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Als ich mit Kauer durchs Klinikgelände joggte, sagte er: "Der Firat ist gar nicht so übel, Mutzelkopp. Man muss ihn nur zu nehmen wissen. Von Schwachstrom versteht er eine ganze Menge. Überhaupt. Er lässt sich nichts vormachen."

Die Sonne knallte uns auf die Köpfe. Wir krochen in einen Schuppen, der sich Labor nannte und wo den Patienten Blut abgezapft wurde. Kauer und ich rissen Strippen von den Wänden und nagelten neue an. Mir gelang es tatsächlich, die Nägel gerade in die Wand zu hämmern.

Ich sagte: "Und wenn man ihn nicht zu nehmen weiß, den Firat?"

Kauer umkurvte einen ausgedienten Catcher, der sich Oberschwester nannte, und meinte: "Du wirst das schon noch mitkriegen, wie der Hase läuft. Darfst nur keinen Firlefanz veranstalten."

Punkt neun ließ Kauer Hammer und Zange fallen. Er schluckte drei bunte Pillen und wickelte ein stinkiges Käsebrot aus, von dem er jeden Bissen vorschriftsmäßig fünfundzwanzig Mal kaute. Das hinderte ihn nicht, mir zu er-zählen, wie viel Urlaub ich zu beanspruchen hätte, dass wir Überstunden weder bezahlt bekämen noch abfeiern könnten. Und dass ich eine Lebens-versicherung eingehen sollte, und was er sonst alles noch drauf hatte.

Ich sagte: "Und wenn ich nicht mitkriege, wie der Hase läuft - was ist dann?"

Kauer kaute weiter, sah mich an und sagte: "Das wirst du schon schaffen, Mutzelkopp. Du hast doch alle beisammen. Denk ich. Oder? Was meinst du?"

"Und wenn ich es gar nicht schaffen will?" Ich stieß ein Fenster auf, weil ich sonst an dem verdammten Käsegestank totgegangen wäre. "Nimm mal an, ich will es nicht schaffen."

"Mach doch mal die Tür zu", sagte Kauer. "Ich hab's im Kreuz. Weißt du. Hier zwischen unten und oben. Ich kann keinen Zug vertragen. Schon der leiseste Zug geht mir ins Kreuz."

Ich öffnete noch ein Fenster. Die Kranken hier konnten kaum noch kränker werden, wie die aussahen. Ich sagte laut und deutlich: "Arsch".

"Was hast du gesagt?"

"Arsch hab ich gesagt."

Kauer packte den Rest von seinem Käsebrot ein, als wäre es Meissner Porzellan. Dann fingerte er eine Zigarre aus einer Kiste. Er drehte und wendete sie und schob sich schließlich ein Ende zwischen die Lippen.

Kauer erzählte weiter drauflos, er wusste wohl selber nicht was. Er rauchte seine Billig-Havanna genau bis zur Hälfte, drückte sie vorsichtig aus und legte sie zurück in die Kiste. Er zog einen Gummiring drüber, stand ächzend auf und sagte: "Da wollen wir mal wieder."

Inzwischen hatte die Oberschwester Kauer hundertmal ans Telefon gerufen. Immer war Firat dran. Er wollte wissen, ob wir auch fleißig ranklotzen würden, wie ich mich so mache, und was wir alles an diesem Tag noch schaffen müssten. Kauer nickte und wiederholte fortwährend: "Jawohl, Meister. Jawohl."

Wir gingen in ein anderes Gebäude, wo Chefsekretärinnen vor Computern saßen und auf der Tastatur klimperten. Die Ladys betrachteten uns als willkommene Abwechslung und gleich fühlte ich mich als halber Hahn auf einen ausschließlich femininen Hühnerhof versetzt. Eine wollte meinen Namen wissen, was ich vorher gemacht und ob mich meine Mutter kalt oder heiß gebadet hätte. Eine andere säuselte über ein Kreuzworträtsel gebeugt: "Einundvierzig waagerecht - Höllenhund, Wächter an der Unterwelt? Was die sich da wieder ausgedacht haben. Wissen Sie, junger Mann, wie dieses Tier heißt?"

"Ich habe keinen Schimmer", sagte ich. "Wenn's nicht der Hund von Baskerville oder Krambambuli ist." Ich wünschte mir, dass ich den Zerberus hier gehabt hätte, damit er seine Zähne zeigt.

Ich rüttelte an der Leiter, auf der Kauer stand. Kauer rief: "Was ist denn, Mutzelkopp? Soll ich mich zu Tode stürzen?"

"Ja, was soll denn das?", erkundigte ich mich. "Lass doch die verdammten Uhrzeiger stehen, wo sie stehen. Als ob es eine Rolle spielen würde, auf welchen Zahlen die blöden Zeiger außer Atem kommen, wenn sie ihre Gefängnisrunden drehen."

"Hast du eine Ahnung", rief Kauer. "Das ganze Leben käme durcheinander. Warte nur. Das kriegen wir hin. Auf die Sekunde genau."

Endlich stieg Kauer von der Leiter. Er posaunte, dass die Uhr wieder in Ordnung sei, entwirrte Kabel und Schnüre und wischte tatsächlich Staub von Telefonen und Faxgeräten. Er war dabei so pingelig, dass ich dachte, ich müsste raus und das Frühstück von mir geben.

Kauer drückte mir ein Staubtuch in die Hand. Er sagte: "Nur zu, Mutzelkopp. Staub ist der Feind der Technik. Je früher du das begreifst. Um so besser für dich."

Die Hände in den Hosentaschen geballt sah ich ihm zu. Ich dachte, dass ich mich über eine Decksplanke genau so hergemacht hätte, wie er über die-se Faselkästen.

Kauer guckte hoch und sagte: "Mach doch keinen Firlefanz, Mutzelkopp, damit machst du's dir doch nur selber schwer. Jede Pflanze muss sich nun mal zur Sonne hinbiegen. Sonst geht sie ein. Wir sind jetzt ein Gespann. Da kann der eine nicht nach links ziehen. Und der andere nach rechts."

"Was ist denn deine Sonne?", fragte ich. "Manchen reicht schon ein Heizgerät oder ein Paar Filzlatschen, in denen sie sich ihre Gichtzinken wärmen können. Nach was für einer Sonne soll ich mich denn hinbiegen?"

Kauer versuchte seine Wirbelsäule wieder einigermaßen gerade zu rücken. Er öffnete Spalt weit ein Fenster, zwängte den Arm durch, wandte den Kopf ab und schüttelte das Staubtuch aus. Dann faltete er den Lappen zusammen und steckte ihn in die Tasche seines Blaumanns. Er sah noch einmal prüfend auf die elektrische Uhr und die Apparate, nickte den Frauen zu, wünschte "Einen wunderschönen guten Tag" und schob mich hinaus.

In dem Stil ging es weiter. Als es Mittag war, schluckte Kauer abermals drei bunte Pillen, kaute wieder stinkiges Käsebrot und steckte sich die zweite Hälfte der Zigarre ins Gesicht. Es hörte einfach nicht auf, nach grünen He-ringen zu stinken.

Nachmittags, als wir unsere Tour erledigt hatten, kurvten wir zur Pathologie zurück und tauchten in dem Kellerloch unter. Die anderen waren beim Umziehen und Firat sah mich mit Schellfischaugen an. Er wollte von Kauer wissen, ob ich entwicklungsfähig sei. Kauer nickte und meinte, dass wir das schon hinkriegen. Firat schüttelte den Kopf und schwieg, was ihm verdammt schwerfiel. Kauer stieg in seine langen Unterhosen und striegelte mit einer Pferdebürste seine Haare, die er mit Veilchengel an die Schädeldecke leimte.

Eine Stunde nach Arbeitsschluss standen wir endlich außerhalb der Um-zäunung. Die große Sonnenblume war schon am Verwelken. Ich bestieg meinen Renner. Kauer warf sein Motorrad an. Es war ein Eigenbau mit Bei-wagen und verdammt viel PS, die er nie ausfahren würde. Er stülpte sich einen Wehrmachtshelm auf sein deutsches Weichei und rief mir zu: "Bis morgen dann, Mutzelkopp! Und hör mir auf mit dem Firlefanz! Wir sind doch schließlich keine kleinen Kinder mehr!"

Ich sah ihm nach und dachte, dass es ihm flau war in der Magengegend und dreißig Zentimeter höher, weil ich Firlefanz machen könnte, wie sein Spruch war. Er würde großartige Schwierigkeiten kriegen, wenn ich nicht mitzog.



Der 884. Montag

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