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Politische Sozialgeschichte

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Die Sammlung beginnt mit Beiträgen zur politischen Sozialgeschichte des Ersten Weltkrieges, wie sie seit den ausgehenden 1960er Jahren zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung gerückt ist. Am Anfang steht ein Aufsatz des amerikanischen Historikers Gerald D. Feldman aus dem Jahre 2002, der jedoch deutlich auf die Anfänge wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Forschung in den 1960er Jahren zurückweist. Feldmann veröffentlichte 1966 seine Dissertation über die spannungsreichen Kooperationsformen zwischen Armee, Industrie und Arbeiterschaft in der deutschen Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges, die seitdem zu einem Klassiker der Weltkriegsforschung geworden ist.7 Aufbauend auf seinen weiteren Forschungen über die deutsche Inflationsgesellschaft in der Kriegs- und Nachkriegszeit8, zieht Feldman hier gewissermaßen Bilanz: Er arbeitet die wesentlichen Strukturmerkmale der deutschen Kriegswirtschaft heraus und ordnet sie in vergleichend in den internationalen Zusammenhang ein. Der folgende Beitrag ist ein Kapitel aus Jürgen Kockas bahnbrechender Untersuchung über die deutsche „Klassengesellschaft im Krieg“ aus dem Jahre 1973.9 Diese Arbeit war nicht nur in methodisch-konzeptioneller Hinsicht vorbildlich für eine theoriegeleitete Sozialgeschichtsschreibung, sie hat auch inhaltlich die weitere Erforschung der Kriegsgesellschaft in vieler Hinsicht angeleitet. Kocka geht dabei von einem marxistischem Klassenkonzept aus, das er jedoch nicht als Schlüssel zur Wahrheit betrachtet, sondern als ein idealtypisches Modell, an dem die realen, empirisch feststellbaren Entwicklungen der Kriegsgesellschaft gemessen und genauer bestimmt werden können. In den Binnenstrukturen und Gegensätzen der abhängig Beschäftigten auf der einen, der Produktionsmittelbesitzer auf der anderen Seite kann er dabei eine immer deutlichere Ausprägung klassengesellschaftlicher Verhältnisse feststellen, während vor allem die sich verselbständigende Rolle des Staates, aber auch andere Entwicklungen nach Kockas Ergebnissen nicht den Vorgaben des marxistischen Modells entsprachen. Die sozialgeschichtlichen Voraussetzungen der Revolution 1918 lagen demnach nicht einfach in der Zunahmen klassengesellschaftlicher Gegensätze und Konflikte, sondern auch in der um sich greifenden Ablehnung eines Obrigkeitsstaates, der immer weitere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft zu organisieren versuchte, davon jedoch zunehmend überfordert war und wachsende Ablehnung in weiten Teilen der Gesellschaft hervorrief. In diesem Gesamtkontext behandelt das hier abgedruckte Kapitel gesellschaftliche Spannungs- und Konfliktfelder, die mit genuin klassengesellschaftlichen Strukturen nicht deckungsgleich waren und in der weiteren Erforschung der Kriegsgesellschaft eine wichtige Rolle gespielt haben: Stadt und Land, Generationen und Konfessionen, Front und Heimat sowie Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten, wobei vor allem auch der im Krieg nachhaltig verstärkte Antisemitismus herausgearbeitet wird.10

Der dritte Text zur politischen Sozialgeschichte greift mit der Rolle der Frauen und den Geschlechterbeziehungen in der Kriegsgesellschaft ein weiteres Themenfeld jenseits der sozialen Klassenbeziehungen auf. Er stammt von der leider viel zu früh verstorbenen Historikerin Susanne Rouette und ist ursprünglich für einen Lehrtext der FernUniversität in Hagen geschrieben worden, der 1997 auch als Buch veröffentlicht worden ist.11 Während der Erste Weltkrieg mit seiner Mobilisierung der Frauen an der „Heimatfront“ lange als ein wesentlicher Anstoß zur Entwicklung von Frauenerwerbsarbeit und gesellschaftspolitischer Emanzipation gewertet wurde, hat für Deutschland an erster Stelle die Untersuchung von Ute Daniel über „Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft“ ein ganz anderes Bild gezeichnet, in dem vor allem die Zumutungen des kriegführenden Staates und die vielfältigen Widerständigkeiten der (Arbeiter-)Frauen hervortreten.12 Der Beitrag von Rouette stellt die Ergebnisse dieser Forschungen vor, ordnet sie zugleich aber in einem allgemeineren, geschlechtergeschichtlichen und europäisch vergleichenden Kontext ein.

Es folgt als vierter Text in dieser Abteilung ein Beitrag, der die Entstehung und Entwicklung der revolutionären Bewegungen in der deutschen Arbeiterschaft der Jahre 1917–1920 analysiert, die aus den Kriegserfahrungen entstanden sind, im November 1918 die kriegführende Monarchie umgestürzt haben und in der Folgezeit den Versuch unternahmen, die Gesellschaft zu demokratisieren und zu sozialisieren. Zusammen mit Gerald Feldman haben diesen Aufsatz aus dem Jahre 1972 zwei führende Vertreter der Räteforschung in Deutschland verfasst, Eberhard Kolb und Reinhard Rürup. In den grundlegenden Untersuchungen über die Rätebewegung war zuvor insbesondere deutlich geworden, dass die klassische Vorstellung, in der Revolution 1918/19 sei es um die Alternative zwischen parlamentarischer Demokratie und bolschewistischer Diktatur gegangen, angesichts der zuerst sozialdemokratischen, reformorientierten Haltung der großen Mehrheit der Räte nicht mehr haltbar erschien.13 Neben der Verortung der Massenbewegungen in der Kriegsgesellschaft und ihrer Periodisierung im Prozess der Revolution arbeitet dieser Beitrag vor allem auch die für die weitere Forschungsentwicklung grundlegende Vorstellung heraus, dass mit den Räten anfangs eine weitergehende Demokratisierung der Weimarer Republik möglich gewesen wäre, als dies von einer zögerlichen, legalistisch orientierten sozialdemokratischen Revolutionsführung umgesetzt wurde.14

Der Erste Weltkrieg

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