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Die chinesische Legende vom ganz besonderen Senfkorn
ОглавлениеIn früheren Zeiten gab es eine Frau, deren Sohn tödlich verunglückt war. Die Frau war voller Trauer und wusste sich keinen Rat mehr. Weil sie immerzu weinen musste, suchte sie den weisen Mann in den Bergen auf. Er ließ sie ein und sie fragte ihn:
„Weiser Mann, bitte sagt mir: Wie kann ich meinen Sohn wieder bekommen? Ich leide so sehr ohne ihn.“
Der weise Alte antwortete: „Ich will dir helfen, meine Tochter. Bringe mir ein kleines Senfkorn. Aber es muss aus einem Haus sein, dessen Bewohner noch kein Leid erlebt haben! Mit diesem Senfkorn kann ich deinen Schmerz erlösen. Dann bist du wieder frei.“
Die weinerliche Frau machte sich sogleich auf die Suche nach so einem besonderen Senfkorn. Am Abend kam sie an ein prachtvolles Haus und dachte, dass man hier Leid wohl nicht antreffen würde. Sie klopfte und fragte die Bewohner: „Ich suche ein Senfkorn aus einem Haus, das noch kein Leid erfahren hat. Das ist sehr wichtig für mich, denn ich möchte meinen Sohn wiederfinden. Sagt mir: Bin ich bei euch richtig?“
Aber sie war in diesem wundervollen Haus nicht richtig, denn die Bewohner erzählten ihr von vielerlei Unglück, das gerade bei ihnen Einzug gehalten hatte.
Da dachte die Frau: „Diese Menschen sind ja viel unglücklicher als ich. Wer könnte diesen armen Menschen besser helfen als ich? Ich kenne diese Nöte und ich könnte helfen.“
So blieb die Frau eine Weile und tröstete die Bewohner des Hauses. Als einigermaßen wieder Ruhe eingekehrt war, machte sie sich wieder auf den Weg und damit auf die Suche nach einem Haus ohne Leid. Sie klopfte an viele Türen, aber egal wen sie auch fragte, jeder hatte Leid erfahren. Menschen in kleine Hütten genauso wie Menschen, die in riesigen Palästen wohnten.
Und so kam es, dass sie sich nur noch mit dem Leid von anderen Menschen beschäftigte und diese tröstete so gut es eben ging. Am Ende hatte sie sogar die Suche nach dem Senfkorn vergessen. Und auch den weisen Mann vergaß sie gänzlich.
Auf diese Weise hatte sie den Schmerz und die Trauer aus ihrem Leben verbannt und schaffte es loszulassen. Ihr Sohn blieb in bester Erinnerung, aber die Qual und das Leid ließen nach.
Die Weisheit ist nicht verschwunden,
die Weisen sind verschwunden.
Aus Indien