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Auf der "Welt"-Konferenz über Frauen im Top-Management diskutierten vier Karriere-Frauen über Management im Team, Adventskränze im Kindergarten und Teilzeit für Väter. Die "Welt am Sonntag" dokumentiert Auszüge der Diskussion
ОглавлениеDie vier Frauen auf dem Podium haben es geschafft: Sie sind oben angekommen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Und sie sind überzeugt: Unternehmen und Gesellschaft müssen sich ändern, damit sie in den Chefetagen nicht allein unter Männern bleiben.
Kinder gelten für Frauen in Deutschland noch immer als Karriere- Killer Nummer eins. Frau Achleitner, wie ist es Ihnen ergangen? Drohte für Sie als Wissenschaftlerin mit der ersten Schwangerschaft der Karriereknick?
Ann-Kristin Achleitner: Nein - aber das Erstaunen war groß. Mein ältester Sohn ist jetzt zwölf Jahre alt. Als ich damals meinem wirklich netten Dekan erzählte, dass ich schwanger bin, schaute der mich fassungslos an und fragte: Wie, du bist schwanger? Und du bekommst es selber? Na ja, die einzige arbeitende Kollegin, die er kannte, hatte ihre Kinder adoptiert. Mutter und Wissenschaftlerin, das passte nicht in sein Rollenmodell. Zum Glück hatte ich damals schon meinen Lehrstuhl und damit eine gewisse Freiheit, wie ich mich selber organisiere. Das hat alles vereinfacht.
Frau Koch- Mehrin, Sie haben in Ihrer zweiten Schwangerschaft die Flucht nach vorn angetreten und sich mit Babybauch fotografieren lassen. Können Kinder in der Politik sogar ein Karriere- Beschleuniger sein?
Silvana Koch-Mehrin: Ich glaube, nein. In der obersten politischen Ebene fällt mir mit Ursula von der Leyen eine einzige Frau ein, die Kinder hat. Und mit Kristina Schröder eine weitere, die jetzt ein Kind bekommen wird. Als ich nach der Europawahl 2004 zum zweiten Mal schwanger wurde, waren die Reaktionen schon sehr heftig. Entweder hieß es: Du kannst dich doch nicht wählen lassen und dann deinen Job nicht richtig machen. Oder: Wie unverantwortlich von dir, so eine Arbeit kann man seiner Familie nicht antun. Beides fand ich anmaßend und wollte es nicht unbeantwortet lassen. In der Kampagne für die Wahl wurde mein Konterfei in Deutschland über 200 000-Mal plakatiert. Damit war ich eine öffentliche Person geworden. Deshalb habe ich eine öffentliche Antwort gewählt und ein unübersehbares Statement gemacht: eine schwangere Frau, die sich bekennt, Karriere machen zu wollen. Das war meine Antwort.
Frau Favoccia, internationale Großkanzleien sind bekannt für ihre extremen Arbeitszeiten. Können bei Ihnen engagierte Mütter und Väter Karriere machen?
Daniela Favoccia: Ja. Nur ein Beispiel: Wir haben jüngst eine hochschwangere Kollegin eingestellt. Uns war klar, dass sie weiterarbeiten will und dass sie ehrgeizig ist, sonst wäre sie nicht zum Bewerbungsgespräch gekommen. Bei uns gibt es inzwischen verschiedene Teilzeit- und Jahresarbeitszeitmodelle, und zwar ohne Abstriche bei den Karrierechancen. Wir haben auch einige junge männliche Kollegen mit exzellenter Ausbildung, die Teilzeit arbeiten, weil sie ihre Kinder nach der Geburt intensiver erleben wollen. Für die Frauen ist das ein Katalysator. Teilzeit-Modelle sind plötzlich kein Frauen-Thema mehr, sondern ein gesellschaftliches Thema.
Claudia Nemat: Mit der üblichen Macho-Attitüde des Arbeitens, siebenmal 24 Stunden verfügbar, kann man heute kaum noch Top-Talente für sich gewinnen. Auf die sind wir bei McKinsey aber angewiesen. Gleichzeitig müssen wir als Berater zu unseren Klienten reisen. Wer nicht reisen möchte, sollte nicht Unternehmensberater werden. Wir bemühen uns um flexible Modelle. Seit ich mein erstes Kind bekam - da war ich schon Senior-Partnerin - bin ich nie mehr als zwei Nächte pro Woche von zu Hause weg.
Hätten Sie mit dieser Maxime auch den Aufstieg geschafft?
Nemat: Ich bekenne mich insofern schuldig. Ich habe auf dem Weg dorthin sehr hart gearbeitet. Für meinen eigenen Berufsweg weiß ich nicht, wie ich in diese Rolle hätte wachsen sollen, wenn ich zwischendurch pausiert oder Teilzeit gearbeitet hätte. Wir bei McKinsey arbeiten aber genau wie andere Unternehmen daran, noch mehr Frauen den Aufstieg zu ermöglichen.
Frau Achleitner, Sie sind eine der wenigen C4- Professoren in Deutschland mit einer 50- Prozent- Stelle. Wie haben Sie das durchgesetzt?
Achleitner: Wenn man es realistisch sieht, habe ich tatsächlich eine 50- Prozent-Bezahlung, aber deutlich mehr Arbeit. Alle um mich herum finden es klasse, dass ich Teilzeit arbeite. Und es entspricht ja auch dem Rollenmodell, dass ich mich um meine Kinder kümmere. Kaum jemand kommt jedoch auf die Idee, dass es seine Interaktion mit mir beeinflusst. Studenten vor allem, aber auch Kollegen und außenstehende Ansprechpartner haben ihre Anforderungen an mich, auch bezüglich zeitlicher Erreichbarkeit und sofortiger Erledigung von Anfragen, nicht verändert. Teilzeitmodelle können aber nur funktionieren, wenn sie auch vom Umfeld getragen werden - nicht nur ideologisch, sondern ganz praktisch im täglichen Miteinander. Insofern sind die Universität und ich hier in einem Lernprozess.
Frau Koch- Mehrin, kommunizieren Sie, wenn Sie Familienzeiten haben? Oder sind die Kinder in Ihrem Kalender nur "ein Termin"?
Koch-Mehrin: Ich gehe damit sehr offen um. Schließlich wünsche ich mir einen Bewusstseinswandel im Kollegenkreis und in der Öffentlichkeit. Ich habe gerade einen engagierten jungen Praktikanten. Als der mich zum ersten Mal am Nachmittag gehen sah, um die Kinder noch wach zu erleben und das Aktenstudium abends zu Hause zu machen, sagte der doch glatt: Schönen Feierabend! Darauf habe ich geantwortet: Junge, es geht jetzt erst richtig los. Drei Kinder empfinde ich manchmal als anstrengender, als tagsüber mit erwachsenen Menschen zu diskutieren. Meine Kollegen und Mitarbeiter werfen sich zum Beispiel nicht schreiend auf den Boden, wenn sie mit einer Entscheidung von mir nicht einverstanden sind.
Könnten Führung in Teilzeit und Team- Modelle Wege zu mehr Familienzeiten auch in den Top- Etagen sein?
Achleitner: Das ist einer meiner wichtigsten Erfolgsfaktoren. Ich leite neben meinem Lehrstuhl seit acht Jahren ein Forschungscenter an der TU München in einer Zweier-Führung. Mein Co-Head ist übrigens - wahrscheinlich nicht zufällig - Ausländer. Deutsche können sich geteilte Führung bis heute oft überhaupt nicht vorstellen. In den USA dagegen ist dies durchaus üblich. In unserem Fall klappt es perfekt. Es nimmt mir viel Druck, da ich in Notfällen und anderen Situationen auch vertreten bin. Und ich glaube, dass es auch für ihn und seine Familie manchmal hilfreich ist.
Favoccia: Wir haben bei Hengeler Mueller mit Matthias Hentzen und mir ja auch eine Co-Führung. Das funktioniert sehr gut; man kann sich die Arbeit aufteilen.
Nemat: Bei McKinsey bin ich dazu übergegangen, die großen Klienten in einem Team mit mindestens zwei Senior-Partnern zu bedienen. Dazu habe ich mir Partner gesucht, bei denen sich unsere Stärken ergänzen. So ist es eine Bereicherung für die Klienten, für meine Partnerkollegen und für mich selbst. Seit ich Kinder habe, ist dieses Modell für mich erfolgskritisch. Außerdem brauche ich ein dickes Fell - im Job und privat. Im Berufsleben muss ich aushalten, dass ich oft zwischen 18 und 21 Uhr eben nicht erreichbar bin, weil ich dann die Kinder ins Bett bringe. Und im Umfeld der Kinder habe ich es auch mit Vollzeit-Müttern zu tun. Ich kann nicht alle Adventskränze mit basteln und nicht alle Kekse selber backen. Ich bin nie zu 100 Prozent in einer dieser beiden Welten.
Koch-Mehrin: Warum zerbrechen wir uns eigentlich den Kopf darüber, ob wir einen Adventskranz basteln sollten oder nicht? Bei den Männern könnten wir uns vielleicht abgucken, wie man darüber lässig hinweggeht. Und umgekehrt sollten wir Männer, die am Adventskranz interessiert sind, ermutigen: Mach du doch! Wir hatten eine interessante Situation bei den Schwangerschaftskursen. Ich habe es wegen anderer Termine nur zu einem Viertel der Kurse geschafft. Anderswo in der Welt bekommen Frauen ja auch ohne Kurse Kinder. Mein Mann fand das aber wichtig. Also ist er oft allein gegangen. Das fand ich okay. Nur um das klarzustellen: Er ist kein Softie, sondern dreifacher Schwergewichtsmeister im Boxen.
Soziologen zufolge braucht eine Minderheit eine "kritische Masse" von etwa 30 Prozent, bevor sie die Kultur der Mehrheit verändert. Wie erreichen wir diese kritische Masse von Frauen in Führungsgremien?
Koch-Mehrin: Es muss sich für die Unternehmen wirklich lohnen. Nur wenn es messbar finanziell etwas bringt, Frauen zu beteiligen, wird sich etwas bewegen. Zusätzlich kann es durchaus helfen, mit gesetzlichen Maßnahmen zu drohen. Da sollten wir uns nichts vormachen. Die EU-Kommissarin Viviane Reding hat ihre Drohung unmissverständlich klargemacht. Entweder die börsennotierten Firmen in Europa legen innerhalb eines Jahres auf den Tisch, wie sie es erreichen wollen, 30 Prozent weibliche Aufsichtsräte bis 2015 und 40 Prozent bis 2020 zu haben. Oder Frau Reding zieht einen Richtlinienentwurf aus der Schublade.
Mit anderen Worten, wir können hier in Deutschland über die Quote diskutieren so viel wir wollen, sie kommt sowieso.
Koch-Mehrin: So ist es. Frau Reding wird das durchziehen, davon bin ich überzeugt. Für die Aufsichtsräte wird die Quote definitiv kommen.
Achleitner: Wenn wir nur auf Quoten warten, machen wir es uns allerdings etwas zu einfach. Wir brauchen Veränderungen in der Gesellschaft. Eine beruflich engagierte Familie braucht gute Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder. Kindergärten sind wichtig, aber danach hören die Herausforderungen nicht auf - sie werden sogar größer. In öffentlichen Schulen gehen Lehrer oft davon aus, dass die Eltern den Unterricht zu Hause fortsetzen. Ein solches System wirkt dagegen, dass Mütter arbeiten - egal auf welcher Ebene. Professionelle Betreuung aus einer Hand ist schwer zu finden. Einen funktionierenden Markt für Hausaufgabenbetreuung, Hauslehrer oder Ähnliches gibt es nicht. Zudem muss die gesellschaftliche Akzeptanz, dass berufstätige Mütter auf derartige Unterstützung zurückgreifen, steigen - bei Lehrern, Ärzten, anderen Eltern. Sonst werden wir immer nur wenige, leidensfähige Frauen haben, die sich im privaten Bereich von einer Notlösung zur nächsten hangeln.
Nemat: Wir müssen in Deutschland einen Markt für qualifiziertes Hauspersonal entwickeln. So unpopulär das politisch sein mag, ich sehe schon die Schlagzeilen vom "Reichen-Bonus". Wenn wir das nicht lösen, können Mütter keinen Top-Job ausüben und gleichzeitig Frieden in der Familie haben.
Könnte es helfen, die Verantwortung für die Kinder unter Müttern und Vätern besser aufzuteilen?
Nemat: Unbedingt. Frauen sollten auf jeden Fall sehen, dass sie die für ihr Lebensmodell geeigneten Männer bekommen. Wir müssen niemanden aussuchen, der fragt, Schatz, wo sind die Socken, wo ist der Adventskranz, wo ist mein Essen? Wir brauchen mehr Vorbilder - coole Frauen und coole Männer, die wissen, wie man mit einem brüllenden Zweijährigen umgeht und gleichzeitig ein Meeting managt.
Frau Achleitner, wenn Sie zurückblicken auf Ihre eigene Karriere als Wissenschaftlerin: Wie wichtig waren Netzwerke und persönliche Förderer für Sie?
Achleitner: Ich habe mehrfach persönliche Unterstützung erhalten - von einem Mann. Ein wichtiger Mentor war zum Beispiel mein Habilitationsvater in St. Gallen. Er war durch Kontakte in die USA geprägt und hat sich dafür eingesetzt, dass in meinem Fall dort das erste Mal eine Frau zu einer Habilitation ermuntert wurde. Das war damals gar nicht so selbstverständlich, wie es sich heute anhört - im Nachbarkanton Appenzell hatten zu diesem Zeitpunkt die Frauen noch kein Wahlrecht.
Wie sah es bei Ihnen aus, Frau Favoccia: Gab es spezielle Führungs- Trainings?
Favoccia: Als Associate bei Hengeler Mueller hatte ich viele unterschiedliche Trainer und Vorbilder. Unsere jungen Anwälte arbeiten mit jeweils zwei Partnern. Nach ungefähr einem Jahr wechseln die Anbindungen. Da sieht man viele unterschiedliche Wege, ein Problem zu lösen. Der eine Partner macht die Dinge so, der andere anders. Beide haben Erfolg. Das hilft, den eigenen Weg zu finden, und es hat mir gezeigt: Erfolgreich ist, wer authentisch ist.
Meine Damen, wenn jede von Ihnen einen Wunsch frei hätte, was müsste sich ändern, um tatsächlich mehr Frauen in Top- Jobs zu bekommen?
Achleitner: Ich wünsche mir, dass wir das Thema Familie und Beruf insgesamt toleranter sehen. Wir müssen andere Entwürfe gelten lassen und aufhören, andauernd wertend übereinander herzufallen.
Nemat: Mein Wunsch heißt: Entspannt euch. Seht die Erwartungshaltung anderer und deren Vorurteile gelassener.
Koch-Mehrin: Für die Politik wünsche ich mir norwegische Verhältnisse in Deutschland. Dort sind derzeit zwei Kabinettsmitglieder in Elternurlaub. Das sind der Justizminister und der Minister für Gleichstellung: beides Männer, die mehrere Monate Elternzeit nehmen. Wir brauchen auch hier Väter in Top-Positionen, die sichtbar in der Verantwortung für ihre Familie stehen.
Favoccia: Ich wünsche mir, dass die Diskussion, die wir derzeit führen, kein Strohfeuer ist. Das Thema Frauen in Führung darf in einem Jahr nicht von der Bildfläche verschwunden sein. Ich wünsche mir außerdem, dass alle Frauen, die Karriere machen wollen, auch Karriere machen können, unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Und drittens sollten Männer, die Teilzeit arbeiten möchten, nicht belächelt, sondern anerkannt und respektiert werden.
Das Gespräch führte Inga Michler, erschienen am 27. März 2011