in der Person des einen Christus zusammengekommen sind.“ In seinem Zweiten Brief an Kyrill kam Nestorios zu der Schlussfolgerung: „Überall in der göttlichen Schrift, wo auch immer an das Heilshandeln des Herrn erinnert wird, wird uns Geburt und Leiden nicht der Gottheit, sondern der Menschheit Christi überliefert, so daß die heilige Jungfrau mit einem treffenderen Titel Christusgebärerin, nicht Gottesgebärerin genannt wird“ (Wohlmuth: Decreta, 61).

Für Kyrill stellte sich der Sachverhalt anders dar. Von seiner alexandrinischen Grundüberzeugung ausgehend, musste Maria als „Gottesgebärerin“ bezeichnet werden. Deshalb betonte er in den Zwölf Anathematismen gegen Nestorios, welche der Alexandriner seinem Dritten Brief an Nestorios beifügte: „Wer nicht bekennt, daß das Wort Gottes im Fleisch gelitten hat, im Fleisch gekreuzigt wurde, im Fleisch den Tod gekostet hat und der Erstgeborene aus den Toten geworden ist, da es ja als Gott Leben und Lebensspender ist, der sei mit dem Anathema belegt“ (Wohlmuth: Decreta, 5). Weil der göttliche Logos „im Fleisch“ geboren worden ist, musste Maria für Kyrill die „Gottesgebärerin“ sein. Würde man sie nur „Christusgebärerin“ nennen, so hieße dies, Maria sei allein die Mutter des Menschen Jesus, nicht aber die des Mensch gewordenen Logos Gottes. Wenn aber, so der Vorwurf, Maria nur den Menschen Jesus geboren habe, dann konnten sich die beiden Naturen zum Zeitpunkt seiner Geburt noch nicht miteinander vereint haben – und daher musste es eine Zeit gegeben haben, in der die menschliche Natur in Christus getrennt von der göttlichen Natur existiert habe. Folglich erweckte es für Kyrill den Anschein, als lehre Nestorios damit einen längst überwunden geglaubten „Adoptianismus“.

Um den Streit zu schlichten, berief Theodosios II. im Jahr 431 ein Konzil nach Ephesos ein. Obwohl sich die Anreise der Antiochener verzögerte, eröffnete Kyrill mit seinen Gefolgsleuten die Synode, stellte fest, dass seine eigene Terminologie in Übereinstimmung mit dem Konzil von Nikaia sei und setzte Nestorios als Häretiker ab (ACO I,1,1 / 2, 45). Als Johannes von Antiocheia eintraf, protestierte er gegen das eigenmächtige Vorgehen Kyrills, erklärte dessen Zwölf Anathematismen gegen Nestorios für häretisch und enthob Kyrill seines Amtes. Mit dem Beistand der römischen Legaten erklärte Kyrill daraufhin ebenfalls Johannes für abgesetzt, so dass das Konzil im Streit endete.


Auf kaiserlichen Druck kam es im Jahr 433 zu der Einigungsformel von Antiocheia, die einen Kompromiss zwischen beiden Positionen darstellte. Auf der einen Seite erkannten die Antiochener die Zulässigkeit des Ehrentitels „Gottesgebärerin“ für Maria an. Auf der anderen Seite stimmte Kyrill antiochenischen Termini zu, mit welchen die Einung der beiden Naturen in Christus beschrieben wurde: „Wir bekennen also, daß unser Herr Jesus Christus, der einziggeborene Sohn Gottes, vollkommener Gott und vollkommener Mensch aus vernunftbegabter Seele und Leib, […] am Ende der Tage aber unseretwegen und um unseres Heiles willen der Menschheit nach aus Maria, der Jungfrau, geboren wurde, daß derselbe wesensgleich ist dem Vater der Gottheit nach und wesensgleich uns der Menschheit nach. Denn es geschah die Einung zweier Naturen; deshalb bekennen wir [den] einen Christus, [den] einen Sohn, [den] einen Herrn. Entsprechend diesem Verständnis von der unvermischten Einung bekennen wir die heilige Jungfrau als Gottesgebärerin, weil Gott, das Wort, Fleisch und Mensch geworden ist und schon von der Empfängnis an den Tempel, den er aus ihr empfing, mit sich geeint hat“ (ACO I.1,4, 8). – Im Gegenzug erreichte Kyrill, dass Nestorios endgültig abgesetzt wurde. Auf Dauer erwies sich der Kompromiss von 433 aber als brüchig.

1.6 Die Auseinandersetzung um Chalkedon

Extreme Anhänger der kyrillischen Christologie suchten eine Generation später nach Wegen, die Einigungsformel von 433 aufzuheben. Einer von ihnen war Eutyches, ein Klostervorsteher in Konstantinopel. Im Jahr 448 vor eine Synode in der Reichshauptstadt unter Vorsitz des Ortsbischofs Flavian zitiert, weigerte er sich, der Einigungsformel von 433 zuzustimmen. Stattdessen wollte er offenbar nur bekennen, dass Christus zwar aus zwei Naturen geworden sei, nach der Einung aber nur noch aus einer Natur bestehe (post vero adunationem unam naturam confiteor; zitiert im Tomus Leonis, Wohlmuth:Decreta, 81). Als ihn die Synode daraufhin absetzte, appellierte Eutyches an Kyrills Nachfolger, Dioskur, den Bischof von Alexandreia (441 - 451) und das Haupt des „kyrillischen Lagers“. Leo von Rom schloss sich hingegen dem Urteil der Synode an. In seiner Epistula dogmatica ad Flavianum Episcopum vom 13. Juni 449, bekannt als Tomus Leonis, formulierte er die Zwei-Naturen-Lehre des Westens: „Unter Wahrung der Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen und durch ihre Einigung zu einer Person […] jede der beiden Gestalten wirkt nämlich in Gemeinschaft mit der anderen, was ihr eigen ist (agit enim utraque forma cum alterius communione quod proprium est), das heißt, das Wort wirkt, was des Wortes ist, und das Fleisch führt aus, was des Fleisches ist“ (Wohlmuth: Decreta, 78).

Dioskur erreichte indes, dass der Kaiser für das Jahr 449 eine weitere Synode nach Ephesos einberief, deren Vorsitz er dem Alexandriner übertrug. Ohne auf die römischen Legaten zu warten, rehabilitierte die Synode Eutyches, wobei Vertretern der antiochenischen Richtung kein Stimmrecht eingeräumt wurde (ACO I,2,1 / 1, 90 - 91). Flavian von Konstantinopel wurde abgesetzt, die Einigungsformel von 433 mit dem Hinweis für überflüssig erklärt, das Bekenntnis von Nikaia (325) genüge, um den Glauben adäquat zu beschreiben. Während der Beratungen soll es zu Tumulten gekommen sein, bei denen Flavian so schwere Verletzungen erlitten haben soll, dass er wenig später seinen Wunden erlag. Angesichts dieser Vorgehensweise sprach Leo von einem „Räuberkonzil“ (ep. ad Pulcheriam Augustam; ACO I,2,4, 51). Das alte Bündnis zwischen Rom und Alexandreia war somit zerbrochen.


Der Kaiserwechsel zu Markian ermöglichte es, dass zwei Jahre später ein erneutes Konzil in Chalkedon unweit der Kaiserstadt Konstantinopel zusammentrat. Dieses erklärte Dioskur für abgesetzt, weil er sich weigerte, sich vor der Synode zu rechtfertigen, als ihm wegen seines Verhaltens in Ephesos Vorwürfe gemacht wurden. Die Konzilsväter verfassten eine Glaubensentscheidung, die Christus als in zwei Naturen und in einer Hypostase und einer Person seiend beschrieb: „[E]in und derselbe Christus, Sohn, Herr, Einziggeborener, in zwei Naturen unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt zu erkennen, in keiner Weise unter Aufhebung des Unterschieds der Naturen aufgrund der Einung, sondern vielmehr unter Wahrung der Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen und im Zusammenkommen zu einer Person und einer Hypostase“ (Wohlmuth: Decreta, 86). Obwohl das Konzil nach den Untersuchungen von André de Halleux das theologische Anliegen Kyrills – die gott-menschliche Einheit des Erlösers zu bewahren – durchaus in seinem Sinne aufgenommen hat, sprach der Text dennoch von zwei Naturen. Schon bald bildete sich daher eine hartnäckige Opposition gegen Chalkedon.

1.7 Die gescheiterte Rezeption von Chalkedon

Die Opposition zu Chalkedon erfolgte vor allem aus zwei Beweggründen: Zum einen erblickten die Vertreter der kyrillischen Christologie eine Abkehr von den Anschauungen ihres Patriarchen. In Ephesos (431) verurteilt, kehre Nestorios durch die Zwei-Naturen-Lehre Chalkedons – so ihre Befürchtung – gleichsam durch die Hintertür zurück. Hinzu kam, dass die Absetzung Dioskurs nicht unbedingt dazu beigetragen hat, dass die ägyptischen Christen erfreut auf die Beschlüsse des Konzils blickten.

Greifbar wird die Auflehnung gegen die Beschlüsse von Chalkedon in Ägypten in der Person des Timotheos Ailuros (457 - 477). Nach der syrischen Übersetzung seiner Schrift Widerlegung des Konzils von Chalkedon bringt der Bischof von Alexandreia zum Ausdruck, dass für die Konzilsgegner die Begriffe Natur (kyana) und Hypostase (qnoma) einander bedingten: „Es gibt keine Natur, die nicht auch Hypostase ist, und keine Hypostase, die nicht Person (parsopa) ist. Wenn es also zwei Naturen gibt, gibt es auch mit aller Notwendigkeit zwei Personen und auch zwei Christoi, wie die neuen Lehrer verkünden“ (Timoth. ref. syn., PO 13, 229). Folglich konnte es in den Augen der Gegner des Konzils nur eine Natur und eine Hypostase in Christus geben, aber nicht zwei Naturen in einer Hypostase, wie das Konzil von Chalkedon definiert hatte. Timotheos erweist sich als Vertreter der alexandrinischen Christologie, indem er sich auf den Lehrsatz Kyrills berief, dass der Sohn „die eine Fleisch gewordene Natur des Gott-Logos“ sei. Kyrill hatte diese Formel aufgegriffen, weil sie ihm als Lehrsatz des Athanasios untergekommen war, obwohl die Formel eigentlich von Anhängern des Apollinaris von Laodikeia in Umlauf gebracht worden war. Alois Grillmeier hat deshalb in seinem Werk Jesus der Christus im Glauben der Kirche I bedauernd festgehalten: „Das Richtige wäre nun gewesen, wenn Cyrill diese ‚apollinaristische‘ Sprache der Mia-Physis-Formel endgültig aufgegeben hätte. Damit wäre ohne Zweifel viel Verwirrung aus der weiteren Entwicklung des christologischen Dogmas ferngehalten worden. […] Aber die apolinaristischen Fälscher hatten ihr Werk vortrefflich getarnt. Das Bewußtsein, vor einer kirchlich sanktionierten Formel zu stehen, hat Cyrill davon abgehalten, sie preiszugeben“ (S. 677).

Die Gegner des Konzils gebrauchten den Kernsatz Kyrills nicht in dem Sinn, in dem ihn die Anhänger des Apollinaris (vgl. S. 5) verstanden hatten. Diese hatten die Auffassung vertreten, der göttliche Logos habe die Stelle des menschlichen Geistes in Christus eingenommen. Während Apollinaris dem Fleisch gewordenen Gott-Logos die Wesensgleichheit mit den Menschen absprach, stand dies für die Gegner von Chalkedon sehr wohl fest. Diese Überzeugung betont ebenfalls einer der bedeutendsten Theologen der Konzilsgegner, Bischof Severos von Antiocheia (512 - 518), dessen im Original auf Griechisch verfasste Schriften bis auf wenige Fragmente nur in syrischer Übersetzung erhalten geblieben sind: „Denn diese qnome und Naturen, die ohne Schmälerung aneinandergefügt sind und nicht getrennt und für sich selbst bestehen, bilden die eine Person des einen Herrn und Christus und Sohn und die eine Natur und Hypostase des fleischgewordenen Logos“ (ep. 16). Insofern stellt der Fleisch gewordene Gott-Logos für Severos eine „zusammengesetzte“ Natur dar. Es ist deshalb für Severos wie für seine Anhänger nur in der theoretischen Betrachtung möglich, die beiden vollständigen Naturen zu unterscheiden. Wie für Kyrill und Timotheos Ailuros steht für Severos jedoch fest, dass Christus beides ist: vollständiger Gott und vollständiger Mensch.

Da die Gegner des Konzils von Chalkedon unterstrichen, dass der Fleisch gewordene Gott-Logos ein vollständiger Mensch geblieben sei, hat die jüngere Forschung angeregt, die unzutreffende und missverständliche Bezeichnung „Monophysitismus“ für ihre christologischen Anschauungen aufzugeben. Weil Severos, Timotheos und ihre Anhänger an der Mia-Physis-Formel Kyrills von Alexandreia festhalten wollten, die ihrer Ansicht nach die althergebrachte Lehre der Kirche repräsentierte, erscheint es angemessener, von „Miaphysitismus“ zu sprechen. Denn dieser Begriff macht deutlich, dass die Gegner von Chalkedon den Fleisch gewordenen Gott-Logos weiterhin als „eines Wesens“ mit uns Menschen ansahen, weil sie die kyrillische Formel von der „mia physis sesarkomene“ als eine „aus Gottheit und Menschheit zusammengesetzte Natur“ verstanden. Als „echten“ Monophysitimus bezeichnet man hingegen die Vorstellung, derzufolge es nach der Einung von Gottheit und Menschheit in Christus nur noch eine, nämlich die göttliche Natur gebe, weswegen das Ergebnis der Einung kein vollständiger Mensch mehr sei. Er scheint nur von Eutyches und seinen Anhängern vertreten worden zu sein.

1.8 Die Entstehung paralleler Kirchenstrukturen

Die Ablehnung des Konzils von Chalkedon in Syrien und Ägypten führte nicht gleich zu einer Kirchenspaltung. In den ersten Jahrzehnten nach Chalkedon (451) wechselten sich vielmehr Befürworter wie Gegner des Konzils auf den wichtigen Bischofssitzen im Orient ab. Die Kaiser suchten unterdessen nach Möglichkeiten eines Kompromisses, um die Streitparteien miteinander auszusöhnen.

Den Anfang machte Basiliskos, der im Jahr 475 von einem Aufstand profitierte und Kaiser Zenon vom Thron stieß. Wohl in der Hoffnung, bei den Gegnern des Konzils Unterstützung zu finden, veröffentlichte er ein Enkyklion, ein Rundschreiben, an Timotheos Ailuros in Ägypten, in welchem er das Konzil von Chalkedon ablehnte. Basiliskos suchte die Annäherung an die Ägypter, indem er ihre alte Position teilte, wonach der Glaube von Nikaia genüge und die Väter von Chalkedon (451) Unrecht getan hätten, als sie ein neues Glaubensbekenntnis zu dem von Nikaia (325) hinzufügten. Bereits im Folgejahr musste Basiliskos jedoch Zenon weichen, der aus Antiocheia in seine Kaiserstadt zurückkehrte. Wie sein Widersacher stand allerdings auch Zenon vor der Frage, wie er einen Ausgleich mit den Gegnern von Chalkedon finden könne. Im Jahr 482 veröffentlichte er das sogenannte Henotikon, eine Verlautbarung des Kaisers an die Bischöfe und Gläubigen in Alexandreia und Ägypten, das die drei Synoden von Nikaia (325), Konstantinopel (381) und Ephesos (431) sowie Kyrills Zwölf Anathemata gegen Nestorios zu Richtlinien der Orthodoxie erklärte und die Einheit der Kirche wieder herstellen sollte: „Das haben wir geschrieben, nicht, um Glaubensneuerung einzuführen, sondern um Euch im Glauben sicher zu machen. Jeden, der anderes gedacht hat oder denkt, sei es jetzt oder sonstwann, sei es in Chalcedon oder auf einer anderen Synode, belegen wir mit dem Anathem, vornehmlich die genannten Nestorius und Eutyches und deren Anhänger“ (Evagr. h.e. 3,14). Zwar gelang es Kaiser Zenon und Patriarch Akakios von Konstantinopel auf diese Weise, die Zustimmung des Petros Mongos von Alexandreia zu ihrer Kompromissformel zu gewinnen. Die Abkehr von Chalkedon führte aber zur Kirchenspaltung mit Rom, da Papst Felix II. (483 - 492) aus formaljuristischen Gründen das Unionsvorhaben ablehnte („akakianisches Schisma“). Aber auch in Ägypten lehnten entschiedene Gegner Chalkedons das Henotikon ab, da es keine ausdrückliche Verurteilung von Chalkedon beinhaltete.


Dieses Beispiel führt das Dilemma vor Augen, in dem sich die Kaiser befanden. Näherten sie sich den Gegnern des Konzils von Chalkedon an, so überwarfen sie sich mit Rom und den Befürwortern der Synode im Osten. Hielten sie hingegen mit Rom an der Formel von Chalkedon fest, so verharrten viele Gläubige im Osten des Reiches im Widerstand. Nach einer Phase der Förderung der Konzilsgegner unter Kaiser Anastasios (491 - 518) führten die Regierungszeiten Justins (518 - 527) und vor allem Justinians (527 - 565) zu einer neuen Besinnung auf das Chalcedonense. Für beide rückte der Westen nämlich wieder stärker in den Blickwinkel. Daher suchte Justin den Ausgleich mit Papst Hormisdas (514 - 523). Als sich Erzbischof Johannes von Konstantinopel (518 - 520) zu Chalkedon bekannte, wurde die Kirchenunion zwischen Rom und Konstantinopel im Jahr 519 wiederhergestellt. Mit ihr ging eine Vertreibung antichalkedonensischer Bischöfe in Syrien von ihren Stühlen einher. Severos von Antiocheia hatte sich schon 518 gezwungen gesehen, nach Ägypten zu fliehen.

Erst Anfang der 530er Jahre ging Justinian wieder auf die Gegner von Chalkedon zu. Im Jahr 532 lud er sie in die Reichshauptstadt zu einem Religionsgespräch, der Collatio cum Severianis, das jedoch erfolglos verlief. Der Ansatz Justinians und seiner Berater bestand dabei darin, durch Betonung der einen Hypostase in dem einen Christus die Zwei-Naturen-Lehre von Chalkedon im Sinne eine Betonung der Einheut neu zu deuten. Dies versuchten sie durch die Lehre von der „Enhypostasie“. Damit war gemeint, dass die menschliche „Natur“ Christi keine eigene „Hypostase“ mehr benötige, um konkrete individuelle Existenz zu erlangen. Sie sei vielmehr in der „Hypostase“ des Fleisch gewordenen Gott-Logos „enhypostasiert“. Um diese Lehre in der „Reichskirche“ durchzusetzen, verurteilte der Kaiser in einem Edikt aus dem Jahr 544 die Person und die Schriften Theodors von Mopsuestia, die kyrill-kritischen Schriften Theodorets von Kyrrhos († um 466) und einen Brief des Ibas von Edessa († 457) an den Perser Mari (die so genannten „Drei Kapitel“, die von den Gegnern des Konzils von Chalkedon als Vertreter der „nestorianischen Häresie“ angesehen wurden) verurteilte. Zwar regte sich von chalkedonensischer Seite Widerstand gegen dieses Vorgehen des Kaisers, doch erteilte schließlich auch Papst Vigilius von Rom auf kaiserlichen Druck hin sein Einverständnis. Das Fünfte Ökumenische Konzil von Konstantinopel (553) bestätigte die Politik des Kaisers. Prochalkedonensische Kreise – vor allem in Nordafrika – kündigten daraufhin die Kirchenunion mit Papst Vigilius auf. Im fünften Kanon des Konzils von Konstantinopel wird die Argumentation des Kaisers sichtbar: „Wer [den Ausdruck] ‚eine Hypostase unseres Herrn Jesus Christus‘ so versteht, als ob sie die Bedeutung von vielen Hypostasen annehmen könnte, und dadurch im Geheimnis Christi zwei Hypostasen bzw. zwei Personen einzuführen versucht, und, nachdem von ihm zwei Personen eingeführt worden sind, von einer Person der Würde, Ehre und Anbetung nach spricht, wie dies Theodor und Nestorius in ihrem Unverstand geschrieben haben, und das heilige Konzil in Chalkedon verleumdet, es habe in diesem gottlosen Sinne den Ausdruck ‚eine Hypostase‘ verwendet, aber leugnet, daß sich das Wort Gottes in der Hypostase mit dem Fleisch geeint hat und es deshalb eine Hypostase bzw. eine Person desselben [gibt], und daß in diesem Sinne auch das heilige Konzil in Chalkedon eine Hypostase unseres Herrn Jesus Christus bekannt hat, der sei mit dem Anathema belegt“ (Wohlmuth: Decreta, 116). In der Dogmengeschichte nennt man die Neuinterpretation der Zwei-Naturen-Lehre von Chalkedon den „Neuchalkedonismus“.

Zu einer Einigung mit den Gegnern des Konzils von Chalkedon führten alle späteren Versuche des Kaisers nach der durch die Synode von Konstantinopel (536) vollzogene endgültigen „chalkedonensische Wende“ nicht mehr. Jene hatten sich mittlerweile über der Frage zerstritten, ob der menschliche Leib Jesu von Natur aus leidensfähig – und damit verweslich – sei. Für diese Annahme sprach sich Severos von Antiocheia aus, der betonte, dass Christus den Menschen wesensgleich sei. Dagegen wandte sich Julian von Halikarnass. In Alexandreia standen sich daher zwei antichalkedonensische Patriarchen gegenüber: auf der einen Seite Theodosios, ein Freund des Severos, der 535 zum Bischof gewählt wurde, und auf der anderen Seite Gaianos, den die Anhänger Julians auf den Bischofsstuhl erhoben. Eine kaiserliche Kommission erklärte Theodosios zwar zum rechtmäßigen Patriarchen, doch konnte sich Gaianos halten. „Gaianitische“ Gruppen sind noch einige Jahrhunderte später bezeugt.

Als Justinian den Theodosios im Jahr 537 nach Konstantinopel rief und es dieser ablehnte, sich zum Symbol von Chalkedon zu bekennen, wurde er verbannt. Zum Bischof von Alexandreia berief der Kaiser stattdessen Paul von Tabennesi, der in Konstantinopel vom Patriarchen der Reichshauptstadt geweiht wurde. Von diesem Zeitpunkt an gab es in Ägypten zwei unterschiedliche Hierarchien, da die Gegner von Chalkedon weiterhin zu Theodosios hielten. Den von Konstantinopel eingesetzten Patriarchen gelang es offenbar nur mit militärischer Hilfe, sich im Amt zu halten. Die Gegner des Konzils organisierten sich in einer eigenen Struktur. Den vom Kaiser geförderten prochalkedonensischen Patriarchen und seine Anhänger nannten sie die „Melkiten“ (von syrisch malka, „König“), d.h. die Leute des Kaisers. Aus den Gegnern des Konzils von Chalkedon erwuchs die Koptisch-Orthodoxe Kirche.

Wie in Ägypten entstand auch in Syrien eine eigene antichalkedonensische Hierarchie, nämlich durch das Wirken des Jakob Baradaios, der 541 vom exilierten Theodosios von Alexandreia zum Bischof von Edessa geweiht wurde. Daraus ist die Syrisch-Orthodoxe Kirche entstanden, die wegen der bedeutenden Gründungsrolle des Jakob Baradaios auch häufig als „jakobitische“ Kirche bezeichnet worden ist.

Im siebten Jahrhundert unternahm Kaiser Herakleios (610 - 641) einen letzten Einigungsversuch. Er bekannte sich zunächst zu der Lehre, dass es in Christus nur eine „Wirkweise“ (energeia) und später nur einen „Willen“ (thelema) gebe. Doch auch diese letzten Unionsversuche scheiterten. Den Chalkedon-Gegnern ging diese Betonung der Einheit in Christus, die an der Zwei-Naturen-Lehre prinzipiell festhielt, nicht weit genug. Umgekehrt lehnten aber auch prominente chalkedonensische Theologen wie Patriarch Sophronios von Jerusalem (ca. 634 - 638) und Maximos „der Bekenner“ (Confessor, ca. 580 - 662) den Kompromissvorschlag ab. Zum wahren Menschsein Christi, mithin zum Werk der Erlösung, gehörte für sie auch ein eigener menschlicher Wille: Christus erfüllt in seinem Mensch-Sein den Willen Gottes. Das Sechste Ökumenische Konzil von Konstantinopel (680 / 681) hat die Lehre von den zwei Willen und Wirkweisen Christi schließlich zur verbindlichen Glaubensnorm erhoben.

1.9 Die christologische Position der Kirche im Perserreich

Die bisher geschilderten Diskussionen bezogen sich auf das Römische Reich. Parallel zu ihnen verlief im fünften Jahrhundert die Fixierung des christologischen Bekenntnisses im persischen Osten, da es der Kirche in Persien zu Anfang dieses Jahrhunderts gelang, sich eine feste Struktur zu geben. Dabei kam es auch zu einer genaueren Definition des Glaubens. Die Synode von Seleukeia-Ktesiphon 410 erkannte das Glaubensbekenntnis von Nikaia (325) in einer syrischen Adaption auch für die Christen im Osten an. Es lautet: „Wir glauben an einen Gott, den Vater, der in seinem Sohn Himmel und Erde machte. Und in ihm wurden begründet die Welten oben und unten, und in ihm machte er eine Auferstehung und eine Erneuerung der ganzen Schöpfung. Und an seinen einen Sohn, der gezeugt wurde von ihm, das heißt von der Substanz seines Vaters, Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt und nicht geschaffen, der von der gleichen Natur ist mit dem Vater, der für uns Menschen, die durch ihn geschaffen wurden, und für unser Heil herabstieg, einen Leib anzog und Mensch wurde, und litt und aufstand am dritten Tag, und in den Himmel aufstieg, und er setzte sich zur Rechten des Vaters, und kommt, zu richten die Toten und die Lebendigen. Und wir bekennen den lebendigen und hl. Geist, den lebendigen Parakleten, der vom Vater und vom Sohn [ist], in einer Trinität, in einer Substanz, in einem Willen“ (zitiert nach Baum/ Winkler: Die Apostolische Kirche, 21).

Während sich die Christen des Ostens mit diesem Bekenntnis in Übereinstimmung mit der Kirche im Römischen Reich befanden, galt dies nicht für ihre Christologie. Denn die Kirche des Ostens folgte der antiochenischen Christologie. Die Grundzüge ihrer Christologie stellten die wohl in Edessa angefertigten syrischen Übersetzungen der Schriften Theodors von Mopsuestia dar. Der abgesetzte Nestorios spielte für die Christologie der persischen Christen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle. Narsai (ca. 399 - 502), der Leiter der berühmten Schule von Nisibis, erwähnt Nestorios – zusammen mit Diodor von Tarsos (ca. 325 - 394) und Theodor von Mopsuestia – als einen der drei „Lehrer“, erblickt in ihm aber eher ein Opfer der Machenschaften Kyrills als einen maßgeblichen theologischen Zeugen. Die jüngere Forschung betont, dass die alte Sichtweise, die Christen in Persien hätten nach der Ablehnung der antiochenischen Christologie im Römischen Reich den „Nestorianismus“ eingeführt, nicht den Tatsachen entspricht. Die Christologie der Kirche des Ostens war schlicht antiochenisch.

Dies zeigt das Glaubensbekenntnis der Synode von 486: „Es bestehe unser Glaube in Bezug auf das Heilswirken Christi in dem Bekenntnis der zwei Naturen der Gottheit und der Menschheit, während keiner von uns es wagen soll, Mischung, Vermischung oder Verwechslung in die Unterscheidung der beiden Naturen einzuführen; sondern dadurch, dass bestehen bleiben und bewahrt werden die Gottheit in dem, was zu ihr gehört, und die Menschheit in dem, was zu ihr gehört, vereinigen wir die Abschriften der Naturen wegen der vollständigen und untrennbaren Verbindung, welche geschieht für die Gottheit und die Menschheit. Und wenn einer denkt oder lehrt etwas anderes, nämlich dass Leiden und Veränderung sich verhaftet haben mit der Gottheit unseres Herrn, und [wenn] er nicht in Bezug auf die Einheit der Person unseres Erlösers das Bekenntnis des vollkommenen Gottes und des vollkommenen Menschen bewahrt, [dann] soll ein solcher aus der Kirche ausgeschlossen sein“ (Chabot: syn. or., 55,1 - 9). In klassischer antiochenischer Art und Weise wird hier die Zweiheit der Naturen in Christus betont. Diese befinden sich in einer „vollständigen und untrennbaren Verbindung“. Das Objekt der Einung der beiden Naturen ist die „Person“ (parsopa) Christi.


Der Zuzug miaphysitischer Christen in Persien führte am Anfang des siebten Jahrhunderts zu einer weiteren Fixierung des Christusglaubens in der Kirche des Ostens. Zum einen hatte ein gewisser Henana aus der Adiabene – wahrscheinlich in miaphysitischer oder neuchalkedonensischer Ausrichtung – zuvor eine Diskussion über die Lehren Theodors an der Schule von Nisibis angezettelt. Zum anderen hatte Jakob Baradaios um das Jahr 558 mit Ahudemmeh von Bet Arbaye einen Metropoliten für Tagrit geweiht, womit der Grundstein für eine miaphysitische Hierarchie auch in Persien gelegt war.

Auf Anstiftung des Gabriel von Siggar lud Großkönig Chosrau II. 612 zu einem Religionsgespräch zwischen Miaphysiten und Vertretern der Kirche des Ostens, für welches Babai der Große (ca. 551 - 628) ein Bekenntnis anfertigte, das die Christologie seiner Kirche zum Abschluss brachte: „Es ist klar zu verstehen, dass Christus vollständiger Mensch und vollständiger Gott ist. Einmal wird er Gott genannt, vollständig in der Natur und im qnoma der Gottheit; dann wieder vollständiger Mensch in der Natur und im qnoma der Menschheit. So, wie es aus dem Gegensatz der Worte, die über Christus ausgesagt worden sind, bekannt ist, dass er zwei Naturen (kyane) und zwei qnome ist, [so] ist es auch bekannt, dass Christus einer ist, weil dies über Christus, den Sohn Gottes, ausgesagt worden ist; [er ist einer], nicht in der Einzahl der Natur (kyana) oder des qnoma, sondern in der Person (parsopa) der Sohnschaft“ (Chabot: syn. or., 575 / 11 - 18).

In Weiterentwicklung der Formel von 486 führt Babai den Begriff qnoma in das Christusbekenntnis ein. Formal entspricht dieser Terminus, der den „Selbststand“ der beiden Naturen zum Ausdruck bringt, dem griechischen Ausdruck „Hypostase“. Dennoch kann eine Rückübersetzung von qnoma mit „Hypostase“ zu Missverständnissen führen. Im voranstehenden Zitat wurde deswegen auf eine Übersetzung ganz verzichtet. Denn qnoma teilt bei Babai nicht alle Assoziationen, die sich mit dem griechischen „Hypostasis“ verbinden können. Zum Beispiel behauptet Babai nicht zwei unterschiedliche Ausgangspunkte von Aktivität in Christus, wie dies die Rede von zwei „Hypostasen“ nach griechischem Verständnis nahe legen könnte.


Für Babai bedingen die Begriffe Natur (kyana) und qnoma einander. Daher konnte es für ihn, der vom Bekenntnis zu den zwei Naturen ausging, auch nur zwei qnome in der einen Person (parsopa) Christi geben. Babai erblickte in den beiden qnome in Christus die konkreten Ausdrucksformen der beiden vereinten Naturen in dem einen Sohn. Deshalb ist auch das Christusbekenntnis der Kirche des Ostens im siebten Jahrhundert nicht „nestorianisch“, wenn darunter die häretische Behauptung von zwei Subjekten bzw. „Söhnen“ in Christus verstanden wird (eine Ansicht, die im übrigen weder Nestorios noch seine Anhänger vertreten hatten). Es unterscheidet sich – wahrscheinlich bewusst – von dem im Byzantinischen Reich herrschenden Bekenntnis von Chalkedon (namentlich von der neuchalkedonensischen Betonung der einen Hypostase) und lehnt erst recht die miaphysitische Formel Kyrills ab. Insofern ist die Kirche des Ostens von der Forschung als „streng dyophysitisch“ angesprochen worden (griech. dyo physeis, „zwei Naturen“).

2. Die Kirche im Haus des Islam

2.1 Die politischen Veränderungen im siebten Jahrhundert

Das ausgehende sechste und das frühe siebte Jahrhundert hatte die Lage des Byzantinischen Reiches im Orient erschüttert. Von politischen Wirren in Byzanz begünstigt, besiegte der persische Großkönig Chosrau II. (591 - 628) im Jahr 611 die Byzantiner bei Emesa und nahm Antiocheia ein. 613 eroberte er Damaskus und 614 zog er siegreich in Jerusalem, der heiligen Stadt der Christen, ein. Es schien, als stünde die byzantinische Position im Orient kurz vor dem Zusammenbruch. Patriarch Nikephoros berichtet, die Lage sei Kaiser Herakleios (610 - 641) so verzweifelt erschienen, dass er Konstantinopel habe aufgeben wollen (Nikephoros: brev. hist. 8,6 - 16). Erst als das Schiff, das der Kaiser mit seinen Schätzen beladen ließ, noch im Hafenbecken versunken war, habe sich Herakleios entschlossen, die Gegenoffensive von der Kaiserstadt aus in Angriff zu nehmen. Der wahrscheinlich legendarisch ausgeschmückte Bericht unterstreicht, für wie ernst die Byzantiner ihre Lage zu Beginn des siebten Jahrhunderts eingeschätzt haben dürften. Dank einer gewaltigen Kraftanstrengung war der Feldzug des Herakleios von Erfolg gekrönt. Er besiegte die Perser 627 bei Ninive entscheidend. Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand: Persien gab alle Gebiete zurück, die zum Byzantinischen Reich gehört hatten – dazu noch eine der wichtigsten Reliquien der Christenheit: das wahre Kreuz.


Der lange Abnutzungskampf zwischen Byzanz und Persien erschöpfte indes die Kräfte der beiden jahrhundertealten Vormächte. In dieses Machtvakuum stießen die Araber. Es gelang ihnen, binnen weniger Jahre die Herrschaft im Orient an sich zu reißen. Nach dem Sieg über die Truppen des Kaiser Herakleios am Yarmuk im Jahr 636 fielen ihnen die wichtigsten Städte des Orients zu: Damaskus (636), Aleppo (637), Antiocheia (638), Jerusalem (638) und Alexandreia (642).

Parallel zu diesem Sturmlauf über die byzantinischen Kräfte verlief der Vormarsch der Araber in Persien. Im Jahr 636 oder 637 besiegten sie bei Qadisiya das persische Heer, woraufhin sie die Hauptstadt Seleukeia-Ktesiphon im gleichen Jahr einnehmen konnten. 642 fiel die endgültige Entscheidung zu Gunsten der Araber bei Nihavand. Damit hörte das Persische Reich auf zu bestehen.

Mit diesen raschen Erfolgen der Muslime änderten sich die Lebensbedingungen für die orientalischen Christen grundlegend. Wie in der Zeit vor dem vierten Jahrhundert herrschten in den ehemaligen Provinzen des Römischen Reichs wieder Nicht-Christen über Christen. Der omayyadische Kalif in Damaskus regierte dabei über die Christen aller Konfessionen im Orient.

2.2 Die orientalischen Christen unter islamischer Herrschaft

Es ist wahrscheinlich, dass Muhammad selbst orientalische Christen gekannt hat. Im Koran finden sich einige Aussagen über die Christen. So wird beispielsweise die Trinitätslehre der Christen in Sure 18,5 scharf abgelehnt. Zudem sollen sich die Muslime Christen nicht zu Freunden machen (Sure 5,51). Andererseits stehen die Christen den Muslimen in der Liebe am nächsten (Sure 5,82). Grundsätzlich ist für das Verhalten der neuen muslimischen Herrscher gegenüber den Christen wichtig, dass die Christen als „Leute des Buches“ (ahl al-kitab) angesehen wurden. Daher blieb ihr Glaube in der Theorie grundsätzlich geschützt. „Gegen Zahlung einer ‚Kopfsteuer‘ (dschizya) war ihnen als ‚Schutzbefohlenen‘ (ahl al-dhimma bzw. dhimmiyun) freie Religionsausübung gestattet, allerdings mit bestimmten Einschränkungen, die vor allem die öffentliche Repräsentation und die Missionierung unter Muslimen betrafen“ (Bobzin: TRE 16, 1987, 336).

In der Praxis wurden die Rechte und Pflichten der unterlegenen Christen in der Frühzeit des Islam durch individuelle Kapitulationsverträge zwischen den Christen und den siegreichen muslimischen Befehlshabern geregelt. Gérard Troupeau weist darauf hin, dass ein solcher Vertrag, den Muhammad selbst mit den christlichen Bewohnern der jemenitischen Stadt Nadschran im Jahr 631 abgeschlossen haben soll, als ein Vorbild für diese muslimische Praxis gedient habe. Muslimische Generäle wie Khalid ibn al-Walid und Abu Ubaida hätten sich an ihm orientiert, als sich ihnen christliche Städte in Mesopotamien, Syrien und Ägypten ergaben (Troupeau: „Kirchen und Christen im muslimischen Orient“, 393). Auf diese Weise sei im Laufe der Zeit ein System von Regelungen für die orientalischen Christen entstanden, die lokal flexibel gehandhabt wurden, vom jeweiligen Herrscher aber stets aufs Neue im vollen Umfang in Kraft gesetzt werden konnten.

Dazu gehörte, dass die Christen die erwähnte „Kopfsteuer“ (dschizya) entrichten und bestimmte Dienstleistungen für die muslimischen Heere erbringen mussten. Hatte eine christliche Stadt kapituliert, so scheint die Höhe dieser „Kopfsteuer“ im Zuge von Verhandlungen festgesetzt worden zu sein. Leistete eine Stadt jedoch Widerstand, so lag es offenbar allein im Ermessen des muslimischen Eroberers, die Steuer festzulegen. Ausgenommen von der „Kopfsteuer“ waren offenbar Frauen, Minderjährige, Sklaven und zu gewissen Zeiten auch Kranke und Mönche. Neben der „Kopfsteuer“ konnte noch eine „Grundsteuer“ (kharadsch) für Grund besitzende Christen erhoben werden. Diese zusätzlichen Steuern stellten für die Christen eine besondere Belastung dar, der man sich durch eine Konversion zum Islam vergleichsweise einfach entziehen konnte.

Als diskriminierend empfanden orientalische Christen die besonderen „Erkennungszeichen“, welche keine Grundlage im Koran haben und wahrscheinlich zur Zeit Omars II. (717 - 720) eingeführt wurden. Demnach mussten die Christen einen Gürtel über der Kleidung sowie zwei gelbe Stoffbänder auf der Schulter tragen. Die Stirn war zu scheren. Sie durften nicht den Turban der Muslime tragen, Pferde besteigen, Ledersättel nutzen oder Waffen tragen, die Namen von Muslimen annehmen, eine Muslimin zur Frau nehmen oder höhere Bauten als Muslime errichten.

Wie das wirtschaftliche und politische Leben allgemein, so sah sich auch die Ausübung des christlichen Kultes Einschränkungen ausgesetzt. Gérard Troupeau unterstreicht, dass sich vor allem ein Verbot für die Christen des Orients als schwierig herausstellte: das Verbot, neue Kirchen oder Klöster zu errichten, oder verfallende neu in Stand zu setzen. Die Christen versuchten, diese Bestimmungen zum Beispiel dadurch zu umgehen, dass sie muslimische Beamte bestachen: „Man kann sagen, daß sie sich buchstäblich erschöpften in ihrem Kampf mit den muslimischen Autoritäten, den Kalifen und Gouverneuren, die in regelmäßigen Abständen die Zerstörung von heimlich gebauten oder wiederhergestellten Kirchen anordneten – ein Abnutzungskrieg, der immer zum Schaden der Christen ausging und mit einem Rückgang des Christentums auf islamischem Boden endete“ (Troupeau: „Kirchen und Christen im muslimischen Orient“, 395).

Zwar hat es kein ausdrückliches Verbot für Christen gegeben, öffentliche Ämter anzunehmen. Muslimische Rechtsgelehrte haben aber oftmals die Auffassung vertreten, Christen im öffentlichen Dienst könnten als Spione für auswärtige christliche Mächte agieren. Dennoch dienten in der Praxis viele gelehrte Christen muslimischen Herrschern, beispielsweise als Ärzte. Rechtsgelehrte, wie der hoch angesehene al-Mawardi (gest. 1058), betonten, dass Christen sehr wohl in der öffentlichen Verwaltung dienen könnten, solange sie sich loyal gegenüber den muslimischen Autoritäten verhielten. Koptisch-orthodoxe Christen dominierten in praxi bis ins 14. Jahrhundert die ägyptische Verwaltung. Insofern blieben die lokalen Gegebenheiten in dieser Frage maßgeblich.

Es ist auch zu Religionsgesprächen zwischen christlichen Würdenträgern und muslimischen Herrschern gekommen. Überhaupt brachte die arabische Eroberung eine literarische Beschäftigung der Christen mit dem Islam mit sich. So entstanden christliche Apologien, welche die Christen in ihrem Glauben zu stärken suchten. Auch die christlich-orientalischen Historiker mussten das Erscheinen der Araber mit der traditionellen Weltsicht in Einklang bringen, in der das christianisierte Imperium Romanum das letzte der von Gott eingesetzten Weltreiche in der Geschichte der Menschheit darstellen sollte.

Am Schwierigsten erwies sich für die orientalischen Christen die Bestimmung, die es Muslimen bei Androhung der Todesstrafe verbot, sich vom Islam zum Christentum zu bekehren. Während der Übertritt vom Christentum relativ einfach war, gesellschaftlichen Aufstieg versprach und von den Einschränkungen für Christen – wie der Sondersteuer – befreite, gab es keinen Weg mehr zurück. Angesichts dieser Umstände ist es nicht verwunderlich, dass die Christen im Orient immer mehr zu einer Minderheit wurden.

Für die verbliebenen Christen stellte die Ausweitung der osmanischen Herrschaft über Syrien und Ägypten 1516 bzw. 1517 einen weiteren wichtigen Einschnitt dar. Denn die osmanischen Sultane in Istanbul betrachteten die orientalischen Christen als „Religionsvölker“ (millets), für welche die Patriarchen zu Repräsentanten und Ansprechpartnern wurden. Das einheimische Christentum „konnte sich [.] unter dem Dach des Millet-Systems mit seinen im Ganzen erträglichen Existenzbedingungen nicht nur halten, sondern sogar seinen Bevölkerungsanteil wieder mehren; und Christen verschiedener Kirchen, zumal Griechen und Armenier, trugen wesentlich zum ökonomischen wie kulturellen Leben des Gesamtreichs bei“ (Hage: Das orientalische Christentum, 51). Die krisenhafte Situation, in der sich das Osmanische Reich im 19. und frühen 20. Jahrhundert befand, führte dann jedoch zu schwersten Verfolgungen von Christen. In den Nationalstaaten des 20. Jahrhunderts mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung wirkt das osmanische Religionsrecht teilweise noch fort. Das Zusammenleben von Christen und Muslimen kann sich je nach Staat unterschiedlich gestalten. Die folgenden Abschnitten dieses Buches werden darauf anhand einiger Fallbeispiele eingehen.

3. Zusammenfassung

Die ersten sieben Jahrhunderte der Kirchengeschichte sind für die Christen im Orient zunächst von der erfolgreichen Verbreitung und Stabilisierung ihres Glaubens geprägt. Die Beschäftigung mit den heiligen Schriften bringt die Entstehung neuer christlicher Literaturen hervor. In den Ländern des Nahen Ostens entwickeln sich mannigfache Formen des asketischen und monastischen Lebens.

Die christologischen Streitfragen des fünften Jahrhunderts führen in der Folgezeit zum Entstehen unterschiedlicher, miteinander konkurrierender kirchlicher Hierarchien. Befürworter wie Gegner des Konzils von Chalkedon (451) stehen sich erbittert gegenüber. Vermittlungsversuche der Kaiser in Konstantinopel scheitern. Im siebten Jahrhundert werden diese altkirchlichen Einigungsversuche aufgegeben.

Die siegreichen Muslime waren im siebten Jahrhundert einem konfessionell gespaltenen Christentum begegnet. Diese Entwicklung verfestigte sich, als die jeweiligen Kirchenoberhäupter gegenüber den neuen muslimischen Herren immer mehr zu Repräsentanten ihrer Gläubigen werden. Zwar gestaltete sich die politische Situation der Christen in den verschiedenen Regionen des Orients unterschiedlich, doch lassen sich gewisse Grundlinien nachzeichnen, die für die Lage der Christen des Orients in den folgenden Jahrhunderten grundlegend waren und die auch heute noch ihre Auswirkungen haben.

Die altorientalischen Kirchen

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