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6 Verblendung im Urteilen
ОглавлениеEine besondere Gefährdung, nicht zu sehen, liegt bei Entscheidungsträgern vor. Ihr Reden und Handeln betrifft viele, und dementsprechend spielen verschiedene Interessen mit hinein (s. auch oben Num 16, bei 3). Explizit warnen zwei Stellen vor der Annahme von Geschenken zur Bestechung bei Gerichtsprozessen. „Bestechungsgeschenk sollst du nicht nehmen, denn es macht Sehende blind und verkehrt die (Rechts-) Fälle von Gerechten!“, heißt es im „Bundesbuch“ in Ex 23,8. Die parallele Anweisung in Dtn 16,19 verschärft die Folgen noch mit der Aussage: „(…), denn das Bestechungsgeschenk macht blind die Augen von Weisen.“ Bis heute sind solche Einflussnahmen und Korruptionsanfälligkeit Quelle von bewusst intendierter „Blindheit“ bzw. von Nicht-sehen-Wollen – und damit von richterlichen Fehlurteilen und massivem Unrecht. Eine andere Form von Verblendung, mit ebenso gefährlichen Auswirkungen, lässt sich bei hohen Verantwortlichen als arrogante Selbstüberhebung oder krasse Fehleinschätzung beobachten. Aus vielen Fällen seien folgende drei Beispiele genannt: König Rehabeam, in völliger Verkennung der Lage und Stimmung beim Volk, folgt dem Rat der Jungen nach hartem Vorgehen und bewirkt so die Spaltung des Reiches (1 Kön 12,1–19). Das Buch Judit zeichnet Nebukadnezzar als machtbesessenen, blutrünstigen, von sich eingenommenen Herrscher (u.a. Jdt 2,5–13), der für sich göttliche Verehrung beansprucht (Jdt 3,8). Der betrunkene König Belschazzar lässt zu seinem Festmahl die Kultgeräte aus dem Jerusalemer Tempel herbeibringen und seine Gäste daraus trinken (Dan 5,1–4). Diese letztgenannten Stellen reden nicht explizit von Blindheit, stellen aber eine verbreitete Form davon dar. Sie ist nicht auf Könige beschränkt, im Gegenteil – kein Mensch ist vor solcher Täuschung sicher. Zudem legen es manche Menschen darauf an, andere mit Lug, Trug, Tricks oder Schmeichelei im übertragenen Sinn „blind“ zu machen und so in die Irre zu führen: siehe dazu die List der Bewohner von Gibeon in Jos 9, Abimelechs Eigenwerbung in Ri 9,2, die Antwort der Daniten an Michas Priester in Ri 18,19, Huschais Rat an Absalom in 2 Sam 17,5–14, als einige unter viele weiteren Fällen. Wie Licht und Dunkel, so durchziehen Sehen und Blindheit in unzähligen Formen menschliches Leben.