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3. Grenzen der Öffentlichkeit: Exklusionen

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Bürgerstolz auf der einen Seite begegnete Skepsis der Obrigkeit auf der anderen. „Es spricht sich schon herum, daß die Vereine gefährliche Schulen sind, in denen sich die Leute an öffentliche Verhandlungen gewöhnen, daß sie, wenn der Wind einmal umsetzt, plötzlich in politische Klubs umschlagen können“, trug Karl Varnhagen von Ense am 4. Dezember 1844 in sein Tagebuch. In der Tat waren gerade die Vierzigerjahre dazu angetan, vielen Vereinen einen politischen Anstrich zu verleihen. 1850 reagierte das preußische Vereinsgesetz auf den sich drehenden Wind:

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Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenen Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechtes.

Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Nr. 20, vom 11. März 1850

§ 2 Die Vorsteher von Vereinen, welche eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken, sind verpflichtet, Statuten des Vereins und das Verzeichnis der Mitglieder binnen drei Tagen nach Stiftung des Vereins, und jede Aenderung der Statuten oder der Vereinsmitglieder binnen drei Tagen, nachdem sie eingetreten ist, der Ortspolizeibehörde zur Kenntnißnahme einzureichen, derselben auch auf Erfordern jede darauf bezügliche Auskunft zu ertheilen. Die Ortspolizeibehörde hat über die erfolgte Einreichung der Statuten und der Verzeichnisse, oder der Abänderung derselben, sofort eine Bescheinigung zu ertheilen. …

§ 8 Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten außer vorstehenden Bestimmungen nachstehende Beschränkungen:

a) sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen;

b) sie dürfen nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten, insbesondere nicht durch Komite’s, Ausschüsse, Central-Organe oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitigen Schriftwechsel. Werden die Beschränkungen überschritten, so ist die Ortspolizeibehörde berechtigt, vorbehaltlich des gegen die Betheiligten gesetzlich einzuleitenden Strafverfahrens, den Verein bis zur ergehenden richterlichen Entscheidung (§ 16) zu schließen.

Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzungen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf die Aufforderung des anwesenden Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Grund zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung (§§ 5.6) vorhanden.

Auch wenn immer wieder „von oben“ argwöhnisch beäugt: Das Vereinsleben florierte. Gleichzeitig erweiterten die Vereine selbst den Kreis der Ausgeschlossenen. Vereinsmitgliedschaft galt als Eintrittsbillet in die bürgerliche Gesellschaft, aber die Mitgliedschaft selbst musste erst mühsam errungen werden. Für Minderheitengruppen wurde der erreichte oder verwehrte Zugang zu einem der Vereine zum Gradmesser ihrer Integration in die bürgerliche Gesellschaft.

Vereinsmitgliedschaft jüdischer Bürger

Wie weit etwa die Vereine jüdischen Bürgern offen standen, differierte nach Zeit und Region. Anders als den christlichen Minderheiten war der jüdischen Kaufmannschaft der Eintritt in bürgerliche Vereine noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts verwehrt geblieben. Im Vergleich zu den Reformierten und Katholiken in lutherisch dominierten und den Protestanten in katholischen Städten, deren Emanzipation sich fast zeitgleich mit der Vereinsbildung vollzog, waren die Widerstände gegenüber den jüdischen Bürgern ungleich größer. Dabei hatten sich schon in der ersten Jahrhunderthälfte mentale Annäherungen unverkennbar vollzogen: Binnen Kurzem griffen emanzipatorische Ideen eines aufgeklärten modernen Reformjudentums, die sich an den Vorstellungen eines Moses Mendelssohn (1729–1786) und Christian Wilhelm von Dohm (1751–1820) orientierten, in den jüdischen Gemeinden um sich. Zu Recht hat Shulamit Volkov betont, dass sich weite Kreise der jüdischen Bevölkerung lange vor dem 3. Juli 1869, als die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes alle mit der Religionszugehörigkeit verbundenen Einschränkungen und Ausschlüsse untersagte und damit auch die Juden zu Vollbürgern erklärte, bereits als Teil einer bürgerlichen Gesellschaft verstanden.

Dieser Prozess der Verbürgerlichung hieß vor allem „Akkulturation“ – ein Prozess, der von nicht-jüdischen und jüdischen, aufgeklärten Bildungsbürgern gemeinsam vorangetrieben wurde. Jüdische Bürger wollten nicht nur wie die anderen, sondern auch mit den anderen leben, d. h. auch Teil der bürgerlichen Öffentlichkeit sein. Das nicht-jüdische Bildungsbürgertum, das zumindest bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Bedingungen der Verbürgerlichung aufstellte, verlangte von Eintrittswilligen in die bürgerliche Gesellschaft, zunächst selbst „Bildungsbürger“ zu werden. Auserkorene Stätten für diesen Bildungsprozess waren die Vereine. So erscheint es nur konsequent, dass Juden, die in den alten, auf zünftigen und ständischen Prinzipien fußenden gesellschaftlichen Organisationen nicht geduldet worden waren, nun jede Anstrengung unternahmen, diesen neuen Vereinigungen beizutreten.

Doch die Hindernisse, die es dabei zu überwinden galt, waren hoch. Selbst in den Freimaurerlogen, die programmatisch religiöse Toleranz großschrieben, ging die Aufnahme jüdischer Logenbrüder selten ohne lange Kontroversen vonstatten – und das nicht nur in Deutschland. Während des ausgehenden 18. Jahrhunderts gelang es jüdischen Bürgern gelegentlich, in die neuen, für die entstehende bildungsbürgerliche Kultur so charakteristischen Lesegesellschaften einzutreten. An der Jahrhundertwende spielten Juden und Jüdinnen in der Berliner Salon-Gesellschaft eine gewisse Rolle, doch dieses Phänomen, so beeindruckend es für seine Zeit war, blieb marginal. Im Großen und Ganzen öffnete sich das Tor zur Welt der bürgerlichen Vereine selbst für die meisten hochgebildeten Juden nur einen Spalt breit.

Vereinsmitgliedschaft von Bürgerinnen

Diese Erfahrungen der jüdischen Bevölkerung waren paradigmatisch für den Umgang der bürgerlichen Vereinsöffentlichkeit mit Minderheiten. Die hehren Ideale, die vorn auf den Vereinssatzungen prangten, wurden häufig durch restriktive Ausschlüsse im Kleingedruckten ad absurdum geführt. Konfessionelle Barrieren erwiesen sich für den Vereinszugang ebenso wie soziale Unterschiede als häufig unüberwindbar. Auch Frauen blieb die aktive Teilnahme an verschiedenen bürgerlichen, auch nicht-politischen Vereinen untersagt. „Das Weib bleibt auf den kleinen Kreis beschränkt“, lautete das zeitgenössische Motto; der „kleine Kreis“ hieß die Familie. Weibliche Aktivitäten außerhalb sollten kontrolliert und tunlichst eingeschränkt werden. Die bürgerliche Öffentlichkeit sollte den Männern vorbehalten bleiben, weibliche Grenzgänger waren nicht vorgesehen, wurden gar als Gefahr beschworen, stand doch nichts Geringeres als der Erhalt der Familie auf dem Spiel. Die Vereine waren damit beinahe ausnahmslos Räume für Männer. Nicht nur in den philanthropischen, mit konkreten Reformprojekten befassten Gesellschaften blieben die Männer unter sich; auch die Geselligkeits- und Bildungsvereine schlossen Frauen aus. Zwar gab es einige Lesegesellschaften, zu denen Frauen Zutritt hatten. In manchen Musikvereinen waren sie als Begleiterinnen ihrer Männer zugelassen, und bei öffentlichen Konzerten rechnete „es sich die Gesellschaft zur Ehre“, wie es hieß, wenn Damen im Publikum saßen. Als zahlende und mitwirkende Vereinsmitglieder jedoch waren sie nicht willkommen.

Dieser Ausschluss der Weiblichkeit wurde überdies durch das Vereinsgesetz buchstäblich legitimiert, der Ausschluss der jüdischen Minderheit hatte jedoch keine rechtliche Basis. In den relativ liberalen 1840er und 1860er Jahren schienen sich dann einige Vereine etwas zu öffnen, unter dem anschwellenden Nationalismus in den 1880er Jahren mit einem anschwellenden Antisemitismus im Gefolge wurde eine Integration erneut erschwert. Trotz anderslautender Rhetorik zeigte sich die bürgerliche Öffentlichkeit immer weniger offen.

Den Ausgeschlossenen blieb nun nur eine Wahl: Sie mussten sich eine eigene Vereinsöffentlichkeit schaffen. Viele Juden und einige Frauen taten dies. Ende des 19. Jahrhunderts folgten auch immer mehr Arbeiter diesem Weg. Denn: Auch wenn in den Vereinssatzungen häufig zu lesen war, dass allen „gebildeten Männern“ der Zutritt offen stünde, konnte ein Arbeiter noch so belesen sein, spätestens an den häufig hohen Mitgliedsbeiträgen scheiterte er. Bei allem bürgerlichen Engagement, den aufklärerischen Zeitgeist unter die Massen zu tragen, spricht aus der Praxis der Vereine eine gehörige Portion Misstrauen gegen die ach so „ungebildeten Stände“. In den Volks- und Arbeiterbildungsvereinen ging es nicht um den Gedankenaustausch unter Gleichgesinnten. Eine klare Hierarchie wiederholte die Gesellschaftsordnung, die eigentlich im Verein überwunden werden sollte: Die Bürger im Vorstand fungierten als Lehrmeister, die Arbeiter hatten sich als gelehrige Schüler zu gebärden. Die universale Utopie einer Gesellschaft der Gebildeten, die sich sukzessive zur bürgerlichen Gesellschaft erweitern sollte, blieb infolgedessen – trotz aller Anstrengungen im Einzelnen – auf eine Gesellschaft der Bürger beschränkt.

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