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Vorwort zum aktuellen Heft
ОглавлениеVon Jonas Grutzpalk*
Die Idee, in diesem Heft sehr unterschiedliche Stimmen zum Thema der polizeilichen Prävention zu Wort kommen zu lassen begründet sich damit, dass der polizeiliche Präventionsbegriff viele Fragen offen lässt. „Vor die Lage kommen“ zu wollen ist ein wichtiger Anspruch, aber wie er rechtlich, begrifflich, technisch, im polizeilichen Alltag und in Kooperation mit anderen Behörden umgesetzt wird, ist noch nicht systematisch erhoben worden. Dieses Heft möchte einen ersten Anstoß dazu liefern, sich dem Thema der polizeilichen Prävention umfassender zu widmen.
Doch die Frage, wie das denn gehen soll, vor die Lage zu kommen ist alles andere als banal. Sie beginnt schon damit, dass es offensichtlich eines kulturellen Kontextes bedarf, der Zukunft als etwas versteht, das vor einem liegt. Die in den Anden lebenden Aymara begleiten Beschreibungen vergangener Geschehnisse z.B. mit nach vorne zeigenden Gesten, während sie über die Zukunft sprechen, indem sie hinter ihren Rücken zeigen. Es bedarf einer die gesamte Gesellschaft ergreifende „Entdeckung der Zukunft“ (Hölscher), um präventiv arbeitende Behörden überhaupt für denkbar zu halten.
Nun kennt die Menschheit schon seit langem das Bemühen darum, die Welt der Zukunft zu kennen, um sich auf sie einstellen zu können. Hier ist insbesondere an die Mantik zu denken, die gemeinhin als Kunst verstanden wird die Zeichen der Zeit richtig zu deuten (Hogrebe). Mantik ist eine Art sakrales Vorauswissen, das sich aus Quellen wie Träumen, Vogelflug, göttlicher Inspiration oder Loswurf speisen kann. Wir kennen mantische Erfahrungen heute noch in Form von „Ahnungen“ oder – im beruflichen Kontext – auch als „Riecher“. Fast überall lassen sich spätestens seit der Bronzezeit (häufig auch beamtete) Fachleute für solch ein Vorauswissen finden (z.B. 1. Mose, Kap. 41).
Doch der moderne Staat, der sich durch so vieles auszeichnet, ist nicht zuletzt auch ein vor(aus)-sichtiger Staat (Ewald/Gollier/ Sandeleer), dem Mantik für seine Bedürfnisse nicht reichen kann. Der moderne Staat schreibt sich Vor- und Für-Sorge genauso auf seine Fahnen wie die Prä-Vention (also: das vor-die-Lage-Kommen) seiner Ordnungs- und Sicherheitsbehörden. Es ist Matthias Leanza zu verdanken, dass in diesem Heft ein historischer Rückblick zu finden ist, der die Entwicklung dieses Präventionsgedankens seit der Aufklärung veranschaulicht. Und Sebastian Golla zeigt in seinem Beitrag, dass die Rechtssphären von polizeilicher Repression und Prävention noch lange nicht deutlich voneinander getrennt sind, sondern vielmehr ineinander „verschleifen“.
Es geht keinem der hier versammelten Beiträge darum, die Polizei der Unfähigkeit zu verdächtigen oder zu behaupten, polizeiliche Prävention führe zu nichts. Im Gegenteil ist Präventionsarbeit ein tägliches Tun der Polizei, wie sich in den Beiträgen von Birgit Thinnes (Gewaltprävention in Schulen), Peter Schlanstein (Gefahrenabwehr im Verkehr) und Wolfgang Wendelmann (Intensivtäterprogramme) zeigt. Es ließen sich noch zahlreiche andere Beispiele finden, doch diese Beiträge veranschaulichen schon einmal deutlich, wie sich der Anspruch der polizeilichen Prävention in der Praxis bewährt. Das gilt auch für den innerpolizeilichen Umgang miteinander – der darauf angewiesen ist, dass die Führung „vor die Lage kommt“, wie Thomas Baadte deutlich macht.
Einen Blick über den nationalen Tellerrand ermöglicht der Text von Christian Kaunert, Mike Edwards und Ori Wertman, der sich den jeweiligen Ansätzen der Terrorismusprävention in Israel und im Vereinigten Königreich widmet. Da beide Länder über umfangreiche Erfahrung mit teilweise groß angelegten Terroranschlägen verfügen, ist hier eine veralltäglichte Prävention weiter verbreitet als in vielen anderen westlichen Ländern.
Bei aller Erfahrung mit der präventiven Abwehr von Gefahren bleiben Fragen offen. Dieses gilt insbesondere für das recht neue Themenfeld des „Predicitive Policing“, an das einige präventive Hoffnungen geknüpft sind. Während Simon Egbert untersucht, welche Konzepte von Gefahr und Gefahrenabwehr hier technisch umgesetzt werden, geht Niels Jansen der Frage nach, welche Vorstellungen von Zukunft bei „Predicitive Policing“ zum Anschlag kommen. Nils Zurawski fragt sich in seinem Beitrag, ob es der Polizei eigentlich daran gelegen sein kann, so vor die Lage zu kommen, dass niemand mehr Ruhe und Ordnung wiederherstellen muss.
Malte Schophaus beleuchtet den Bereich der polizeilichen Ausbildung, wobei er den Blick in die Vergangenheit mit dem Blick in die Zukunft verbindet: das recht neue Lehrformat „Berufsrollenreflexion“, das an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW angeboten wird, soll dazu dienen, aus Erfahrungen zu lernen und sich auf vergleichbare Situationen in der Zukunft einzurichten.
Eine Behörde, die par excellence in der Zukunft agiert, ist der Verfassungsschutz. Sein Aufgabenbereich findet sich „Vorfeld des strafrechtlichen Staatsschutzes“ – ist also noch präventiver als der der Polizei. Gordian Meyer-Plath beschreibt in seinem Beitrag diese in vielerlei Hinsicht einzigartige Behörde, wobei er insbesondere auf die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz eingeht. Alexander Kuche interessiert sich auch für Zusammenarbeit und zwar zwischen Behörden und Institutionen, die zusammenfinden, weil sie gemeinsam präventive Maßnahmen beraten und vorbereiten. Es ist bemerkenswert, dass in diesem Artikel das wiederzufinden ist, was die mantische Vorausschau schon immer kannte: die Ahnung, den eher gefühlten Kontakt zu den Beteiligten.
Vielleicht deutet sich hier an, dass Prävention noch immer letztlich ein gewisses wortloses Gespür für das braucht, was eintreten könnte. Wie sich das mit den Rationalitätserfordernissen der Moderne überein bringen lässt, müsste sich wohl noch klären.
Literatur:
Ewald / Gollier / Sandeleer (2001): Le Principe de Précaution
Hölscher (1999): Die Entdeckung der Zukunft
Hogrebe (Hrsg.) (2005): Mantik
* Jonas Grutzpalk ist Professor für
Sozialwissenschaften am Studienort Bielefeld der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW.