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Die drei Tore auf deinem Lebensweg

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Der König eines kleinen Reiches im Süden der Welt hatte einen mutigen, gewandten und klugen Sohn. Der junge Prinz sollte sein Nachfolger werden und so schickte der König ihn zur Ausbildung bei einem alten Weisen.

Der Prinz machte sich mit kleinem Gefolge auf und fand schließlich die marode Hütte des Weisen. Er klopfte und bat: „Meister, erleuchte meinen Lebensweg. Bitte bilde mich aus.“

„Meine Worte werden dir nicht viel sagen“, antwortete der Weise. „Ich gebe dir aber einige Hinweise. Auf deinem Lebensweg wirst du drei Tore finden. Jedes Tor hat ein Schild. Lies die Worte, die auf den Schildern geschrieben stehen laut und mit Aufmerksamkeit vor. Sodann wird ein Zwang dich treiben, der Lehre zu folgen. Weiche nicht aus, denn wenn du das tust, wirst du immer wieder durchleben, wovor du geflohen bist. Öffne dein Herz und erlebe. Nun geh‘ wieder, denn mehr kann ich dir nicht sagen.“

Der junge Prinz war sprachlos, aber er tat, wie ihm geheißen wurde. Bereits auf dem Rückweg kam er an das erste Tor. Er ging näher hin und las das Schild: Verändere die Welt.

„Ja, das ist das, was ich wirklich will“, dachte der Prinz. „Zwar gefallen mir auch viele Dinge auf dieser Welt, aber einige andere gefallen mir gar nicht und sollten dringend geändert werden.“

Im Inneren tobte dann plötzlich sein erster Kampf. Er war ein Idealist mit großer Begeisterungsfähigkeit und einer großen Portion Kraft und diese drei Eigenschaften drängten ihn jetzt dazu, es mit der Welt aufzunehmen, um Dinge zu verändern. Sein Inneres wollte die Dinge anpacken, sie erobern und am Ende den Sieg davon tragen und die Welt nach seinem Wunsch gestalten.


Mit dieser Leidenschaft im Leib fand er große Freude und den Rausch, den das Siegen-Wollen mit sich brachte. Nur den Seelenfrieden fand er so nicht. Zwar gelang es ihm, einige kleine Dinge zu verändern, doch manche Dinge lassen sich eben nicht ändern. Beschäftigt mit dieser Auseinandersetzung gingen mehrere Jahre ins Land.

Bei einer Übung im Waldgebiet begegnete der Prinz eines Tages dem alten Weisen wieder. Dieser erinnerte sich an den jungen Mann und fragte: „Mein Sohn, was hast du bisher auf deinem Lebensweg gelernt?“

„Es war nicht ganz einfach, weiser Mann, aber ich habe gelernt, zu unterscheiden, was geändert werden kann und was nicht. Ich weiß jetzt, welche Dinge in meiner Macht liegen und welche nicht.“

„Das ist wirklich gut“, sagte der Alte. „Benutze deine Kräfte weise und setze sie nur für das ein, was in deiner Macht liegt. Dinge, die sich deiner Macht entziehen, die lasse links liegen.“ Der alte Mann nickte und verschwand.


Kurz darauf fand der Prinz das zweite Tor. Ändere Andere stand auf einem Schild.

„Eine sehr gute Idee“, dachte der Prinz. „Die anderen beeinflussen mich in meinem Seelenheil. Sie sind Ursprung der Freude und der Zufriedenheit, aber auch Ursprung von Schmerzen, Leid und Enttäuschung.“

Fortan kämpfte er gegen alles, was ihn störte. Er mühte sich mit anderen ab, unterwies sie in Lebenskunst und versuchte beständig ihre Schwächen auszumerzen. Das war sein zweiter Lebenskampf und er dauerte Jahre.

Eines Tages grübelte er über den Sinn und Zweck seiner Bemühungen und die damit verbundene Sinnlosigkeit, als der weise Mann seinen Weg kreuzte und ihn erneut fragte: „Mein Sohn, was hast du bisher auf deinem Lebensweg gelernt?“

„Es war wieder eine harte Aufgabe, weiser Mann. Aber ich glaube, ich habe gelernt, dass die anderen nicht die Ursache meiner Freuden und Leiden sind. Sie sind nur der Auslöser, sie zu erkennen. Die Ursache, die Wurzeln liegen in meinem eigenen inneren verborgen.“

„Das ist richtig“, antwortete der Weise. „Sie rufen die Dinge in dir nur wach, die Ursache ruht bereits in dir. Daher darfst du dankbar sein für das Glück und die Freude, die sie wecken. Aber schenke deine Dankbarkeit auch denen, die dich enttäuschen. Und denen, die dich leiden lassen. Durch sie lehrt dich das Leben, was du noch lernen musst, um ganz und gar bei dir selbst zu verweilen.“ So verschwand der Alte.

Nur kurze Zeit später fand der Prinz das dritte Tor und las das Schild am Tor: Ändere dich.

„Wenn ich allein die Ursache meiner Probleme bin, ist es das, was ich tun muss“, sprach er mit sich selbst. Und so nahm er den dritten Kampf mit sich selbst auf: Er versuchte vehement seine Fehler zu bekämpfen. Er versuchte alles zu ändern, was ihm nicht gefiel und wollte alles daran setzen, seinem Idealbild von sich selbst zu entsprechen.


Einige Jahre zogen ins Land. Er erzielte ein paar Erfolge, steckte aber auch Niederlagen ein. Und am Ende war der Kampf mit sich einigermaßen ausgewogen. Da traf der Prinz den alten, weisen Mann im Wald wieder. Der Weise fragte erneut: „Mein Sohn, was hast du bisher auf deinem Lebensweg gelernt?“

Der Prinz atmete tief durch und sagte: „Ich habe gelernt, dass es Dinge gibt, die wir an uns verbessern können. Und ich habe gelernt, dass es auch Dinge gibt, die wir an uns nicht ändern können. Beides muss ich so sein lassen, wie es ist.“ Der Weise nickte wohlwollend.

Da sprach der Prinz weiter: „Ich bin müde zu kämpfen. So unendlich müde. Ich bin müde davon andere oder mich zu verändern. Hat denn das niemals ein Ende? Komme ich jemals zur Ruhe, weiser Mann?“

„Das ist die nächste Erkenntnis“, antwortete der Weise. „Gehe aber erst mal nicht weiter, sondern betrachte noch einmal in Ruhe den Weg, den du bisher gegangen bist.“ Damit war er verschwunden.

Der Prinz schaute sich um und entdeckte ganz in der Nähe das dritte Tor. Plötzlich sah er, wie sich das Schild wie von Geisterhand drehte und er konnte die Rückseite lesen: Akzeptiere dich so wie du bist.


Der Prinz wunderte sich sehr darüber, dass er dieses Schild früher nicht gesehen hatte. „Es stimmt wohl doch, Kämpfen macht blind“, dachte er.

In diesem Moment sah er verstreut am Boden herumliegen, was er bekämpft hatte. Seine Fehler, seine Ängste, seine Grenzen. Da geschah etwas Magisches. Ein warmes Licht berührte seine Fehler und dehnte sich dann aus bis zu ihm. Auf einmal konnte er annehmen und akzeptieren. Als das Licht ihn ganz eingenommen hatte, konnte er sie plötzlich voll und ganz lieben. Er liebte plötzlich seine Schattenseiten und hörte auf sich zu verurteilen.

Da erschien der Weise wieder und fragte ihn: „Mein Sohn, was hast du jetzt gelernt?“

Der Prinz nickte achtsam und sprach: „Ich habe gelernt, dass ich niemals im Einklang mit mir leben kann, wenn ich etwas an mir ablehne. Ich habe gelernt, mich bedingungslos anzunehmen so wie ich bin.“

„Sehr gut“, sagte der Weise. „Das ist die Weisheit, die du brauchst. Nun durchschreite das dritte Tor.“

Der Prinz machte sich auf und an der anderen Seite angelangt, erblickte er das Schild am zweiten Tor: Akzeptiere die anderen so wie sie sind.

Plötzlich erschienen dort alle Menschen, die er in seinem bisherigen Leben getroffen hatte. Menschen, die er liebte genauso wie Menschen, die er verachtet hatte. Er war sehr überrascht zu sehen, dass er jetzt ihre Schwächen nicht mehr wahrnehmen konnte. Was ihn sonst so gestört hatte, war verschwunden. Da erschien plötzlich wieder der Weise, der fragte: „Mein Sohn, was hast du jetzt gelernt?“

„Ich habe etwas sehr Wertvolles gelernt“, meinte der Prinz. „Ich habe gelernt, dass, ich mich nicht fürchten muss, wenn ich im Einklang mit mir selbst bin. Ich habe gelernt, andere bedingungslos zu akzeptieren.“

„Gut, sehr gut“, nickte der Weise. „Du hast die zweite Weisheit erfahren. Gehe hin und durchschreite jetzt das zweite Tor.“ Auf der anderen Seite des Tores las er die Worte: Akzeptiere die Welt so wie sie ist.

„Seltsam“, dachte der Prinz. „Merkwürdig, dass ich diese Inschrift noch nicht gesehen habe.“ Er schaute sich hinter dem Tor um und sah eine Welt, die er zu verändern versucht hatte. Aber er war von der Schönheit der Welt wie geblendet. Alles fühlte sich vollkommen an. War das die gleiche Welt?

Unerwartet kam der Weise des Weges und erkundigte sich wieder: „Mein Sohn, was hast du jetzt gelernt?“

„Ich habe etwas sehr essentielles gelernt, weiser Mann“, sagte der Prinz mit Tränen in den Augen. „Dieses Tor hat mir jetzt gezeigt, dass die Welt ein Spiegel meines Inneren ist. Nicht ich schaue auf eine feindliche Welt, nein, meine Seele sieht die Welt. Und meine Seele spiegelt sich in der Welt wieder. Freut sich meine Seele, ist auch die Welt voller Freude. Trauert sie, erscheint mir die ganze Welt traurig. Die Welt selbst ist immer neutral, sie ist einfach. Nicht mehr und nicht weniger. Mich hat nicht die Welt gestört. Mich hat das Bild, das ich von der Welt hatte, gestört. Ich habe gelernt, sie bedingungslos zu akzeptieren.“

„Wunderbar, mein Prinz, du hast die dritte Weisheit des Lebens erkannt“, sagte der Weise. „Nun weißt du, wie du im Einklang mit dir, den anderen und mit der Welt leben kannst.“

Liebe und ein tiefes Gefühl von Frieden erfüllte den Prinzen. Liebe und Stille waren in sein Herz eingezogen. „Du bist bereit“, sagte der Weise und verschwand für immer.

Die Krieger des Lichts erkennen einander am Blick. Sie leben in der Welt, geh ö ren zur Welt und wurden ohne Rucksack oder Sandalen in die Welt geschickt. H ä ufig sind sie feige, glauben,

sie k ö nnten nicht wachsen.

Die Krieger des Lichts halten sich manchmal eines Segens oder eines Wunders f ü r unw ü rdig.

Die Krieger des Lichts fragen sich h ä ufig, was sie hier eigentlich tun. Es kommt auch vor, dass ihr Leben keinen Sinn hat.

Das macht sie zu Kriegern des Lichts. Dass sie sich irren. Dass sie fragen. Dass sie einen Sinn suchen.

Und ihn am Ende finden.


Paulo Coelho

Legenden am Lagerfeuer

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