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Erster Theil
Erstes Buch
10.
Die Werbung

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Wenige Stunden, nachdem der Freund das Gut verlassen, trat der Professor in das Arbeitszimmer des Landwirths. »Die Landläufer sind verschwunden und mit ihnen Ihr Freund. Es thut uns Allen leid, daß der Herr Doctor nicht länger bleiben konnte,« rief ihm der Landwirth von seiner Arbeit zu.

»Bei Ihnen liegt die Entscheidung, ob auch ich noch länger weilen darf,« entgegnete der Professor in so tiefem Ernst, daß der Landwirth aufstand und seinen Gast fragend anblickte. »Ich komme, von Ihnen ein großes Vertrauen zu erbitten,« fuhr der Professor fort, »und ich muß von hier scheiden, wenn Sie mir dasselbe versagen.«

»Sprechen Sie, Herr Professor,« entgegnete der Landwirth.

»Es ist für uns beide nicht mehr möglich, in dem unbefangenen Verhältniß als Wirth und Gast fortzuleben. Ich suche die Neigung Ihrer Tochter Elise für mich zu gewinnen.«

Der Landwirth fuhr zurück, die Hand des starken Mannes klammerte sich an die Tischplatte.

»Ich weiß, was ich von Ihnen fordere,« rief der Gelehrte mit ausbrechender Leidenschaft. »Das Höchste nehme ich in Anspruch, was Sie geben können; ich weiß, daß ich Ihr Leben dadurch ärmer mache, denn ich will von Ihnen abwenden, was Ihnen Freude, Hilfe, Stolz gewesen ist.«

»Und doch,« murmelte der Landwirth finster, »Sie ersparen dem Vater, das zu sagen.«

»Ich fürchte, daß Sie mich in diesem Augenblicke für einen Einbrecher in den Frieden Ihres Hauses halten,« fuhr der Gelehrte fort. »Aber wenn Ihnen auch schwer wird, gütig gegen mich zu sein, Sie sollen Alles wissen. Ich sah sie zuerst in der Kirche, und ihr inniges, gottbegeistertes Wesen ergriff mich mächtig. Ich lebte um sie im Hause und fühlte jede Stunde mehr, wie schön und liebenswerth sie ist. Unwiderstehlich wurde die Gewalt, welche sie auf mich ausübt. Die Leidenschaft, in welcher ich lebe, ist so groß geworden, daß mir der Gedanke Entsetzen bereitet, sie könnte mir doch fern bleiben. Für Leib und Seele sehne ich mich, sie zu meinem Weibe zu machen.«

So sprach der Gelehrte, offenherzig wie ein Kind.

»Und wie weit sind Sie mit meiner Tochter?« frug der Landwirth.

»Ich habe zwei Mal in ausbrechendem Gefühl ihre Hand berührt,« rief der Professor.

»Haben Sie über Ihre Liebe mit ihr gesprochen?«

»Dann stände ich nicht so vor Ihnen,« entgegnete der Professor. »Ich bin, Ihnen gänzlich unbekannt, durch einen besonderen Zufall zu Ihnen gekommen. Und ich bin nicht in der glücklichen Lage eines Freiwerbers, der sich auf längere Bekanntschaft berufen kann. Sie haben mir ungewöhnliche Gastfreundschaft erwiesen und ich bin verpflichtet, Ihr Vertrauen nicht zu täuschen; ich will nicht hinter Ihrem Rücken ein Herz für mich gewinnen, das mit Ihrem Leben so eng verbunden ist.«

Der Landwirth neigte beistimmend das Haupt. »Und haben Sie die Zuversicht, ihre Liebe für sich zu gewinnen?«

»Ich bin kein Knabe und sehe wohl, daß sie mir herzlich zugethan ist. Ueber die Tiefe und Dauer eines jungfräulichen Gefühls haben wir beide kein Urtheil. In einzelnen Stunden habe ich die beseligende Ueberzeugung gehabt, daß die warme Neigung des Weibes mir geworden ist, aber gerade die unbefangene Unschuld ihres Empfindens macht mich wieder unsicher. Und wenn ich Ihnen das Schwerste gestehen soll, was mir zu sagen bleibt, ich darf nicht leugnen, daß für sie noch eine Rückkehr zu ruhiger Empfindung möglich ist.«

Der Landwirth sah auf den Mann, der sich mühte, unbefangen zu urtheilen und doch am ganzen Körper bebte. »Ich habe die Pflicht, auf einen Herzenswunsch meines Kindes Rücksicht zu nehmen, wenn er so mächtig wird, daß er sie aus ihrer Heimat fortzieht, zu einem andern Manne. Immer vorausgesetzt, daß ich selbst nicht die Ueberzeugung habe, es werde ihr Unglück sein. Ihr Verhältniß zu meiner Tochter ist bei der kurzen Bekanntschaft und nach dem, was Sie mir darüber sagen, schwerlich so, daß mir nur die Wahl bleibt, entweder einzuwilligen oder mein Kind elend zu machen. Und Ihr Geständniß gibt mir auch die Möglichkeit zu verhüten, was mir vielleicht in vieler Rücksicht unwillkommen ist. Ja, Sie sind mir in diesem Augenblick ein Fremder, und als ich Ihnen anbot, bei mir zu bleiben, habe ich gethan, was für mich und die Meinen schwere Folgen haben mag.«

Als der Landwirth in der Erregung des Augenblicks so sprach, fiel sein Blick auf den Arm, der gestern geblutet hatte, und wieder auf die mannhaften Züge des bleichen Antlitzes vor ihm, er unterbrach seine Rede und legte die Hand auf die Schultern des Andern. »Nein,« rief er, »das ist nicht meines Herzens Meinung, und nicht so darf ich Ihnen antworten.« Er schritt durch das Zimmer, bemüht, sich zu fassen. »Aber hören auch Sie ein vertrauendes Wort und zürnen Sie mir darum nicht,« fuhr er ruhiger fort. »Wohl weiß ich, daß ich meine Tochter nicht für mich erzogen habe, und daß ich mich einmal gewöhnen muß, sie zu entbehren. Aber unsere Bekanntschaft ist zu kurz, als daß ich ein Urtheil hätte, ob mein Kind an Ihrer Seite Frieden oder Unfrieden zu erwarten hat. Wenn ich Ihnen sage, daß Sie mir sehr werth und angenehm geworden sind, so hat das doch in dieser Stunde keine Bedeutung. Wären Sie ein Landwirth wie ich, so würde ich Ihre Mittheilung mit leichterem Herzen anhören, denn ich hätte in der Zeit Ihres Hierseins wohl über Ihre Tüchtigkeit eine feste Ansicht gewonnen. Daß unser Beruf so verschieden ist, macht nicht nur mir schwer, über Sie zu urtheilen, es mag auch gefährlich werden für die Zukunft meines Kindes. Wenn der Vater wünscht, daß die Tochter sich mit einem Manne verheiratet, der in ähnlichem Geschäfte arbeitet, so hat das in jedem Lebenskreise seinen guten Grund, für den Landwirth von meinem Schlage noch einen besonderen. Denn die Tüchtigkeit unserer Kinder liegt zum Theil darin, daß sie als Gehilfen der Eltern heranwachsen. Was Ilse in meinem Hause gelernt hat, gibt mir die Sicherheit, daß sie als Frau eines Landwirths ihren Platz vollkommen ausfüllen wird, ja, sie vermöchte wohl Schwächen ihres Mannes zu ergänzen. Und das wird ihr ein gesundes Leben sichern, selbst wenn ihr Mann Manches zu wünschen übrigließe. Als Frau eines Gelehrten hat sie wenig Nutzen von dem, was sie weiß, und sie wird als ein Unglück empfinden, daß sie vieles Andere nicht gelernt hat.«

»Daß sie entbehren wird, muß ich einräumen, auf Alles, was ihr nach Ihren Worten fehlt, gebe ich wenig,« rief der Gelehrte. »Ich bitte Sie, darin mir und der Zukunft zu vertrauen.«

»Dann also antworte ich Ihnen, Herr Professor, ebenso offen, wie Sie zu mir gesprochen haben, ich darf Ihre Forderung nicht kurz abweisen, denn ich will dem, was vielleicht Sehnsucht und Glück meiner Tochter ist, nicht feindlich in den Weg treten; und doch, ich kann bei der unvollständigen Einsicht, die ich über Ihre Verhältnisse habe, nicht darauf eingehen. Und ich bin in diesem Augenblicke in der schmerzlichen Lage, daß ich nicht weiß, wie ich überhaupt diese Sicherheit gewinnen kann.«

»Wohl fühle ich, wie ungenügend und zufällig die Urtheile sind, welche Sie von Fremden über mich einsammeln können; es wird dennoch geschehen müssen,« antwortete mit Haltung der Gelehrte.

Der Landwirth bejahte schweigend, und der Professor fuhr fort:

»Zunächst bitte ich um Erlaubniß, Ihnen über meine äußeren Verhältnisse Mittheilung zu machen.« Er nannte seine Einnahmen, gab getreulich an, woher sie flossen und legte ein Verzeichniß derselben auf den Arbeitstisch. »Für diese Angaben wird mein Rechtsfreund, ein geachteter Anwalt der Universitätsstadt, Ihnen jede Bestätigung geben, welche Sie wünschen. Ueber meine Brauchbarkeit als Lehrer und meine Stellung an der Universität muß ich Sie allerdings auf das Urtheil meiner Collegen verweisen und auf die Ansicht, die sich etwa in der Stadt darüber gebildet hat.«

Der Landwirth blickte in das Verzeichniß. »Selbst die Bedeutung dieser Summen für Ihre Verhältnisse ist mir nicht ganz deutlich, für weitere Kunde habe ich in Ihrer Heimat kaum eine Anknüpfung. Aber, Herr Professor, ich werde ohne Zögern mir selbst die Gewißheit zu verschaffen suchen, welche ich erhalten kann. Ich werde morgen nach Ihrer Stadt abreisen.«

»O wie danke ich Ihnen,« rief der Professor und faßte die Hand des Landwirths.

»Noch nicht,« antwortete dieser und zog seine Hand zurück.

»Ich werde natürlich, falls Sie das wünschen, Sie begleiten,« fuhr der Professor fort.

»Das wünsche ich nicht,« versetzte der Landwirth. »Schreiben Sie sogleich die Briefe, welche mich einigen Ihrer Bekannten empfehlen, im Uebrigen muß ich mich auf meine Fragen und allerdings auf den Zufall verlassen. Aber, Herr Professor, diese Reise wird mir nur Ihre Angaben bestätigen, die ich ohnedies für wahr halte, und vielleicht Urtheile Anderer über Sie, welche zu dem stimmen, was ich selbstvon Ihnen halte. Setzen wir den Fall, daß diese Auskunft mich befriedigt, was soll die Folge sein?«

»Daß Sie mir gestatten, noch länger in Ihrem Hause zu verweilen,« rief der Professor, »daß Sie vertrauend meine Annäherung an Ihre Tochter dulden und daß Sie mir Ihre Einwilligung zur Ehe geben, sobald ich der Neigung Ihrer Tochter sicher bin.«

»Solche Vorbereitung zu einer Brautwerbung ist ungewöhnlich,« sagte der Landwirth mit trübem Lächeln, »doch sie ist einem Landwirth nicht unwillkommen. Wir sind gewohnt, die Früchte langsam reifen zu sehen. Also, Herr Professor, auch nach meiner Reise behalten wir alle drei Freiheit der Wahl und des letzten Entschlusses. – Und diese Unterredung, soll sie unser Geheimniß bleiben?«

»Ich beschwöre Sie darum,« flehte der Gelehrte. Wieder flog ein leichtes Lächeln über das ernste Antlitz des Wirthes.

»Damit meine schnelle Abreise weniger auffalle, bleiben Sie unterdeß hier. Vermeiden Sie vor meiner Rückkehr, sich meiner Tochter zu nähern. Sie sehen, ich erweise Ihnen ein großes Vertrauen.«

So hatte der Professor seinen Gastfreund gezwungen, der Vertraute seiner Liebe zu werden. Es war ein schöner Vertrag zwischen Leidenschaft und Gewissen, den der Gelehrte durchgesetzt hatte, und doch war in seiner Disposition ein Irrthum, und die Abhandlung, an welcher er mit heißem Haupt und pochendem Herzen arbeitete, gerieth ein wenig anders als er sich und dem Vater vorgestellt. Denn zwischen den drei Menschen, welche jetzt die hochsinnig eingeleitete Brautwerbung durchmachen sollten, war plötzlich die Unbefangenheit verschwunden. Als Ilse am Morgen der verhängnißvollen Unterredung strahlend von Glück zu den Männern trat, fand sie den Himmel des Gutes lichtlos, mit finsteren Wolken umzogen. Der Professor war unruhig und düster, er arbeitete fast den ganzen Tag auf seiner Stube, und als die Kleinen ihn am Abend baten, eine Geschichte zu erzählen, da lehnte er’s ab, faßte den Kopf der kleinen Schwester mit beiden Händen, küßte ihre Stirn und legte sein eigenes Haupt darauf, als wollte er sich auf das Kind stützen. Gezwungen und spärlich waren die Worte, die er an Ilse richtete, und doch haftete unablässig sein Blick an ihr, aber fragend und unsicher. Und Ilse überraschte auch den Vater, wie dieser sie gespannt und schmerzlich ansah. Auch zwischen den Vater und sie war ein Geheimniß getreten, das in seinem Innern arbeitete. Ja sogar zwischen den beiden Männern war es nicht wie sonst. Der Vater sprach wohl einmal leise zu dem Freunde, aber beiden sah sie einen Zwang an, wenn sie über Gleichgültiges redeten.

Am nächsten Morgen gar die geheimnißvolle Reise des Vaters, die er ihr durch karge Worte über ein unwichtiges Geschäft anzeigte! War seit jenem wüsten Abend Alles um sie verwandelt? Das Herz des Weibes zog sich ängstlich zusammen. Die Unsicherheit kam ihr, die Furcht vor etwas Feindseligem, das gegen sie heranfuhr. Schmerzvoll hielt sie sich zurück, in ihrem Zimmer kämpfte sie mit schweren Gedanken und sie vermied, mit dem Manne ihrer Liebe allein zu sein.

Natürlich wurde dem Professor die Veränderung an der Geliebten auf der Stelle deutlich und sie quälte den tiefsinnigen Mann. Wollte sie ihn fernhalten, um den Vater nicht zu verlassen, war nur frohes Erstaunen gewesen, was er für herzliche Neigung hielt? Diese Sorge machte seine Haltung gezwungen und ungleichmäßig und der Wechsel seiner Stimmung wirkte wieder auf Ilse zurück.

Fröhlich hatte sich der Blüthenkelch ihrer Seele dem aufsteigenden Lichte geöffnet, da war ein Tropfen Morgenthau hineingefallen und die zarten Blätter schlossen sich noch einmal unter der fremden Last.

Ilse war bei Krankheiten und Verletzungen die weise Frau des Gutes. Von ihrer Mutter hatte sie dies Ehrenamt übernommen und ihr Ruhm in der Umgegend war nicht gering; auch war es nicht unnöthige Beflissenheit, denn Rossau besaß nicht einmal einen ordentlichen Heilkünstler. Ilse aber verstand ihre einfachen Hausmittel vortrefflich anzuwenden, sogar der Vater und die Herren der Wirthschaft unterwarfen sich gehorsam ihrer Pflege. Und sie war in den Beruf einer barmherzigen Schwester so eingelebt, daß ihr jungfräuliches Zartgefühl gar nichts darin fand, am Krankenbett eines Gutsgenossen zu sitzen, und daß sie ohne Ziererei in die Wunde blickte, welche der Hufschlag eines Pferdes oder der Schnitt einer Sense verursacht hatte. Und jetzt stand er mit einer Wunde neben ihr, er hielt den Arm nicht einmal in der Binde, und sie sorgte unaufhörlich, daß der Schaden ärger werden könne. Wie gern hätte sie die Stelle gesehen, ach wie gern sie selbst verbunden, und sie bat ihn am Morgen beim Frühstück, auf den Arm deutend: »Wollen Sie nicht uns zu Liebe etwas dafür thun?«

Der Professor zog befangen den Arm zurück und erwiderte: »Es hat gar nichts zu bedeuten.« Sie schwieg verletzt. Als er aber auf sein Zimmer ging, wurde ihr die Sorge übermächtig und sie sandte die Tagelöhnerfrau, welche in solchen Künsten ihre bewährte Gehilfin war, mit einem Auftrage in das Gastzimmer und schärfte ihr ein, gewaltthätig aufzutreten, jeden Widerspruch des Herrn zu bewältigen, den Arm zu betrachten und ihr zu berichten. Als nun die ehrliche Frau sagte, daß ihr Fräulein sie sende und daß sie darauf bestehen müsse, den Stich zu sehen, da entschloß sich zwar der Professor zögernd, die Stelle zu zeigen, aber als die Botin einen bedenklichen Bericht heraustrug und Ilse, die unruhig vor der Thür auf und ab ging, durch die Vermittlerin wieder kalte Umschläge befahl, da wollte der Professor diese nicht anwenden. Er hatte wohl Ursache dazu, denn wie schmerzlich er den Zwang fühlte, der ihm im Verkehr mit Ilse aufgelegt war, so dünkte ihm doch unerträglich, ihren Anblick ganz zu missen und in seiner Stube allein bei dem Wassernapf zu sitzen. Daß er aber den guten Rath verwarf, schmerzte Ilse noch mehr, denn sie fürchtete die Folgen und es that ihr wieder weh, daß er auf ihre Wünsche nichts gab. Als sie vollends erfuhr, daß er heimlich zum Chirurgus nach Rossau geschickt hatte, da kamen dem Mädchen die Thränen in die Augen über das, was sie für Nichtachtung hielt. Denn sie kannte die verkehrten Mittel des Trunkenbolds, und sie wußte jetzt genau, daß es ein Unglück geben würde. Sie kämpfte mit sich bis zum Abend, endlich besiegte die Sorge um den Geliebten alle Bedenken, und als er neben den Kindern in der Laube saß, trat sie vor ihn und bat in ihrer Herzensangst leise mit niedergeschlagenen Augen: »Der fremde Mann macht Ihnen die Schmerzen größer, bitte, lassen Sie mich die Wunde sehen.« Und der Professor, erschrocken über diese Aussicht, welche seine ganze, mühsam erkämpfte Selbstbeherrschung zu vernichten drohte, erwiederte, wie Ilse hörte, mit rauher Stimme – er war aber in Wahrheit nur durch innere Bewegung ein wenig heiser –: »Ich danke, das kann ich gar nicht annehmen.« Da ergriff Ilse die beiden jüngsten Geschwister, welche in den Händen der Zigeuner gewesen waren, stellte sie vor ihn hin und rief heftig: »Bittet ihr, wenn er auf mich nicht hört.« Dem Professor war dieser kleine Auftritt so beweglich und Ilse sah in ihrer Aufregung so unwiderstehlich schön aus, daß ihn die Rührung übermannte und daß er, um gegen den Vater ehrlich zu bleiben, aufstand und schnell aus dem Garten ging.

Ilse preßte die Hände krampfhaft zusammen und sah starr vor sich hin. Alles war ein Traum gewesen. Täuschung war’s und thörichte Einbildung, daß sie in seliger Stunde gehofft hatte, er liebe sie. Sie hatte ihm ihr Herz offenbart, und ihr heißes Gefühl war für ihn nichts als dreiste Zudringlichkeit einer Fremden. Sie war ihm ein ungeschicktes Weib vom Lande, dem das städtische Zartgefühl fehlte, und die sich thöricht etwas in den Kopf gesetzt, weil er einige Male gütig zu ihr gesprochen. Sie stürzte in ihr Zimmer, dort sank sie vor ihrem Lager nieder und ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihre Glieder.

Sie war den ganzen Abend nicht mehr sichtbar, am nächsten Tag trat sie dem Geliebten stolz und kalt gegenüber, sie sprach nur das Nöthigste und rang in der Stille mit Thränen und unendlichem Jammer.

Alles war hochsinnig für eine feine und zarte Brautwerbung zurechtgelegt, aber wenn zwei Menschen einander lieb haben, sollen sie das einer dem andern auch frisch und einfältig sagen, ohne Disposition und, beim Styx, auch ohne Zartgefühl.


Der Landwirth war abgereist. Ein Geldgeschäft, das er auf dem Wege erledigen konnte, gab den Vorwand. Schon den Tag darauf fiel seine gewaltige Gestalt und das sorgenvolle Antlitz in den Straßen der Universitätsstadt auf. Gabriel war sehr verwundert, als ein riesiger Mann, höher als sein alter Freund, der Wachtmeister bei den Kürassieren, an der Thür schellte und einen Brief des Herrn überbrachte, worin Gabriel aufgefordert wurde, sich und das Quartier dem Herrn zur Verfügung zu stellen. Der fremde Mann schritt durch die Zimmer, saß am Arbeitstisch des Professors nieder und begann mit Gabriel ein Gespräch in Kreuzfragen, aus denen der Diener nicht klug werden konnte. Auch Herrn Hummel begrüßte der Fremde, dann ließ er sich nach der Universität führen, hielt auf der Straße Studenten an und frug sie aus, verhandelte mit dem Rechtsanwalt, besuchte einen Kaufmann, mit welchem er zuweilen Getreidegeschäfte machte, ließ sich von Gabriel zum Schneider des Professors führen, dort einen Rock zu bestellen, und Gabriel mußte lange vor der Thür stehen, bis der geschwätzige Schneider den Fremden entließ. Auch zu Herrn Hahn ging er, einen Strohhut zu kaufen, und am Abend sah man seine große Gestalt, welche den chinesischen Tempel unbillig beengte, neben Herrn Hahn bei einer Flasche Wein sitzen. Es war ein armer Vater, der sich bei gleichgültigen Leuten ängstlich erkundigte, ob er sein geliebtes Kind in die Arme eines Fremden legen müsse. Ach, was er erfuhr, war alles noch weit günstiger als er erwartet hatte. Auch ihm wurde deutlich, was die Frau Oberamtmann Rollmaus längst wußte, daß es nach der Meinung Anderer kein gewöhnlicher Mann war, den er bei sich aufgenommen hatte.

Als der Heimkehrende am Abende des nächsten Tages zwischen den letzten Häusern von Rossau dahinfuhr, sah er eine Gestalt eilig auf sich zukommen. Es war der Professor, den die ungeduldige Erwartung auf den Weg getrieben hatte und der jetzt mit verstörtem Gesicht an den Wagen eilte. Der Landwirth sprang von seinem Sitze und sagte dem Professor leise: »Bleiben Sie bei uns, der Himmel gebe zu allem weiteren seinen Segen.« Und als die beiden Männer nebeneinander den Fußpfad hinaufstiegen, fuhr der Gutsherr mit einem Anflug von guter Laune fort: »Sie haben mich gezwungen, um Ihre Wohnung zu spioniren, lieber Herr Professor. Ich habe erfahren, daß Sie still weg leben. Sie bezahlen Ihre Rechnungen pünktlich, Ihr Diener spricht mit Ehrerbietung von Ihnen, die Nachbarn denken gut über Sie, in der Stadt sind Sie ein angesehener Mann, alles was Sie sonst über sich gesagt haben, ist bestätigt. Ihr Quartier ist sehr stattlich, die Küche zu klein, die Vorrathskammer enger als bei uns ein Schrank. Durch die Fenster ist wenigstens Aussicht ins Grüne.«

Sonst wurde kein Wort über den Zweck der Reise gesprochen, aber hoffnungsvoll vernahm der Professor, was der Landwirt von anderen Beobachtungen erzählte, wie reichlich die Bürger lebten, wie glänzend die Läden ausgestattet waren, dann von den hohen Häusern des Marktes, dem Gedränge auf den Straßen und von den Tauben, welche nach altem Herkommen vom Rath gehalten werden und dreist wie Stadtbeamte zwischen Wagen und Menschen umherlaufen.

Es war früher Morgen auf dem Gute, wieder sandte die Sonne ihre ersten Strahlen heiß auf die Erde. Nach einer schlummerlosen Nacht eilte Ilse durch den Garten zu dem kleinen Badehause, das der Vater zwischen Rohr und Gebüsch angelegt hatte. Dort tauchte sie die weißen Glieder in das Wasser, hüllte sich schnell wieder in ihr Gewand und stieg, die Strahlen der Sonne suchend, den Weg hinauf, welcher unweit der Grotte nach der Höhe führte. Da sie wußte, daß unter den Steinen der Höhle noch die kühle Nachtluft lag, stieg sie höher hinauf, wo die Berglehne steil nach der Grotte und dem Thal abfiel. Dort oben auf dem Abhange setzte sie sich zwischen den ersten Büschen nieder, um fern von jedem Menschenauge im Sonnenstrahl die Haare zu trocknen und ihren Anzug zu ordnen.

Sie sah hinüber nach dem Vaterhause, wo auf dem Freunde wohl noch der Morgenschlummer lag, und sah vor sich herunter auf die Steindecke der Grotte und auf den großen Federbusch von Weidenröschen, dem jetzt die weiße Wolle des Samens aus den Schoten quoll. Und sie stützte das Haupt in die Hand und dachte an den letzten Abend, wie wortkarg er wieder gewesen war, und daß der Vater zu ihr gar nicht von seiner Reise sprach. Aber wie unruhig auch die Sorgen durch ihr Haupt fuhren, aus der klaren Fluth hatte sie auch ihren Gedanken Erfrischung geholt und jetzt warf der Morgen sein mildes Licht auch über ihr Herz.

Dort saß das Kind des Gutes, sie wand das Wasser aus dem Haar und stützte die weißen Füße auf das Moos. Neben ihr summten die Bienen über dem blühenden Quendel, und eine kleine Arbeiterin kreiste drohend um ihre Füße. Ilse bewegte sich und stieß an einen ihrer Schuhe, der Schuh glitt hinab, überschlug sich und fiel in kleinen Sätzen über Moos und Stein, er sprang beim Weidenröschen vorbei und verschwand in der Tiefe. Ilse fuhr in den Kameraden des Flüchtlings und eilte auf dem Wege zur Grotte nach. Sie bog um die Felsecke und trat erschrocken zurück, denn auf dem Platze vor der Grotte stand der Professor und betrachtete sinnend die gestickten Arabesken des Schuhes. Der zartfühlende Mann war über diese plötzliche Begegnung kaum weniger betroffen als Ilse. Es hatte auch ihn am frühen Morgen hinausgetrieben zu der Stelle, wo ihm zuerst das Herz des Mädchens aufgegangen war, auf dem Stein am Eingange hatte er gesessen und das Haupt an den Felsen gelehnt in tiefem und schmerzlichem Grübeln. Da, horch, ein leises Rauschen, Steinchen und Sand rollten herab, ein kleines Meisterwerk bildender Kunst fiel dicht vor seine Füße. Er schnellte empor, den er ahnte auf der Stelle, wem der springende Schuh gehörte. Jetzt sah er die Geliebte vor sich stehen, in leichtem Morgengewand, von dem langen blonden Haar umflossen, einer Wasserfee oder Bergnymphe vergleichbar.

»Es ist mein Schuh,« rief Ilse verlegen und verbarg den Fuß.

»Ich weiß,« sagte der Gelehrte ebenfalls verlegen und rückte den Schuh ehrerbietig an den Saum ihres Kleides. Schnell schlüpfte der Fuß hinein, aber die kurze Bewegung der weißen Zehen gab dem Professor plötzlich einen Heldenmut, den er an den letzten Tagen nicht gehabt hatte. »Ich gehe nicht von der Stelle,« rief er entschlossen. Ilse fuhr in die Grotte und barg ihre Haare in dem Netz, das sie in der Hand hielt. Der Gelehrte stand am Eingange zu dem Heiligthume, neben ihm hingen die Ranken der Brombeeren, die Bienen summten über dem Quendel, und ihm pochte das Herz. Als Ilse mit gerötheten Wangen aus der Grotte in das Licht des Tages trat, hörte sie, wie eine Stimme in tiefer Bewegung ihren Namen aussprach, sie fühlte ihre Hände gefaßt, ein heißer Blick aus den treuen Augen, süße Worte in bebendem Tonfall, der Arm des Mannes umschlang sie, lautlos sank sie an sein Herz.

Denn, wie der Professor selbst bei einer andern Gelegenheit auseinandergesetzt hatte, der Mensch vergißt zuweilen, daß sein Leben auf einem Contract mit übermächtigen Naturgewalten beruht, welche den kleinen Herrn der Erde unversehens kreuzen. Dergleichen unbeachtete Mächte zwangen jetzt auch den Professor und Ilse. Weiß nicht, welche Naturgewalt die Biene sandte und den Schuh warf, waren es die Erdmännchen, an welche Ilse nicht glaubte, oder war es Einer aus der antiken Bekanntschaft des Professors, der gaißfüßige Pan, der in den Grotten auf der Rohrpfeife bläst.

Die Brautwerbung war wissenschafttlich begonnen, aber sie war ohne alle Weisheit zur Vollendung gebracht. Es waren zwei große und reine Herzen, welche jetzt an einander schlugen, aber um Alles zu sagen, der feinfühlende Professor hatte zuletzt doch um die Geliebte geworben, als sie gerade keinen Strumpf anhatte.

Die verlorene Handschrift

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