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Mein Vaterhaus

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In dem auf der nächsten Seite skizzierten2, im Jahr 1830 erbauten Chaussee-Einnehmer-Hause in Chemnitz an der Dresdner Straße bin ich und sind alle meine übrigen jüngeren Geschwister geboren, nur meine ältere Schwester ist in der Bretgasse, wo meine Eltern vorher wohnten, zur Welt gekommen.

Das Haus stand am äußersten Ende der Stadt, jedoch innerhalb der Zaun-Umfassung. Es bestand nur aus dem Erdgeschoss und vorn in einem Erker am Dach. Rechts und links war eine Wohnstube, mit je 2 Fenstern nach vorne und einem Fenster an der Giebelseite. An jeder Stube eine Kammer, die linke mit einem, die rechte mit zwei Fenstern. Der Hausflur führte hinten rechts zur Küche, links in den Keller und zur steinernen Treppe. Der Dachraum enthielt eine Erkerstube, an deren beiden Seiten Kammern.

Von der hinteren Flurtür führten 6 Stufen in den Hof, in dem man auf einem gepflasterten Wege rechts nach den Aborten gelangte. Neben diesen waren Holzställe und ein Lattenschuppen, zwischen hier und dem Hause war ein Grasplatz.

Der Hof war von dem Garten durch einen Lattenzaun abgesperrt. Zum Abschluss des Hofraumes von der Straße befand sich vom Haus an nach rechts eine Bretterwand mit Tür. Im Übrigen war die ganze Fläche, den Garten eingeschlossen, mit einem Stangenzaun umgeben.

Links hinter dem Haus im Garten stand eine Pumpe, die erst später auf den Antrag meines Vaters gegraben worden war. Sie enthielt jedoch meist durch zerquetschte Würmer, Frösche, Eidechsen und solches Getier verunreinigtes Wasser. Der Bedarf an reinem Wasser musste immer noch auf einem, im Winter beschwerlichen, Weg aus der städtischen Quetsche, außerhalb des Grundstücks an der Waisenstraße, gedeckt werden.

Der Garten war hinten und seitwärts vom großen Gras und Bleichplatz in Gemüse- und Erdbeerbeete mit Rabatten eingeteilt. Die Rabatten waren mit Buchsbaum eingefasst und mit Blumen, Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern bepflanzt. Apfel-, Birnen-, Pflaumen-, Kirschenbäume standen hier und da, Himbeersträucher am Zaun.

Die Anhöhe unserer Wohnung gegenüber hieß der Sonnenberg, weil die dortigen Grundstücke dem Besitzer des Gasthofs zur Sonne gehörten. Zur Höhe hinauf zog sich der die Stadt umschließende Stangenzaun.

Neben dem großen, quer über der Straße stehenden, dem Wagenverkehr bestimmten Tor, das mit dem Stadtzaun verbunden war, befand sich eine kleine Pforte für die Fußgänger.

Tor und Pforte wurden für die Nacht verschlossen. Von ihnen ging ein Klingelzug nach dem Chausseehause, in dem sich des Nachts ein besonderer Wächter aufhielt, der auf das Klingelzeichen aufzuschließen und die Wagen oder Reisenden einzulassen hatte.

Zu jedem Chausseehaus gehörten Güterbeschauer mit der Verpflichtung, die eingehenden Wagen auf steuerbares Gut zu untersuchen.

Im Jahre 1833 oder 1834 wurden diese Tore beseitigt und dafür Schlagbäume, genannt Barrieren, errichtet. Von dieser Zeit an fiel auch der Zaun um die Stadt.

Der Schlagbaum bestand aus einem langen, grün und weiß angestrichenen Baumstamm, an dem hinten über den Straßengraben am dicken Ende ein mit großen Steinen beschwerter Kasten befestigt war, dessen Gewicht den Baum hinten niederzog. Der Baum ruhte mit dem hinteren Teile in einem Kloben auf einer Säule und bewegte sich an einem starken eisernen Bolzen.

Von der Spitze hing eine Kette herab, die vor dem Hause in einem Seile endigte. Seil und Kette liefen durch eine Säule über eine hölzerne Rolle in das Wohnzimmer des Chausseehauses hinein. Hier stand unter dem Fenster ein Kasten mit einer Welle, um die die Kette mittels eines Drehlings gezogen wurde. Die Säule vor dem Haus endigte oben in einer Gabel, in die sich der zugezogene Schlagbaum mit seiner Spitze hineinlegte.

Abends, gleichzeitig mit Zuziehung des Schlagbaumes, wurde eine große Laterne vor dem Expeditionsfenster, mit einer Rüböllampe versehen, aufgehängt. Sie erleuchtete die Straße.

Die Geschirrführer und Viehtreiber hatten mit der Peitsche zu knallen oder an das Fenster zu klopfen, worauf von innen durch ein kleines Fenster nötigenfalls mittels Klingelbeutels das Chausseegeld erhoben und der Schlagbaum geöffnet wurde. Die Postillone hatten durch Signalblasen Einlass zu begehren.

Das Rasseln der Kette beim Auf- und Zuziehen des Schlagbaums hörte man durch das ganze Haus. Nicht wenig Fußgänger sind trotz der leuchtenden Laterne mit dem Kopf an den geschlossenen Schlagbaum angerannt, besonders bei trübem Wetter. Ein lautes Schimpfwort besänftigte dann den gehabten Schreck.

In allen Chausseehäusern, wie auch in dem meines Vaters, hatte stets die Einrichtung bestanden, dass an die Fuhrleute auf Verlangen ein Gläschen Schnaps verkauft wurde. Dieser kleine Handel wurde nicht als Schankbetrieb aufgefasst und musste auf Anordnung der Behörde eingestellt werden.

Ungefähr im Jahr 1845 wurde von einer Aktiengesellschaft mit dem Bau der Chemnitz-Risener-Eisenbahn begonnen, mit einem Eifer, der Großes ahnen ließ. Die Anhöhe dem Chausseehause gegenüber wurde abgetragen und die Erde von langen Reihen Arbeitern auf Karren zum Bahndamm gefahren, der 150 bis 200 Schritt links von der Dresdner Straße angelegt war. Aufseher schlugen mit Knütteln auf die Arbeiter, wenn sie die Karren nicht hoch genug beladen hatten oder mit den Karren von der Fahrbahn abglitten.

Die Freude währte nicht lange. Die Gesellschaft musste wegen Geldmangels den Bahnbau einstellen, der angefangene Damm blieb mehrere Jahre ruhig liegen. Das fiskalische Grundstück, worauf das Chausseehaus stand, war bis hierher noch unversehrt geblieben. Endlich anfangs der 1850er Jahre unternahm die Staatskasse den Weiterbau.

Die Bahnanlage ging quer durch unseren Garten, ein neues Chausseehaus wurde an der Dresdner Straße, eine halbe Stunde weiter hinaus, gebaut, und im Jahre 1853 mit einem neuen Einnehmer besetzt. Das alte verwendete man noch einige Jahre als Signalstation für den Bahnbau, dann wurde es weggerissen. Auf der anderen Seite baute man nach mehreren Jahren die Eisenbahn nach Zwickau.

Mein Vater wurde nach Wilsdruff als Steuereinnehmer versetzt, im Jahre 1853. Für die in den Garten gekauften Obstbäume und Beerensträucher erhielt er eine Entschädigung in barem Gelde.

Das war nun 22 Jahre hindurch unsere Heimat gewesen, in der wir 9 Geschwister unsere Jugend verlebten, fröhlich und traurig waren, von der wir meinten, dass es nie anders werden könnte. Wir mussten sie verlassen, sie wurde dem Erdboden gleich gemacht.

Hier hatten wir in Hof und Garten uns ausgetobt, in der Gartenlaube wir drei Brüder Karl, Oskar und ich des Abends dreistimmige Lieder gesungen, die wir in der Schule oder als Kirchensänger in Kirchenmusiken oder am Klavier gelernt hatten, hier hatten wir gespielt und geturnt.

Unsere Familie wurde nach dem Fortzug der Eltern getrennt. Die Brüder blieben in Chemnitz bei ihrem Berufe, die Schwestern gingen zunächst mit den Eltern, suchten sich aber teilweise später auch ihre eigene Existenz. Chausseehäuser sieht man jetzt nicht mehr, sie gehören der Vergangenheit an.

Familien-Erinnerungen von Gustav Scharschmidt

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