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|13|AccursiusAccursius (um 1185–1263)

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(1181/85–1259/63)

Der Verfasser der Glossa ordinaria, des mittelalterlichen Standardkommentars zum Corpus iuris civilis schlechthin, wurde zwischen 1181 und 1185 in Bagnolo bei Florenz geboren und stammte wahrscheinlich aus einer Bauernfamilie. Neben der heute gebräuchlichen Namensform finden sich die Schreibweisen Acurius und Accursus; die in jüngeren Quellen angeführten Vor- bzw. Beinamen Franciscus, Bonus, Azo und Azoninus sind ohne historische Grundlage. Von A.s Selbstbewußtsein zeugt die von ihm selbst stammende Erklärung, sein Name bringe zum Ausdruck, daß er der Dunkelheit des Rechts entgegengetreten sei und ihr abgeholfen habe (nomen meum, scilicet Accursii: quod est honestum nomen, dictum quia accurrit et succurrit contra tenebras juris civilis). Er studierte in Bologna u.a. bei Jacobus Balduini, vor allem aber bei → AzoAzo (vor 1190–1220) Zivilrecht und nahm dort einige Jahre vor 1220 – seine Promotion zum doctor legum wird frühestens auf das Jahr 1213 angesetzt – seine Lehrtätigkeit auf. Daneben war er, wie seine Kollegen, auch in der Praxis tätig. Ob er allerdings – wie jüngere Quellen berichten – 1252 Assessor des Bologneser Podestá war, ist umstritten. A. stand schon bald nach Aufnahme seiner Lehrtätigkeit in hohem Ansehen und kam zu beträchtlichem Vermögen. Sein ehemaliges Stadthaus ist heute Teil des Bologneser Palazzo Communale. Des weiteren gehörte ihm die Villa Ricardina in der Umgebung Bolognas mit ausgedehnten Ländereien. Seinen Reichtum soll er u.a. durch Wuchergeschäfte mit Studenten und durch Annahme von Geschenken in Prüfungsverfahren erworben haben. Ob dies zutrifft und inwieweit ein solches Verhalten lediglich dem damals Üblichen entsprach, bedarf noch näherer Prüfung. A. war zweimal verheiratet und hatte vier Söhne, von denen drei, der aus erster Ehe stammende Franciscus (1225–1293) sowie Cervottus (um 1240 – vor 1287) und Guilelmus (1246 – vor 1314), gleichfalls doctores legum wurden. Insbesondere Franciscus gelangte als Bologneser Rechtslehrer und zeitweiliger (1273–1281) Berater Eduards I. von England zu ähnlicher Berühmtheit wie sein Vater. Neben ihm gehörten Vincentus Hispanus sowie zeitweise vielleicht auch Odofredus und Sinibaldus Fiesco, der spätere Innozenz IV., zu A.s Schülern. In seinen letzten Lebensjahren zog A. sich vom Lehrbetrieb und öffentlichen Leben zurück – wahrscheinlich in seine Villa Ricardina –, um sich ungestört seinem Lebenswerk widmen zu können. Das genaue Datum seines Todes ist unbekannt. Zwei Bologneser Chroniken aus der |14|zweiten Hälfte des 14. Jh. geben 1260 als Todesjahr an, andere Quellen nennen teils frühere, teils spätere Jahre. Für das Jahr 1260 spricht, daß A. letztmals im Jahr 1259 in der Matrikel der societas Tuscorum erscheint und in einer Urkunde vom 3. Mai 1263 als verstorben angeführt wird. Die These → KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940), A. habe seine letzten Jahre in Bagnolo verbracht und sei 1253 in Florenz gestorben, beruht auf einer Verwechslung mit Accursius Reginus. A.s Grabmal befindet sich in Bologna (heute vor der Basilica S. Francesco); nach übereinstimmender Aussage der Quellen ist er 78, nach einer vereinzelten Überlieferung 75 Jahre alt geworden.

Die Glossa ordinaria ist mit ihren 96940 Glossen der umfangreichste Glossenapparat (→ AzoAzo (vor 1190–1220), → IrneriusIrnerius (vor 1100–1125)) zu allen Teilen des Corpus iuris civilis, einschließlich der Libri feudorum, den die Glossatorenschule hervorgebracht hat. Mit ihm findet sie ihren Abschluß. Neue Apparate sind nicht mehr geschrieben und die vorangegangenen von der Glossa ordinaria derart in den Hintergrund gedrängt worden, daß mit dem Begriff „Glosse“ schon bald A.s Kommentierung identifiziert wurde. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jh. wurde sie zusehends zum Lehr- und Forschungsgegenstand (Kommentatoren → BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357), → BaldusBaldus de Ubaldis (1319/27–1400)) und schließlich an Universitäten und in der Praxis zum Ausgangspunkt jeder Auslegung des Corpus iuris. Nach den Statuten einiger Städte kam ihr sogar Gesetzesrang zu. Für die Rezeption des römischen Rechts in Europa hatte sie insofern entscheidende Bedeutung, als sie entsprechend der Regel „Quicquid non agnoscit glossa, non agnoscit curia“ (Was die Glosse nicht anerkennt, erkennt das Gericht nicht an) vielerorts und z.T. bis in das 17. Jh. den Umfang des geltenden gemeinen Rechts bestimmte. Erst mit dem Aufkommen des Humanismus zu Beginn der Neuzeit und der von ihm propagierten Rückbesinnung auf das Corpus iuris civilis selbst (→ AlciatusAlciatus, Andreas (1492–1550), → ZasiusZasius, Ulrich (1461–1535), → CujasCujas, Jacques (Cuiacius, Jacobus) (1520–1590)) trat der Einfluß der Glossa ordinaria allmählich zurück.

Der einzigartige Erfolg der accursischen Glosse wird heute im wesentlichen darauf zurückgeführt, daß sie eine, wenngleich nicht in sich völlig widerspruchsfreie, insgesamt jedoch einheitliche Kommentierung des Corpus iuris liefert, die mehr als die früheren – eher für den akademischen Unterricht konzipierten – Apparate auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnitten ist, insbesondere wohl auch, weil sie in stärkerem Maße als ihre Vorläufer Probleme nicht nur aufwirft, sondern auch Lösungen anbietet. Unübertroffen sind zudem bis heute die Nachweise von Parallel- und Konträrstellen zu jedem Rechtssatz des Corpus iuris, die die Glossa ordinaria nach wie vor zu einem der |15|wichtigsten Hilfsmittel zur Erforschung des römischen Rechts machen. Die Entstehungsgeschichte des Werkes ist weitgehend unbekannt. Als sicher gilt, daß A. den Institutionenapparat in erster Fassung sowie den Apparat zum Digestum vetus vor 1234 fertiggestellt und daß er im Anschluß an die Kommentierungen der übrigen Teile den Institutionenapparat noch einmal überarbeitet hat. Zu einer Überarbeitung der übrigen Teile soll es – abgesehen von Quellenallegationen, Querverweisungen sowie sachlichen Änderungen und Ergänzungen, die A. und andere hinzugefügt haben – nicht mehr gekommen sein. Seine Söhne Franciscus und Guilelmus sowie andere unmittelbare Nachfolger des A. fügten dem Werk später kurze Inhaltsangaben der kommentierten Texte, sogen. Casus, bei. Spätere Druckausgaben (erster Druck: Mainz 1468) kennen weitere Zusätze nachfolgender Juristen und überliefern zudem viele voraccursische Glossen als Bestandteile des accursischen Apparates. Bei der Abfassung seines Werks konnte A. sich auf die reiche literarische Hinterlassenschaft seiner Vorgänger und insbesondere seines Lehrers → AzoAzo (vor 1190–1220) stützen. In welchem Umfang dies im einzelnen geschehen ist, kann, da die voraccursischen Glossen noch weitestgehend unediert sind, noch nicht abschließend gesagt werden. Nach heutigem Wissensstand kann jedoch davon ausgegangen werden, daß A., wie schon sein Lehrer, über weite Strecken Vorgefundenes teils übernommen, teils nur umgeformt und ergänzt hat, ohne dies besonders kenntlich zu machen. Jüngeren Forschungen zufolge, hat er den Apparat seines Lehrers eher in formaler Hinsicht denn inhaltlich überarbeitet und nicht mehr als eine formal verbesserte Neuauflage dieses Werks geschaffen (Jakobs). Ihm deswegen den Vorwurf des Plagiats zu machen, wäre jedoch nach heutigem Kenntnisstand, ebenso wie im Fall seines Lehrers anachronistisch (→ AzoAzo (vor 1190–1220)). Noch nicht hinreichend erforscht ist, wie verläßlich A.s Ausführungen zu ausdrücklich von ihm angeführten Meinungen anderer Autoren sind und inwieweit sowohl die von ihm hier getroffene Auswahl als auch die Darstellung – insbesondere der Meinung von Außenseitern – tendenziös sind. Die Beurteilung der juristischen Qualität der Arbeit des A. schwankt: Die kritische Bewertung →Savignys war lange von einer insgesamt positiven Bewertung abgelöst worden. Jüngere Untersuchungen (Jakobs) gehen dagegen wieder in die Richtung der Kritik →Savignys.

Neben der Glossa ordinaria ist von A. nur wenig anderes bekannt (u.a. die Überarbeitung einer Summensammlung des Johannes Bassianus zum Authenticum) und fällt neben seinem opus magnum nicht ins Gewicht.

|16|Hauptwerke: Corpus iuris civilis. I Digestum vetus, II Infortiatum, III Digestum novum, IV Codex, V Volumen, Venetiis, 1487–1489 (Ndr.: Accursii Glossa in Digestum vetus, … Digestum infortiatum, … Digestum novum, … Codicem, … Volumen, 1968–1969 [Corpus Glossatorum iuris civilis 7–11]); weitere Ausgaben bei: E. Spangenberg: Einleitung in das Römisch-Justinianeische Rechtsbuch, 1817, 645–929. – Summa authenticorum, Summa Azonis, Papie 1506 (Ndr., 1966 [Corpus Glossatorum iuris civilis 1]). – Hugolini Summa super usibus feudorum, ed. G.B. Palmieri, in BIMAE 2, 181–194.

Literatur: G. Astuti: L’edizione critica della Glossa Accursiana, in: Atti del congresso internaz. di diritto romano e di storia del diritto, Verona 1948, I, 1953, 323–336. – Atti del Convegno internaz. di Studi accursiani, ed. G. Rossi, 3 Bde., 1968. – F. Calasso: Medio evo del diritto, I, 1954. – R. Davidsohn: Firenze ai tempi di Dante, 1929. – C. Dolcini: Due glossi di Azone e Accursio a una legge di Teodosio II e Valentiano III (429) sui limite del potere, in: Università e studenti a Bologna, 1988, 105–109. – G. Diurni: La Glossa accursiana, Rivista di storia del diritto italiano 64 (1991), 341–362. – R. Feenstra: Quelques remarques sur le texte de la Glose d’Accurse sur le Digeste vieux, in: Critica de testo, 1971, 205–225. – J. Fried: Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jh., 1974. – F. Genzmer: Zur Lebensgeschichte des Accursius, in: FS L. Wenger, II, 1945, 223–241. – Ders.: Die Justinianische Kodifikation und die Glossatoren, in: Atti del congresso internaz. di diritto romano, I, 1934, 345–430. – V. Hartwig: Zur Abfassungszeit der Glosse des Accursius, ZRG 12 (1876), 316. – H.H. Jakobs: Studien zur Geschichte der glossa ordinaria, in: Festgabe für W. Flume z. 90. Geburtstag, 1998, 99–154. – Ders.: Petitorium et possessionum in eodem libello intendere. D. 5,1,37 und C. 3, 32, 13 in der Lectura des Odofredus, bei Azo und in der Glossa ordinaria, in: ZRG, RA 115 (1999), 323–354. – Ders.: Or signori! Die accursische Glosse als apparatus Ioannis et Azonis in Odofredus’ Lectura super Digesto veteri, in ZRG, RA 110 (2000), 311–423. – Ders.: Odofredus und die Glossa ordinaria, in: FS G. Kleinheyer, hrsg. v. F. Dorn u. J. Schröder, 2001, 271–352. – Ders.: Magna Glossa. Textstufen der legistischen Glossa ordinaria, 2006; dazu J. Hallebeek, in: TRG 75 (2007), 409–411. – H. Kantorowicz: Accursio e la sua bibliotheca, in: Rivista di storia del diritto italiano., II (1929), 35–62, 193–212. – Ders.: Studies in the glossators of the roman law, 1938. – E. Landsberg: Über die Entstehung der Regel „Quicquid non agnoscit glossa, nec agnoscit forum“, 1879. – Ders.: Die Glosse des Accursius und ihre Lehre vom Eigenthum. Rechts- und Dogmengeschichtliche Untersuchung, 1883. – Lange, 335–385. – P.S. Leicht: Per la nuova edizione critica della glossa Accursiana, in: Scritti vari di storia del diritto italiano, II, 1, 1948, 192–197. – S. Lohsse: Accursius und „die Glosse“ – Eine Bestandsaufnahme zum 750. Todestag, in ZEuP, 2011, 366–391. – G. Morelli: Nuovi documenti per una biografia di Accursio, in: Rivista di storia del diritto italiano 77 (2004), 17–51. – K. Neumeyer: Die gemeinrechtliche Entwicklung des internationalen Privat- und Strafrechts bei Bartolus, 1916. – R. Maceratini: La glossa ordinaria al decreto di Graziano e la glossa de Accursio al codice di Giusstiniano. Una ricerca sullo status giuridico degli eretici (Quaderni del Dipartimento/Dipartimento di Scienze giuridice, Università degli Studi di Trento, 39), 2003. – G. Otte: Beziehungen zwischen den ältesten Summen und der Glosse, ZRG (RA) 83 (1966), 374–382. – G. Post: Studies in Medieval Legal |17|Thought. Public Law and State, 1100–1322, 1964. – L. Sanguinetti: Accursio, 1879. – N. Sarti: Un giurista tra Azzone e Accursio. Iacopo di Balduino (…1210–1235) e il suo „Libellus instructionis advocatorum“, 1990. – P. Torelli: Per l’edizione critica della glossa accursiana alle Istituzioni, in Rivista di storia del diritto italiano, 7 (1934), 429–586 (separate Ausg. 1935). – Ders.: La codificazione e la glossa: questioni e propositi (1934), in: Ders.: Scritti di storia del diritto italiano, 1959, 263–278. – Ders.: La nuova edizione della glossa accursiana alle Istitutioni. Risultati e speranze (1940), in: Ders.: Scritti, 279–292. – P. Weigand: Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, 1967. – P. Weimar: Die legistische Literatur und die Methode des Rechtsunterrichts der Glossatorenzeit, in: Ius Commune II, 43–83. – Ders.: Die legistische Literatur der Glossatorenzeit, in Coing: Hdb. I, 129–260. DBI I (1960), 116–121 (P. Fiorelli). – DBGI I (2013), 6–9 (G. Morelli). – HRG2 II (2008), 58f. (S. Lepsius) – Jur., 18f. (P. Weimar) – Jur.Univ. I, 421–427 (A. Fernández de Buján). – LexMA I (1980), 75 (P. Weimar). – Savigny: GRRM V, 262–305.

F. Dorn

Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten

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