Читать книгу Wie ich aus der Hüfte kam - Gudrun Bernhagen - Страница 7
ОглавлениеAmors Pfeil
Mein Mann und ich sind seit über vierzig Jahren verheiratet. Da das doch etwas Besonderes ist, denkt so mancher, dass daran eine außergewöhnliche Form des Kennenlernens schuld ist. Wiederholt wurden wir gefragt, wo, wann und unter welchen Umständen wir uns kennengelernt haben. Das Wie und Wo kann ich noch erzählen, aber das Wann ist nicht mehr genau nachvollziehbar. Ich hatte auf jeden Fall schon studiert, denn wir hatten uns im Studentenklub an einem Samstagabend beim Tanzen kennengelernt. Hätten wir geahnt, dass wir uns mal dauerhaft verlieben werden, hätten wir uns den Tag bestimmt gemerkt.
Ich saß mit meiner Freundin im großen Saal, sie hatte die Bühne und die Tanzfläche im Blick, ich saß mit dem Rücken dazu. Die Band fing pünktlich um neunzehn Uhr an zu spielen. Es dauerte gar nicht lange und meine Freundin signalisierte mir aufgeregt, dass jemand auf unseren Tisch zusteuerte, genauer gesagt auf mich. Ich war neugierig. Doch ehe ich mich umdrehen konnte, wurde ich auch schon von einem jungen Mann zum Tanz aufgefordert. So war das. So einfach haben wir uns kennengelernt. Offensichtlich war er mit seiner Wahl sehr zufrieden. Ich fand ihn auch sympathisch. Wir tanzten den ganzen Abend zusammen. Gegen Mitternacht spielte die Band ihren letzten Song, irgendetwas Langsames zum Kuscheln. Nicht unangenehm! Danach bot er sich an, mich nach Hause zu begleiten. Während wir auf dem Heimweg über dieses und jenes sprachen, war ich in Gedanken schon bei meiner Oma. Ob ich mich auf sie verlassen konnte?
Meine Oma wohnte im gleichen Haus wie ich. Ich hatte meine eigene Wohnung in der ersten Etage, sie wohnte direkt unter mir, also Parterre. Das abendliche Fernsehprogramm war zur damaligen Zeit nach Mitternacht bereits beendet. Mit dem Erscheinen des Testbilds schaltete sie den Fernseher aus und bevorzugte es, noch einen Blick auf das nächtliche Treiben in der Straße zu werfen. So schaute sie fast jeden Abend noch lange aus ihrem Fenster. Vielleicht überwachte sie auch meine Rückkehr. Vielleicht wusste sie aber auch, dass sie mir damit eine große Hilfe erwies. Wir haben nie darüber gesprochen. Ich habe ihr leider nie gesagt, dass ich ihre … ich nenne es mal Neugier … gut fand und machte ihr daher auch keine Vorhaltungen. Offensichtlich herrschte hier zwischen uns ein stilles Übereinkommen.
Ich weiß nicht, was sich mein Mann damals vom Nach-Hause-Bringen erhofft hatte. Ich denke, er wäre schon mit hoch gekommen und hätte die Nacht mit mir gemeinsam verbringen wollen. Welcher Mann würde solch eine Möglichkeit schon abschlagen? Aber er hatte Pech, denn meine Oma schaute, wie von mir erwartet, aus dem Fenster. Ja, und wie das so ist, haben wir uns natürlich unterhalten. Aus zögerlichen Begrüßungen und gegenseitigen Vorstellungen wurde ein sich in die Länge ziehendes Gespräch, sodass mein Mann bald erkannte, dass hier an diesem Abend nichts zu holen war. Und so verabschiedete er sich höflich.
Das sollte es aber nicht gewesen sein, denn wir sind ja schließlich verheiratet und noch wartet, wie in der Überschrift angekündigt, Amors Pfeil auf sein Ziel.
Wir beide blieben über mehrere Jahre in Verbindung. Er war bei der Armee und ich studierte. Wir schrieben uns gegenseitig Briefe und luden uns zu Feten ein. Unsere Beziehung spielte sich all die Jahre auf freundschaftlicher Ebene ab. Er hatte eine Freundin und ich hatte einen Freund. Als wir uns beide unabhängig voneinander eines Tages von unseren jeweiligen Partnern getrennt hatten, passierte es dann zu seiner Geburtstagsfete bei ihm zuhause. Wie so oft, endeten die Feiern als sogenannte „Küchenfete“. Alle Anwesenden waren in der Küche versammelt. Man unterhielt sich, aß die Reste und genoss den damals traditionellen Apfelwein aus eigener Produktion. Die Plätze reichten nicht aus und so stand ich neben dem Tisch. Mein Mann saß auf einem Stuhl. Einer inneren Eingebung folgend, zog er mich auf seinen Schoß. Ja, und genau das war der Moment, als ein Stich durch meinen Körper ging. Der Moment, in dem ich mich in ihn verliebt habe. Der Moment, in dem mich im wahrsten Sinne des Wortes Amors Pfeil getroffen hatte.
Ein Schelm, der jetzt denkt, dass es etwas anderes war, das mich gestochen hat!