Читать книгу Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag - Страница 11
Erster Theil
Erstes Buch
11.
Speihahn
ОглавлениеUeber den feindlichen Häusern war rabenschwarze Nacht, die Welt sah aus wie eine große Kohlengrube, in der die Leuchte erloschen ist. Der Wind fuhr durch die Bäume des Parkes, man hörte ein Rauschen der Blätter, Geknarr der Aeste, ein tiefes, zorniges Brummen in der Luft, aber man sah nichts als einen ungeheuren schwarzen Vorhang, der den Stadtwald verhüllte, und ein schwarzes Zeltdach, das über die Häuser gespannt war. Die Straßen der Stadt waren leer, wer ein freundliches Verhältniß zu seinem Bett hatte, lag längst darin, wer eine Schlafmütze besaß, heut zog er sie über die Ohren. Alles Menschliche barg sich in tiefem Schweigen, auch den Stundenschlag der Thurmglocke zerriß der Sturmwind und führte die einzelnen Töne hierhin und dorthin, so daß Niemand die Schläge der Mitternachtsstunde vollständig zusammenbringen konnte. Nur um das Haus des Herrn Hummel kläffte die wilde Jagd, die Hunde fuhren im Hofe umher, unbeirrt durch Sturm und Finsterniß, und wenn der Wind wie ein Hifthorn zwischen den Häusern blies, bellte die Meute dem Schlafe der Menschen ein greuliches Halali.
»Den ist heut wohl,« dachte Gabriel in seiner Kammer, »das ist ganz ihr Wetter.« Endlich entschlief auch er und hatte einen Traum, als wenn die beiden Hunde seine Kammerthür aufmachten, sich vor seinem Bett auf zwei Stühle setzten und abwechselnd die Zündhütchen ihrer Taschenpistolen auf ihn abknipsten.
Er lag noch in unruhigem Schlaf, als es an seine Thür pochte.
»Stehen Sie auf, Gabriel,« rief die Stimme des alten Schließers aus der Fabrik, »es ist ein Unglück geschehen.«
»Durch die Hunde?« rief Gabriel, mit beiden Beinen aus dem Bette springend.
»Es muß Jemand eingebrochen sein,« rief der Mann wieder durch die Thür, »die Hunde liegen auf der Erde.«
Gabriel fuhr erschrocken in seine Stiefeln und eilte in den Hof, der durch die Morgendämmerung nothdürftig erhellt wurde. Da lagen die zwei armen nächtlichen Geschöpfe auf dem Boden, nur noch ein wenig zappelnd. Gabriel lief zu dem Waarenlager, sah nach Thür und Fenstern, dann untersuchte er das Haus, jeder Laden war geschlossen, nirgend Verstörung zu entdecken. Als er zurückkehrte, stand Herr Hummel vor den Liegenden.
»Gabriel, hier ist eine Missethat geschehen, den Hunden ist etwas angethan, lassen Sie beide liegen, es muß eine Beweisaufnahme stattfinden, ich schicke zur Polizei.«
»Ei was,« erwiederte Gabriel, »erst kommt das Erbarmen, dann die Polizei, vielleicht ist den Würmern noch zu helfen.« Er nahm die beiden Thiere, trug sie ans Licht und untersuchte ihren Zustand. »Der Schwarze ist dahin,« sagte er mitleidig, »der Rothe hat noch einigen guten Willen.«
»Zum Thierarzt, Klaus,« rief Herr Hummel, »und auf der Stelle, er möchte mir den Gefallen thun und sogleich aufstehen, es soll sein Schade nicht sein. Dieser Fall muß ins Tageblatt. Ich verlange Satisfaction vor Stadtverordneten und Rath. – Gabriel,« fuhr er in zorniger Bewegung fort, »sie ermorden die Hunde von Bürgern. Damit fängt die niederträchtige Bosheit an, aber ich bin nicht der Mann, der sich durch Meuchelmörder behandeln läßt, es soll ein Exempel werden, Gabriel.«
Gabriel streichelte unterdeß das Fell des rothen Hundes, der die Augen wild unter dem zottigen Stirnhaar rollte und kläglich mit den Pfoten schlug.
Endlich kam der Thierarzt. Er fand die ganze Familie im Hofe versammelt, Frau Hummel, noch im Nachtgewande, trug ihm eine Tasse Kaffe zu, er bedauerte trinkend und begann die Untersuchung. Der Ausspruch des Sachverständigen lautete auf Vergiftung. Die Section ergab genossene Klößchen mit Arsenik, und was Herrn Hummel noch tiefer kränkte, außerdem mit Glassplittern. Der Rothe gewährte bei alledem eine unsichere Hoffnung gerettet zu werden.
Das wurde der Familie Hummel ein finsterer Morgen. Herr Hummel setzte sich noch vor dem Frühstück an den Schreibtisch und verfaßte eine Anzeige für das Tageblatt, worin er zehn Thaler Belohnung für den Menschenfreund aussetzte, der ihm den tückischen Vergifter seiner Hunde angeben wollte. Die zehn Thaler unterstrich er dreimal mit Klecksen. Dann trat er an sein Fenster und sah grimmig hinüber nach dem Schlupfwinkel seines Gegners und nach dem chinesischen Tempel, der die Veranlassung des neuen Unfriedens geworden war. Und immer wieder wandte er sich zu seiner Frau und brummte auf und abgehend: »Mir ist der Fall nicht zweifelhaft.«
»Ich begreife dich nicht,« erwiederte die Gattin, welche an dem anstrengenden Morgen zum zweiten Mal ihr Frühstück einnahm, »und ich verstehe nicht, wie du deiner Sache sicher sein kannst. Es ist wahr, in den Leuten ist eine Art, welche uns immer wieder abstößt, und es mag ein Unglück sein, daß wir diese Nachbarschaft haben. Aber du kannst nicht behaupten, daß sie Hunde vergiften. Und ich kann mir nicht denken, daß die Hahn solche Einfälle hat. Ich gebe dir zu, sie ist eine gewöhnliche Frau, und der Doctor sagt, daß es Klößchen waren, was auf eine weibliche Hand schließen läßt. Aber als unser Rother bei den Krammetsvögeln getroffen wurde, die sie in der Küche hatte, hat sie mir den Hund nur mit einer Empfehlung zurückgeschickt, und es wäre nicht schön von ihm, er hätte drei Vögel gefressen. Das war in der Ordnung und ich kann darin keine Mordlust finden. Und er, du lieber Gott, er sieht mir auch nicht aus, als ob er in finsterer Mitternacht sich mit unseren Hunden zu thun machte.«
»Er ist tückisch,« grollte Herr Hummel, »aber du hast immer deine eigene Meinung von den Leuten gehabt. Er ist scheinheilig gegen mich gewesen von dem ersten Tage, wo er sich vor diesen Fenstern bei seinen Ziegeln aufstellte und mir den Rücken zukehrte. Und ich habe mich immer wieder von euch Weibern bewegen lassen, ihn als Nachbar zu behandeln mit Grüßen und Redensarten; und ich habe stillgeschwiegen, wenn ihr mit der Frau drüben euer Gewäsch getrieben habt.«
»Unser Gewäsch, Heinrich,« rief die Gattin und setzte ihre Kaffetasse klirrend hin. »Ich muß dich bitten, daß du nicht vergißt, was du mir schuldig bist.«
»Nun, es war nicht so böse gemeint,« räumte Herr Hummel ein, um den Sturm zu beschwichtigen, den er zur Unzeit heraufbeschworen hatte.
»Wie es gemeint war, mußt du wissen, ich halte mich an das, was ich höre; es zeigt wenig Gefühl, Hummel, daß du um eines toten Hundes willen deine Gattin und deine Tochter als Waschfrauen behandelst.«
Diese Auseinandersetzung trug noch mehr widerwärtiges Grau in die Stimmung des Morgens, förderte aber keineswegs die Entdeckung des Verbrechers. Es war vergebens, daß die Hausfrau, um den stöbernden Verdacht des Gatten von der Familie Hahn abzulenken, viele andere Vermuthungen aufstellte und mit Laura’s Hilfe wieder verwarf, gegen die eigenen Arbeiter, gegen den Nachtwächter, und daß sie zuletzt sogar den Markthelfer von drüben als möglichen Missethäter einräumte. Ach, die bürgerliche Stellung der Hunde war so trübselig gewesen, daß die Familie Hummel viel leichter die wenigen Menschen herzählen konnte, welche den Hunden nichts Böses anwünschten, als die vielen, welche Wunsch und Interesse hatten, die Scheusale zum Cocytus wandeln zu sehen. Denn wie Lauffeuer fuhr die Nachricht über die Straße, bei der Obstfrau an der Ecke war heut Versammlung wie auf der Börse, in den Kramläden standen die Leute und besprachen die Unthat, überall mitleidlos, feindselig, schadenfroh. Auch die äußeren Zeichen der Theilnahme, welche die Straße für schicklich hielt, verhüllten schlecht die herrschende Stimmung. Allerdings kamen die Mitfühlenden, zuerst Frau Knips, die Wäscherin, mit wortreicher Entrüstung; dann wagte sich sogar Knips der Jüngere bedauernd in die Nähe des Hauses, der Commis im feindlichen Geschäft, welcher zu den Feinden übergegangen war, aber nicht müde wurde, seinem früheren Lehrherrn gelegentliche Ehrfurcht und Fräulein Laura eine unbequeme Anbetung zu erweisen. Endlich kam ein Komiker der Stadtbühne, der häufig des Sonntags eingeladen wurde und dafür lustige Geschichten erzählte. Aber selbst diese wenigen Getreuen wurden von einzelnen Hausgenossen beargwöhnt. Der Familie Knips mißtraute Gabriel, den Commis verabscheute Laura, und der Komiker, sonst ein willkommener Gast, hatte einige Abende zuvor im Vorbeigehen leichtsinnig gegen einen Begleiter geäußert, daß es verdienstlich sein würde, diese Hunde von der Weltbühne zu entfernen. Heut war dieser unglückliche Einfall der Hausfrau hinterbracht worden, und er lag ihr schwer auf dem Herzen. Fünfzehn Jahre hatte sie gerade dieses Mannes Huldigung mit Wohlgefallen ertragen, viele Freundlichkeit, begeistertes Klatschen im Theater war ihm zu Theil geworden, der Sonntagsbraten und eingesottenen Früchte gar nicht zu gedenken; aber jetzt, wo der Mime bedauernd den Kopf senkte und sein Entsetzen aussprach, da wurde ihm sein Gesicht wegen langer Gewöhnung an komische Wirkungen so heuchlerisch verzogen, daß Frau Hummel aus den Zügen des geschätzten Mannes plötzlich einen Teufel herausgrinsen sah. Und ihre spitzen Bemerkungen über Judasse erschreckten wieder den Mimen, weil sie ihm die Gefahr offenbarten, sein bestes Haus zu verlieren, und je kläglicher er sich fühlte, desto zweideutiger wurde sein Ausdruck.
Während aller dieser Vorfälle hielt sich die Familie Hahn gänzlich zurück. Kein Zeichen von unschicklicher Freude, keines von unnatürlichem Mitgefühl drang ans den schweigenden Mauern. Nur am Nachmittag, als Frau Hummel, um sich zu erholen, ein wenig in die Luft ging, begegnete ihr die Nachbarin. Und Frau Hahn, welche sich seit jener Gartenscene im Unrecht fühlte, blieb stehen und sprach freundlich ihr Bedauern aus, daß Frau Hummel einen so unangenehmen Vorfall erlebt habe. Aber da klang doch die feindliche Stimmung und der Verdacht des Mannes aus der Antwort heraus, sehr kalt und abweisend sprach Frau Hummel, und auch die beiden Frauen schieden in feindseliger Stimmung.
Unterdeß saß Laura an ihrem Schreibtisch, sie besprach die Ereignisse des Tages in ihren geheimen Aufzeichnungen und dichtete mit leichtem Herzen die Schlußverse: »Sie sind dahin! von uns genommen ist der Fluch, und ausgetilgt der Flecken in des Schicksals Buch.« Diese Prophezeiung enthielt gerade soviel Wahrheit, als wenn sie nach dem ersten Scharmützel des trojanischen Krieges durch Kassandra in Hektors Stammbuch eingezeichnet worden wäre. Sie wurde durch endlose Gräuel der Folgezeit widerlegt.
Zunächst war Speihahn gar nicht dahin, sondern blieb am Leben. Aber der nächtliche Verrath übte auf Leib und Seele des Geschöpfes einen betrübenden Einfluß. Er war nie schön gewesen, jetzt wurde sein Leib mager, der Kopf dick und sein zottiges Fell struppig. Die Glassplitter, welche der kunstvolle Arzt aus seinem Magen entfernte, fuhren gewissermaßen in die Haare, daß diese borstig am ganzen Leibe starrten wie an einer Flaschenbürste; das gewundene Schwänzchen wurde kahl, nur an der Spitze bestand eine Haarquaste, daß es aussah wie ein verbogener Korkzieher mit einem Kork am Ende. Mit diesem Schwanze wedelte er selten, auch sein Kläffen hörte auf, bei der Nacht wie am Tage wandelte er schweigend, nur ausnahmsweise vernahm man ein dumpfes Knurren, das zu denken gab. Er kehrte in das Leben zurück, aber die sanfteren Gefühle in ihm waren erstorben, sein Charakter wurde menschenscheu und schwarze Hintergedanken sammelten sich in seinem Innern, Anhänglichkeit und Berufstreue wurden vermißt, statt ihrer erwiesen sich lauernde Heimtücke und allgemeine Rachsucht. Doch Herr Hummel beachtete diese Umwandlung nicht. Der Hund war das Opfer einer unerhörten Bosheit, welche ihn, den Hausbesitzer, schädigen wollte, und wäre er zehnmal häßlicher und menschenfeindlicher gewesen, Herr Hummel hätte ihn doch zu seinem Lieblinge gemacht. Er streichelte ihn und nahm es dem Hunde gar nicht übel, wenn dieser zum Danke nach den Fingern seines Herrn schnappte.
Während aus der neuen Brandstätte des Familienfriedens immer noch die Flämmchen sittlicher Entrüstung emporzüngelten, kehrte Fritz von seiner Reise zurück. In der ersten Stunde erzählte ihm die Mutter alle Vorgänge der jüngsten Zeit: das Glockenspiel, die Hunde, die neue Feindschaft. »Es war recht gut, daß du nicht hier warst. Hast du denn auch immer ein gutes Federbett gehabt? In den Gasthöfen sind sie jetzt mit den Decken gegen Fremde sehr rücksichtslos. Ich hoffe, auf dem Lande, wo sie die Gänse selbst ziehen, wird mehr Einsicht gewesen sein. Und wegen dieses neuen Zankes sprich mit dem Vater, thu, was du kannst, daß wieder Friede wird.«
Fritz hörte schweigend den Bericht der Mutter und sagte endlich begütigend: »Du weißt, es ist nicht das erste Mal, es geht vorüber.«
Diese Neuigkeiten trugen nicht dazu bei, den Doctor heiter zu stimmen. Er sah aus seiner Stube bekümmert nach dem Nachbarhause und den Fenstern des Freundes hinüber. Dort wurde wohl in Kurzem ein neuer Haushalt eingerichtet; konnte dann auch seine Freundschaft zum Professor von den Störungen betroffen werden, welche seit alter Zeit die beiden Häuser beschäftigten? Er ging daran, die Sammlungen seiner Reise zu ordnen, aber die Fußtapfen in der Höhle machten ihm heut eine unbehagliche Empfindung, und beim Hufschlag des wilden Jägers mußte er an die altklugen Worte Ilse’s denken: »es ist Alles Aberglaube.« Er legte die Hefte zusammen, ergriff den Hut und ging grübelnd und nicht gerade fröhlich gemuthet in den Stadtpark. Und als er wenige Schritte vor sich Laura Hummel auf demselben Wege dahinschweben sah, bog er seitwärts ab, um Niemandem aus diesem Hause zu begegnen.
Laura trug ein Körbchen mit Früchten zu ihrer Frau Pathe. Die alte Dame bewohnte eine Sommerwohnung im nahen Dorfe, zu welchem ein schattiger Fußweg durch den Park führte. Es war zu dieser Stunde einsam im Stadtwald, und nur die Vögel beobachteten, wie sorglos der kleine Mund des behenden Fräuleins lachte, und wie glücklich zwei schöne tiefblaue Augen in das Dickicht spähten. Aber obgleich Laura eilte, sie hatte doch vielen Aufenthalt. Zuerst fiel ihr ein, daß die Blätter einer Blutbuche ihrem braunen Filzhütchen gut stehen würden, sie brach einen Zweig, nahm den Hut ab und steckte die Blätter auf, und um sich darüber zu freuen, behielt sie den Hut in der Hand und legte zum Schutz gegen einzelne verwegene Lichtstrahlen ein Flortuch über den Kopf. Dann bewunderte sie das Parket von Goldgelb und Grau, welches die Sonne auf den Boden malte. Dann lief gar ein Eichhörnchen über den Weg, fuhr blitzschnell an einem Baum hinauf und duckte sich in die Zweige, und Laura sah zu ihm empor und erkannte seine reizenden Ohrbüschel hinter dem Laub, und sie träumte sich selbst auf die Höhe des Baumes mitten unter Laub und Früchte, schaukelte auf den Zweigen, schwang sich von einem Ast auf den andern und machte zuletzt einen Spaziergang auf den Gipfeln wie auf grünen Hügeln hoch in der Luft über die flatternden Blätter. Als sie dem Wasser nahekam, das auf der andern Wegseite floß, erlebte sie, daß eine große Gesellschaft Frösche, welche am Uferrande in der Sonne saß, wie auf Kommando mit großem Satze ins Wasser sprang, sie lief hinzu und sah mit Erstaunen, daß die Frösche im Wasser weit anders aussahen als auf dem Lande, gar nicht wie Klötze, sondern daß sie dahinfuhren wie kleine Herren mit Bäuchlein und dicken Hälsen, aber langen Beinchen, welche tapfer ausgreifen. Und da ein großer Frosch auf sie zusteuerte und seinen Kopf gegen sie aus dem Wasser hob, fuhr sie zurück, schämte sich einen Augenblick, daß sie seiner Schwimmkunst zugesehen hatte, und lachte dann über sich selbst. So zog sie durch den Wald, selbst ein Sommervogel, leicht beschwingt und in Frieden mit aller Welt.
Aber hinter ihr schritt ihr Schicksal. Speihahn nämlich hatte von seinem gewöhnlichen Platz an der steinernen Freitreppe ihr Beginnen nicht unbemerkt gelassen. Unter den wilden Haaren, die wie ein Schnurrbart über seine Augen hingen, war etwas aufgedämmert, er hatte ihr nachgeschielt, sich endlich aufgemacht und trottete jetzt schweigend hinter ihr her, ungerührt durch Sonnenstrahl, Fruchtkorb und das rothe Kopftuch seiner jungen Herrin. Mitten zwischen Stadt und Dorf stieg der Weg aus dem Thalgrunde und seinen Bäumen zu einer kahlen Ebene, auf welcher die Kriegsmacht der Stadt zuweilen ihre Uebungen hielt, in den friedlichen Stunden ein Schäfer die Herde weidete: der Pfad lief schräg über die offene Fläche dem Dorfe zu. Laura hielt auf der Höhe an und bewunderte die fernen Wollträger und den braunen Schäfer, der mit seinem großen Hut und Hakenstock sehr hübsch aussah. Schon war sie über die Herde hinausgekommen, da hörte sie hinter sich Gebell und drohendes Geschrei, sie wandte sich um und sah die friedliche Gemeinde in wildem Aufruhr. Die Schafe stoben auseinander, einige rannten kopflos in die Weite, andere lagen zusammengeballt in einem Quergraben, die Schäferhunde bellten, der Schäfer und sein Knabe liefen mit gehobenen Stöcken um den verstörten Haufen. Aber während Laura erstaunt in das Getümmel sah, wurde sie selbst davon umringt, der Schäfer und sein Junge sprangen auf sie zu, zwei große Schäferhunde folgten dem hetzenden Zuruf, sie fühlte sich von rauher Männerhand angepackt, das zornige Gesicht des Schäfers und sein Hakenstock bewegten sich dicht vor ihren Augen. »Ihr Hund hat mir die Herde auseinandergejagt, ich fordere Strafe und Zahlung.« Erstarrt und leichenblaß griff Laura nach ihrem Geldtäschchen, kaum vermochte sie zu bitten: »ich habe ja keinen Hund, lassen Sie mich los, lieber Schäfer.« Doch der Mann schüttelte wild ihren Arm, zwei riesige schwarze Thiere sprangen an ihr hinauf und schnappten nach ihrem Tuche. »Es ist Ihr Hund, und ich kenne das rothe Biest,« schrie der Schäfer.
Das war kein Irrthum. Speihahn hatte nämlich ebenfalls die Schafherde beobachtet und seinen ruchlosen Plan geschmiedet. Plötzlich war er mit heiserem Gekläff auf ein Schaf zugesprungen und hatte es heftig ins Bein gebissen. Darauf Flucht der Herde, Zusammenstürzen des Haufens, Speihahn mitten darunter, kläffend, kratzend, beißend, dann linksab einen trockenen Graben entlang, den Abhang zum Walde hinunter in das dichteste Gesträuch. Jetzt trabte er in Sicherheit nach Hause zurück, die Zähne fletschend, mit verworrenem Schnurrbart, und ließ sein Fräulein unter der Faust des Schäfers vergehen, der seinen Hakenstock noch immer über ihr schwenkte.
»Lassen Sie das Fräulein los!« rief die erzürnte Stimme eines Mannes. Fritz Hahn sprang herzu, stieß den Arm des Schäfers zurück und fing Laura, der die Sinne schwanden, in seinen Armen auf.
Das Dazwischentreten eines Dritten zwang den Schäfer zu neuer Anklage, deren Schluß war, daß er wieder in auflodernder Hitze das Mädchen anfassen wollte und daß seine Hunde gegen den Doctor heranfuhren. Aber tief empört gebot Fritz: »Sie halten die Hunde zurück und benehmen sich manierlicher, oder ich veranlasse, daß Sie selbst bestraft werden. Hat ein fremdes Thier Ihrer Herde Schaden gethan, so soll eine billige Entschädigung gezahlt werden, ich bin bereit, Ihnen oder dem Besitzer der Schafherde dafür zu bürgen.«
So rief er und hielt Laura fest im Arme, ihr Kopf lag auf seiner Schulter und das rothe Tuch hing über seine Weste bis auf das Herz hinab. »Fassen Sie sich, liebes Fräulein,« bat er herzlich besorgt. Laura erhob ihr Haupt, blickte furchsam auf das Angesicht, welches sich von Menschenliebe und Mitgefühl geröthet über sie beugte und erkannte mit Schrecken ihre Lage. Furchtbares Schicksal! Wieder er, zum dritten Male er, der unvermeidliche Beschützer und Retter! Sie entwand sich ihm und sagte mit schwacher Stimme: »Ich danke Ihnen, Herr Doctor, ich vermag allein zu gehen.«
»Nein, ich verlasse Sie nicht so,« rief Fritz und verhandelte mit dem Schäfer, der unterdeß die beiden Opfer des mörderischen Hundes herzugeholt und als Beweise der verübten Missethat niedergelegt hatte. Fritz griff in seine Tasche, reichte dem Schäfer ein Aufgeld zu der gebotenen Entschädigung, nannte seinen Namen und besprach mit dem Manne, der nach Anblick des Geldes ruhiger wurde, eine Zusammenkunft.
»Bitte geben Sie mir den Arm,« wandte er sich ritterlich zu Laura.
»Ich kann das nicht annehmen,« erwiederte das betäubte Mädchen, der großen Feindschaft eingedenk.
»Es ist nur Menschenpflicht,« begütigte Fritz, »Sie sind zu angegriffen, um allein zu gehen.«
»Dann bitte ich Sie, mich zu meiner Frau Pathe zu geleiten, es ist am nächsten dorthin.«
Fritz nahm ihr das Körbchen ab und las die herausgefallenen Früchte zusammen, darauf führte er sie dem Dorfe zu. »Vor dem Manne hätte ich mich nicht so sehr gefürchtet,« klagte Laura, »aber die schwarzen Thiere waren so furchtbar.« Dabei hielt sie ihren Arm schwebend in dem seinen, denn jetzt, wo der Schrecken verflog, fühlte sie das Peinliche ihrer Lage, ach, mit Gewissensbissen! Denn sie hatte erst heute früh die Reisetoilette des heimkehrenden Doctors unausstehlich gefunden. Nun war allerdings Fritz kein Mann, dessen Unausstehlichkeit lange vorhielt. Er war voll Zartgefühl und Sorge um sie, strebte ihr jede Unebenheit des Weges zu ersparen, streckte im Gehen seinen Fuß aus und stieß kleine Steine weg. Er begann ein gleichgültiges Gespräch über die Frau Pathe, wobei sie erzählen mußte und auf andere Gedanken kommen konnte. Darüber ergab sich, daß er selbst die Pathe recht hochschätzte, ja, sie hatte ihm einst, als er noch Schulknabe war, einen Kirschkuchen geschenkt und er dafür an ihrem Geburtstage ein Gedicht verfertigt. Ueber das Wort Gedicht erstaunte Laura. Also dort drüben konnte man das auch? Allein der Doctor sprach sehr rücksichtslos von den erhebenden Schöpfungen glücklicher Stunden. Und als sie ihn frug: »Sie haben auch gedichtet?« und er lachend erwiederte: »nur für’s Haus, wie Jedermann,« da fühlte sie sich durch seine kalte Nichtachtung der Poesie recht gedrückt. Es war jedenfalls ein Unterschied zwischen Vers und Vers, bei Hahns thaten sie das um Kirschkuchen. Aber gleich darauf tadelte sie sich wegen unziemlicher Gedanken gegen ihren Wohlthäter. Und sie wandte sich freundlich zu ihm und sprach von ihrer Freude über das heutige Eichhorn im Walde. Denn sie hatte früher einmal ein solches Thier von einem Straßenjungen gekauft und ins Freie gesetzt, das Thierchen war zweimal vom Baume wieder auf ihre Schultern gesprungen, sie war endlich mit Thränen weggelaufen, damit das Kleine in seinem Walde bleiben müsse. Und wenn sie jetzt ein Eichhorn sehe, sei ihr immer, als gehöre es ihr zu, und sie täuschte sich gewiß, aber die Eichhörner schienen ihr dieselbe Ansicht zu hegen. Diese Geschichte führte zu der merkwürdigen Entdeckung, daß der Doctor ganz ähnliche Erlebnisse mit einer kleinen Eule gehabt hatte, er machte der Eule nach, wie sie immer mit dem Kopfe nickte, wenn er ihr das Fressen brachte, und dabei sahen seine Brillengläser ganz wie Eulenaugen aus, und Laura konnte das Lachen nicht verbergen.
In diesem Gespräch kamen sie vor der Thür der Pathe an, Fritz entließ Laura’s Arm und wollte sich verabschieden, sie blieb an der Thürschwelle stehen, die Hand am Griffe, und sagte verlegen: »Wollen Sie nicht wenigstens einen Augenblick hereinkommen, da Sie die Frau Pathe kennen?« – »Mit Vergnügen,« erwiederte der Doctor.
Die Pathe saß in ihrer Sommerwohnung, welche etwas kleiner, feuchter und ungemüthlicher war als ihr Quartier in der Stadt. Als aber die Kinder der feindlichen Häuser miteinander eintraten, erst Laura, immer noch bleich und feierlich, und hinter ihr der Doctor, ebenfalls mit sehr ernsthaftem Gesicht, da erstaunte die gute Dame so, daß sie starr auf dem Sopha sitzen blieb und nur die Worte herausbrachte: »Was muß ich erblicken! Ist das möglich, ihr Kinder bei einander?« Dieser Ausruf löste den Zauber, welcher die jungen Seelen für einen Augenblick zusammenband. Laura ging erkältet auf die Pathe zu und erzählte, daß der Herr Doctor zufällig bei ihrem Unfall herbeigekommen; der Doctor aber erklärte, daß er nur das Fräulein ihr sicher habe übergeben wollen; dann erkundigte er sich nach dem Befinden der Pathe und nahm seinen Abschied.
Während die Pathe stärkende Mittel herbeiholte und beschloß, daß Laura unter dem Schutze des Dienstmädchens auf einem anderen Wege heimkehren solle, ging der Doctor mit leichten Schritten nach dem Walde zurück. Seine Stimmung war gänzlich verwandelt, häufig flog ihm ein Lächeln über das Antlitz. Immer wieder mußte er daran zurückdenken, wie fest ihm das Mädchen in dem Arm lag. Er hatte ihre Brust an der seinen gefühlt, ihr Haar hatte seine Wange berührt und er hatte auf den weißen Nacken und die Büste herabgesehen. Der wackere Junge erröthete bei dem Gedanken und beschleunigte seinen Marsch. Darin wenigstens hatte der Professor nicht Unrecht, ein Weib war immerhin noch etwas Anderes als die Summe der Gedanken, welche man über Menschenleben und Weltgeschichte aus ihr zu entwickeln vermochte. Dem Doctor schien allerdings, als ob etwas sehr Anziehendes in wallenden Locken, rothen Bäckchen und einem hübschen Halse liege. Er gab zu, daß diese Entdeckung nicht neu war, aber ihren Werth hatte er bis dahin noch nicht mit solcher Deutlichkeit gefühlt. Und es war so rührend gewesen, wie sie aus der Betäubung zu sich kam, die Augen aufschlug und sich schamhaft aus seinen Armen löste. Auch daß er sie trotzig vertheidigt hatte, erfüllte ihn jetzt mit heiterem Stolze, er blieb auf dem Schlachtfelde stehen und lachte recht herzlich vor sich hin. Dann ging er in demselben Wege, den Laura aus dem Walde gekommen war, er sah auf den Boden, als wenn er die Spuren ihrer kleinen Füße auf dem Kies zu erkennen vermöchte und er fühlte Glanz und Wärme der Luft, den Lockruf der Vögel, das Flattern der Libellen mit ebenso beflügeltem Muth wie kurz vorher seine hübsche Nachbarin. Dabei summte ihm die Erinnerung an den Freund durch den Kopf, behaglich dachte er auch an die Regungen dieses Gemüthes und an die Erschütterungen, welche Thusnelda darin hervorgebracht. Es hatte dem Professor närrisch gestanden, sein Freund war in dem Pathos der aufgehenden Leidenschaft sehr komisch gewesen. Solch schwerflüssiges ernsthaftes Wesen stach seltsam ab gegen die neckischen Angriffe, welche der Zufall auf das Leben der Erdgeborenen macht. Und als auf dem letzten Busch eine von den kleinen Heuschrecken rasselte, deren Geschwirr er in sorgenvoller Zeit oft gehört hatte, sagte er lustig vor sich hin: »auch die muß noch dabei sein, erst die Schafe, dann die Grillen.« Und er begann halblaut ein gewisses altes Lied, worin die Grillen aufgefordert wurden, dahinzufahren und sein Gemüth nicht weiter zu belästigen. So kam er von seinem Spaziergange in recht leichter, weltmännischer Stimmung nach Hause.
»Heinrich,« begann Frau Hummel am Nachmittage feierlich zu ihrem Gatten, »mache dich gefaßt auf eine fatale Geschichte, ich beschwöre dich, bleibe ruhig und vermeide eine Scene, mühe dich, deinen Widerwillen zu bezähmen, und vor allem, achte auch unsere Gefühle.« Und sie erzählte ihm das Unglück.
»Was den Hund betrifft,« versetzte Hummel nachdrücklich, »so ist durchaus noch nicht bewiesen, daß es unser Hund war. Das Zeugniß des Schäfers genügt mir nicht, ich kenne dieses Subject, ich verlange einen unbescholtenen Zeugen. Es laufen jetzt so viele fremde Hunde um die Stadt, daß die allgemeine Sicherheit darunter leidet, und ich habe schon oft gesagt, es ist eine Schande für unsere Polizei. Sollte es aber doch unser Hund gewesen sein, so kann ich kein besonderes Unrecht darin finden. Wenn das Schaf ihm ein Bein hinstreckt und er ein wenig daran zwickt, so ist das seine Sache und gar nichts dagegen zu sagen. Was ferner den Schäfer betrifft, ich kenne seinen Herrn, so ist das meine Sache. Was endlich den jungen Mann da drüben betrifft, so ist das eure Sache. Ich habe nicht den Willen, das Unrecht seiner Eltern an ihm heimzusuchen, aber ich will mit den Leuten nichts zu thun haben.«
»Ich mache dich aufmerksam, Hummel,« warf die Gattin ein, »daß der Doctor dem Schäfer bereits Geld gegeben hat.«
»Geld für mein Kind, das leide ich nicht,« rief Hummel, »wieviel war’s?«
»Aber Vater –,« bat Laura. – »Wie kannst du verlangen,« rief Frau Hummel vorwurfsvoll, »daß deine Tochter in Todesgefahr die Groschen zählt, welche ihr Retter auslegt.«
»So seid ihr Weiber,« grollte der Hausherr, »für Geschäfte fehlt der Sinn. Konntest du ihn nicht nachträglich fragen? Den Schäfer nehme ich auf mich, der Doctor kümmert mich nicht. Nur das sage ich euch, die Sache wird kurz abgemacht, und im übrigen bleibt’s bei unserm Verhältniß zu diesem Hause. Ich fordere mir glattes Geschäft, und ich will diese Hähne nicht grüßen.«
Nach diesem Entscheid überließ er die Frauenstube ihren Gefühlen. »Der Vater hat Recht,« begann Frau Hummel, »daß er uns die Hauptsache anvertraut. Seinem strengen Sinne würde der Dank zu schwer ankommen.«
»Mutter,« bat Laura, »du bist geschickt in Artigkeiten, könntest du nicht hinübergehen?«
»Mein Kind,« erwiederte Frau Hummel sich räuspernd, »das ist nicht leicht. Dieser unglückliche Vorfall mit den Hunden hat uns Frauen zu sehr auseinandergebracht. Nein, da du die Hauptperson bei dem heutigen Vorfalle bist, mußt du selbst hinübergehen.«
»Ich kann doch nicht den Doctor besuchen,« rief Laura erschrocken.
»Das ist gar nicht nöthig,« begütigte Frau Hummel. »Den einzigen Vortheil hat diese Nachbarschaft, daß wir von unserem Fenster sehen, wenn die Männer ausgehen. Dann springst du zu der Mutter hinüber und richtest an sie noch einmal deinen Dank für den Sohn. Du bist mein kluges Kind und wirst dir zu helfen wissen.«
Darauf saß Laura am Fenster, ohne Freude sah sie sich zur Wächterin der Nachbarn gesetzt, und recht widerwärtig erschien ihr das Auflauern. Endlich trat der Doctor auf die Thürschwelle. Sein Aussehen war wie gewöhnlich, gar nichts Ritterliches darin zu erkennen, die Gestalt war zart und der Wuchs regelmäßig, Laura liebte das Hohe; er hatte geistvolle Züge, aber sie wurden versteckt durch die große Brille, welche ihm einen recht pedantischen Ausdruck gab; wenn er einmal lachte, wurde sein Gesicht recht hübsch, aber sein gewöhnlicher Ernst kleidete ihn gar nicht. Fritz verschwand um die Ecke, und Laura setzte mit schwerem Herzen ihr Hütchen auf und ging in das feindliche Haus, dessen Räume sie noch niemals betreten hatte. Dorchen, die nicht im Geheimniß war, blickte den Besuch erstaunt an, brachte ihn aber scharfsinnig mit der Rückkehr des Doctors in Verbindung und verkündete aus freien Stücken, von den Herren sei Niemand zu Hause, Frau Hahn aber im Garten.
Frau Hahn saß im chinesischen Tempel. Verlegen standen die beiden Frauen einander gegenüber, beide dachten zugleich an ihr letztes Gespräch, und beiden war die Erinnerung peinlich. Aber bei Frau Hahn überwog sogleich der menschliche Schauder vor der Gefahr, welche Laura umzingelt hatte. »Ach, Sie armes Fräulein,« begann sie. Und während sie von Mitleid aufwallte, fühlte sie, daß der chinesische Bau für diesen Besuch kein geeigneter Ort sei, sie steuerte zartfühlend davon ab und lud auf die kleine Bank vor der weißen Muse. Das war der glücklichste Platz des Hauses, hier lachte der Orangenbaum seine Käuferin an, und Laura vermochte sich in dankbare Stimmung zu versetzen. Sie sagte der Nachbarin, wie sehr sich sie dem Herrn Doctor verpflichtet fühle, und daß sie die Mutter bitte, dem Sohne dies zu sagen, weil sie selbst in der Verwirrung diese Pflicht nicht gebührend erfüllt habe. Dazu fügte sie das Geschäftliche wegen des bösen Schäfers. Der Dank vergnügte die gute Frau Hahn, und mütterlich bat sie Laura, ihren Hut ein wenig abzunehmen, weil es im Garten noch warm sei. Laura aber nahm den Hut nicht ab. Sie sprach schickliche Freude aus, wie hübsch der Garten blühe, und hörte mit Befriedigung, daß das Prachtstück im Topfe dem Herrn Hahn von einem Unbekannten geschenkt sei, auch die Früchte seien süß, denn Herr Hahn habe die Rückkehr seines Sohnes durch ein künstliches Getränk gefeiert und dazu die erste Frucht des kleinen Baumes genommen.
Es war bei alledem ein diplomatischer Besuch, er wurde nicht über die nothwendige Zeit ausgedehnt, und Laura war froh, als sie beim Abschied Empfehlung und Dank an den Herrn Doctor wiederholt hatte.
Auch in den stillen Aufzeichnungen Laura’s wurde die Begebenheit des Tages sehr kurz abgefertigt. Sogar eine angefangene Betrachtung über das Glück einsamer Waldbewohner blieb unvollendet. Wie, Laura? Du schreibst ja Alles nieder; wenn ein Holzwurm tickt, oder ein Sperling in dein Fenster schreit, hüpfen dir einige Versfüße auf. Hier wäre ein Erlebniß, gewaltig für dein junges Leben: Gefahr, Bewußtlosigkeit, Arme eines Fremden, der trotz seinem gelehrten Aussehen doch ein hübscher Knabe ist. Jetzt wäre Zeit zu schildern und zu schwärmen. Eigensinniges Kind, warum liegt das Abenteuer als totes Gestein in der phantastischen Landschaft, welche dich umgibt? Geht dir’s wie dem Reisenden, der müde auf die Alpengegend zu seinen Füßen blickt und sich wundert, daß die fremdartige Natur ihn so wenig ergreift, bis allmählich, vielleicht nach Jahren, die Bilder ihn im Traum und Wachen verfolgen und von neuem in die Berge ziehen? Oder hat die Nähe des argen Wichtes, der die Missethat verübt, auch dir die freien Schwingen gelähmt?