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Wie Prävention und Repression verschleifen
ОглавлениеVon Sebastian Golla*
Es ist in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes veranlagt, dass die Länder Regelungen über die Gefahrenabwehr treffen, während der Bund für den Bereich der Strafverfolgung zuständig ist. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen muss die Polizei, die in beiden Bereichen tätig wird, zwischen Prävention und Repression trennen. Die Sinnhaftigkeit dieser Trennung wird jedoch seit geraumer Zeit in Frage gestellt (so bereits Stümper, Kriminalistik 1975, 49 (53)). Oftmals ist eine saubere Unterscheidung nur theoretisch möglich. Prävention und Repression verschleifen.
Wahlmöglichkeit zwischen (Überwachungs-)Befugnissen
Besonders deutlich wird die Problematik, wenn die Polizei moderne Informationstechnologien einsetzt, z.B. bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen (vgl. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen, 2016, S. 344 ff.). Die Polizei hat bei solchen Maßnahmen faktisch oftmals die Wahl zwischen präventiven und repressiven Befugnissen, da sich zugleich der Verdacht bereits begangener Straftaten und die Gefahr weiterer Rechtsgutsverletzungen begründen lassen. So ließe sich etwa bei der Telekommunikationsüberwachung eines Drogenhändlers, der bereits Geschäfte abgewickelt hat, aber auch noch weitere plant sowohl mit einer repressiven als auch mit einer präventiven Zielrichtung begründen.
Die in diesem Fall gleichermaßen einschlägigen Ermittlungsbefugnisse nach Strafprozessordnung und Polizeigesetzen haben teilweise unterschiedliche Voraussetzungen. Tendenziell sind dabei Eingriffe im präventiven Bereich unter etwas niedrigeren Voraussetzungen möglich. Für repressive Maßnahmen sind im Umkehrschluss tendenziell stärkere Sicherungsvorkehrungen erforderlich. Zudem ist bei einem repressiven Tätigwerden die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ zu beachten. Im Gegensatz dazu handelt die Polizei bei präventiven Tätigkeiten auf Grundlage der Polizeigesetze eigenverantwortlich.
„Die Polizei hat oftmals die Wahl zwischen präventiven und repressiven Befugnissen, da sich zugleich der Verdacht bereits begangener Straftaten und die Gefahr weiterer Rechtsgutsverletzungen begründen lassen.“
Kein Vorrang von Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung
Dies bedeutet, dass die Polizei ein „Befugnisshopping“ betreiben und sich für eine Rechtsgrundlage ihrer Wahl entscheiden kann. Dem steht auch nicht ein etwaiger Vor-rang des Strafverfahrensrechts oder Gefahrenabwehrrechts entgegen. Diesem hat zuletzt der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs eine Absage erteilt (BGH NStZ 2017, 651 (654 Rn. 27)). In seiner Entscheidung zu legendierten Kontrollen sprach er sich im Zusammenhang mit der Durchsuchung eines Fahrzeugs nach Betäubungsmitteln als echter doppel-funktionaler Maßnahme für eine weitgehende Wahlmöglichkeit zwischen präventivem und repressivem Tätigwerden aus. Der 2. Strafsenat entschied, dass es „weder einen allgemeinen Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt“ gebe. Auch bei Vorliegen eines Anfangsverdachts im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO sei „ein Rückgriff auf präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen rechtlich möglich.“
Die weitgehende Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Befugnissen birgt Missbrauchsmöglichkeiten und kann zu Wertungswidersprüchen bei der Ausübung der Befugnisse führen. Dies ist etwa der Fall, wenn gezielt Schutzmechanismen (wie z.B. Richtervorbehalte), die nur in einem Bereich existieren, bei bestimmten Ermittlungsmaßnahmen umgangen werden. Sie hat auch Konsequenzen für das Verhältnis der Polizei zur Staatsanwaltschaft. Indem sich die Polizei entscheidet, im Wesentlichen auf präventiver Grundlage vorzugehen, obwohl auch repressive Befugnisse eröffnet wären, kann sie sich der Weisung der Staatsanwaltschaft weitgehend entziehen (Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S. 346 ff.).
Auf dem Weg zum einheitlichen Eingriffsrecht?
Faktisch weist die Wahlmöglichkeit in Richtung einer „Einheit der polizeilichen Aufgaben“ (vgl. Gusy, StV 1993, 269 (275)). Dies hat den Ruf nach einer Harmonisierung des präventiven und repressiven Bereiches insgesamt verstärkt (siehe dazu Bäcker, Stellungnahme zur Anhörung des 1. BT-Untersuchungsausschusses am 17.5.2018, S. 15). Das Grundgesetz ermöglicht es allerdings nicht, umfassende gemeinsame Regelungen für präventive und repressive polizeiliche Tätigkeiten zu treffen. Es bleiben Möglichkeiten zu einer Harmonisierung in einzelnen Sachbereichen oder Formen der „weichen“ Harmonisierung wie etwa durch eine Abstimmung der Regelungen der Strafprozessordnung mit einem Musterpolizeigesetz.
* Sebastian Golla ist Juniorprofessor für
Kriminologie, Strafrecht und Sicherheitsforschung im digitalen Zeitalter an der Ruhr-Universität Bochum.