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Kapitel 3

Am frühen Morgen des 14. Juni 1933 durfte der „Faschist der ersten Stunde" Annibale Moretti, nach einer schlaflosen Nacht, bis auf wenige kurze Momente, in denen er auf einem Stuhl vor sich hin gedöst hatte, mit den entsprechenden Anweisungen versehen und unter vielen Dankesbezeugungen für seine Mitarbeit, die Kaserne Giovanni Berta verlassen und nach Hause gehen.

Sein Fahrrad war auf der Station der Carabinieri geblieben, weil er am Tag zuvor mit einem Kleinlaster in die Garnison der Miliz gebracht worden war. Moretti hatte sich damit abgefunden, den ganzen Weg nach Hause, etwa zehn Kilometer von der Kaserne, zu Fuß zu gehen, weil niemand, vom Kommandanten bis zum Oberadjutant, vom Hauptmann, der für die Sicherheitsabteilung zuständig war, bis zum Offizier an der Wachpostenlinie, es sich hatte träumen lassen, ihm entgegenzukommen und eine motorisierte Begleitung zu befehlen. Sie hatten ihm nicht einmal etwas zu essen gegeben, weder Abendessen am Vorabend noch ein Frühstück an diesem Morgen, zusammen mit der Truppe oder sogar- wie Hannibal im Stillen gehofft hatte - im Unteroffizierskasino oder besser noch, bei den Offizieren. Mit leerem Magen machte er im ersten Café mit dem Namen „La Megasciada" halt: Es war eigentlich eher eine Trani12 als ein Café, aber es verfügte über eine neapolitanische Kaffeemaschine13 für die ganz wenigen Abstinenzler und nachts für die, die zu betrunken waren, um zu ihren Frauen nach Hause zu gehen, ohne zuerst einen guten Liter „Weinkiller“ geschluckt zu haben. Es war 8.00 Uhr morgens, als Moretti sich hinsetzte und Kaffee und Brot bestellte. Er hatte gesehen, dass sich ein Radiogerät im Raum befand und gebeten, die Nachrichten hören zu dürfen. Man hatte ihm seinen Wunsch erfüllt und Hannibal hörte, wie er anonym zitiert wurde und die Mitteilung, die er zu hören gehofft hatte: „ ... und der Meteorit wurde zuerst von einem braven Bauern gesehen, Faschist schon vor dem Marsch auf Rom, der sofort mit dem typischen Gehorsam des wahren Faschisten Mitteilung machte! Die Königlichen Carabinieri bargen zusammen mit anderen Polizeikräften das, was vom Himmelskörper übrig blieb und übergaben es der Wissenschaft“:

Die Nachricht von diesem Meteoriten war seit dem Vorabend durch den EIAR14 und die Nachmittagsausgaben der Tageszeitungen und am nächsten Morgen durch die Radionachrichten verbreitet worden. Hannibal war nicht überrascht, von dem Meteorit zu hören, denn in der Kaserne Berta war er wiederholt von verschiedenen Offizieren aufgefordert worden, einen Satz einzustudieren, der von einem Meteoriten handelt und von Kommandant Trevisan am vorangegangenen Nachmittag in Blockschrift auf ein Stück Papier geschrieben, aber zuvor von dem gewissenhaften Bocchini entworfen und telefonisch mitgeteilt worden war. Es war eine kleine pedantische Exerzieraufgabe, die in der Öffentlichkeit und in der Familie wiederholt werden sollte: „Es handelt sich um eine himmlische Feuerkugel, um ein natürliches Objekt, das vom Himmel gefallen ist, aber nicht rund, sondern mit der seltsamen Form eines scheibenförmigen Steins, ein wenig wie die Steine, die man über das Wasser schleudert, um sie zum Hüpfen zu bringen, nur viel größer". Früh am Morgen hatten zuerst der wachhabende Oberscharführer, dann der für Sicherheit und Nachrichten zuständige Hauptmann und schließlich Major Trevisan, der zu diesem Anlass früher von zu Hause angekommen war, den Bauern gewissenhaft befragt. Er hatte jedes Mal bewiesen, dass er die Exerzieraufgabe genau verstanden hatte. Auf die präzise Frage des Kommandanten, der ihn kurz vor seiner Entlassung verhörte, hatte er versichert, dass er das genau so und nie anders sagen würde und fügte zur besseren Glaubwürdigkeit hinzu: „Ja, aber natürlich, es ist eindeutig, dass es sich um einen großen flachen Stein vom Himmel handelt, ist doch klar! Das ist so offensichtlich, Herr Major!“ In seinem Herzen jedoch hatte der Mann, der über einen feinen Scharfsinn verfügte, obwohl er nur die Grundschule besucht hatte, es nicht wirklich geschluckt und war weiterhin überzeugt - von wegen himmlische Feuerkugel! Er war ja nicht blöd! - dass es sich um ein wunderbares und außerordentliches Luftfahrzeug handelte, geformt wie eine seltsame Scheibe und sehr geheim, jawohl zu Befehl, und kein natürliches, vom Himmel gefallenes Objekt.

Ebenfalls an diesem Morgen des 14. Juni 1933, zur gleichen Zeit, als Moretti sein Frühstück in der Kneipe einnahm, hörte Mussolini die Nachrichten im Radio und dachte in seinem Büro erneut über dieses unbekannte Luftfahrzeug nach: „Französischer, englischer oder deutscher Prototyp? „ Deutschland", sagte er zu sich selbst, „erscheint mir unwahrscheinlich; dieser hysterische Charlot-Schnurrbart ist erst seit einigen Monaten an der Macht und vorher haben die Deutschen bei all den Bordellen, die dort oben waren, sicherlich nicht daran gedacht, neue Flugzeuge zu entwerfen15. Aber jetzt schafft der Schnauzer16 Adolf schnell Ordnung”: Mussolini mochte diesen ihn verehrenden politischen Nachahmer nicht, der sich in der Öffentlichkeit hysterischen Ausbrüchen hingab und, wie ihm die Geheimdienste zukommen ließen, in gewissen Momenten privat der schwersten Melancholie verfiel, voller Angst um das Urteil der Welt und voll von Minderwertigkeitsgefühlen, etwas absolut Unvorstellbares für ein überschäumendes Vollblut wie der Duce, der sich der Bewunderung für seine Person sicher, ja vollkommen sicher war, vor allem der von Regierungschefs und Ministern anderer Nationen, wie der britische Finanzminister Winston - Winnie - Churchill, der ihn 192917 in Rom besucht hatte und den er Sigarone nannte - „großer Raucher von Montecristo-Zigarren Nummer 1" - hatten ihm die effizienten Geheimdienste der OVRA berichtet –; aber vom Schnauzer Adolf bewundert zu werden, gefiel ihm überhaupt nicht.

Doch es war gerade Mussolinis Vorbild, das die Handlungen Adolf Hitlers nährte, für den Duce der Schnauzer, Führer einer dem Faschismus ähnlichen Bewegung, die auf den Fundamenten einer winzigen deutschen Arbeiterpartei aufbaute und dann zur nationalsozialistischen Partei wurde. Sie brachte all das zum Ausdruck, was unter der deutschen Niederlage gewalttätig anormal brodelte. An erster Stelle der klassische strenge Militarismus und der Rassismus, wonach der Führer mit seinem Charlie Chaplin-Schnurrbart mit starker Hand beim Aufbau seines verheerenden Konzeptes gegriffen hatte, das ihn am 31. Januar desselben Jahres 1933 an die Spitze Deutschlands brachte, im gleichen Jahr, als in Italien im Juni die fliegende Untertasse sichergestellt wurde.

Das weiße Telefon des Duce klingelte. Obwohl es bereits nach 19 Uhr war, befand sich Mussolini noch in seinem Amtszimmer.

Es war Bocchini: „Duce, ich grüße Euch!“

„Neuigkeiten?“

„Wir kennen die wahrscheinliche Nationalität der drei Leichen“.

„Bravo! Wie hat man das herausgefunden?“

„Dank der Funktionsbeschriftungen im Flugobjekt, alle in englischer Sprache und weitere Aufschriften in der gleichen Sprache auf den Etiketten der Unterwäsche der drei Toten. Leider gibt es keine Firmenadressen Großbritanniens oder eines anderen englischsprachigen Landes auf den T-Shirts und der Unterwäsche, aber Großbritannien scheint angesichts ihrer Macht und der aktuellen politischen Situation die wahrscheinl..."

„...natürlich! Großbritannien ist sehr wahrscheinlich! Die sind Meister des Schnüffelns in den Häusern anderer Leute, auch wenn es wahr ist, dass Sigarone große Sympathie für mich empfindet, ist er dennoch ein englischer Patriot. Nun, Bocchini, du weißt, wie du mit den Diensten der OVRA umzugehen hast, um das Militär kümmere ich mich".

„Stets zu Euren Diensten, Duce, aber ich habe noch ein paar Dinge zu sagen."

„Reden Sie“.

Zuerst einmal erwies sich Eure Annahme als korrekt, dass es sich nicht um eine technische Prüfung, sondern um Spione handelte. In einem Innenfach des Flugobjektes wurde weitere Zivilkleidung gefunden, wie man sie in der Stadt trägt, keine, sagen wir, Urlaubskleidung, wie sie die Toten trugen und, vor allem, faschistische Uniformen.

„Ach! Sie wollten landen, sich verkleiden und spionieren, diese Henker! Wurden entwickelte Filmrollen und Filme im Luftfahrzeug gefunden?“

„Nein, Duce, es wurden keine gefunden und auch keine unbenutzten Filmrollen, Kameras oder Filmkameras. Und hier ist die andere Sache: Mehrere kleine externe Objektive wurden gefunden, über und unter dem Flugobjekt und in seiner Umgebung, die die Besonderheit haben, nicht mit Kameras, sondern scheinbar durch Funkwellen mit internen Geräten verbunden zu sein, die Funkgeräte zu sein scheinen, aber seltsamerweise keine Röhren haben.“

„Ein Radio ohne Röhren?! Was haben die denn da erfunden diese verrückten Engländer?“

„Es könnten Kameras für die Aufnahme und Funkübertragung von Bildern sein, wie die des britischen experimentellen Fernsehens, die die Theorie der Spionage durch diese Nation unterstützen würden, aber, Duce, es sind kleine Radiokameras18, ja sehr kleine, keine Riesendinger, wie die, die wir heimlich bei der BBC19 fotografiert haben.”

„Hier muss Marconi her, was?“

„Ja Duce“.

Guglielmo Marconi war der Erfinder des drahtlosen Telegrafen und einer der Väter des Funksystems. Er war eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Regimes, seit September 1930 Präsident der Italienischen Akademie, Nobelpreisträger für Physik und unter anderem Admiral der Königlichen Marine, in der er nach einem kurzen Zwischenspiel im Geniekorps während des Ersten Weltkriegs gekämpft hatte.

„Bocchini, was meinst du, ob sie wohl Fotos und Filme nach England übertragen wollten?

„Der Verdacht erscheint mir berechtigt, Duce“.

„...und leider ist Marconi jetzt auf See und macht Experimente. Welches Gebiet durchquert sein Schiff gerade?“

„Der Admiral ist auf dem Rückweg; er befindet sich im Indischen Ozean, nahe dem Roten Meer, aber wir haben von ihm selbst per Funk erfahren, dass er seinen Anker noch ein paar Mal setzen wird, um weitere geplante Experimente durchzuführen".

„Ich kann nicht um seine Rückkehr bitten, seine Experimente sind stets von grundlegender Bedeutung für Italien, aber sobald er wieder in der Heimat ist, werde ich ihn befragen. Halten Sie mich in der Zwischenzeit ständig über alle Entwicklungen im Zusammenhang mit diesem ausländischen Luftfahrzeug auf dem Laufenden, rufen Sie mich auch in Villa Torlonia an, wenn Sie es für nützlich halten; besser gesagt, tun Sie es auf jeden Fall bei Sichtung weiterer seltsamer Luftfahrzeuge. Tschüs, Bocchini und… tüchtig, tüchtig!”

Mussolini20 befahl den militärischen Geheimdiensten sofort, in Großbritannien besonders wachsam zu sein, ohne die anderen englischsprachigen Industrienationen zu vernachlässigen, und insbesondere nach Flugzeugen in Form einer Scheibe, filmlosen kinophotographischen Maschinen und Funkgeräten ohne Röhren, die Bilder senden konnten, zu forschen.

Noch am selben Abend, kurz vor dem Verlassen seines Büros und seiner Rückkehr in Villa Torlonia, veranlasste der Duce impulsiv - wie so oft - seinen Schwiegersohn Gian Galeazzo Ciano21, Graf von Cortellazzo und Buccari aus China zurückzubeordern, der als bevollmächtigter Generalkonsul mit seiner Frau, Gräfin Edda, geb. Mussolini, in Shanghai lebte: Die Idee, ihn mit Hilfe von Bocchini und der Stefani mit der Leitung des Pressebüros zu beauftragen - dem römischen Organ, das für die Kontrolle und Leitung der Medien zuständig ist - war dem Duce plötzlich in den Sinn gekommen, um sich, wie er seiner Frau Rachele bei seiner Rückkehr zum Abendessen mitteilte, die Leitung der Informationsüberwachung „direkt ins Haus zu holen“. Die Gemahlin hatte nur gemurmelt, und es war nicht das erste Mal, dass dieser ehrgeizige azidèint d'ànder in cà 22, und dann noch mit diesem nicht sehr männlichen Stimmchen, ihr nicht besonders gefiel!

Am späten Mittag des 14. Juni hatte Annibale Moretti, als er nach Hause kam, die unglückliche Idee, seiner Familie die Wahrheit über das diskusförmige Flugobjekt zu enthüllen; und am selben Abend hatte sein einziger Sohn, ein 19-jähriger, der kurz vor dem Einzug zum Militär stand, nach dem Abendessen die sehr schlechte Idee, seiner Freundesclique davon zu erzählen. Sie trafen sich im „Rebecchino", der Dorfkneipe, in der sich unter anderem die Feldarbeiter seines Vaters versammelten, einst fanatische Kommunisten und Hasser des Patrons, die dann mit Gewalt dem Regime unterworfen und schließlich, wie viele andere ländliche Proletarier und Arbeiter, von Mussolini mit bestimmten Vorteilen umschmeichelt wurden, die ihnen gewährt wurden, wie z.B. Freizeitclubs und Reiseveranstaltungen der nationalen Einrichtung „Dopolavoro“ oder Kindergärten und Ferienkolonien für ihre Kinder am Meer oder in den Bergen. Am nächsten Morgen erzählten Morettis Feldarbeiter, aufgrund ihrer Geschwätzigkeit und ihres unkontrollierbaren Neides auf ihren Patron, der trotz der konsolidierten Unterwerfung unter den Faschismus nach wie vor begierig nach „Luft“ schrie, überall und zu allererst den Stadtwachen, dass ihr Patron Lügen so groß wie ein Haus erzählt habe, weil er keinen flachen Stein gesehen habe, sondern ein feindliches Flugzeug in Form einer Scheibe, die in der Nähe eines seiner Felder gefallen sei. Kurz gesagt: Das hatte Folgen! Annibale Moretti war von zu Hause weggeholt und in eine Nervenheilanstalt interniert worden: Man hatte dafür gesorgt, dass jeder wusste, dass der arme Mann verrückt war, und es war zu seinem Besten, dass die Behörde sich dafür einsetzte, ihn zu behandeln, denn Steine mit Flugzeugen zu verwechseln konnte nur internationale Komplikationen verursachen, und kurz gesagt, er war ein bemitleidenswerter Schwachsinniger und ihn frei herumlaufen zu lassen, war eine Gefahr für ihn und für alle. Was seinen Sohn betrifft, so hatte er - auch wenn er vorsichtig gewesen war, wie auch seine Mutter, mit niemandem über den Krankenhausaufenthalt seines Vaters zu sprechen - einige Tage später eine Postkarte mit seinem Einberufungsbefehl erhalten, etwas vor der Zeit, und war in einem Bataillon der Sprengstoffabteilung gelandet, aus dem er einen Monat später in Krümeln in einem versiegelten Metallsarg zurückkehrte, infolge eines unglücklichen Trainingsunfalls aufgrund der Unerfahrenheit des Rekruten Moretti in der Verwendung von Sprengstoffen: Vielleicht war es die Wahrheit, aber der Verdacht auf ein Unglück, das von einigen Handlangern des Regimes herbeigeführt worden war, hatte sich in das Herz seiner Mutter eingeschlichen. Sie hatte jedoch geschwiegen, ohne sich zu beschweren und die Militärstaatsanwaltschaft hatte es nicht für erforderlich gehalten, Ermittlungen einzuleiten. Frau Moretti war in Frieden gelassen worden und, mehr noch, sie erhielt umgehend eine kleine Rente: Man hatte ihr keine Probleme bereitet, nicht nur, weil sie geschwiegen hatte, sondern auch deshalb nicht, weil Frauen damals noch sehr wenig beachtet wurden, und überhaupt nicht, wenn sie dem unwissenden Volk angehörten, sodass den Aussagen einer bäuerlichen Analphabetin die gleiche Anerkennung zuteilwurde, die dem Krähen eines Huhns zuteil geworden wäre.

Die Spuren ihres armen „faschistischen Ehemannes der ersten Stunde“ hatten sich schon länger in Luft aufgelöst, nachdem er von einem Irrenhaus in das andere verlegt worden war, bis eines Tages, im Januar 1934, eine Postkarte zu Hause ankam: kein Brief, damit die Postbeamten des Dorfes die Nachricht lesen und hoffentlich verbreiten konnten, was dann auch geschah. Mit dieser Postkarte wurde Frau Moretti darüber informiert, dass ihre armer Gemahl in Sardinien im Krankenhaus an Lungenentzündung gestorben war und die Frage an sie gerichtet, ob es möglich sei, ihn auf dem örtlichen Friedhof zu begraben oder ob die Familie sich dorthin begeben wollte, um ihn zum Friedhof ihres Dorfes zu überführen. Die Frau hätte innerhalb von fünf Tagen nach dem Versanddatum antworten müssen, wenn sie die Leiche ihres Mannes hätte überführen lassen wollen, andernfalls wäre das Schweigen als Zustimmung zur Bestattung auf der Insel angesehen worden. Die fünf Tage waren bereits vergangen und mit ziemlicher Sicherheit war Moretti bereits begraben worden; die Witwe hatte daher darauf verzichtet, auch angesichts der Kosten und Schwierigkeiten für eine alleinstehende und unwissende Frau, nach Sardinien zu reisen, um die Exhumierung und Überführung des Sargs in das lombardische Dorf zu veranlassen.

Mussolini, der die ganze Nacht selig geschlafen hatte, betrat am 15. Juni 1933 gegen 7 Uhr morgens das Badezimmer, um seine normalen Bedürfnisse nach dem Erwachen zu befriedigen und beim Wasserlassen eine seiner Blitzentscheidungen zu treffen:

Im Büro angekommen, es war 8.10 Uhr, hatte er binnen einer Stunde den Minister für Nationale Bildung Francesco Ercole und den Kriegsminister Pietro Gazzera23 vorgeladen. Das Thema, das er besprechen wollte, war auch für das Außen-24 und das Innenministerium von Interesse, aber es wurde von Mussolini selbst ad interim geleitet; er hatte jedoch den Unterstaatssekretär des Innenministeriums Guido Buffarini Guidi herbeordert, weil diesem effektiv die Leitung dieses Ministeriums zustand.

Genau neunundvierzig Minuten eilten die beiden Minister und der Unterstaatssekretär durch die zweiflügelige Tür des Büros/Wohnzimmers, die ein Diener offenhielt und sich am Ende des Raumes gegenüber vom Schreibtisch des Regierungschefs und vom Stuhl mit den Ausmaßen eines Richterstuhls befand. Sie traten nebeneinander ein und liefen schnellen Schrittes auf den Duce zu, Seite an Seite, nach den neuesten Anweisungen von Mussolini persönlich, während der Diener hinter ihnen die Tür schloss: Offiziell sollte der Befehl zu laufen die Zeit für die Anhörungen verkürzen und dem Staatschef mehr Zeit für andere Aufgaben lassen, aber vor allem liebte es Mussolini sehr, zuzusehen, wie diese Herren in Hemd und schwarzer Jacke ihm auf lächerliche Weise gehorchen mussten: Seit dem Monat Juni des Jahres 1935 sprengte er sogar alle Hierarchien, indem er den sogenannten „faschistischen Samstag“ einführte oder, genauer gesagt, einen Samstagnachmittag, der der Gymnastik und militärischer Erziehung gewidmet war, eine Pflicht, die für alle Italiener gelten sollte. Schon allein die Tatsache, den langen Saal durchlaufen zu müssen, mit dem Duce, der, am Ende des Raumes mit verschränkten Armen hinter seinem Schreibtisch sitzend, mit hochgezogenem Kinn seine Augen in die Augen des Herbeorderten bohrte oder, bei mehr als einem, wie in unserem Fall, den durchdringenden Blick von einem zum anderen wandern ließ, hätte schon erhebliche Ehrfurcht hervorgerufen, aber die Tatsache, dass der Saal im Laufschritt durchquert werden musste, machte jeden, der vor den Duce trat, vollkommen gefügig und sanftmütig. Nach Erhalt der Befehle mussten die Herbeorderten ihren obersten Befehlshaber mit dem römischen Gruß grüßen, sich umdrehen und, Seite an Seite und in rasantem Tempo, hopp, hopp, durch die Tür verschwinden, die in der Zwischenzeit vom Saaldiener wieder geöffnet wurde, den Mussolini durch Drücken eines Knopfes auf dem Schreibtisch informierte, sobald sie ihm den Rücken kehrten. Schließlich wollte er keine Mitarbeiter haben, abgesehen vom treuen Bocchini, sondern einfach nur Marionetten.

Mit wenigen Worten hatte er die beiden Minister und den Unterstaatssekretär angewiesen, „in Rekordzeit!" an der Universität La Sapienza in Rom eine geheime Forschungsgruppe von Wissenschaftlern und Technikern zu bilden, mit der „konventionellen Bezeichnung“, wie er hinzufügte, „Kabinett RS/33, Akronym für Spezielle Forschungen im Jahr 1933: Mussolini, ein ehemaliger Grundschullehrer, tat sich als großer Experte der italienischen Sprache hervor und die Prägung von Akronymen oder Ausdrücken war nichts Neues für ihn; auch das mysteriöse Akronym OVRA war seine Schöpfung.

Der gran Capo hatte nicht gemeinsam mit den anderen den vierten Minister für Luftfahrt, Italo Balbo, einberufen, der auch für die Zusammenstellung des Kabinetts von grundlegender Bedeutung war, sondern ihn allein für 16.00 Uhr beordert. In der Tat wusste er, dass sich Balbo nie und nimmer demütig oder sogar im Laufschritt präsentiert hätte, sondern immer bereit war, dem Duce Kritiken ins Gesicht zu sagen und vielleicht auch eine Frechheit hinzufügte, da dieser Mann ein Faschist der ersten Stunde und einer der vier Führer des Marsches auf Rom war, des sogenannten revolutionären Squadrismus, und vor allem absolut von seiner eigenen Wichtigkeit überzeugt war. Und außerdem war er im Land sehr beliebt und konkurrierte, was die Popularität betraf, mit Mussolini selbst. Er war einer der wenigen Beteiligten in diesem politischen Wettkampf, der ihn duzte, was der Duce nur ungern über sich ergehen ließ: Er war sehr neidisch auf Balbo, auch wenn er es zu verstecken versuchte und bis zu diesem Zeitpunkt nichts unternommen hatte, um ihn zu schädigen, behielt sich aber das Recht vor, ihn bei der ersten guten Gelegenheit verschwinden zu lassen: Ende 1933 war ihm dies dann gelungen, indem er ihn in den höchsten Grad der Luftwaffe beförderte und zum Marschall ernannte, und ihn kurz darauf, nach ausgiebigen Lobesbekundungen, am 26. November, vom König zum Gouverneur der sogenannten Vierten Küste, der italienischen Kolonie Libyen, ernennen ließ und ihn damit tatsächlich ins Exil schickte.

Am selben Abend des 15. Juni, nachdem er Balbo empfangen und ihm die Befehle erteilt hatte, wies der Duce die politische Polizei OVRA in Person des vertrauenswürdigen Bocchini an, die Arbeit des zu konstituierenden Kabinetts zu überwachen und ihm darüber Bericht zu erstatten.

In absoluter Rekordzeit wurde in jeder Provinzhauptstadt heimlich eine spezielle „Sondereinheit RS/33" der OVRA eingerichtet, deren Hauptaufgabe es war, Bocchini zu informieren, sobald unbekannte Flugzeuge jeglicher Art gesichtet wurden, sich sofort dafür zu interessieren und nichtmilitärische Zeugen zum Schweigen zu bringen. Jede Sichtung musste auf einem von Bocchini selbst entworfenen Formular mit dem Kürzel RS/33.FZ.4 gemeldet werden. Es wurde unverzüglich und mit entsprechendem Versand an alle italienischen Präfekturen und von dort an alle Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und an die örtlichen Kasernen der Miliz übermittelt; ein ähnliches Formular, das für die Offiziere der Luftwaffe bestimmt war, war vom Ministerium von Balbo an alle Luftwaffenkommandos geschickt worden, damit sie es an die untergeordneten Abteilungen weiterleiten konnten. Mussolini hatte ebenfalls entschieden, dass jeder Bericht über Sichtungen durch Zivilpersonen über die OVRA gehen und von dort persönlich an ihn und die Gerarchi Italo Balbo als Luftfahrtminister und Gian Galeazzo Ciano als neuer Direktor des Pressedienstes sowie an den römischen Hauptsitz des Kabinetts RS/33 geschickt werden sollte21.

Selbst Balbo, auch wenn er kein Gelehrter war, wurde in das Kabinett übernommen, wegen seiner Entschiedenheit bei der Förderung der Königlichen Luftwaffe, denn sein Motto war: „Wir müssen die Leidenschaft für das Fliegen sublimieren, bis Italien zum luftverkehrsreichsten Land der Welt wird“. Unter den wissenschaftlichen Mitgliedern wurde Guglielmo Marconi an die Spitze der RS/33 gesetzt. Da er jedoch auf seiner Labor-Yacht Elektra um die Welt kreuzte - das Boot war auf den Namen seiner Tochter getauft - beschloss Mussolini, mit der Leitung des Kabinetts vorerst den Astronomen und Mathematiker Professor Gino Cecchini vom Observatorium Milano Merate zu beauftragen: Nach den Absichten des Duce nur in provisorischer Form, Cecchini blieb jedoch definitiv der Kopf der RS/33, angesichts der späteren Abwesenheit des Nobelpreisträgers aufgrund vieler anderer Forschungen. Die anderen Wissenschaftler gehörten zu den Bereichen Medizin, Naturwissenschaften, Physik und Mathematik der Italienischen Königlichen Akademie, ausgenommen der Präsident des Obersten Rates für öffentliche Arbeiten, Graf und Senator Luigi Cozza, der als Zuständiger für die Organisation und als eines der Verbindungsglieder zur Regierung in das Kabinett aufgenommen wurde.

In erster Linie ging es darum, den Betrieb dieses fremden Luftfahrzeugs zu verstehen, um nicht nur ähnliche, sondern hoffentlich auch bessere Modelle bauen zu können und so, wie der Duce sagte, „auf unglaubliche Weise" die in jenen Jahren in der Welt anerkannte luftfahrttechnische Spitzenposition Italiens und damit die konkrete militärische Vorherrschaft in der Luft und die psychologische Unterwerfung aller potentiellen Feinde unter Italien aufrechtzuerhalten. Das Programm beinhaltete die schnellstmögliche Konzentration der Forschung in einem Zentrum mit modernen Einrichtungen, das sofort Zentrales Luftfahrtinstitut genannt worden war und außerhalb von Rom, aber nicht weit vom Universitätssitz der RS/33, entstehen sollte; es wurde schnell der Standort identifiziert, der Flugplatz Barbieri in Montecelio, an dem die Anlagen zwischen 1933 und 1935 gebaut wurden und in dessen Umgebung die neue Stadt Guidonia entstand.

Am Wendepunkt Der Zeit

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