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Die Fragilität polizeilicher Autorität*

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Marschel Schöne/ Martin Herrnkind

1. Polizeiliche Autorität

Polizeiliche Fachzeitschriften inkl. der Leserbriefspalten sind seit Jahrzehnten (z.B. Bergmann 1953) gefüllt mit diversen Klagen über das Schwinden des Respekts und damit der polizeilichen Autorität bei verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren. So aus Sicht der Polizei bspw. bei Linken, Beatniks, Provos, Hippies, Mods, Rockern, Gammlern, Punkern, Terroristen, Neuen sozialen Bewegungen, Querdenkern, Autonomen, chaotischen Demonstranten, arabischen Clans, Bürgerwehren etc. Auch wenn der postulierte Autoritätsverlust sowie die gruppenbezogenen Stigmatisierungen nur bedingt generalisierbar und realitätstauglich sind, können diese (Angst-)Projektionen als spezifische Ausprägungen des Kollektivhabitus eines sozialen Feldes und damit seiner bestimmenden Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen gelesen und interpretiert werden. Zudem gilt: Wenn soziale Akteure etwas für real halten, können auch die Folgen real sein. Weswegen ein genauerer Blick auf die grundlegenden Determiananten polizeilicher Autorität lohnenswert ist.

„Um ansatzweise zu verstehen, warum und wie das Feld Polizei auf einen angenommenen Autoritäts-verlust reagiert, ist es notwendig, sich mit den feldspezifischen (Habitus)merkmalen und deren Ausformungen zu befassen.“

Diese tendiert zunächst dazu, sich als fachliche Autorität zu inszenieren. Bourdieu sprach auch vom Doppelcharakter der Kompetenzen, die amtlich beglaubigte Titel suggerieren (vgl. Bourdieu, 2004, S. 143ff.). Die polizeilichen Titel und Rechte müssen von den Bürgern wahrgenommen und anerkannt werden. Diese schreiben den (Titel-)TrägerInnen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu, die diese zuvor individuell gegenüber den BürgerInnen nicht unter Beweis stellen müssen. In diesem Sinne funktionieren sie wie ein gesellschaftlicher Kredit für die Gruppe Polizei, werden zum symbolischen Kapital, welches auf der Autorität und Glaubhaftigkeit des Staates ebenso beruht, wie auf den Mechanismen der Anerkennung und Verkennung staatlicher Macht und Kapitalkonzentration (vgl. analog Bourdieu 1993, S. 257). Wenn nun dieses fragile Konstrukt der Über- und Unterordnung Risse bekommt, etwa durch emanzipierte BürgerInnen in sozialen Bewegungen wie Stuttgart 21, Ende-Gelände, Extinction Rebellion oder der Black Lives Matter Bewegung, kann eine erhebliche Störung des polizeilichen Autoritätsverständnisses eintreten, die sich in Abwehr- und Selbstbehauptungsreflexen der Polizei Gestalt geben kann. Um ansatzweise zu verstehen, warum und wie das Feld Polizei auf einen angenommenen Autoritätsverlust reagiert, ist es notwendig, sich mit den feldspezifischen (Habitus-)Merkmalen und deren Ausformungen zu befassen. Die für Autoritätskonstruktionen relevanten Merkmale des soszialen Raumes Polizei sind im nachfolgenden Feld-Habitus-Modell von Maartin Herrnkind überblicksartig zusammengefasst (Umfassend Herrnkind 2021). Im folgenden werden (symbolische) Macht, Gewalt und Gender exemplarisch betrachtet. Aufgrund der Heterogenität des Feldes Polizei prägen sich die Merkmale überaus komplex aus. Eine vollständige Differenzierung kann hier nicht geleistet werden (Ausführlich zum Feld siehe Schöne, 2011).

2. Sozialer Raum Polizei – Merkmale des (Berufs-)Feldes

2.1. Symbolische Macht als Autoritäts-Reproduktionssystem

Die (symbolische) Macht determiniert als eine Art Generalbass alle anderen (Feld-)Merkmale und kann als zentrales Element polizeilicher Autorität verstanden werden oder das, was Bourdieu (2004, S. 457) auch Autoritäts-Reproduktionssystem nannte. Gegenüber den BürgerInnen ist das Feld Polizei dabei analog zum Staat „der ideale Ort für die Konzentration und Ausübung von symbolischer Macht“. Mit anderen Worten: „Wenn der Staat in der Lage ist, symbolische Gewalt auszuüben, dann deshalb, weil er sich zugleich in der Objektivität verkörpert, nämlich in der Form spezifischer Strukturen und Mechanismen, und in der »Subjektivität« oder, wenn man so will, in den Köpfen, nämlich in Form von mentalen Strukturen, von Wahrnehmungs- und Denkschemata.“ (Bourdieu, 1998, S. 109). Der Staat hat zum Schutze der Gemeinschaft dabei das Gewaltmonopol inne und delegiert es im Inneren an die Polizei und ihre AkteurInnen als verkörperte staatliche Objektivität.

„Die symbolische Macht determiniert als eine Art Generalbass alle anderen (Feld-)merkmale und kann als zentrales Element polizeilicher Autorität verstanden werden.“

Dieses Monopol auf Gewalt ist durch das Feld Polizei und seine AkteurInnen nicht erfolgreich praktizierbar, ohne das angesprochene symbolische Kapital an Legitimation und Anerkennung. Oder anders: „Die Sprache der Autorität regiert immer nur dank der Kollaboration der Regierten, das heißt mit Hilfe sozialer Mechanismen zur Produktion jenes auf Verkennung gegründeten Einverständnisses, das der Ursprung jeder Autorität ist“ (Bourdieu, 1990, S. 79). Die meisten BürgerInnen übernehmen im Prozess der (unmerklichen) Aneignung und Anerkennung staatlicher Strukturen und Praxen das in staatlichen Konstruktionen, staatlichen Werten und Normen manifestierte Denken des Staates, legen ihm Wert bei, anerkennen seine spezifische Logik und Legitimation und statten das Feld Polizei so über Bande auch mit symbolischem Kapital und damit (staatlicher) Autorität aus (vgl. analog Bourdieu, 1998, S. 108ff.). Da es „keine symbolische Macht ohne eine Symbolik der Macht“ (Bourdieu, 1990, S. 55) gibt, geht die polizeiliche Inszenierung auch mit feldspezifischen Ausstattungskapitalien einher, wobei erst der beschriebene Glaube der Bevölkerung an die staatliche Autorität die polizeilichen Symbole überhaupt legitimiert. So Uniformierung, Dienstausweise, Bewaffnung, Einsatzfahrzeuge oder polizeiliche Dienststellen. Diese uniformieren die polizeilichen Akteure nicht nur, sondern trennen die Welt Polizei distinktiv von der umgebenden Gesellschaft. Ihre entscheidende Aufgabe ist die Präsentation und Repräsentation der Stärke und Macht des Feldes Polizei. Und damit die Sicherung staatlicher Autorität.

„Im Habitus der Polizei wird die Gesellschaft mit dem dazugehörigen Argwohn resp. Verdachtsstrategien zweigeteilt: In die Guten und die Bösen.“

2.2 Gewalt & Argwohn

Die Bedingungen, unter denen die polizeilichen Feldakteure auf die Spielarten der symbolischen (Handlungs-)Macht zurückgreifen, folgen der spezifischen Logik des symbolischen (Gewalt-)Kapitals. Oder anders: Das Feld Polizei als manifester Teil des staatlichen Gewaltmonopols generiert durch seine Strukturen Zugzwänge für das Denken, Wahrnehmen und Handeln seiner AkteurInnen. So müssen alle polizeilichen AkteurInnen individuell ein Verhältnis zu den „universalen [...] Grundlagen polizeilicher Gewalt“ (Behr, 2006, S. 186) entwickeln. Sie müssen gewaltbereit, dürfen aber nicht gewaltaffin sein. Gewalt als Herrschaftsform im Feld Polizei bewegt sich dabei zugleich gegenwärtig und verschleiert zwischen den Polen von barer physischer Gewalt und komplexer symbolischer Gewalt (vgl. analog Bourdieu, 1993, S. 230f.). Im Habitus der Polizei wird die Gesellschaft mit dem dazugehörigen Argwohn resp. Verdachtsstrategien zweigeteilt: In die Guten und die Bösen. Die Polizei steht als Thin Blue Line dazwischen, schützt die Guten“ und wacht argwöhnisch (und machtvoll) über die Bösen. Potenziell renitente Personen werden von den Feldakteuren als symbolische Angreifer (Skolnick) wahrgenommen. Sie erhöhen das subjektive Berufsrisiko und sind gleichsam eine Bedrohung für die erfolgreiche kollektive Inszenierung innerer Sicherheit und staatlicher Autorität. Fast immer, wenn die symbolische (Handlungs-)Macht zur Aufgabenerfüllung nicht ausreicht oder als nicht ausreichend wahrgenommen wird, greift die Polizei auf den Einsatz manifester Gewalt zurück. Für Hüttermann (2004, 232f.) fügen sich die den polizeilichen Habitus prägenden Komponenten, „... nicht zum polizeitypischen Ganzen, wenn die Aura potentieller, beliebig eskalierbarer Gewaltanwendung fehlt“. Und weiter: „Das Amtscharisma eines Polizisten beruht so gesehen in letzter Instanz auf seiner Fähigkeit, in einer Konfliktsituation überlegene Gewalt zu entfesseln und, wenn für notwendig befunden, die überlegene, das Gewaltpotential des Einzelakteurs vervielfältigende Reaktion des polizeilichen Gesamtkörpers zu mobilisieren“ (ebd., 233). Da „Autorität stets als Eigenschaft der Person“ (Bourdieu, 1993, S. 234) wahrgenommen wird, ist hinsichtlich einer erfolgreichen (Praxis-) Performance das rechtmäßige resp. von den BürgerInnen als rechtmäßig oder gerecht empfundene Handeln der polizeilichen Akteure auf der Vorderbühne des Feldes von enormer Bedeutung (vgl. analog Goffman, 2000, 77). Rechtswidrige polizeiliche Praxen, wie bspw. racial profiling, bergen die Gefahr der teilweisen Delegitimierung der Nutzung staatlicher Rechte und Titel durch die polizeilichen AkteurInnen. Und stellen damit staatliche Autorität in Frage. Fehlverhalten wird daher von den InhaberInnen der herrschenden (Feld-)Positionen in der Regel als individuelles Versagen und nicht als Systemfehler postuliert. In summa steht die Autorität der polizeilichen AkteurInnen stellvertretend für die Autorität der formellen Gruppe Polizei und kann, “[...] auf Dauer nur durch Handlungen bestehen, die sich nach den von der Gruppe anerkannten Werten richten und diese Autorität so immer wieder bestätigen“ (Bourdieu, 1993, S. 236).

2.3 Gender

Das Geschlecht ist für Bourdieu ein sozial konstruiertes Ordnungsprinzip, das die Habitus der sozialen Akteure entscheidend bestimmt. Die Polizei ist trotz eines Frauenanteils von ca. 3o % als geschlechtsstrukturierter Raum traditionell und gegenwärtig ein Feld der institutionalisierten männlichen Herrschaft. Sie wird bestimmt durch einen männlichen Wettstreit, den Aspekte der Autorität und Ehre als symbolisches Kapital prägen. Dabei lastet die feldspezifische „Ehrenmoral ... auf jedem mit dem Gewicht aller anderen Gruppenmitglieder“ (Bourdieu, 1993, S. 203), ist also nicht nur eine Ausprägung der Kollegialität, sondern auch ein Handlungszwang, der in Kameraderie münden kann. Und der im formellen und informellen Statusgefüge der Gruppe Polizei ständig abgefordert und gleichsam verstärkt wird (vgl. auch Hüttermann, 2004, S. 242). Im Habitus spezifischer Feldakteure bzw. Klassenfraktionen lässt sich denn auch das nachweisen, was als hegemoniale Maskulinität oder Kriegermännlichkeit (siehe Behr, 2000; Schöne 2011: 218, 364) bezeichnet wird. Zudem wird Polizeiarbeit in einer Art gesellschaftlicher Rückkopplung auch von weiten Teilen der Bevölkerung noch immer als typisch männliche Aufgabe angesehen. Die meisten verbalen und nonverbalen habituellen Praktiken des Feldes sowie das Autoritäts-Reproduktionssystem sind auch deshalb so krisenstabil vom Prinzip der männlichen Herrschaft geprägt. Und von Stärkedemonstrationen durchsetzt, mit denen die männlichen Feldakteure anderen zeigen und sich selbst bestätigen (wollen), dass sie Männer sind. In einigen Unterfeldern ist sogar eine Grundangst vor Verweiblichung und einem damit verbundenen Autoritätsverlust spürbar. So in Sondereinsatzkommandos oder der Bereitschaftspolizei. Das zunehmend mehr weibliche Akteure im Feld Polizei handeln, dürfte analog zur Token-Theorie die Interessen- und Machtverhältnisse zukünftig merklich beeinflussen.

„Das soziale Geschlecht der Polizei kann damit als primär maskulin beschrieben werden.“

3. Epilog - Museumswärterin der Demokratie

Autorität ist für eine gelingende polizeiliche Performance unerlässlich. Polizeiliche Autorität ist dabei immer staatliche Autorität. Damit sind ihre Effekte wie Praxisformen struktur- und wertkonservativ. Die komplexen Effekte des sozialen Wandels bringen das Feld Polizei in Zugzwang, da sich Ordnung und Sicherheit nicht mehr ohne Weiteres mit tradierten Strategien im Fahrwasser staatlicher Autorität umsetzen bzw. erzeugen lassen. Dieser Druck zur Veränderung erzeugt Spannungen innerhalb des Feldes und zwischen Feld und Gesellschaft. Für Bourdieu (2001, 279) löst jede „Veränderung innerhalb eines Raumes von Positionen ... einen allgemeinen Wandel aus“. Diese Veränderungen sind seit Jahren in Gestalt von Reformen und Konfliktlagen Realität für die AkteurInnen des Feldes, die von vielen als Störung ihrer eingeübten und als funktional empfundenen polizeilichen Praxis erfahren werden. Oder anders: Der mit einer Reform verbundene Veränderungsprozess stört zumeist „die in einer Organisation vorherrschenden Selbstverständlichkeiten, sowohl was die organisationskulturell geprägten Normen, Denkmuster und Identitäten als auch was die im dienstlichen Alltag etablierten Arbeitsabläufe, Handlungsroutinen und Kommunikationswege angeht“ (Jacobs et al., 2007, 211; vgl. auch Mensching, 2008, 325ff.). Dabei bestimmen Traditionalisten und Subversive durch ihre (Spiel-)Einsätze, ihre Interessen und ihr Ringen um die feldspezifischen (Macht-)Positionen das Koordinatensystem des Feldes beständig neu und verändern die sozialen Praxen (vgl. analog Bourdieu/Wacquant, 1996, S. 128ff.). Ob es im Zuge sozialen Wandels zu ungewöhnlichen Autoritätsverlusten gegenüber dem Feld Polizei kommt, ist gegenwärtig wissenschaftlich nicht belegt. Generell ist das polizeiliche Postulat des Autoritätsverlustes eine erwartbare affektive Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse. In der Gesellschaft übernimmt die Polizei die Aufgaben des Bewahrens, sie ist die Museumswärterin der Demokratie, die gefahrenabwehrend und strafverfolgend den Status Quo konserviert. Dies prägt den Habitus der FeldakteurInnen. Und macht die Reflexe der Abwehr und Selbstbehauptung im Allgemeinen erwartbar und im Speziellen umso wahrscheinlicher, je geringer die Frustrationstoleranz und Veränderungsbereitschaft der AkteurInnen ausgeprägt ist. Die polizeiliche Ausübung und Sicherung symbolischer Macht kann unter diesen spannungsgeladenen Bedingungen partiell zum Selbstzweck geraten und sich Überlegungen des Zeitgemäßen, des Verhältnismäßigkeitsprinzips und damit des Rechtmäßigen entziehen. Oder anders: In der an Recht und Gesetz gebundenen bürokratischen Institution Polizei werden in Folge einer durch sozialen Wandel ausgelösten Ziel-Mittel-Diskrepanz Schlupflöcher gesucht und gefunden, um auch jenseits formaler Regeln oder im rechtlichen Graubereich die originären Organisationsziele effektiv, effizient und vor allem in gewohnten Routinen zu erreichen. Hierin liegt sozialer wie gesellschaftlicher Konfliktstoff. Das Feld Polizei sollte vor dem Hintergrund der Fragilität seiner symbolischen Macht ein vitales Interesse an kritischer gesellschaftlicher Begleitung und der damit verbundenen Transparenz und Konfliktfähigkeit haben. Und diese aktiv fördern. Es sollte zum Selbstverständnis werden, dass die Polizei als Institution des Gewaltmonopols nicht nur ein Recht darauf hat, zu kontrollieren. Sondern auch darauf, kontrolliert zu werden.

„Generell ist das polizeiliche Postulat des Autoritätsverlustes aus unserer Sicht eine erwartbare affektive Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse.“

Literatur:

Bergmann (1953): Ist der polizeiliche Dienst heute schwerer als früher?

Behr (2000): Cop Culture.

Behr (2006): Polizeikultur.

Bourdieu (1993): Sozialer Sinn.

Bourdieu/Wacquant (1996): Reflexive Anthropologie.

Bourdieu (1997): Eine sanfte Gewalt. Pierre Bourdieu im Gespräch

Bourdieu (1998): Praktische Vernunft.

Bourdieu (2001): Die Regeln der Kunst.

Bourdieu (2004): Der Staatsadel.

Bourdieu (2005): Die männliche Herrschaft.

Goffman (2000): Wir alle spielen Theater.

Herrnkind (2021): Cop Culture meets Bourdieu.

Jacobs/Keegan/Christe-Zeyse (2007): Eine Organisation begegnet sich selbst.

Mensching (2008): Gelebte Hierarchien.

Schöne (2001): Pierre Bourdieu und das Feld Polizei.

* Marcel Schöne ist Professor für Kriminologie an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg/O.L. /

Martin Herrnkind ist Dozent für Kriminologie und Politikwissenschaften an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz.

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