Читать книгу Der mündige Mensch - Группа авторов - Страница 9

Die mündige Frau. Zur Geschichte des Kampfes der Frauen um Bürgerrechte

Оглавление

Wenn auch ich meine einführenden Bemerkungen mit Kant beginne, so in Bezug auf das Thema „Die mündige Frau“, allerdings mit einigen Revisionen und Ergänzungen seiner klassischen Aussagen über die Mündigkeit. Wenn Kant sagt:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“1 – so ist für das weibliche Geschlecht zu sagen: Aufklärung war ein Versuch der Frauen unter vielen, aus ihrer fremd verschuldeten Unmündigkeit herauszufinden.

Und wenn Kant behauptet: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“2 – so ergänze ich: Unmündigkeit ist auch ein Unvermögen, das Andere, vor allem Männer, Frauen zuschreiben, obwohl Frauen sich sehr wohl ihres Verstandes ohne Leitung eines Mannes bedienen können.

Wenn Kant dann fortfährt: „Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt …“3 – so vervollständige ich für die weibliche Hälfte der Menschheit: Fremd verschuldet war bzw. ist die Unmündigkeit der Frauen, weil die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes liegt, sondern am Mangel der Anerkennung und an der Zuschreibung durch Andere.

Und wenn Kant unverfroren konstatiert: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschheit, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen …, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben …“4 – so scheint er auszublenden, dass Arroganz und Herrschaftswille die Ursachen sind, warum die weibliche Bevölkerung, nachdem die Natur sie längst von fremder Leitung frei gesprochen hat, qua Kultur doch zur Unmündigkeit verurteilt und dies wahrlich nicht gerne ist!

Kant macht sich selbst solcher Unmündigkeits-Erklärung schuldig, wenn er in der Metaphysik der Sitten „die Fähigkeit zur Stimmgebung“ als diejenige „Qualität“ ausweist, die den Staatsbürger ausmacht, diese aber neben den Gesellen, Dienstboten, Unmündigen auch „alle[n] Frauenzimmer[n]“ abspricht.5 Frauen bleiben qua Geschlecht ausgeschlossen und auf den Status als „passive Staatsbürger“ beschränkt, eine Abgrenzung, die, wie Kant zugibt, „mit der Erklärung des Begriffs von einem Staatsbürger überhaupt im Widerspruch zu stehen scheint.“6 – Nun, Kant befindet sich mit solchen Ausführungen in guter Gesellschaft und in einer langen Tradition.7 Allerdings hat er doch die Mechanismen des Unmündig-Machens durchschaut und sogar am Beispiel der Frauen selbst beschrieben. Ich zitiere aus der Aufklärungsschrift:

„Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften: so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einige Mal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.“8

Zum historisch-kulturellen Verständnis des Kampfes der Frauen um Bürgerrechte

Nun, wie diese – leicht ketzerischen – Randbemerkungen zu Kant zeigen, ist es nicht ganz so einfach mit der Mündigkeit, wenn man sie ausschließlich als eine individuelle Angelegenheit betrachtet. Mündigkeit wird im sozialen Feld erworben und kann bestimmten Menschen zu- oder abgesprochen werden. Ein Mensch kann sehr wohl mündig sein, sich also im Kantischen Sinn über die „Natur“ erhoben haben und doch qua Kultur zeitlebens im Zustand zugewiesener Unmündigkeit verbleiben.

Gerade entlang der Geschlechtermatrix hat sich häufig eine soziale Ordnung etabliert, in der Mündigkeit und Unmündigkeit zentrale Figuren für Asymmetrien und Hegemonien in den Geschlechterverhältnissen abgaben. Die Geschlechtsvormundschaft beispielsweise, die cura sexus bzw., in ihrer besonderen Form innerhalb der Ehe, die cura maritalis oder Ehevogtei war Jahrhunderte lang ein wichtiges Instrument, um den Rechtsstatus der Frau auf der Stufe eines Kindes oder Schwachsinnigen, also einer Unmündigen zu fixieren, die nicht in der Lage ist, über ihr Leben selbst zu bestimmen und daher eines männlichen Beistands bedarf.9 Die cura sexus verschwand „vollständig erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in der speziellen Form der „ehelichen Vormundschaft“ „in manchen europäischen Ländern sogar erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“10 . Schlusslicht bildet hier Spanien, das erst 1981 die eheliche „Munt“ abschaffte.11

Erst in jüngster Geschichte und nur in einigen Kulturen wurden also diese und andere Geschlechterhegemonien wirklich einer Veränderung unterzogen. Der Kampf der Frauen um die Bürgerrechte war territorial begrenzt, und so gibt es noch heute Regionen, wo dieser Kampf weder angefangen hat noch als notwendig erkannt wird. Weltweit leben Millionen Frauen immer noch in Kants „Gängelwagen“, werden von Männern – wie Kant so treffend sagte – wie „Hausvieh“ „dumm gemacht“, dürfen oftmals ihr Heim nicht ohne Begleitung ihrer Vormünder verlassen, haben kein Recht auf Selbstbestimmung, Eigentum oder Schutz vor Gewalt. Vom Wahlrecht wagen diese Frauen kaum zu träumen. Als Analphabetinnen (98% der weltweit 7%, die weder lesen noch schreiben können) bleiben sie zeitlebens in Abhängigkeitsverhältnissen und führen häufig ein Leben, das nicht einmal den schlichtesten Normen von Humanität entspricht.

Eine solche Vorbemerkung ist notwendig, um das Ausmaß und die Tragweite des Kampfes der Frauen um die Bürgerrechte historisch und kulturell zu verstehen. Was wir alle heute und in unserem Kulturkreis als selbstverständlich erachten, die Anerkennung der Frau als Rechtsperson und die Rechtsgleichheit der Geschlechter, ist aus einem mühevollen, enttäuschungsreichen Prozess nicht allein des Beharrens auf Mündigkeit, sondern auch des Beharrens auf Zuweisung von Mündigkeit hervorgegangen. Und ich denke, dass Kant doch Unrecht hatte, als er schrieb, dass „die Gefahr“, einen solchen Prozess voranzutreiben, „eben so groß nicht“ sei.12 Es hat unzählige, namenlose und berühmte Opfer gegeben. Auch wenn die Kämpferinnen für die Bürgerrechte der Frau nur spärlich mit Erinnerungskulturen bedacht werden, haben diese Frauen der Revolution und der Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts doch die soziale Gemeinschaft in Teilen dieser Welt nachhaltig reformiert.

Dies war jedoch nur möglich, weil bereits in den Jahrhunderten zuvor Generationen von Frauen immer wieder die Herausbildung und Zuschreibung von Mündigkeit gefordert haben. Im Rahmen solcher Selbstautorisierung spricht Gerda Lerner von einem feministischen Bewusstsein, das sich wie folgt entfaltet:

„1. die Wahrnehmung und das Eingeständnis der Frauen, dass sie zu einer untergeordneten Gruppe gehören und als Mitglieder einer solchen Gruppe unter Ungerechtigkeiten zu leiden haben; 2. die Erkenntnis, dass der Zustand der Unterordnung nicht naturbedingt, sondern gesellschaftlich verursacht ist; 3. die Entwicklung eines Begriffs der Schwesternschaft; 4. die autonome Definition ihrer Ziele und Strategien im Sinne der Veränderung ihrer Lebensbedingungen; und 5. eine alternative Vorstellung von der Zukunft.“13

Aus ihren leidvollen Erfahrungen mit dem Status der Unmündigkeit entwickelten Frauen Prozesse der Selbstreflexion, Welterkenntnis, Solidarisierung, Theoriebildung und Intervention. Dieses feministische Bewusstsein hat Wurzeln in der Antike, nahm im Mittelalter in einer ersten Frauenbewegung seinen Lauf, wurde in der Neuzeit durch die Salonkultur bestärkt, in den Revolutionen politisch und brachte im 19. Jahrhundert jene breite Welle der Solidarität und des Widerstands hervor, die im 20. Jahrhundert zur gesetzlichen Gleichstellung von Mann und Frau führte. Es vergingen also Jahrhunderte, ehe die Situation der Frau im Hinblick auf ein selbst bestimmtes Leben verbessert wurde.

Emanzipationsstreben und Frauenrechtsbewegung

Die verschiedenen Bestrebungen von Frauen werden häufig durch den Sammelbegriff Feminismus beschrieben, der zwar heute kein Fremdwort mehr ist, aber viele, teils verwirrende und auch negative Bedeutungskonnotationen mitführt.14 Für unseren Zusammenhang ist es wichtig, zumindest zwischen der Frauenrechtsbewegung und der Frauenemanzipationsbewegung zu unterscheiden:

Die Frauenrechtsbewegung bzw. der „Frauenrechts-Feminismus“ orientiert sich „an der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“ und zielt darauf, „den Frauen den Zugang zu allen Rechten und Möglichkeiten der Männer in den Institutionen der Gesellschaft zu sichern“ 15 . In diesem Sinne war die Frauenrechtsbewegung, die sich im 19. Jahrhundert in ganz Europa und Nordamerika entfaltete, eine Bürgerrechtsbewegung.

Das Emanzipationsstreben von Frauen bzw. den „Frauenemanzipations-Feminismus“ hat es lange vor dem Frauenrechtsfeminismus gegeben; das Streben nach Emanzipation ist „nicht immer eine Bewegung, denn es kann ebenso gut ein Bewusstseinszustand, eine grundsätzliche Einstellung, eine Art des Denkens sein wie die Grundlage einer organisierten Anstrengung von vielen“16 . Der Begriff der Emanzipation lässt sich aus dem römischen Recht ableiten: ex + manus + capere bedeutet, aus jemandes Hand herausnehmen, befreit sein von paternalistischer Dominanz. Für die Frauenemanzipation sind drei Dimensionen geltend zu machen:

Freiheit von auferlegten Einschränkungen, d.h. „die Freiheit von biologisch begründeten und gesellschaftlich vermittelten Beschränkungen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit“;

Selbstbestimmung, d.h. „frei zu sein, sich selbst Ziele zu setzen; frei zu sein, die eigene soziale Rolle zu bestimmen, und die Freiheit zu haben, über den eigenen Körper selbst zu entscheiden“;

Autonomie, d.h., „den sozialen Status eigenen Leistungen zu verdanken, ihn nicht durch Familienzugehörigkeit oder Eheschließung zu erlangen“, ferner „finanzielle Unabhängigkeit“ und „die Freiheit, den eigenen Lebensstil sowie die sexuelle Präferenz zu wählen“.17

Die so konzipierte Frauenemanzipation „beinhaltet und verlangt einen radikalen Wandel der bestehenden Institutionen, Wertvorstellungen und Theorien“.18

Es lässt sich mithin der Kampf der Frauen um die Bürgerrechte nicht auf die Historie der Revolutionen und der politischen Frauenbewegungen reduzieren. Das feministische Bewusstsein ist wesentlich älter als die Bürgerrechtsbewegung und wirkt außerdem bis in die Gegenwart als intra- und interkulturell anschlussfähiger Impuls weiter, und zwar notwendigerweise, denn „egalitäres Recht für sich allein“ gewährleistet noch lange „nicht die Gleichstellung von Mann und Frau in der sozialen Realität“19 . So wird in Deutschland das „Gleichheitsversprechen des Grundgesetzes um ein Förderungsgebot zugunsten von Frauen“20 ergänzt, weil die Erfahrung gelehrt hat, dass die Rechtsfortschritte im Familienrecht die Benachteiligung von Frauen in der Rechtswirklichkeit, etwa auf dem Arbeitsmarkt, nicht aufheben konnten. Wörtlich heißt es im Grundgesetz, Art. 3, Abs. 2:

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Bis heute bedarf es erheblicher Anstrengungen und – wie Jutta Limbach treffend sagt – „wiederholte[r] Nachhilfe durch das Bundesverfassungsgericht“21 , um die Rechtsgleichheit der Geschlechter auf den Spuren des Grundgesetzes voranzutreiben.

Frauen in der Rechtsgeschichtsschreibung

Obwohl nach dem neuzeitlichen Rechtsprinzip der Gleichheit aller Menschen die Rechtsstellung der Frau und die Regelung der Geschlechterbeziehungen wichtiger Bestandteil jeder allgemeinen Rechtsgeschichte sein müsste und nicht nur Stoff für Sonder- und Nebenbetrachtungen liefern sollte, befasst sich erst die jüngere, feministisch beeinflusste Forschung damit, die „Bedeutung und Auswirkung der Geschlechterdifferenz auch in der Geschichte des Rechts sichtbar zu machen“ und „sowohl die unterschiedlichen Wirkungen gleichen Rechts als auch die spezifischen Rechtsregeln für Frauen zu berücksichtigen“.22 Es ist ein geradezu typischer Verlauf im wissenschaftlichen Diskurs, dass erst unter dem Druck und Eindruck feministischer Initiativen die Notwendigkeit dieser Forschungsaufgaben erkannt und schließlich in den Mittelpunkt auch genereller Befunde und Bewertungen gerückt werden.

Das Standardwerk zum Thema stammt aus dem Jahr 1997 und wurde von Ute Gerhard unter Mitarbeit von 43 WissenschaftlerInnen herausgegeben. Der Untertitel des 1000seitigen Buches Frauen in der Geschichte des Rechts lautet Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart und zeigt den Kontext an, in dem die Rede von den Frauen in der Geschichte des Rechts überhaupt erst Sinn ergibt. Eine „Verständigung über die Rechte von Frauen“ lässt sich für diesen Zeitraum nämlich nicht ohne „die Diskussion der Bedeutung von Gleichheit bzw. des Prinzips der Rechtsgleichheit führen“23 . Gleichheit als „Leitbegriff der Moderne“ sollte „einen Maßstab für das jedem einzelnen zustehende Recht auf Anerkennung als Person und gleicher Freiheit bieten“24 . Obwohl die soziale Ungleichheit von Frauen und anderen benachteiligten Gruppen dadurch nicht behoben wurde, bot der Satz von der Gleichheit aller Menschen doch eine Folie, vor der die ständische Ordnung kritisierbar und veränderbar erschien. Rechtspolitisch traten allgemeine und subjektive Rechte an die Stelle vielfach abgestufter Berechtigungen und Herrschaftsräume.

Geschlechterdifferenzen in der ständischen Gesellschaft

Auch wenn sich über die geschlechtliche Arbeitsteilung die Tätigkeitsbereiche von Mann und Frau schon in vorantiker Zeit mit der Gegenüberstellung von oikos und polis beschreiben lassen, gibt das Netz von Normen, Werten und Privilegien doch Anlass, die These von der generellen Unterordnung der Frau teilweise zu relativieren. Von der Frau im Allgemeinen war jedenfalls in den neuzeitlichen Rechten nicht die Rede, „vielmehr wurde sehr genau nach den verschiedenen Qualitäten von Mündigkeit, zeitgenössisch als ‚Stand’ bezeichnet, differenziert“.25 Es wurde unterschieden zwischen der Rechtsposition der Tochter, der volljährigen unverheirateten Frau, der Ehefrau und der Witwe sowie nach der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Ständen. Außerdem gab es für bestimmte Lebensbereiche wie zum Beispiel die Erwerbstätigkeit Sonderregelungen, die Frauen partiell aus der cura sexus entließen und der rechtlichen Position der Männer anglichen. In der ständischen Gesellschaft „mit ihrem komplexen Geflecht von Privilegien und Ordnungssystemen“ war also „der unterschiedliche Status der Geschlechter vielfach durch andere soziale bzw. rechtlich relevante Ungleichheiten überlagert“; je nach Stand gab es „ein breites Spektrum eigener, auch übertragbarer Rechte“, welche „die Teilhabe von Frauen bestimmter Stände und Positionen an Autorität und Herrschaft sicherten“.26

Natürlich gab es die Ungleichbehandlung von Mann und Frau in den frühneuzeitlichen Ehegüter- und Erbrechten sowie die Unterordnung von Töchtern und Ehefrauen unter die väterliche bzw. eherechtliche Gewalt, also die Geschlechtsvormundschaft, die in ihrer Schärfe sogar eine Verschlechterung gegenüber den mittelalterlichen Verhältnissen darstellte. Dennoch ist diese nicht ausnahmslos als Unmündigkeit zu verstehen, denn je nach Stand und Position hatten Frauen doch auch Zugang zu Autorität und Herrschaftsfunktionen. Der Haushalt als gesellschaftliches Ordnungssystem war für die Ehefrau nicht nur ein Ort der vertragsmäßig vereinbarten Unterwerfung unter den Willen des Ehemanns, sondern auch ein Ort eigener Handlungsbefugnisse bis hin zur Stellvertretung des Mannes bei dessen Abwesenheit. Je nach Stand und Größe des Haushalts waren damit verbundene Herrschaftsfunktionen ausgesprochen weitreichend und konnten einen ganzen Hofstaat oder Landeshaushalt betreffen. Adelige Frauen hatten indes nicht nur durch eheliche Teilhabe, sondern auch durch Stellvertretung und Vormundschaft über unmündige Kinder Zugang zu Herrschaftspositionen bis hin zu Regentschaften.

Jedoch sollte die Regulierung standesbedingter Privilegien im Rechtsdiskurs und eine Vorteilsnahme durch Angehörige des weiblichen Geschlechts, die vielfach tatsächlich als ‚Ausnahmefrauen’ ihren Status reklamierten, nicht darüber hinweg täuschen, dass in anderen wissenschaftlichen Diskursen, in Literatur, Kunst und Religion sowie der Alltagspraxis jahrhundertealte Geschlechter-Hegemonien tradiert wurden, die sehr genau, und zwar in ungeschriebenen, aber gleichwohl Realität stiftenden ‚Gesetzen’ darüber bestimmten, welche Rollen Frauen und Männer in der Gesellschaft einzunehmen hatten und welche nicht.

Die Etablierung der bürgerlichen Rechtsordnung – die Idee der Gleichheit

Während die Kategorie „Geschlecht“ im Kontext der asymmetrischen Situationen von Mann und Frau in sozialkritisch orientierten Reflexionen der Sache nach bereits seit der Antike konstituiert war und schon vielfach Anlass zu reformatorischen Bemühungen gab, blieb der juristische Diskurs bis dato weitgehend unbeeindruckt von ihrer eminenten Bedeutung als einer sozialen Kategorie, die durchaus quer zu anderen gesellschaftlichen Bezeichnungsfunktionen liegt und gängige Raster sowohl repetiert als auch überschreitet. Dies änderte sich mit der Auflösung der ständischen Gesellschaft, „mit der Etablierung einer bürgerlichen Rechtsordnung, die Freiheit und Gleichheit und die Garantie des Eigentums versprach“; jetzt begann „die Kategorie ‚Geschlecht’ über alle anderen sozialen Ungleichheiten hinweg in Rechtstheorie und Rechtspraxis eine die Frauen als Gruppe bezeichnende und vereinheitlichende Rolle“ zu spielen. „Von hier an datiert also“, wie Ute Gerhard schreibt, „die Bedeutung und Betonung der Geschlechterdifferenz, die neben und an die Stelle des grundsätzlich anerkannten Prinzips der Rechtsgleichheit tritt.“27

Als die Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts die Frauenfrage „als Rechtsfrage stellten“, haben sie immer beides, „gleiche Rechte als Menschen sowie die Anerkennung oder Berücksichtigung der besonderen Situation von Frauen auch im Recht gefordert“.28 Der politische bzw. juristische Schauplatz spiegelt eine grundlegende Problematik der feministischen Theorie, die bis heute diskutiert wird: Frauen hatten (und haben) einerseits die hegemoniale Geschlechterhierarchisierung, -differenz und -asymmetrie zu dekonstruieren und hatten (und haben) andererseits gerade auf der Grundlage der Differenz ihrer Körperlichkeit sowie damit verbundener biographischer Situationen Rechte für sich selbst als Frauen zu erkämpfen. Der Feminismus stand und steht mithin vor der Herausforderung, mit der in seiner inneren Struktur angelegten Ambivalenz konstruktiv umzugehen und „notgedrungen eine Theorie der Leiblichkeit, sei diese implizit oder explizit“,29 mitzuführen. Sie hat sich z.B. als Leibesverachtung (Simone de Beauvoir) oder Leibesverehrung (Luce Irigaray) artikuliert und in neueren Diskursen durch die Politisierung des Leibes (Judith Butler) erhebliche Sinnverschiebungen bezüglich der Kategorien sex und gender herbeigeführt, die über Jahrzehnte mit der Differenz zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht eine der wesentlichen theoretischen Grundlagen für die Forderungen nach Veränderung der sozio-kulturell generierten Geschlechterrollen geliefert hatten.

Gleiche Rechte als Menschen und zugleich Anerkennung von Differenz zu fordern, ist nur scheinbar ein Paradox, wie Gerhard richtig konstatiert, denn „der Gegenbegriff zu Gleichheit ist nicht Differenz, sondern Ungleichheit, während Differenz den Gegenpol zu Identität bildet“. Die Auffassung „dass Geschlechterdifferenz notwendig Ungleichheit bedeute“, ist ein „altes, nachgerade systematisches Missverständnis“30 , das sich schon in der antiken Philosophie und bei prominenten Vertretern aller Epochen der Kulturgeschichte, ja selbst in aktuellen Debatten nachweisen lässt. Gleichheit als Rechtsforderung geht „von der Verschiedenheit der Menschen aus, setzt gerade nicht Identität voraus, sie ist daher die Gleichheit von an sich Verschiedenen“. Strittig ist nur, „in welcher Hinsicht die an sich ungleichen Menschen als gleiche zu behandeln sind und welches Bild vom Menschen oder welche wesentliche Bedingung menschlicher Existenz als tertium comparationis und damit als Maßstab dienen soll“.31

Mit der von Gerhard so bezeichneten „‚anthropologischen Wende‘ von einem vorgegebenen, zunächst aus der göttlichen Ordnung legitimierten Recht zu einem veränderbaren, von und für den Menschen gemachten Recht war der Maßstab der Mensch, der, wie die Rechtsgeschichte und Rechtstheorie zeigt, selbstverständlich als männlicher gedacht wurde“.32 Dass Frauen – und immer auch einige Männer – die Absurdität dieses Maßstabes kritisierten und entschieden Korrekturen anmahnten, mithin „die Menschenrechte auch für Frauen“ und „die Veränderung des geltenden Rechts bzw. ein anderes Recht mit mehr Gerechtigkeit“33 forderten, ist als Resultat des bereits Jahrhunderte andauernden Prozesses der Entfaltung eines feministischen Bewusstseins zu bewerten, das in diesem entscheidenden historischen Moment die Gleichheit als Leitnorm für die Ansprüche auf Veränderung der sozialen Beziehungen zwischen den Geschlechtern reklamierte.

Über die juristischen Detailanalysen von Gerhard hinaus, ist es aus meiner Sicht unabdingbar, den Zusammenhang zwischen den vorangegangenen endlosen Kämpfen im Bereich sowohl der ‚geschriebenen‘, als auch der ‚ungeschriebenen‘, aber gleichfalls disziplinierenden ‚Geschlechter-Gesetzgebung‘ und der Deklaration sowie Etablierung der juristischen Gleichheit der Geschlechter herzustellen. Die Frauenrechtsbewegung ist nur aus jenem Frauenemanzipationsstreben heraus zu verstehen, das – wie eingangs erwähnt – sogar dann noch von Bedeutung ist, wenn Gleichberechtigung de jure bereits besteht, aber in der Lebenswelt noch nicht oder kaum umgesetzt wird, weil die Macht der Einschreibung von traditionell hegemonialen Geschlechter-Stereotypen zahlreiche Habitus (Bourdieu)34 bzw. Dispositionen (Schmitz)35 konstituiert, deren Wandlung nur träge voranschreitet.

Mit den anderen sozialen Bewegungen waren die Frauenbewegungen Initiatoren des sozialen Wandels auch im Bereich des Rechts und hatten einen entscheidenden Anteil „an der Veränderung unserer Vorstellungen von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit“, und zwar, „indem sie über die formale ‚Gleichheit vor dem Gesetz‘ hinaus substanzielle Gleichheit und damit gerechtere Verteilung der materiellen und kulturellen Güter wie die Beteiligung an politischer Souveränität, an demokratischen Entscheidungsprozessen gefordert haben“.36 Ihre Erfahrungen von Unrecht, Unterdrückung, Misogynie haben Frauen dazu geführt, „ihre Anliegen zu einem Politikum“ zu machen und „um die Anerkennung der für sie wesentlichen Aspekte der Gleichheit und Freiheit“37 zu ringen. Das geschah auf vielen verschiedenen Ebenen, die sich unter drei Topoi subsumieren lassen: der Kampf um Menschen- und Bürgerrechte, insbesondere dann um das Wahlrecht und weitere politische Teilhaberechte, der Kampf um Zugangsberechtigungen und Gleichbehandlung in Bildung und Beruf und – besonders zäh und langwierig – der Kampf um die Reform des Ehe- und Familienrechts. Die Geschichte der Rechtskämpfe zeigt, wie Gerhard schreibt:

„Gleichheit als Maßstab für Recht ist ein interpretationsbedürftiger und zugleich dynamischer Begriff, dessen Inhalt sich erst aus den historischen Auseinandersetzungen und politischen Kräfteverhältnissen ergibt. Nur durch die organisierte Einmischung von Frauen in den Prozess der Rechtsfindung war und ist für sie mehr Gleichheit im Recht durchsetzbar, wie andererseits die Verwirklichung der Gleichberechtigung im Einzelfall Selbst- und Mitbestimmung in politischer und privater Hinsicht voraussetzt. Nicht zuletzt wegen ihrer Unabgeschlossenheit ist die wechselvolle Geschichte der Gleichberechtigung von Frauen unerhört aktuell.“38

Sie reicht in ihren Wurzeln, dem feministischen Bewusstsein und dem damit verbundenen weitreichenden Emanzipationsstreben, aber tatsächlich sehr weit zurück. Wichtige Prozesse feministischer Erkenntnis wurden durch die historische Erfahrung von Frauen eingeleitet, die von der Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis der Frauen als Kultur schaffende Menschen und ihrer notorischen Ausblendung aus den Kultur repräsentierenden Systemen geprägt war. Lerner spricht von einer Dialektik der Frauengeschichte und vertritt die Auffassung, dass der „Widerspruch zwischen der zentralen Bedeutung und aktiven Rolle der Frauen bei der Herausbildung von Gesellschaft einerseits und ihrer Marginalisierung in dem bedeutungsverleihenden Prozess der Interpretation und Erklärung dieser Entwicklung andererseits“ „schließlich als eine dynamische Kraft“ wirkte, „die Frauen veranlasste, sich gegen ihre Lebensumstände aufzulehnen“.39

Der lange Weg zur Solidarisierung

Dass allerdings die paternalistische Dominanz strukturell vor allem innerhalb der Familie zum Ausdruck kam, machte den Frauen „das Entwickeln von weiblicher Solidarität und Gruppenzusammenhalt extrem schwer“.40 Ohne „kollektive Unterstützung“ und – wie Lerner betont – „ohne eine genaue Kenntnis der Frauengeschichte“ erleben Frauen „den uneingeschränkten und verheerenden Druck der kulturellen Prägung durch die sexistische Ideologie“, „wie sie in Religion, Recht und Mythen zum Ausdruck kommt“.41

Die Art, „in der Frauen in patriarchale Institutionen eingefügt worden sind“, die lange „Geschichte ihrer Benachteiligung in Erziehung und Bildung“ und die ökonomische „Abhängigkeit von Männern“ haben Frauen viele Hindernisse bereitet, ehe der Prozess feministischer Bewusstwerdung möglich werden konnte.42 Die Geschichte des Kampfes der Frauen um Bürger- und Menschenrechte ist wahrlich keine Erfolgsgeschichte, vielmehr Ausdruck eines verheerenden Musters unermüdlicher Kämpfe, tief greifender Enttäuschung, notorischer Anfechtung und maßloser Verwerfung. Es gab Brüche, Rückfälle und Diskontinuitäten. Einige Aspekte dieses beschwerlichen Wegs möchte ich kurz herausarbeiten.

Kleine Historie des Kampfes der Frauen um Bürgerrechte

Folgt man den Forschungen von Lerner zur Entstehung des Patriarchats, so war bereits im dritten Jahrtausend v. Chr. eine männlich-hierarchische Herrschaftsordnung etabliert, die mit einer Abwertung der Frauen und der mit Weiblichkeit identifizierten Lebenssphären verbunden war. Die Frauen waren aus ihrer ursprünglichen Funktion als Vermittlerinnen zum Göttlichen verdrängt worden. Die griechischen Philosophen legten dann die Rolle der Frau als ‚minderwertiger‘ Mann fest und im hebräischen Monotheismus wurde das männliche Prinzip des Göttlichen endgültig institutionalisiert. Damit waren die wesentlichen Voraussetzungen für Strukturen, Wahrnehmungsweisen und Begriffe des Androdespotismus43 der abendländischen Kultur geschaffen. Ein Bewusstsein der Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit in den Geschlechterverhältnissen hatten Frauen bereits in der Antike und zumindest von der Epikureerin Leontion (ca. 300–250 v. Chr.) wissen wir, dass gegen die Verunglimpfung und Diskriminierung von Frauen schon damals geschrieben wurde und Frauen als eine von Benachteiligung und Stigmatisierung betroffene Gruppe wahrgenommen wurden.44

In der Spätantike kam es dann zu einer beeindruckenden Wiederaneignung der religiösen Welt durch Frauen. Eine neu entstehende Klosterkultur eröffnete den Frauen Alternativen zum Eheleben und den Zugang zu Bildungsressourcen. Daraus resultierte eine erste ganz Europa ergreifende Aufbruchbewegung: Frauen gründeten eigene Klöster, zogen als Wanderpredigerinnen durch Europa oder wurden auf den großen Beginenhöfen ansässig, die sich sogar als autarke ökonomische Betriebe zu behaupten wussten. In diesen von Frauen dominierten Lebensformen setzten sich die Frauen über die von ihnen verinnerlichten Gefühle der Minderwertigkeit hinweg. Im religiösen Feld bewiesen sie sich selbst und einander, dass „sie vor Gott dem Manne als Geschöpf gleichgestellt sind, dass sie ohne Vermittlung und Zutun von Männern mit Gott kommunizieren und das Göttliche auf eine eigene Weise begreifen“45 konnten.

Von der Geschichtsschreibung sträflich vernachlässigt, ist diese Frauenbewegung doch so bedeutsam, dass eine eigene Epochenbezeichnung angemessen erscheint. Ich habe dafür den Begriff Matristik eingeführt.46 Anders als die Patristik erstreckt sich die Matristik von der Spätantike bis zum Spätmittelalter und betrifft einen wichtigen Prozess der Herausbildung feministischen Bewusstseins. Es gab eine Fülle christlich inspirierter Frauen, meist Mystikerinnen, die sich in bemerkenswerten Schriften immer wieder selbst zur Mündigkeit und Mitsprache autorisierten und den Gedanken der Gleichheit aufwarfen, wenn auch häufig im Gewand von Visionen und Eingebungen. So wissen wir z.B., dass Makrina die Jüngere (ca. 327–380), Schwester des Bischofs Gregor von Nyssa (335–394), bereits in der Spätantike eine der frühesten autonomen Frauengemeinschaften gründete. Wir kennen Roswitha von Gandersheim (ca. 932– 1000), die letzte berühmte Mystikerin des frühen Mittelalters und zugleich erste uns bekannte deutsche Intellektuelle, Hildegard von Bingen (1098–1179), die Begründerin der deutschen Mystik, die sich der männlichen Bevormundung entzog, unabhängige Klostergründungen legitimierte und ein monumentales theoretisches sowie künstlerisches Werk hinterließ, und in ganz Europa gab es vergleichbare weibliche Persönlichkeiten: die Niederländerin Beatrijs von Nazareth (ca. 1200–1268), Hadewijch von Antwerpen (1. Hälfte 13. Jh.), Marguerite Porète (ca. 1255–1310), Birgitta von Schweden (1302–1373) oder Juliana von Norwich (ca. 1342–1413 od. 1420) – um nur ein paar zu benennen.

Im Spätmittelalter protestierte dann Christine de Pizan (1365–1430), die erste europäische Berufsschriftstellerin, in ihren Büchern Livre de la Cité des Dames (1405) und Livre du Trésor de la Cité des Dames oder Livre des Trois Vertus (1405) offen gegen das negative Frauenbild ihrer Zeit und rief die Frauen dazu auf, sich der Zuschreibung von Minderwertigkeit zu widersetzen und die Vernunft einzusetzen, um die Argumente der Gegner zu widerlegen.

Es gehört zu den Diskontinuitäten in der Geschichte des feministischen Bewusstseins, dass die durch die Matristik angestifteten gynozentrischen Lebensformen, dass die feministische Bibelkritik, dass Christine de Pizans und andere Vorstöße zur selbst bestimmten Frauenkultur keine langfristigen Traditionen schaffen konnten. In die Entwicklung vom Mittelalter zu Renaissance und Neuzeit fällt vielmehr die Wiederkehr eines eklatanten Sexismus, in dem sich antike Misogynien mit dem christlichen Frauenhass mischten. Die Ehegesetze wurden verschärft, Bildungs- und Berufsmöglichkeiten für Frauen beschränkt, Klöster geschlossen. Mit der Hexenverfolgung nahm das Zeitalter der Matristik ein grausames Ende und es dauerte Generationen, ehe sich feministisches Bewusstsein erneut entfalten konnte.

Die wichtigsten Initiativen bezogen sich nun darauf, den männlich dominierten Bildungsraum zu erobern, ein Kriegspfad, der sich über Jahrhunderte erstreckte, denn erst im 20. Jahrhundert erhielten Frauen Zutritt zu den altehrwürdigen Universitäten Europas. In den kulturellen Zentren kam zwar ein Frauentypus auf, der durch familiäre Bildungsförderung einen hohen Rang einnehmen konnte, insbesondere durch literarische und künstlerische Karrieren, mit der Eheschließung mussten solche Ambitionen jedoch wieder aufgegeben werden.

Das neuzeitliche Denken implizierte zwar in der Theorie die Freiheit und Gleichheit aller Menschen, in der Praxis betraf dieses aber einen Menschen, der weder adelig noch bäuerlich und schon gar keine Frau sein durfte. Marie le Jars de Gournay (1565–1645), eine intellektuelle Adoptivtochter Montaignes, ging dieser ungleichen Gleichheit nach. Ihre Schriften Egalité des Hommes et des Femmes (1622) und Grief des Dames (1626) gelten als frühe Form der von Frauen angestrebten Aufklärung, die lange vor der Aufklärung der männlichen Elite bestand und gegen Zwangsehen, Entrechtung und paternalistisches Denken kämpfte.

Initiativen im Bildungswesen entwickelten dann vor allem englische Denkerinnen des 17. und 18. Jahrhunderts. Mary Astells (1666–1731) Buch A Serious Proposal to the Ladies, for the Advancement of their true and greatest Interest (1694) gilt als Meilenstein feministischer Bildungstheorie. Die berühmte Historikerin Catherine Sawbridge Macauley (1731–1791) vertrat in ihren Letters on Education (1790) sogar den revolutionären Gedanken der Koedukation – eine Antwort auf den im 17. Jahrhundert entbrannten Gelehrtenstreit über die Frauenbildung, in dem Poullain de la Barre (1647–1725) mit seinem Traktat De l’Égalité des deux sexes, discours physique et moral où l’on voit l’importance de se défaire des préjugés (1673) Partei für die Frauen ergriff.

Dass Frauen sich nicht mehr aus den kulturellen Diskursen ausschließen ließen, belegt das Aufkommen der Salonkultur als einer besonderen Domäne der gelehrten und literarisch ambitionierten Frauen. Im 16., verstärkt dann im 17. und 18. Jahrhundert schufen Frauen der städtischen Oberschicht einflussreiche Zentren, initiierten erneut Freiräume für ihre persönliche Entfaltung und Mitsprache. Ähnlich wie in der Matristik die Mystikerinnen standen nun die Salonièren an der Spitze eines kulturellen Universums mit kosmopolitischen Verflechtungen in ganz Europa.47

Doch auch wenn das kulturelle Leben der Neuzeit durch die Salons geprägt war und es Frauen gab, die sich durch Literatur, Kunst und Wissenschaft autorisierten, waren solche Existenzen stets an Ausnahmebedingungen geknüpft. Es gab kaum Aussicht auf Änderung, denn gerade auf dem Boden der neu etablierten Humanwissenschaften wurden die Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit immer rigider gefasst. Die theologische Argumentation für die Unterordnung der Frau wurde um wissenschaftliche Erkenntnisse, z.B. über die weibliche Sexualität, ergänzt. Forderungen nach Entlassung der Frauen aus der häuslichen Vormundschaft, wie sie der Jurist Theodor von Hippel (1741–1796) in seinem Traktat Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792) und in dem Buch Über die Ehe (1774 ff.) formulierte, waren ohne Auswirkung.48

Mit der französischen Revolution veränderte sich allerdings die Lage der Frau schlagartig, wenn auch nur vorübergehend. Eine ganze Zivilisation wurde bis in ihre häuslichen Fundamente erschüttert; nicht nur die ständische, auch die Geschlechterordnung geriet aus den Fugen. Die an sich uralte Frauenfrage entwickelte eine neue Dynamik, weil sie erstmals auch die Rolle der Frau im staatlichen Gemeinwesen betraf. Weder die europäische Aufklärung noch die Amerikanische Revolution waren ein Anlass gewesen, die Frauenfrage „in dieser Weise zu politisieren und damit offenzulegen, dass es um mehr als nur eine Frage der Sitten geht“49 . Freilich gab es die beiden Seiten der Revolution, „die Kühnheit der Entwürfe“ ebenso wie „das historische Zurückweichung vor deren Realisierung“:

„Die Revolution hat eine Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen im politischen Gemeinwesen verweigert, so als sei sie im nachhinein darüber erschrocken, diesen Punkt überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt zu haben. Aber dass es die Revolution selbst war, die dieses Thema überhaupt erst auf die Tagesordnung gesetzt hat, sollte darüber nicht in Vergessenheit geraten.“50

In den wenigen Jahren des revolutionären Kampfes konnten tatsächlich zunächst enorme Veränderungen, ja geradezu radikal neue Verhältnisse erreicht werden:

„Die Déclaration von 1789 gestand jedem Individuum das unantastbare Recht auf ‚Freiheit, Eigentum, Widerstand gegen Unterdrückung’ zu. Folglich konnte nun jede Frau, ebenso wie jeder Mann, ihre Meinung frei äußern und ihre Entscheidungen frei treffen; die Unversehrtheit ihrer Person und ihrer Habe wurde garantiert. Töchter durften bei der Erbteilung nicht länger benachteiligt werden. … Die Verfassung vom September 1791 legte in identischer Form für Frauen und Männer die bürgerliche Volljährigkeit fest. Darüber hinaus wurde Frauen die erforderliche Vernunft und Unabhängigkeit zuerkannt, um standesamtliche Handlungen zu bezeugen und aus freien Stücken vertragliche Pflichten zu übernehmen (1792). Sie hatten Anrecht auf die Zuteilung gemeinschaftlichen Besitzes (1793). Im ersten Entwurf des Code civil … erfreuten sich Mütter derselben Privilegien wie Väter bei der Ausübung der elterlichen Autorität.“51

Insbesondere die Gesetze vom September 1792 über den bürgerlichen Status und die Scheidung „führten die Gleichheit beider Ehepartner ein und schufen zwischen ihnen eine strikte Symmetrie, sowohl vor dem Gesetz als auch im Wortlaut der Verfahren“52 . Kurzum: Die Französinnen, die vor allem zwischen 1789 und 1795 das revolutionäre Geschehen entscheidend beeinflussten, erlangten zum ersten Mal den vollen Status einer Rechtsperson, „d.h. sie wurden als freie und vernünftige Individuen angesehen, die imstande waren, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen“53 .

Das bedeutete aber nicht, dass sie mit den bürgerlichen Freiheiten auch bereits staatsbürgerliche, d.h. politische Rechte mit erworben hatten. Dass sich viele Frauen aber so verhielten, als ob das der Fall wäre, z.B. in öffentlichen Versammlungen lautstark und spektakulär ihre Stimme erhoben, führte noch während der Revolution zu heftigen Abwehrreaktionen und zur Wiederbelebung des sexistischen Status quo. Die Revolutionärinnen konnten sich zwar den Männern kameradschaftlich annähern, doch obwohl sie sogar in eigenen Amazonenheeren kämpften, wurde ihnen keine Gleichstellung eingeräumt. Olympe de Gouges (1748–1793), die erkannte, dass die Revolution und die Menschenrechte nur Männern galten, verfasste 1791 die Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne. 1793 wurde sie hingerichtet. 1795 wurde Frauen die Teilnahme an politischen Versammlungen verboten.

Dass sich im Zuge der revolutionären Veränderungen das feministische Bewusstsein nicht mehr nur auf Bildungs- und Berufschancen bezog, sondern zunehmend die zivilrechtliche Gleichstellung der Frauen forderte, ist auch bei Mary Wollstonecraft (1759–1797) belegt, die 1786 ihr erstes Buch Thoughts on the Education of Daughters veröffentlichte, aber schon 1790 mit ihrer Vindication of the Rights of Men die französische Revolution verteidigte und 1792 ihre Vindication of the Rights of Women publizierte. Während Wollstonecraft und viele andere Frauen, zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa Harriet Taylor Mill (1807–1858), mit der Feder kämpften, bestätigte sich für jene Frauen, die in den politischen Widerstand gegangen waren, eine niederschmetternde Einsicht. Zwar wurden sie als ‚Kämpferinnen auf den Barrikaden‘ ebenso wie die männlichen Revolutionäre verfolgt, ihre eigenen Eingaben stießen jedoch auf Gleichgültigkeit oder gar Widerstand. Die Enttäuschung über die schier unüberwindlichen Hindernisse beim Kampf um Minimalforderungen führte dann zu jenem Feminismus, den wir als politische Bewegung kennen. Es kam nun zu einer umfassenden Solidarisierung der Frauen und zur Herausbildung eigener sozialer Praxen der Selbst- und Weltbemächtigung. In Keimzellen, die sich bald zu Netzwerken zusammenschlossen, entstand ein Band der Schwesternschaft, das feministische Wir.

Interkulturell differieren die aus dem feministischen Wir resultierenden Bündnisstrategien sowohl zeitlich als auch inhaltlich erheblich, z.B. in Amerika und Europa, doch auch aufgrund intrakultureller Unterschiede entwickelte sich die Frauenbewegung keineswegs einheitlich, sondern gespalten in mehrere radikale und bürgerliche Lager. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts gab es solidarisch zusammengeschlossene Arbeiterinnen, die sich für die Rechte erwerbstätiger Frauen, z.B. den Mutterschutz, einsetzten. Die französische Frühsozialistin Flora Tristan (1803–1844) forderte die gesetzliche Gleichheit von Mann und Frau. Zentrale Figur der sozialistischen Frauenbewegung war später Clara Zetkin (1857–1933). Die bürgerliche Frauenbewegung wertete traditionelle ‚weibliche‘ Qualitäten auf und trat für eine bessere Frauenbildung ein, so z.B. Helene Lange (1848–1930). Die Frauenbewegungen kamen auf politischer Ebene nicht zusammen, waren aber seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr aus dem kulturellen Leben wegzudenken, als in ganz Europa Frauenvereine und eigene Publikationsorgane entstanden – eine Entwicklung, der nicht nur mit Spott und Argwohn, sondern auch mit Sanktionen begegnet wurde:

„Wie ernst die Staatsgewalten im Deutschen Bund die politische Einmischung der Frauen durch Presse und Vereine genommen hatten, wird daran deutlich, dass Repression und reaktionäre Gesetze nach dem Scheitern der 1848er Revolution noch stärker gegen die politischen Aktivitäten von Frauen gerichtet waren als gegen die der Arbeitervereine.“ 54

Die Pressefreiheit wurde für Frauen neu geregelt: Ein in Sachsen 1851 verabschiedetes Pressegesetz, das Frauen aus Führungspositionen verbannte, zielte direkt auf Louise Otto (1819–1895), die ‚Mutter‘ der deutschen Frauenbewegung und Herausgeberin der „Frauen-Zeitung“. Die Repression durch die Vereinsgesetze nach 1850, insbesondere durch den Paragraphen acht, der „Frauenspersonen“ die Mitgliedschaft in Vereinen mit politischer Zielsetzung verbot, traf die gerade durch das Vereinswesen solidarisch verbundene Frauenbewegung besonders hart. Die Bemühungen mussten unter Topoi wie Bildung, Soziales oder Frauenerwerbstätigkeit getarnt werden. Erst im Jahr 1908 wurde der Paragraph acht aufgehoben, der sogar festlegte, dass „Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge“ „den Versammlungen und Sitzungen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen“ dürfen und „Grund zur Auflösung der Versammlung oder Sitzung vorhanden“ ist, wenn „dieselben auf Aufforderung des anwesenden Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt“ werden (Preußisches Vereinsgesetz vom 11. März 1850). Den Frauen blieb als einziges öffentliches Recht das Petitionsrecht, von dem sie reichlich Gebrauch machten, um das Anliegen der Emanzipation weiterhin in der politischen Öffentlichkeit zu platzieren.

In den Kernländern der feministischen Bewegung in Europa – England, Frankreich und Deutschland – rangierte das Wahlrecht an oberster Stelle der Forderungen. Als „direkte Folge des wachsenden feministischen Bewusstseins“ und des teils „militanten Auftretens von Frauenorganisationen“, z.B. der englischen Suffragetten, konnten allmählich Erfolge erzielt werden.55 Nun, die Einführung des Frauenwahlrechts lässt sich gut beziffern: 1906 Finnland, 1913 Norwegen, 1915 Dänemark und Island, 1917 Russland, 1918 Deutschland, Irland, Rumänien und Ungarn, 1919 Niederlande, Österreich, Polen und Tschechoslowakei, 1921 Schweden, 1928 Großbritannien, 1931 Spanien; wenn man bedenkt, dass die Türkei 1934 und Indien 1935 das Frauenwahlrecht einführten, schrumpft allerdings die Erfolgsbilanz für den Rest Europas: Frankreich folgte 1944, Belgien 1948, Griechenland 1952, die Schweiz 1971 (in einigen Kantonen erst 1990), Portugal 1974 und Liechtenstein 1984.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als man peu à peu anfing, die Universitäten für Frauen zu öffnen, war auf allen Ebenen des feministischen Kampfes noch viel Unerreichtes zu beklagen und mit vielen Anfechtungen zu leben. Allerdings hatte das feministische Bewusstsein sich aus seiner Isolation herausgearbeitet, eine Solidargemeinschaft hervorgebracht und in den Frauenbewegungen zu einer Kontinuität gefunden. Während die Genealogie feministischen Ausdrucks durch Klassiker in Wissenschaft, Literatur und Kunst erweitert wurde, blieb im privaten Feld die cura maritalis ein wichtiges Instrument zur Entmündigung von Frauen.

In der deutschen Politik setzten sich die vier Mütter des Grundgesetzes, Helene Wessel, Helene Weber, Friederike Nadig und insbesondere Elisabeth Selbert (1896–1986) gegen ungeheure Widerstände durch, um in Artikel drei die Gleichheit der Geschlechter festzuschreiben. Dieser allein brachte aber noch keine durchgreifende Veränderung. Erst nach und nach wurden einzelne Gesetze abgeschafft, die z.B. die Vormundschaft des Mannes über die Frau regelten. Dass es noch viel zu verändern gab, zeigte dann die in den westlichen Ländern aus der Studentenbewegung hervorgegangene zweite Welle der politischen Frauenbewegungen. Die weibliche Gegenkultur der 1970er Jahre hat das soziale Leben nachhaltig verändert. Feministinnen prägten die Friedensbewegung, waren an der ökologischen Wende beteiligt und befassten sich immer noch mit der Änderung von Gesetzen. Große Protestaktionen gab es zuletzt rund um den Paragraphen 218. Im Jahr 1997 wurde erstmals die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt, „eine weitere rechtspolitische Etappe in dem Bemühen, die Menschenwürde von Frauen zu behaupten“56 . In der Arbeitswelt, z.B. hinsichtlich gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit oder der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind immer noch erhebliche Anstrengungen notwendig, um die Gleichstellung der Geschlechter auch in der Rechtswirklichkeit durchzusetzen.57

Das Streben der Frauen nach Emanzipation und Unabhängigkeit von männlicher Überfremdung hat also bis heute viele Schauplätze. Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist notwendig, aber keineswegs hinreichend für eine Humanisierung der Geschlechterverhältnisse. Bei allem, was im Kampf der Frauen um Bürgerrechte erreicht werden konnte, ist festzuhalten, dass weder in den sozialistischen noch in den kapitalistischen Ländern der misogyne Sexismus wirklich abgeschafft wurde. Eine kritische Kompetenz gegenüber den weltweit wirksamen Geschlechter-Ideologien ist unabdingbar, um das hier so mühsam Erreichte zu schützen und voranzutreiben. Eine zentrale These Lerners lautet: „Frauenemanzipation ist ohne genaue Kenntnis der Frauengeschichte nicht möglich.“58 Die Geschichte der Frauen ist heute überliefert und die Geschichte des Feminismus als Emanzipationsstreben und als Frauenrechtsbewegung ist wesentlicher Bestandteil der Kultur- und Ideengeschichte der Menschheit. In ihrem Verlauf ist es gelungen, eine moralische Qualität in den Geschlechterverhältnissen zu konstituieren. Sie sollte im kollektiven Gedächtnis eine entsprechende Wertschätzung erhalten und uns mahnen, nicht nachzulassen in den Bemühungen um eine globale Humanisierung der Geschlechterverhältnisse.

Der mündige Mensch

Подняться наверх