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bb) Subjektiver Tatbestand

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20(1) Einführung in die Problemstellung: In subjektiver Hinsicht setzt § 212 StGB vorsätzliches Handeln voraus. Die Feststellung des zumindest erforderlichen dolus eventualis und die damit einhergehende Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit bereiten häufig erhebliche Schwierigkeiten. In der gerichtlichen Praxis wird die Problematik insbesondere dann virulent, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Täter eines der in § 211 StGB normierten Mordmerkmale erfüllt hat. Da in diesem Fall bei Bejahung des Tötungsvorsatzes allein die Verhängung der in § 211 StGB angeordneten lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt, ist vor dem Hintergrund der hieran geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (hierzu noch Rn. 30ff.) eine besonders sorgfältige Prüfung der subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen angezeigt.

21(2) Zur »Hemmschwellentheorie«: Im Ausgangspunkt ist die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit auch an dieser Stelle auf der Grundlage der vorherrschenden Ernstnahme- oder Billigungstheorie vorzunehmen. Hiernach handelt der Täter grundsätzlich dann vorsätzlich, wenn er den für möglich gehaltenen Erfolgseintritt billigend in Kauf nimmt, wobei auch ein an sich unerwünschter Erfolg im Rechtssinn gebilligt werden kann.[38] Als wesentliches Indiz für die Billigung eines für möglich gehaltenen Todeseintritts dient den Gerichten häufig eine gesteigerte Gefährlichkeit der Tathandlung. So liegt es nach »der ständigen Rechtsprechung des BGH […] bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er |10|gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.«[39] Als besonders gefährliche Gewalthandlungen in diesem Sinne sind beispielsweise kräftig ausgeführte Messerstiche in die Herzgegend bzw. aus nächster Nähe abgegebene Schüsse auf den Kopf des Tatopfers einzustufen.[40] Der Rückschluss von der Gefährlichkeit der Tathandlung auf das Vorliegen des Tötungsvorsatzes soll jedoch nicht uneingeschränkt zulässig sein. Denn es ist stets »in Betracht zu ziehen, dass der Täter im Einzelfall die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht stets geschlossen werden, das auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist.«[41] Den hierin zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, die besondere Gefährlichkeit einer Tathandlung reiche für sich genommen nicht aus, um den Tötungsvorsatz ohne Weiteres zu bejahen, hat der BGH in anderem Zusammenhang damit begründet, dass »vor dem Tötungsvorsatz eine viel höhere Hemmschwelle [stehe] als vor dem Gefährdungs- oder Verletzungsvorsatz.«[42] Dieser verbreitet als »Hemmschwellentheorie« titulierte Ansatz, wonach die Tötung eines Menschen die Überwindung einer besonders hohen psychologischen Schwelle erfordere, die von Seiten des Gerichts stets einer besonders intensiven Prüfung bedürfe,[43] ist in der Literatur verbreitet auf Ablehnung gestoßen. Kritisiert wurde vornehmlich, dass weitgehende Unklarheit über die Ausgestaltung der Tötungshemmschwelle bestehe und dass das vom BGH postulierte Erfordernis einer besonders »intensiven« Prüfung wegen dessen Unbestimmtheit ein potenzielles Einfallstor für eine willkürliche und uneinheitliche Entscheidungspraxis darstelle.[44]

22In einer viel beachteten Entscheidung aus dem Jahr 2012 hat der 4. Strafsenat des BGH erstmals klargestellt, dass durch die Betonung der im Zusammenhang mit der Tötung eines Menschen bestehenden Hemmschwelle weder eine eigenständige »Theorie« noch ein besonderes Prüfprogramm für den Nachweis des Tatbestandsvorsatzes begründet werden sollte. So habe der BGH stets »hervorgehoben, dass durch [die Hemmschwellentheorie] die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als |11|ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen […] in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle. […] Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelementes [bedürfe] es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen.«[45] Nach der Lesart des 4. Strafsenates soll sich der Aussagegehalt der »Hemmschwellentheorie« demnach in einem Hinweis auf die in § 261 StPO niedergelegten Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung beschränken.[46] Dies hat zur Folge, dass es zwar auch bei Vornahme besonders gefährlicher Gewalthandlungen am Tötungsvorsatz fehlen, dieser aber nicht durch den bloßen Hinweis auf die vermeintliche Existenz einer »Hemmschwellentheorie« verneint werden kann.[47] Vielmehr obliegt es dem Tatrichter, unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände das Vorliegen des Tötungsvorsatzes sorgfältig zu prüfen, wobei der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit der Tathandlung stets vorrangige Bedeutung bei der anzustellenden Gesamtabwägung beizumessen ist. Nach diesen Maßstäben beanstandete der 4. Strafsenat die Entscheidung des zuständigen Schwurgerichts, welches im konkreten Fall den Tötungsvorsatz unter pauschalem Hinweis auf die »Hemmschwellentheorie« sowie die »moderate« Alkoholisierung des Angeklagten verneinte, der ein Messer mit 11 cm langer Klingenlänge derart heftig in den Rücken des Opfers gerammt hatte, dass dessen achte Rippe durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge des Opfers eintrat.[48]

23Die vorstehend skizzierte Relativierung der »Hemmschwellentheorie« durch den 4. Strafsenat verdient uneingeschränkte Zustimmung, da sie zutreffend herausarbeitet, dass die Prüfung des Tötungsvorsatzes stets einer besonders sorgfältigen Gesamtabwägung aller vorhandenen Tatumstände bedarf, wobei verbleibende Zweifel entsprechend den allgemeinen Regeln nach dem in dubio pro reo Grundsatz zugunsten des Täters aufzulösen sind.[49] Keinesfalls darf der Tötungsvorsatz aber unter bloßem Hinweis auf die (fehlende) Überwindung einer in ihren Konturen weitgehend unklaren »Tötungshemmschwelle« bejaht bzw. verneint werden.

24Ob die Entscheidung des 4. Strafsenates tatsächlich eine endgültige Abkehr der Rechtsprechung vom Hemmschwellentopos eingeleitet hat, muss vor dem Hintergrund eines nur kurz darauf vom 5. Strafsenat verabschiedeten Urteils bezweifelt werden. Diesem lag ein Fall zugrunde, in dem die Täter das Tatopfer mit ½ Liter Terpentinersatzmittel übergossen und anschließend mit einem Feuerzeug anzündeten.[50] Dass das zuständige Schwurgericht den Tötungsvorsatz |12|unter Hinweis auf die Alkoholisierung der Täter und dem Umstand verneint hatte, diese hätten kein Interesse am Tod des Tatopfers gehabt, da dieses ihnen regelmäßig Unterkunft in seiner Wohnung gewährte, hielt der 5. Strafsenat für unbedenklich und verwies (ohne Auseinandersetzung mit der Entscheidung des 4. Strafsenates) auf seine Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit eines Rückschlusses von einer besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung auf das Bestehen eines Tötungsvorsatzes.[51] Bedenkt man hingegen die evidente Lebensgefahr, die von der Entzündung eines großflächig auf dem menschlichen Körper aufgebrachten Brandbeschleunigers ausgeht, hätte es zumindest bei Zugrundelegung des vom 4. Strafsenates entwickelten Prüfmaßstabes wohl größerer argumentativer Bemühungen bedurft, um den Tötungsvorsatz zu verneinen.[52] Insoweit steht zu befürchten, dass die Rechtsprechung zur Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit in Tötungsfällen auch weiterhin einen wenig einheitlichen und teils unberechenbar erscheinenden Charakter[53] aufweisen wird. In der juristischen Fallbearbeitung sollte der Hemmschwellengedanke künftig aber nicht mehr ohne Hinweis auf die distanzierende Tendenz in der jüngeren Rechtsprechung des BGH erwähnt werden.[54]

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