Читать книгу Der Soldat, den niemand haben wollte - Gunnar Walter Richter Johansen - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеAn einem klaren Herbsttag im Oktober nahm Walter Abschied von den Kameraden der Scheinwerferstellung Nr. 6. Er traf sie zufällig am Vormittag. Keine großen Worte, keine weinerlichen Abschiedsszenen, sondern ein kurzer Händedruck und alle guten Wünsche für die Zukunft. Zusammen mit Hans Rotmeier und einer Handvoll anderer Soldaten kauerte er sich auf einer LKW-Ladefläche zusammen, gut eingepackt in seinen Mantel. Die Fahrt von Orkanger zum Trondheimer Hafen war lang und kalt. Die Straße, in der sich das Barackenlager von Walter und Hans befand, hieß Stiklestadveien, zwischen Nidarholmsgata und Strandveien. So gut wie hier, hatten sie nie zuvor während des Krieges gewohnt. Zwei Mann auf der Bude – das war der pure Luxus. Das verhieß Gutes. Sie wurden nun ein Teil der Seetransportabteilung „Seetra“ – zuständig für die Reinigung und Brennstoffversorgung der Schiffe, die für den Heimtransport der Soldaten benutzt wurden. Unten am Strandvei-Kai, wo Walter jetzt arbeitete, war immer etwas los. Er war dankbar für den Wechsel. Die Verpflegung war auch nicht übel, aber das Beste von allem, waren die vielen Möglichkeiten, etwas zu „organisieren“. Man stahl nicht, man „organisierte“.
Es war überhaupt nicht schwierig, Schnaps, Schweinefett, Fleisch oder warme Kleidung zu beschaffen. Aber das Wichtigste fehlte: Die Möglichkeit, aus der Baracke herauszukommen, um Mädchen zu treffen. „Wenn Mohammed nicht zum Berg kommt, muss der Berg zu Mohammed kommen“, sagte Hans Rotmeier. Walter hatte den Sinn dieser Worte nie ganz verstanden, aber als Hans ihm einen eigens für das Verstecken einer Person geschaffenen Hohlraum in seinem Sofa zeigte, begann ihm ein Licht aufzugehen. „Es kommt nur darauf an, das Ganze ein bisschen zu organisieren“, sagte Hans.
Außerhalb des Barackenlagers gingen viele Mädchen umher, die mehr oder weniger feste Kontakte zu deutschen Soldaten im Lager hatten. Wenn es jedoch etwas gab, das die norwegische Militärpolizei in Rage brachte, dann war es eben dieses Treiben. Es war streng verboten. Viele dieser Mädchen waren vor einigen Monaten kahl geschoren und auf offenen Lastwagen dem Hohn und Gelächter der Leute preisgegeben worden. Dennoch gab es immer noch etliche Mädchen und Frauen, die – so die Militärpolizei – „kein Schamgefühl im Leibe hatten“, weil sie sich in der Nähe der Baracken der deutschen Soldaten herumtrieben. Die von den Norwegern vorgenommenen Stichproben und Razzien führten nicht zu einem wesentlichen Rückgang. Norwegische Schuljungen schrieben es sich als verspäteten Kriegseinsatz zu, wenn sie Mädchen ausspioniert und der Militärpolizei gemeldet hatten, die sich ins Lager geschlichen hatten.
Denn wenn die Mädchen einmal im Lager waren, konnte man sie nicht so leicht entdecken. Ein Soldat, der sich aufs Tischlern verstand, hatte sich die Mühe gemacht, ein Stück Fußboden herauszuschneiden, ohne dass auch nur eine einzige Sägespur zu sehen war. Unter dem Fußboden war so eine Art Notkeller entstanden – einen guten halben Meter groß. Derselbe Tischler hatte auch einen riesigen Kleiderschrank mit doppelter Wand gebaut, in dem die Mädchen sich zur Not verstecken konnten.
Hinzu kam noch, dass stets einer der Soldaten „Mädchenwache“ hatte, wenn Mädchen in der Baracke zu Besuch waren. Dieser Posten spazierte dann gemeinsam mit dem Polarhund „Twist“ ruhelos hin und her, immer wieder um die Baracken herum. Wenn die Militärpolizei auftauchte, blinkte er mit der Taschenlampe. Da Twist dann auch noch jedes Mal bellte, wenn er einen norwegischen Soldaten sah, war das Warnsystem schon ganz beachtlich. Außerdem hatte Hans drei Fluchtwege aus den Baracken eingerichtet. Zum ersten Mal konnte er jetzt die auf der Rekrutenschule erworbenen Kenntnisse im Bereich Strategie in die Praxis umsetzen.
Walter gefielen die Momente, wenn sie Mädchenbesuch in der Baracke hatten. In der Regel saßen sie im größten Zimmer, ganz unten im Flur. Wenn ihnen der Alkohol zu Kopfe stieg, wurde die Stimmung lockerer. Die meisten Mädchen, die zu Besuch ins Lager kamen, kannte Walter nicht. Viele der Mädchen hatten früher einen festen Freund gehabt, diese Verhältnisse endeten jedoch durch den Heimtransport oder durch die Internierung. Da sie sowieso zu den von der Gesellschaft Ausgestoßenen gehörten, konnten sie wenigstens einen letzten Rest jener Zeit erleben, die sie gern für sich bewahren wollten. Wohin sollten sie denn sonst gehen? Hier lachte man gern, wenn auch manche dieses Lachen als freudlos bezeichnen würden. Zumindest saß man im selben Boot. „Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat“, zitierte Sigrid die Bibel, wenn sie gefragt wurde, was sie denn jetzt vorhabe. Aufgewachsen in einem pietistischen Heim, war sie der große Schandfleck der Familie, weil sie sich mit den Deutschen einließ. Nun trank sie große Mengen und schob die Zukunft vor sich her.
Das Leben war nicht gerade zimperlich mit Sigrid umgesprungen. Das verfilzte Haar hing ihr über das faltige Gesicht. Es war eine Weile her, dass sie jung gewesen war. Sigrid grinste stets mit zusammengekniffenem Mund, um ihre braunen Zahnstümpfe zu verbergen. Die Soldaten konnten noch so besoffen sein, dass einer mit Sigrid verschwand, geschah höchst selten. Hier verlief die Grenze. Trotzdem entbehrte sie nicht einer gewissen Autorität. Sie konnte reden und ihr Temperament war unbeschädigt. Als ihr Bruder ihr während des Krieges auf offener Straße nachgespuckt hatte, wurde sie so zornig, dass sie ihn ganz spontan bei den deutschen Behörden anzeigte. Danach hatte sie ihre liebe Mühe, ihn wieder freizubekommen.
Jetzt saß sie da und beobachtete die Annäherungsversuche, die sich am Tisch abspielten. Stets waren einige Stühle zu wenig da, einige Mädchen mussten also von vornherein auf dem Schoß sitzen. Alles begann fein und anständig. Wenn dann die Geschichten und Lieder kamen, wurde das Knutschen stellenweise etwas stärker. War die Paarverteilung klar, legte das Mädchen dem Soldaten den Arm um den Hals und lehnte ihren Kopf an seinen. Die Besoffensten von allen scherten sich nicht darum, ihre Küsse zu verbergen und johlten verzückt, wenn ihnen etwas ins Ohr geflüstert wurde. Walter spürte im Zigarettenqualm und dem Schummerlicht, dass er heute kein Glück haben würde. Die Mädchen waren in der Minderzahl. Alle anwesenden Mädchen saßen bereits auf gierigen Schößen, schrien durcheinander, gestikulierten wild mit den Schnapsgläsern und kleckerten dabei alles voll. Ein Paar nach dem anderen verschwand, und zu guter Letzt blieben Walter, Sigrid und Erik allein zurück. Den Erik hatte Walter in der letzten Zeit ein wenig kennen- und schätzen gelernt. Vielleicht, weil er auf seine stille und schelmische Art immer in Opposition zu den Vorgesetzten war. Das war ihm übrigens teuer zu stehen gekommen. Erik erzählte nicht sehr viel, aber so viel hatte Walter mitbekommen: Erik war während des Postendienstes eingeschlafen und daraufhin mit dem „Strafbataillon 500“ an die Ostfront versetzt worden. Nach Abdienung seiner Strafzeit kam er nach Norwegen zurück. In einer Schublade in Eriks Zimmer hatte Walter neben dem Sturmabzeichen auch das Eiserne Kreuz 2. Klasse und das Verwundetenabzeichen gesehen. In Situationen wie dieser nun wurde Erik an die Ostfront erinnert, denn mit Frauen konnte er nichts mehr anfangen. Sigrid und Erik lutschten an ihren Kippen. Alle drei saßen gedankenversunken da und lauschten den schon gewohnten Lauten. „Dass sie dir da an der Ostfront auch die Eier abschießen mussten“, sagte Sigrid und lächelte. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie dir zu irgendeinem Nutzen hätten sein können“, konterte Erik und lachte am lautesten von allen. Walter spürte, dass er müde war. Heute wurde es nichts, aber es würde neue Möglichkeiten geben. Der nächste Tag hatte für ihn Kohlenschippen und Saubermachen parat. Es war Zeit, ins Bett zu gehen. Aber bei Sigrid war die Grenze. Darin waren sich Walter und Erik einig.
Walter und Hans arbeiteten sich nicht gerade tot für die „Seetra“. Es gab ja schließlich in der Welt interessantere Tätigkeiten als Kohle zu schippen. Es reizte sie viel mehr, neue Möglichkeiten des „Organisierens“ zu erkunden. Sie hinterließen die Kohlebunkerräume halb leer, steckten sich Schnapskisten unter ihre riesigen Regenmäntel und bedienten sich bei günstiger Gelegenheit an der Ladung. Einmal wäre es fast schief gegangen. Als der Kranführer dem Kapitän meldete, wie viel Kohle er an Bord gehievt hatte, bekam der einen Wutanfall. Er hatte viel zu wenig bekommen! Der Kapitän inspizierte den Kohlebunkerraum, der auf den ersten Blick aussah, als sei er bis oben voll. Zu beiden Seiten klafften jedoch riesige Hohlräume, die diese faulen deutschen Schweine nicht gefüllt hatten.
Eines Tages legte ein kleiner Frachter aus Åsenfjorden an. Geladen hatte er Proviant aus verschiedenen deutschen Stellungen rund um den Trondheimsfjord. Die Ladung sollte in eine Art zentrales Lager am Kai in Trondheim überführt werden. Walter und Hans wussten, dass die Jungs an Bord ein gutes Leben mit schier unbegrenzten Möglichkeiten des „Organisierens“ führten. Einmal gingen sie nach der Arbeit an Bord und fragten, ob es dort irgendetwas Essbares gebe, das die Soldaten an Bord entbehren konnten. Nein, so etwas hatten sie nicht. Nur für den Eigenbedarf. Nun gut. Walter und Hans sahen jedoch, wo die Herrlichkeiten gelagert waren. Da beschlossen sie, dass auch sie ihren Teil vom Kuchen bekommen wollten, auch wenn dies ein bisschen zusätzliches „Organisieren“ erforderte. In der Nacht darauf weckte Hans Walter und sagte, alles sei vorbereitet. „Was ist vorbereitet?“ Sie hatten sich ja über all die Herrlichkeiten unterhalten und ihrer Wut auf die geizigen Kollegen freien Lauf gelassen, aber von konkreten Plänen hatte Walter nichts gehört. Die Pläne schmiedete Hans insgeheim und ganz allein. Jetzt hatte er einen gummibereiften Zugkarren und ein Brecheisen rangeschafft. Walter zögerte etwas. Das könnte gefährlich werden. Trotz seiner Zweifel schwang er sich aus dem Bett und zog sich schnell an, denn im Raum war es kalt.
Es war eine nasskalte und nebelige Novembernacht. Walter war hellwach, als er dastand und zusah, wie Hans den beiseitegeschafften Karren herausbugsierte. Sie gingen den Stiklestadveien entlang, Hans vorneweg. Um auf das Hafengelände zu gelangen, musste man ein Pförtnerhäuschen im Strandveien passieren. Der norwegische Wachtposten dort schlief jedoch meistens. Er hatte sich einen kleinen Stuhl besorgt, auf dem er saß und schlief. Walter ging hinter Hans, und ihm war etwas mulmig zumute. Hans verlangsamte seinen Schritt nicht, sondern ging beherzt am Posten vorbei. Walter nahm im Augenwinkel eine zusammengesunkene Gestalt wahr, die sich in einen zusätzlichen Mantel eingewickelt hatte. Der Kopf des Postens war gegen die Wand gelehnt, so dass der Helm schief über das Gesicht kippte. Als Hans und Walter am Speicher am Ladehammerkai ankamen, schauten sie sich vorsichtig um. Walter kam jede Sekunde wie eine Ewigkeit vor. Heute befand er sich wirklich zum ersten Mal in „Feindesland“. Er hatte größere Angst, als dies je während des Krieges der Fall gewesen war. Hans hingegen machte einen eher unbeschwerten Eindruck. „Es sind keine Posten aufgestellt“, flüsterte er. Sogleich schlichen sie sich am Speicher entlang, der zur Kaimauer hin lag. Den Karren ließen sie an der Ecke zurück. Die Tür, nach der sie suchten, befand sich etwa in der Mitte des Speichers, die Türangeln waren auf der Außenseite in eine zum Teil morsche Holzwand eingelassen. Hans setzte das Brecheisen an die obere Türangel an und stemmte. Die knarrenden Geräusche nahmen sich in der Nacht für Walter wie Sirenen aus, er schaute sich ängstlich um. Er hatte das gleiche Gefühl wie damals in Schwarzheide, als sie beim Sattelmacher Eierpflaumen gestohlen hatten: die einige Sekunden währende, panische Angst, als er unter dem Baum stand und die Pflaumen herunterrüttelte.
Auch die untere Türangel ließ sich leicht lösen. Hans winkelte die Tür mit dem Brecheisen etwas an, ergriff sie mit beiden Händen und hob sie so weit nach oben, dass er bequem eintreten konnte. „Stell dich hierhin“, flüsterte er Walter zu und verschwand in dem dunklen Viereck. Er holte eine Taschenlampe hervor und ließ den Lichtkegel über aufgestapelte Jutesäcke und Pappkartons gleiten. Hans riss einen Pappkarton auf und fand Konserven mit Schweinefett. Er suchte weiter, während Walter nur den einen Wunsch hatte: dass das Ganze schnell vorbei wäre. Er wäre auch nur mit Schweinefett zufrieden, wenn sie jetzt nur gehen könnten. „Beeil dich“, mahnte er. Doch Hans hörte nicht, er suchte weiter. „Hier haben wir’s“, sagte er und zeigte mit der Taschenlampe auf einige größere Kisten in der Ecke. Darin waren Kunsthonig und Schweinefett. Sie griffen sich jeder eine Kiste und schwankten damit in der Dunkelheit Richtung Tür. Walter holte den Karren, und in wenigen Minuten hatten sie alles verstaut. Hans zog ihn, während Walter die gefährlich hoch aufgestapelten Pappkartons abstützte. Diesmal riskierte Walter nicht einmal einen Blick in Richtung Wachtposten, sondern ging mit geschlossenen Augen an dem kritischen Punkt vorbei. Zum Glück schnarchte der Norweger immer noch. Im Lager angekommen, brachten sie die kostbare Last im Pendelverkehr zwischen Karren und Zimmer schnell ans Ziel. Hans löste die Fußbodendielen, die Lagerkapazität darunter war enorm. Dann setzten sie sich jeder auf einen Stuhl und atmeten tief durch. Walter spürte, wie sein Puls sich normalisierte, und ein herrliches Gefühl aus Erleichterung und Freude ergriff ihn. „Vier Jahre im Krieg gewesen", sagte Hans, „und das spannendste Erlebnis ist es, einen Karren mit Schweinefett an einem Wachtposten vorbeizuziehen. Kein Wunder, dass sie keinem von uns das Eiserne Kreuz verliehen haben.“
Die nächtliche Tour löste Freude in der Baracke aus. Nun hatte man den notwendigen Rohstoff, um hier vor Ort etwas Schnaps brennen zu können. Denn der Kunsthonig sollte beileibe nicht nur als Brotaufstrich dienen. An einem späten Herbstabend wurde das Ergebnis präsentiert. Anwesend waren auch Sigrid, Reidun und etliche andere Mädchen mit mehr oder weniger festen Freunden. Sie waren auf verschiedene Weise ins Lager gelangt. Die Party war in vollem Gange, als plötzlich Twist bellte und der „Mädchenposten“ mit der Taschenlampe blinkte. Sigrid hatte dem Schnaps schon mächtig zugesprochen und schob den Soldaten zur Seite, der sie am Arm zerrte, um sie in den Kleiderschrank zu bugsieren. Sie hatte doch verdammt noch mal keine Angst vor der Militärpolizei! Hans riss die Fußbodenluke auf und stieß drei johlende Mädchen hinab in den dunklen Verschlag. Dann lief er um den Tisch herum, packte Sigrid unsanft unter den Armen und zerrte sie in Richtung Kleiderschrank. Inzwischen hatte Walter die Tür geöffnet und die zweite Wand zur Seite geschoben. Er packte Sigrid und half, sie an ihren Platz zu bugsieren. Das entschiedene Zupacken hatte offensichtlich Eindruck auf Sigrid gemacht. „Jetzt hältst du die Schnauze und bewegst dich nicht“, zischte Walter und manövrierte die Furnierwand wieder an ihren Platz.
Die Soldaten platzierten sich um den Tisch herum, schleuderten fix einige Spielkarten auf den Tisch und taten so, als ob sie mitten in einer Runde Skat waren. Da wurde auch schon die Tür von einem Hauptmann aufgetreten. Hinter ihm stürmten fünf Fallschirmjäger ins Zimmer, wie in einer einstudierten Kommandoaktion. „Wo sind die Mädchen?“, rief der Offizier. Und wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern begann sofort, den Raum zu durchsuchen. Die anderen stürmten hinunter in den Flur und durchkämmten jedes einzelne Zimmer. Das war schnell getan. Denn die Bewohner jener Zimmer wussten, dass heute die Mädchen im Zimmer von Walter und Hans waren. Sie hatten also kein Problem damit, überrascht zu tun, als die Norweger hereinstürmten, um mit den Gewehrläufen in den Sofadecken herumzustochern, unter die Betten zu schauen und die Wäsche aus den Kleiderschränken zu werfen. Der Offizier fühlte sich immer mehr provoziert. Er stellte sich mitten ins Zimmer von Walter und Hans: „Hört zu. Wir wissen, dass hier Mädchen sind. Uns wurde gemeldet, dass mindestens drei Mädchen ins Lager eingedrungen sind. Wenn sie nicht sofort herauskommen, werdet ihr verhaftet und nach Rotvoll gebracht.“ Er sah sich drohend um, und nach einigen Sekunden Pause meldete sich Hans mit gespielter Freundlichkeit und dünner Stimme zu Wort: „Herr Hauptmann, Sie haben doch selbst gesehen, dass hier niemand ist. Wo in aller Welt sollen sie denn sein? Da muss jemand falsch geguckt haben.“ Einer der deutschen Soldaten wurde etwas übermütig, als er den Zweifel im Gesicht des Hauptmanns sah: „Vielleicht haben sie sich in Luft aufgelöst oder sich in die Wand gesetzt?“, sagte er übertrieben höflich. Jetzt war das Maß voll. Der Hauptmann machte einen Schritt auf den Soldaten zu, der auf einem Holzstuhl saß. Plötzlich trat er so heftig nach dem Stuhl, dass das eine Stuhlbein wegbrach und der Deutsche auf dem Fußboden landete. Durch den Krach hatte sich Sigrid offenbar im Schrank bewegt, denn der Schrank schwankte leicht hin und her. Mit einem Satz war der Hauptmann am Schrank, riss die Tür auf, schob die Furnierplatte zur Seite und zog Sigrid an den Haaren heraus. Sie fluchte und schrie, was den Hauptmann noch wütender machte. „Ja, schrei nur, du verdammte Deutschenhure! Es wird noch mehr zu schreien geben in der nächsten Zeit. Wo sind die anderen?“ „Nur ich bin hier“, weinte Sigrid. Ihr Hochmut hatte sie verlassen. „Nur ich bin hier.“ „Nehmt die anderen drei auch mit“, befahl der Hauptmann.
So mussten Walter, Hans und Erik mitkommen ins Quartier der norwegischen Militärpolizei. Zuerst wurde Sigrid verhört. Nach einer guten halben Stunde kam sie heraus und erzählte, sie müsse hundert Kronen Geldstrafe zahlen. „Wie soll ich denn das verdammt noch mal bezahlen?“, fragte sie im Grunde sich selbst, als sie dann endlich gehen durfte. Walters Daten und die der beiden anderen waren schnell aufgenommen. Es war deutlich, dass der Hauptmann, der sie mitgenommen hatte, immer noch nach Rache sann. Überhebliches Grinsen von Deutschen hatte er genug erlebt. Sie bekamen für die Nacht eine kleine Zelle mit nur zwei Pritschen für drei Mann. Walter und Hans lagen Kopf an Fuß und waren sich schnell darin einig, dass es jetzt wohl mit den Mädchenbesuchen in der Baracke vorbei sei. Denn es war offensichtlich, dass der Hauptmann es ernst gemeint hatte, als er mit Rotvoll gedroht hatte. Am nächsten Morgen durfte Erik ins Lager zurück, Walter und Hans hingegen mussten mit zwei norwegischen Soldaten in Richtung Lade fahren. Sie saßen zusammen mit Twist hinten auf einem kleinen Militär-LKW. In einer Kurve an einem Bach hielt der LKW. „Stellt euch hierhin!“, kommandierte der eine Norweger grimmig. Der Hund schnüffelte noch ein wenig am Straßenrand, dann bekam er einen schnellen Schuss hinters Ohr. „So geht es euch, wenn ihr das nächste Mal Mädchen in der Baracke habt“, sagte der Soldat und lud die Waffe mit einer ungestümen Bewegung nach. Walter lag eine scharfe Antwort auf der Zunge, hatte sich aber unter Kontrolle. Gerade in diesem Moment schien es Walter am klügsten zu sein, so zu tun, als ob er dem Norweger glaubte.