Читать книгу Die betrogene Frau - Gwen Hunter - Страница 5

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Der Wind war heiß und trocken. Sengend fegte er um die Windschutzscheibe herum, sog mir bald alle Feuchtigkeit aus der Haut, belegte sie mit einem glitschigen Film aus Öl und Salz. Selbst Miles Justins fein getuntes rostrotes Cord L-29 Kabriolett, Baujahr 1930, zeigte nach so vielen Stunden ununterbrochener Fahrt Ermüdungserscheinungen. Ich hatte mich mit einem Sonnenschutzmittel eingerieben, sobald ich das offene Verdeck des schnittigen Wagens mit dem Gepäckständer am Heck und dem altmodischen Klappsitz zu Gesicht bekommen hatte. Doch da stand die Sonne schon hoch, und es dauerte eine Weile, ehe das Mittel wirkte. Die Sonne hatte mein Gesicht und meine Schultern gerötet, der Wind hatte mein Haar so lange gezaust, bis der Zopf, den ich am Morgen geflochten hatte, sich löste, und ich fühlte mich so elend, daß ich am liebsten losgeheult hätte.

Montgomery, finster und einen kaum verhohlenen Zorn beherrschend, hatte alle meine zaghaften Versuche, Konversation zu machen, ignoriert und kein Wort mit mir gesprochen, seit er sich von dem französischen Bett im Haus seiner Familie erhoben hatte. Als ich einmal wagte, ihn zu berühren, zuckte er zurück und legte den Arm in seinen Schoß. Ich war zwar nicht mehr in einem Zimmer eingesperrt, aber ich war immer noch eine Gefangene.

Mein anfänglicher Zorn über die Inhaftierung hatte sich im Lauf der einsamen Stunden in dem fremden Zimmer gelegt, war von Unverständnis für das unberechenbare Verhalten des Mannes, den ich geheiratet hatte, verdrängt worden. Die romantischen Tage von Paris waren von diesem neuen Montgomery, diesem distanzierten, nicht einzuschätzenden Mann, zum trügerischen Traum, zur Lüge degradiert worden. Selbst seine Art, sich zu bewegen, hatte sich während unseres Aufenthalts auf dem Familiensitz der DeLandes verändert; die geschmeidige Grazie war den ruckhaften Bewegungen eines rastlosen, eingesperrten Tiers gewichen. Die warme Leidenschaft der vorangegangenen Wochen war verschwunden, verdrängt von einem kalten, gewaltsamen Brand, an dem ich keinen Anteil hatte.

Ich hatte gehofft, mit der wachsenden Entfernung von der Familie werde sich langsam die unbeschwerte, liebevolle Beziehung wieder einstellen, die vorher zwischen uns bestanden hatte.

Doch die Stunden vergingen, und Montgomery schien nur immer tiefer in das schwarze Loch zu fallen, das er sich selbst gegraben hatte, und die Last seines Schweigens legte sich über mich wie ein düsterer Schleier.

Die Landschaft vermochte nicht, meine Stimmung aufzuhellen. Im allgemeinen liebte ich die flache, vom Wasser beherrschte Landschaft des Atchafalaya-Beckens, heute jedoch schienen mir der Verfall und die Fäulnis, die es im sumpfigen Marschland immer gibt, einen Blick in Montgomerys Seele zu erschließen, auf geheime Orte, die ich eben erst entdeckt hatte, und ich fröstelte trotz der sengenden Hitze.

Seit mehr als sechstausend Jahren, seitdem die Wasser der letzten Eiszeit zurückgewichen waren, tobte zwischen dem Golf von Mexiko mit seinen salzhaltigen Gezeitengewässern und den Flüssen Mississippi und Atchafalaya ein Kampf auf Leben und Tod. Ein endloser Krieg zwischen Salzwasser und Süßwasser, bei dem jede Sturmbö, jedes tropische Gewitter und jeder Hurrikan das Meer landwärts trugen, wo es das zarte Leben der Küstengebiete vernichtete und verstümmelte. Der Mississippi wehrte sich und brachte Süßwasser, Humus und Nährstoffe nach Süden, die den Salzgehalt in der Erde und dem Marschland neutralisierten, so daß in dem geschädigten Land neues Leben entstehen konnte.

Es konnte also vorkommen, daß wir, soweit das Auge reichte, nur tote und sterbende Bäume sahen, kaum mehr als moosverkleidete dürre Stämme, die wie anklagende skeletthafte Finger zum wolkenlosen Himmel zeigten. Und dann konnte die Straße urplötzlich eine Biegung machen und mitten in die sumpfigen Marschen eines lebendigen Stücks Land führen, mit moosverhangenem Grün, dunkel gefiederten Zypressen und den noch dunkleren, schwarzen Walnußbäumen, mit Hickorybäumen, knorrigen, alten Eichen, die man hier cheniers nannte, Pekannuß- und Amberbäumen, Weiden, wildwachsenden Ranken- und Kletterpflanzen und Blumen wie Lotus und purpurrote Wasserhyazinthe. Angesichts dieser üppigen Vegetation wurde mein Verlangen zu weinen beinahe übermächtig.

Zweimal verloren sich die gewundenen, nur teilweise asphaltierten Straßen, auf denen wir fuhren, im Sumpf. Die Natur hatte sich zurückgeholt, was ihr gestohlen worden war, und der Mensch hatte es nicht der Mühe wert gehalten, darauf zu reagieren. Einige dieser Straßen waren selbst in den neuesten Karten nicht eingezeichnet. Beide Male hielt Montgomery an, wendete den Wagen vorsichtig und fuhr wieder zurück.

Die Straßen, die uns trugen, würden eines Tages verschwunden sein, in die Tiefe gezogen und verschlungen von dem Schlamm, der schon jetzt an den Straßenrändern leckte. Wir schreckten Rotwild auf und bremsten vor Geiern ab, die auf der Straße hockend an grauen Fleischbrocken nagten. Wir kamen an toten Gewässern vorüber, an alten Friedhöfen mit Mauern aus schneeweißem Marmor, an verlassenen Häusern, verlassenen Geschäften und Eisenbahndepots. Alligatoren lagen in der Sonne, ein Silberreihernest im Röhricht war um diese Tageszeit fast leer. Wir begegneten wenigen Autos. Wenigen Menschen.

Ich wußte nie, wo wir uns befanden, aber Montgomery zögerte an keiner Kreuzung oder Umleitung, sondern durchmaß das Land so rastlos, als jage er etwas nach, das nicht zu greifen war. Unablässig schweifte der Blick seiner blauen Augen umher, bald musterte er in schweigender Konzentration ein Stück Land, ein Zuckerrohrfeld oder ein verlassenes Industriegelände. Irgendwann an diesem endlosen Tag begriff ich, daß Montgomery nicht versuchte, mit mir in die Irre zu fahren oder mich auf grausame Weise, unter sengender Sonne mit dem Flußbecken vertraut zu machen. Er war in Geschäften der Familie DeLande unterwegs.

Mehrmals drosselte er das Tempo, als wir an kleinen Lichtungen in den Sumpfwäldern vorüberkamen, die durch verrostete, nicht mehr gebrauchte Öl- und Erdgasleitungen oder Brunnen gekennzeichnet waren. Unternehmen, die jetzt bankrott waren oder lukrativere Ölvorkommen gefunden hatten, hatten diese Leitungen, die einst unter Wasser oder Erdablagerungen versteckt gewesen waren, als Schrott zurückgelassen. An mehreren dieser Orte sah ich Schilder, von Kletterpflanzen überwuchert oder im hohen Unkraut liegend, auf denen das ausgebleichte Wappen der DeLandes zu erkennen war, der Raubvogel mit den blutigen Klauen.

Beinahe hätte ich Montgomery nach dem Namen des Vogels, dem Symbol seiner Familie, gefragt, aber dann hielt ich doch lieber den Mund. Wenn ich wieder bei meinen Büchern und Lexika war, konnte ich nachschlagen und den Vogel selbst identifizieren. Ich brauchte ihn überhaupt nichts zu fragen.

Eigensinnig preßte ich die Lippen zusammen und genoß das Gefühl von Stärke, das dem Trotz entsprang. Eigensinn ist eine Charaktereigenschaft der Dazincourts. Die Hälfte dessen, was ich von meinem Vater gelernt hatte, war Heimatkunde und Tiermedizin. Die andere Hälfte war reiner Eigensinn.

Er hatte mich gelehrt, mit Schlangen umzugehen und die Rückenflossen frisch gefangener Katzenfische nicht anzurühren. Er hatte mich gelehrt, statt nutzlosen Mitleids Charakterstärke zu zeigen, wenn es darum ging, ein leidendes Tier von seinen Schmerzen zu erlösen. Er hatte mich gelehrt, meinen Standpunkt zu behaupten, wenn es um eine Sache ging, die es wert war, verteidigt zu werden. Er hatte mich den Wert von Prinzipien, Integrität und Ehrlichkeit gelehrt; und wann diese Werte im Vergleich mit den höheren Werten elementarer Menschenrechte und zum Schutze von Unschuldigen ihren Sinn verloren. Aber den Umgang mit meinem Ehemann hatte er mich nicht gelehrt.

Wir kamen an einem weiteren menschenverlassenen Ort vorüber, den nichts kennzeichnete als die Spuren vergangener Habgier: ein Baumfriedhof unter einer Decke von Wasserlinsen und stillem Wasser, das sich nur manchmal teilte, um einen Nutria oder eine Bisamratte mit feuchtglänzendem Körper an die Oberfläche zu lassen. Baumstümpfe wie Grabsteine, für die Holzverarbeitung nicht zu gebrauchen, waren von den Holzfällern zurückgelassen worden, um Zeugnis abzulegen von der Raffsucht früherer Generationen jener Familie, in die ich eingeheiratet hatte.

Seit sieben Generationen waren die DeLandes damit beschäftigt, ein Vermögen zurückzugewinnen, das nach dem Bürgerkrieg verlorengegangen war, und mit diesem Ziel hatten sie das Marschland zerstört und mit skrupelloser Effizienz den Profit eingestrichen. Der Grande Dame und den Geschwistern DeLande gehörte gemeinsam mehr Land in der südlichen Hälfte des Staates als jeder anderen Familie. Mehr als den meisten Konsortien. Es war einst ein reiches Erbe gewesen; Natur und Mensch hatten zusammengewirkt, es zu zerstören. Die Natur mit salzigen Überschwemmungen und schweren Regenfällen, Überflutungen und Orkanen. Der Mensch mit der Pest seiner Selbstsucht und Profitgier. Keiner hätte freiwillig das Wasser getrunken, das durch das Flußbecken strömte. Bakterien und Mikroben von Exkrementen und Abfällen, Hunderte von Karzinogenen und anderen Schadstoffen machten es ungenießbar und gefährlich.

Generationen von Trappern, Jägern, Moospflückern, Holzarbeitern und Fischern hatte dieser südliche Teil des Staates mit seinen Tieren, seinem Holz und seinen anderen natürlichen Reichtümern ernährt, und in den letzten zwei Generationen auch die wachsende Öl- und Gasindustrie. Aber alle, die sich von den Schätzen dieses Landes nahmen, hatten ihm in irgendeiner Weise Gewalt angetan und Spuren ihres Verbrechens hinterlassen. Und auch ich gehörte jetzt dazu.

Noch immer würdigte mich Montgomery keines Blicks, keines Worts.

Wir waren den ganzen Tag gefahren, hatten nur gehalten, wenn der Wagen Benzin brauchte, was häufig der Fall war. Der Cord verbrauchte Benzin in Mengen, und die alte Benzinuhr funktionierte nicht richtig. Nicht ein einziges Mal fragte Montgomery mich nach meinem Befinden oder meinen Bedürfnissen, und die beiden Male, als ich in den kleinen Tankstellen, an denen wir hielten, zur Toilette rannte, glaubte ich ernstlich, er würde es fertigbringen, ohne mich weiterzufahren. Aber erwartete, lässig an den Roadster gelehnt, den Blick zum Himmel gerichtet oder auf eine vorbeiziehende Waschbärenfamilie.

Je näher wir Moisson kamen, desto häufiger dachte ich an meinen Daddy und stellte mir vor, was für einen Empfang er mir bereiten würde, wenn ich Montgomery einfach verließ und in mein Elternhaus zurückkehrte. Ich zwinkerte mit geschwollenen Augenlidern, um die Tränen zurückzudrängen, und biß mir auf die Lippen, um nicht zu weinen oder Montgomery anzuflehen, mit mir zu sprechen. Ich wollte getröstet werden, und ich wußte, daß ich Trost im Haus meiner Kindheit finden konnte. Aber dann dachte ich an das neue Dach und Paris und den Montgomery, den ich gekannt hatte, ehe wir die Familie DeLande besucht hatten, und wieder hatte ich Mühe, die Tränen zu unterdrücken.

Gegen Abend, als die Sonne rasch versank, eine gewaltige rotgoldene Kugel, die über den Zypressenhainen und Zuckerrohrfeldern hing und die Welt in zartes Rosarot tauchte, sah ich endlich den ersten vertrauten Orientierungspunkt – Bonnett’s Fleischerei und Grillrestaurant. Wir waren etwa zwanzig Meilen vor Moisson, näherten uns auf einer in nördlicher Richtung verlaufenden Straße, die ich selten gefahren war. Wir hatten das ganze Becken umrundet, waren auf kleinen Nebenstraßen kreuz und quer gefahren und hatten auf diese Weise für die Fahrt hierher doppelt so lange gebraucht, wie normal gewesen wäre. Und Montgomery hatte in dieser ganzen Zeit nicht ein einziges Wort mit mir gesprochen.

Seit unserem letzten Halt waren drei Stunden vergangen. Der Zeiger der Benzinuhr stand auf »Leer«, ich war hungrig, durstig, ängstlich, von der Sonne verbrannt und unglücklich. Ich haßte diesen neuen Montgomery und verwünschte mich dafür, daß ich ihn geheiratet hatte. Immer wieder wallte auch Furcht in mir auf. Die Erinnerung an den wilden Wahnsinnsblick Montgomerys, als er blutend auf mir gelegen hatte, suchte mich in den seltsamsten Augenblicken heim, wie eine Warnung, die mir nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Bonnett’s hatte in Moisson Tradition, sowohl als Fleischerei, in der die Hausfrauen ihren Braten kauften, wie auch als Eßlokal und Bar, wo man sich abends traf. Es gab hier weit und breit das beste Essen, das war nicht nur den Einheimischen bekannt, sondern auch den Touristen, die zum Fischen in diese Gegend kamen.

Eine wirksamere Reklame als die appetitlichen Düfte, die aus dem Restaurant und der Küche von Bonnett’s ins Freie wehten, gab es nicht. Das Lokal selbst war nichts Besonderes, eigentlich nur eine Baracke, an die immer wieder angebaut worden war, so daß eine Reihe kleiner, dunkler, ineinander übergehender Räume entstanden war. Vor der ungestrichenen Baracke mit dem eingesunkenen Dach aus rostendem Wellblech gab es eine Zapfsäule und hinter dem Haus eine öffentliche Toilette.

Montgomery hielt den Wagen vor der Zapfsäule an und schaltete den Motor aus. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete ich die Tür auf meiner Seite, nahm meine Handtasche und stieg aus. Ich ging nach hinten, zur Toilette, in der es zwar weder Papier noch Seife gab, die aber dennoch sauberer war als die meisten.

Ich mußte warten und nutzte die Zeit, um mir das vom Wind zerzauste Haar zu bürsten. Als ich zurückging, das Gesicht gewaschen, das Haar glänzend von der Bürste, die Lippen frisch gemalt, beschloß ich, nicht gleich wieder in die bedrückende Enge des Wagens zurückzukehren. Statt dessen ging ich mit einer Fünf-Dollar-Note in der einen Hand und meiner Handtasche in der anderen in das Lokal. Montgomery mochte es aushalten, einen ganzen Tag lang nichts zu essen, aber ich war völlig ausgehungert und mein ungeborenes Kind ebenfalls. Jetzt würde ich endlich etwas essen.

Ich trat durch die schmale Tür ins Haus. Schon von den Gerüchen, die mich empfingen, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Obwohl es ein Montag war, war ziemlich viel Betrieb. In einem der kleinen Räume feierte eine Gruppe Sportangler einen erfolgreichen Tag, in einem anderen fand eine Zusammenkunft eines dieser komischen Klubs statt – die Lions oder Tigers oder Bears ... Du lieber Gott... Zum erstenmal an diesem Tag mußte ich lächeln.

Bei Billy Bonnett, Koch/Metzger/Wirt, gab es die besten warmen Mahlzeiten und das beste Fleisch in der ganzen Gegend – in Marinade eingelegten Braten; gefüllten Kalbsmagen; mehrere Arten von Blutwurst, Knoblauchwurst, Schweinskopfkäse, ein Gumbo, das wirklich Leib und Seele zusammenhielt, gedünstete Langusten, Schweinegrieben, luftgetrocknetes Rindfleisch, Froschschenkel, gegrilltes Gemüse aus den Gärten der Umgebung und drei Arten Reis.

Und kaltes Bier. Ja, das kalte Bier floß in Strömen. Hinten, so hieß es, habe Bonnett sogar in nicht bezeichneten Fässern einige der einheimischen Biere auf Lager, darunter zum Beispiel ein dunkles, das so stark sei, daß es einem die Zunge aufstelle. Natürlich war der Ausschank solcher privat gebrauter Biere vom Gesetz verboten, aber das Gerücht, daß er sie dennoch verkaufe, hielt sich hartnäckig.

Aus dem Musikautomaten auf der anderen Seite des Raums plärrte ein Popsänger in Konkurrenz mit der Musik aus dem Cajun-Tanzpalast von drüben auf der anderen Straßenseite. Bei Levi’s gab es die beste Cajun-Musik in der ganzen Gegend. Ich ging in den Hauptraum des Lokals, in dem die Bar war und das Essen serviert wurde. Kaum hatte ich ihn betreten, blieb ich wie angewurzelt stehen.

Mit einem Bierglas in der Hand stand Montgomery am Tresen, einer dicken Holzplatte, die bei Tag als Verkaufstisch diente und abends als Bar. Und er redete, befand sich in einer angeregten Unterhaltung mit einem Angler im Overall, einem jungen Mann in Jeans und hochgeschnürten Jagdstiefeln und dem alten Bascomb, einem Langustenzüchter. Sie unterhielten sich in Cajun, einem indianischen Dialekt, dem ich kaum folgen konnte, aber unverkennbar hatte Montgomery soeben einen Witz erzählt, denn die Männer lachten wiehernd, als ich kam.

Ich war zornig und gekränkt zugleich. Daß er mit diesen Leuten plötzlich umgänglich und gesprächig wurde ... Ehe ich reagieren konnte, gab Bascomb, ein Cajun mit sieben Söhnen und einem so starken Dialekt, daß es beinahe lächerlich klang, Montgomery einen Puff, und mein Mann drehte sich um.

Das Lächeln, mit dem er mich ansah, war offen und gewinnend und beinahe unanständig verführerisch nach den langen Stunden des Schweigens. »Me sha«, rief er durch das Getöse in der Gaststube. Behende wie ein Tänzer kam er mir entgegen, nahm meine Hand, zog sie an seine Lippen und küßte meine Fingerspitzen. Dann gab er mir einen schnellen Kuß auf den Mund, legte mir einen Arm um die Taille und zog mich mit sich in eine Nische, von wo er Bonnett rief, uns zu bedienen.

Im breitesten Cajun orderte er ein umfangreiches Menü. Es gab eine Platte mit gedünsteten Langusten, die stark mit Cayenne gewürzt waren, ein halbes Dutzend Blutwürste mit Schweinefleischstücken, klebrigen weißen Reis, wie er in dieser Gegend bevorzugt gegessen wird, gegrillte Kürbisscheiben und Zwiebelringe, gebratene Froschschenkel.

Ich konnte diesen plötzlichen Wandel nicht mit der Gelassenheit hinnehmen, die er offenbar erwartete. Die Tränen schossen mir in die Augen, rannen mir über das Gesicht und tropften in mein Essen.

Verblüfft hielt er inne. Bestürzung, Schrecken, Schuldbewußtsein und Beschämung flogen in rascher Folge über sein Gesicht. Augenblicklich nahm er mich in die Arme und zog mich auf seinen Schoß. Ohne auf die belustigten Blicke und Pfiffe zu achten, drückte er meinen Kopf an seine Brust und wiegte mich sachte hin und her. Während er mir Koseworte ins Ohr flüsterte, besänftigte er mich mit seinen Händen und seiner Stimme, wie er das vielleicht bei einem Fohlen getan hätte, das zugeritten werden mußte. Die Hälfte seiner Worte verstand ich nicht und versuchte auch gar nicht, sie zu verstehen. Ich war einfach froh und glücklich, ihn wiederzuhaben. Und hatte Todesangst davor, ihn erneut zu verlieren.

Schließlich lehnte er sich ein wenig zurück, küßte mich auf die Nasenspitze und wischte mir das Gesicht mit einer der harten Papierservietten ab, die bei Bonnett’s immer in Stapeln auf den Tischen liegen. Ohne mich aus seinen Armen zu lassen, griff er nach der Platte mit den Langusten und zog sie näher zu uns heran. Er wählte eines der Tiere aus, entfernte den Kopf und die rote Schale und schob mir dann behutsam das saftige Fleisch in den Mund. Es war ein Moment höchster Erotik, als ich in diesem dämmrigen Raum inmitten gedämpften Stimmengemurmels auf seinem Schoß saß, seine Schenkel unter den meinen fühlte, seine Finger auf meinen Lippen und das würzige Aroma des Fleisches schmeckte.

Unsere Blicke trafen sich. Er lächelte nicht mehr, sondern sah mir mit brennendem Blick in die Augen. Ein Funke sprang zwischen uns über, als er sich den Saft des dampfenden Fleisches von den Fingern leckte. Er hob den Kopf der Languste an seinen Mund, sog ihn aus und warf die Schale weg.

Eine Stunde lang fütterte mich Montgomery so und erlaubte mir nicht, ein gleiches für ihn zu tun. Er selbst nahm nur hin und wieder einen Bissen. Den Löwenanteil des Mahls schob er mir in den Mund und ließ mich seine Finger sauberlecken. Und dabei ließ er mich keinen Moment aus den Augen, die heller brannten als der Mittagshimmel und in denen eine Begierde loderte, die diese Mahlzeit nicht stillen konnte.

Es war, als wäre das Wochenende auf dem DeLande-Familiensitz nie gewesen. Es war wieder wie in Paris und New Orleans, nur beherrschte mich jetzt ein ganz neues eigenes Verlangen, das aus den Tagen des Mangels, der Furcht und der Isolation geboren war.

Bonnett, mit dem Instinkt des Franzosen für solche Dinge, hielt sich fern, während wir aßen, und störte uns nur, um uns zu trinken zu bringen: ein dunkles Bier für Montgomery und Tee für mich. Und der massige, grobknochige Wirt sorgte auch dafür, daß keiner seiner Gäste uns bei unserem Mahl störte.

Als die Platten fast leer waren, Bier und Tee getrunken, hob Montgomery mich hoch und trug mich aus dem Lokal, wobei er den Gästen zurief, er sei noch in den Flitterwochen und habe Besseres zu tun, als seine Zeit mit ihnen zu vergeuden. Gelächter und grobe Scherze folgten uns in den Abend hinaus, wo Montgomery mich über die Tür des Cord hob und sanft in den Ledersitz hinunterließ, ehe er in den Wagen sprang und den Motor startete.

Schweigend fuhr er mich durch die kühle Abendluft, die in meinem Haar spielte und die Hitze des Tages linderte, nach Hause. Eine Hitze anderer Art hüllte uns jetzt ein, fiebrig und schwül war sie, eine träge Hitze, die keine Eile duldete. Wir sprachen nichts, waren es vielleicht beide zufrieden, die Hitze in der glühenden Stille wachsen zu lassen, oder fürchteten vielleicht, die immer intensiver werdenden Empfindungen durch Worte der Anklage oder Verurteilung zu vertreiben.

Es war ein magischer Abend, als wären wir beide verzaubert. Die Luft, die sengend heiß gewesen war und so feucht, daß sie auf unserer Haut geklebt hatte, war jetzt lieblich und mild, durchzogen vom feinen Duft abendlich blühender Blumen und von dem süßen Parfum des Eau de Colognes, das Montgomery immer benutzte. Der Mond war eine schmale silberne Sichel am samtblauen Himmel, und das Schweigen zwischen uns, das bitter und scharf gewesen war, war jetzt von ganz anderen Empfindungen erfüllt.

Das Haus, zu dem Montgomery mich brachte, war ein renoviertes Landhaus, das früher vielleicht zu einer Ranch gehört hatte. Es stand auf einem Hügel in einer geschützten Sackgasse nicht weit außerhalb der Ortsgrenze von Moisson. Es war von alten Eichen umgeben, und rundherum blühten Gardenien, deren starker Duft die Nachtluft schwängerte.

Wir stellten den Wagen auf dem überdachten Parkplatz rechts vom Hauseingang ab, und als Montgomery den Motor ausschaltete, schrie in der plötzlichen Stille irgendwo eine Eule. Grillen hielten zirpend Zwiesprache, und ein leichter Wind trug die Auspuffdämpfe davon.

Montgomery sah mich an und lächelte beinahe zaghaft. »Ich wußte, du würdest in der Nähe deiner Eltern sein wollen, darum habe ich ... Das Haus gehörte zu einer kleinen Ranch, die wir im letzten Jahr gekauft haben. Die DeLandes, meine ich. Das Haus und fünf Morgen Land dahinter habe ich für uns genommen. Ein Stück weiter hinten ist ein Bayou und ein neuer Anlegeplatz. Wenn es dir gefällt ... wenn – möchtest du dir das Haus ansehen?«

Ein zaghafter Montgomery war etwas Neues. Sonst war er stets der Selbstsichere, beinahe Arrogante. Mir war klar, daß dies seine Art war, sich zu entschuldigen. Das war das erste, was ich wahrnahm. Dann verstand ich: Er hatte mir ein Haus gekauft.

Ich richtete mich auf und versuchte, die Umrisse zu erkennen, aber dazu war es zu dunkel, und Montgomery lachte.

»Na, komm. Wenn es dir gefällt, laß ich eine Sicherheitsbeleuchtung legen, die sich immer sofort einschaltet, wenn jemand ans Haus herankommt. Dann können wir wenigstens etwas sehen, wenn wir nachts heimkommen.«

Er sprang aus dem Wagen und kam, noch immer von dem Haus und den Dingen sprechend, die er extra für mich hatte ändern lassen, zu mir herüber, um mir herauszuhelfen.

Das Licht war eingeschaltet, und es machte nichts aus, daß ich es von außen nicht gesehen hatte; innen war es einfach umwerfend. Fast zweihundert Quadratmeter Wohnraum, frisch renoviert. Der Seiteneingang führte in einen Waschraum mit Waschmaschine und Trockner, Haken an den Wänden für Regenmäntel oder Schirme, Borde darüber, auf denen schon Wasch- und Putzmittel standen, die gleichen übrigens, die Mama immer benutzte. Ich lächelte, und als er sah, in welche Richtung mein Blick ging, sagte er: »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber deine Mutter sagte, das seien die besten Mittel.«

»Aber nein«, sagte ich leise. »Das ist wunderbar so.«

»Gut.« Aus einem kleinen Wandschrank zog er ein Bügelbrett herunter. Das Essen stand in der Nische darüber. »Du brauchst natürlich deine Wäsche nicht selbst zu bügeln. Wir können es uns auch leisten, die Wäsche wegzugeben, wenn dir das lieber ist, aber ich weiß doch, wie gern ihr Frauen manchmal rasch noch ein Fältchen glatt bügelt.« Er lächelte, und ich errötete, ganz verliebt in den Mann, der selbst an so ein Detail gedacht hatte.

Dann führte er mich weiter ins Haus.

Die Wände waren weiß, beinahe grell in ihrer Helligkeit, aber Montgomery sagte sofort, ich könne sie selbstverständlich anders streichen oder auch tapezieren lassen, wenn ich wolle.

»Ich habe einen Innenarchitekten in Lafayette engagiert, und Möbel kannst du natürlich nach deinem Belieben einkaufen. Ich habe nur das Nötigste besorgt, da ich nicht wußte, was dir gefällt.«

Das Arbeitszimmer war groß, mit einem Fußboden aus Holzdielen, spärlich möbliert mit einem Schreibtisch und dazugehörigem Sessel in der einen Ecke, einem abgesperrten Gewehrschrank in der anderen, einem bequemen Ledersessel vor dem Fenster. Die Küche folgte anschließend, auch sie mit Holzdielen, was mir sehr gefiel. Die Schränke reichten bis zur Decke hinauf, waren weiß, hatten teilweise Glastüren. Auch die Küchengeräte waren weiß, und als ich den Kühlschrank öffnete, sah ich mehrere Flaschen von dem Wein darin liegen, der Montgomery in Paris so gut geschmeckt hatte. Auch Vorräte waren schon da, lauter Sachen, wie meine Mama sie eingekauft hätte.

Montgomery bestätigte meine Vermutung. »Ich habe deine Mutter gebeten, ein paar Dinge für uns einzukaufen, aber wir haben ein Konto bei Therriot.« Therriot war das größte Lebensmittelgeschäft in Moisson.

Ich schloß die Tür, und wieder war ich den Tränen nahe, wenn auch aus anderen Gründen als zuvor bei Bonnett’s. Meine Hände zitterten. Montgomery schien meine Reaktion zu spüren und nahm mich in die Arme, um mich kurz an sich zu drücken. Dann legte er mir einen Arm um die Taille und zog mich mit sich ins Frühstückszimmer.

»Ich habe die Möbel gesehen, und sie haben mir auf Anhieb gefallen, deshalb habe ich sie gleich liefern lassen. Aber wenn du sie nicht magst, können wir sie zurückgeben.« Es waren vier weißlackierte Stühle, die um einen runden Tisch standen. Darüber hing eine sehr einfache, moderne Lampe. Die Möbel standen in einer Nische mit hohen Fenstertüren, deren Scheiben nicht unterteilt waren, so daß das Licht ungehindert einfallen konnte.

»Es ist perfekt«, sagte ich, doch ehe ich noch etwas hinzufügen konnte, zog Montgomery mich weiter, nach vorn, in den Salon. Für ein richtiges Wohnzimmer war der Raum zu klein, aber er war sehr elegant mit altmodischen, in viele kleine Scheiben unterteilten Fenstern, breiten Fensterbänken und einer schön verzierten Deckenleiste. Ich konnte mir den Raum schon vorstellen, ganz in Grau, Grün und Lachs gehalten, mit langen Vorhängen, die sich auf dem Boden bauschten.

Oder vielleicht konnten wir hier auch ein Klavier aufstellen. Unwillkürlich legte ich meine Hand auf meinen noch flachen Leib. Es konnte ein Musikzimmer für die Kinder werden.

Das Eßzimmer befand sich auf der anderen Seite der Eingangstür. Auf dem Orientteppich, der fast den ganzen Boden bedeckte, stand ein schwerer Glastisch auf zwei breiten Betonsäulen. Ich erinnerte mich, daß ich den Tisch in einem Schaufenster in New Orleans bewundert hatte.

Schon wieder liefen mir die Tränen über das Gesicht. Ich drückte Montgomery an mich. Er hatte den Tisch extra für mich gekauft. Um ihn herum standen streng geformte Stühle mit hohen Lehnen, einem Design Frank Lloyd Wrights nachempfunden. Es war eine sehr schöne Zusammenstellung.

Die Schlafzimmer waren im rückwärtigen Teil des Hauses, zwei Räume mit einem gemeinsamen Badezimmer dazwischen, und ein Gästezimmer mit eigenem Bad. Ich revidierte meine erste Schätzung von etwa zweihundert Quadratmetern; dreihundert kam eher hin.

Unser großes Schlafzimmer war ganz hinten. Es hatte zwei große Einbauschränke und ein Bad mit einer Whirlpool-Wanne für zwei. Selbst in der Dusche gab es zwei Brausen, und es war soviel Platz, daß zwei Personen zu gleicher Zeit duschen konnten.

Ein Bett hatte Montgomery schon gekauft, ein Riesending, dessen vier Pfosten mit geschnitzten Darstellungen von Reishalmen verziert waren, wie das einst die Plantagenbesitzer populär gemacht hatten. Zwei Sessel standen sich an einem kleinen Spieltisch vor den Fenstern gegenüber. Diese Fenster hatten Jalousien.

Ich schüttelte nur wortlos den Kopf. Meine Tränen waren jetzt versiegt.

»Gefällt es dir?« Es war eigentlich keine Frage. Montgomery konnte mir ansehen, daß ich von dem Haus begeistert war.

»Es ist wunderschön«, sagte ich leise. »Danke.«

Er sah mich mit dem gleichen Lächeln an, das mir bei Bonnett’s den Atem geraubt hatte, und wandte sich ab. »Laß dir ein Bad einlaufen oder nimm eine Dusche«, sagte er. »Ich hole inzwischen das Gepäck.« Und damit war er schon verschwunden.

Ich ging langsam in das prachtvolle Bad, setzte mich auf den Wannenrand und drehte den Messinghahn auf. Und während ich dem Rauschen des Wassers zuhörte, starrte ich im Spiegel über dem Waschbecken mein Gesicht an und dachte über den Mann nach, den ich geheiratet hatte.

Er war weit komplizierter, als ich geahnt hatte. Vielleicht sogar ein wenig – grausam. Ich war stets ehrlich mit mir selbst. Selbst dann, wenn es einfacher gewesen wäre zu lügen. Aber die Grausamkeit war nur zum Vorschein gekommen, als er mit seiner Familie konfrontiert gewesen war, dieser bizarren, unberechenbaren, unharmonischen Gruppe von Menschen. Und war wieder verschwunden, als genug Zeit und Raum ihn von ihr trennten.

Ich dachte an die Gerüchte, die über die DeLandes in Umlauf waren, und beschloß, Montgomery lieber nicht danach zu fragen. Ich hatte Angst, wieder diesen wilden Blick des tollwütigen Hundes in seinen Augen zu sehen. Ja, den fürchtete ich bei Montgomery Ich zog mein verschwitztes Kleid aus und warf es zusammen mit meiner Unterwäsche in eine Ecke, ehe ich mich ins rasch ansteigende Wasser in der Wanne gleiten ließ. Ich drehte das heiße Wasser noch etwas stärker auf und legte meinen Kopf an das kleine Polster am Ende der Wanne.

Ich dachte über den Mann nach, als der sich Montgomery in den letzten drei Tagen gezeigt hatte, und fröstelte bei der Erinnerung an das Wochenende. Montgomery, wie er blutend auf mir gelegen hatte; wie er mich im Bett zurechtgesetzt hatte wie eine Puppe, meine Glieder, jeden einzelnen meiner Finger so lange hin- und hergeschoben hatte, bis es ihm gefiel. Ich dachte an den Montgomery, der mich gefüttert hatte, als wäre ich ein Kind, und mir verboten hatte, das Besteck auch nur anzurühren; der mich in dieses Zimmer eingesperrt und stundenlang allein gelassen hatte; der sich geweigert hatte, mit mir zu sprechen, die seelische Not und den Horror, den er in diesem Haus mit diesen Menschen erneut erlebte, mit mir zu teilen.

Ich wußte instinktiv, daß er in den drei Tagen, die wir bei den DeLandes verbracht hatten, gelitten hatte. Doch er hatte den Schmerz in sich eingeschlossen. Er war wie ein verletztes Kind, das von seiner Familie mißhandelt worden war und sie dennoch liebte. Die Gerüchte fielen mir wieder ein. Aber ich widerstand der Versuchung. Ich würde nicht fragen. Wenn Montgomery die Seelenqual einfach ausblenden wollte, dann sollte er das tun. Wenn er je mit mir darüber sprechen wollte, würde ich ihm zuhören.

Im Augenblick war ich mit meinen eigenen Erinnerungen konfrontiert, und die taten weh. Wie wunde Stellen in meiner Seele, von Montgomerys Schmerz aufgerissen. Ich sah sie mir alle an und studierte sie genau, während das Wasser bis zu meiner Taille, meinen Rippen, meinem Busen stieg. Und ich sammelte sie alle sorgfältig ein, mied die scharfen, verletzenden Stellen und legte sie wie Glasscherben in eine Serviette. Ich hielt sie, wog sie, unschlüssig, was ich mit ihnen tun sollte.

Ich hörte Montgomery ins Bad kommen, hörte ihn die Schuhe ausziehen und zu meinen Kleidern werfen.

Doch ich hielt meine Augen weiter geschlossen, mein inneres Auge auf das Bündel Verletzungen gerichtet, das ich immer noch unschlüssig hielt. Die Verletzungen waren so real, daß ich sie sehen konnte, so frisch, daß sie noch bluteten. Ich wußte, daß ich etwas Gefährliches und Beängstigendes in Händen hielt, etwas, mit dem ich mich irgendwann würde auseinandersetzen müssen, das ich nicht einfach wegwerfen konnte wie die Glasscherben, die ich als Bild dafür gewählt hatte.

Dampfwolken stiegen um mich herum auf. Das Wasser wurde ausgedreht. Montgomery ließ sich mir gegenüber in die Wanne gleiten, und das Wasser stieg mir fast bis zum Hals. Ich hörte ihn seufzen und fühlte, wie er sich entspannte, als er seine Beine rechts und links von meinem Körper ausstreckte. Er hob meine Füße in seinen Schoß und begann sie sanft zu massieren.

Und da legte ich sehr sorgsam und überlegt die Scherben, die Dinge, die mich verletzt hatten, die Dinge, die zu dem neuen Montgomery gehörten, in einen Kasten und schlug den Deckel zu. Es erschien mir so real, daß ich die Holzmaserung des Kastens unter meinen Fingern fühlen konnte. Ich konnte es hören, als der Deckel zufiel. Und ich ging fort von dem Ort, an dem der Kasten aufbewahrt wurde.

Ich würde mir die Dinge in diesem Kasten erst ansehen, wenn Montgomery es wünschte. Ich würde keine Erklärung von ihm fordern. Ich würde vergessen. Ich würde meine Augen verschließen.

Etwas in mir fragte, ob auch meine Mutter so angefangen hatte, indem sie etwas, das sie verletzte, einfach weggepackt, den Schmerz begraben hatte. Bis es ihr zur Lebensgewohnheit wurde, sich ganz auf Daddy einzustellen und sich ein eigenes Leben zu verwehren. Aber auch von diesem Gedanken wandte ich mich ab. Und es war lächerlich einfach, das zu tun, während ich da im wohlig warmen Wasser lag und Montgomerys Hände langsam meine Beine hinaufwanderten. Ich lächelte und wußte, ohne die Augen zu öffnen, daß er ebenfalls lächelte.

Wir besuchten die Grande Dame DeLande nie wieder, hörten niemals außer zu Weihnachten und Geburtstagen von ihr. Doch ab und zu pflegte einer der Brüder in einem perfekt hergerichteten antiken Automobil angebraust zu kommen und sich für ein paar Tage oder Wochen häuslich in unserem Gästezimmer niederzulassen, je nachdem, wieviel Zeit die Geschäfte in Anspruch nahmen, die er zu erledigen hatte.

Tatsache ist, daß ich überhaupt keinen Gedanken mehr an die Grande Dame verschwendet hätte, wären nicht die sporadischen Veränderungen auf meinem Bankkonto gewesen: Jedesmal, wenn ich ein Kind gebar, wurde eine große Geldsumme auf mein persönliches Konto eingezahlt. Und ein Konto auf den Namen des jeweiligen Kindes eröffnet. »Für ihre Erziehung«, sagte Montgomery. Und »gib es aus«, als ich ihn fragte, was ich mit dem Geld tun sollte. Aber ich legte es mit Hilfe eines kompetenten Wirtschaftsberaters und meines Bruders Logan lieber an. Nach De-Lande-Maßstäben war es nicht viel, aber es gab mir ein Gefühl der Sicherheit.

Die Jahre vergingen. Montgomery und ich lebten zusammen wie viele andere Ehepaare. Es gab gute und es gab weniger gute Zeiten. Aber ich beklagte mich nicht. Klagen bringen nichts ein, wie meine Mama immer sagte.

Sie und ich waren einander nie sehr nahe gewesen. Das lag zum Teil an den markigen kleinen Sprüchen, die sie stets parat hatte, wenn ich mit einem Problem zu ihr kam. Gleich als ich das erstemal Mutter wurde, nahm ich mir vor, es anders zu machen und mir die Sorgen und Schwierigkeiten meiner Kinder nicht mit irgendeinem gescheiten kleinen Sprüchlein vom Leibe zu halten.

Montgomery und ich suchten uns eine Kirche aus und besuchten regelmäßig die Messe. Montgomery trat in mehrere dieser albernen Klubs ein, in die Männer immer eintreten, wurde Republikaner und fing an, Golf zu spielen. Ich machte Töpferkurse und stellte im Lauf der Zeit fest, daß ich ein Talent dafür besaß, die Farben auf Porzellan zur Geltung zu bringen. Und ich machte viel im Garten. Montgomery, der meinte, ich wolle wie meine Mama in frischer Erde wühlen und den Pflanzen beim Wachsen zusehen, baute mir hinten im Garten ein Gewächshaus. Ich sagte ihm nicht, daß das gar nicht mein Herzenswunsch war.

Sieben Monate nach unserer Trauung bekam ich das erste Kind, Desma Collette. Es war eine leichte Geburt. Nie zuvor hatte ich mich so unglaublich lebendig gefühlt; die Macht, der Schmerz, die unbeschreibliche Freude, als mir der Arzt das blutige, glitschige kleine Mädchen auf den Bauch legte, vereinigten sich zu einem euphorischen Moment höchster Seligkeit.

Und als Dessie ihre Augen öffnete und mich ansah ... Es ist mir egal, was die Fachleute und die Forscher über die Entwicklung eines Kindes sagen, meine kleine Tochter sah mich an, sie richtete ihren Blick auf mich und erkannte mich in diesem ersten Moment. Die Bindung, deren Stabilisierung angeblich Wochen oder gar Monate braucht, war in Sekunden hergestellt, und ich hatte meine Berufung gefunden. Von dem Moment an, als unsere Blicke sich trafen, wußte ich, daß ich niemals als Krankenschwester arbeiten würde. Wenigstens nicht, solange meine Kinder noch klein waren. Ich war zuerst und vor allem anderen Mutter.

Mein Gynäkologe zog die Augenbrauen hoch, als ich zwei Monate nach Dessies Geburt bereits wieder schwanger war. Ich las sämtliche Bücher, die auf dem Markt waren, um zu erfahren, was eine gute Mutter war; dann verwarf ich sämtliche Theorien und verließ mich auf mein Gefühl.

Dessie war kahlköpfig und hellhäutig und hatte Montgomerys blaue Augen. Sie lachte früh, sprach früh und lief früh, alles lange vor ihrem ersten Geburtstag. Sie war ein aufgewecktes und sanftmütiges Kind, liebte mit Hingabe, zog die Menschen ihren Spielsachen vor.

Dora Shalene war von ganz anderer Art. Sie war dunkel wie unsere Mütter. Das kreolische Erbe der Ferronaires und der Sarvaunts schlug in ihren schwarzen Augen, ihrem seidigen schwarzen Haar, ihrer olivbraunen Haut und den hohen Wangenknochen durch. Sie war ein anspruchsvolles und stark auf sich selbst bezogenes Kind, das gern aß und gern spielte.

Aber die ersten fünf Monate von Shalenes Leben erlebte ich nicht mit; die rasche Bindung wie zwischen mir und meinem ersten Kind, Dessie, erfolgte hier nicht. Mein Körper, der nicht gesund werden wollte, und meine Seele, die von heftigen Gefühlsschwankungen geschüttelt wurde, verrieten mich, und als es mir endlich wieder so gut ging, daß ich Shalene kennenlernen konnte, schien sie bereits eine komplette kleine Persönlichkeit zu sein.

Mit diesem dunkeläugigen kleinen Mädchen eine Beziehung aufzubauen, war harte Arbeit, schwieriger als die Wiederherstellung meiner früheren Vertrautheit mit Dessie. Aber ich gab mir alle Mühe, griff sogar auf die Bücher zurück, die ich zuvor so selbstsicher zur Seite gelegt hatte.

Ich erfand Spiele und entwarf Puzzles, ich spielte mit ihnen mit ihren Puppen und mit dem Kaufladen. Wir zimmerten uns ein eigenes Leben, wir drei Frauen, mit festen Ritualen und Gewohnheiten, unseren ganz eigenen Amüsements und Belohnungen. Vielleicht kann jede Mutter, die nur Mutter ist, das gleiche von sich sagen, aber ich hatte das Gefühl, die Mädchen und ich hätten eine ganz besondere Beziehung zueinander entwickelt, das perfekte Modell einer heilen Familie.

Montgomery schloß sich uns nur selten an. Er zog es vor, das lebhafte Treiben in unserem Haus mit unergründlichen Blicken zu beobachten. Selbst das Strafen überließ er mir, wenn es denn einmal nötig war, stärkte mir, wenn ich wirklich einmal drohte, höchstens mit strenger Miene und ernstem Blick, in dem der Funke der Erheiterung fehlte, der sonst meist in der Tiefe seiner Augen lauerte, den Rücken.

Als Morgan Justin zur Welt kam, waren die Mädchen schon aus dem Gröbsten heraus. Er war ein ruhiges, friedliches Kind, das von dem Tag an, als wir ihn aus der Klinik nach Hause brachten, jede Nacht durchschlief. Er liebte es, die Welt um sich herum zu beobachten, war fasziniert von seinem Mobile, seinem Plüschbären, dem Essen, das er in einer bunten Plastikschale bekam. Er pflegte es sehr sorgfältig zu betrachten, ehe er mit seinen kleinen Fingern hineinstach und die taktilen Empfindungen mit gleicher Ernsthaftigkeit prüfte. Besonders mochte er die körnige Beschaffenheit von Birnen und die Farbe von Erdbeereis. Ich dachte oft, er wäre wahrscheinlich wunschlos glücklich, wenn er nur Erdbeereis mit der Beschaffenheit von pürierten Birnen finden könnte.

Mein Leben schien sicher und beständig. Montgomery war im allgemeinen ein großzügiger, liebevoller Ehemann, wenn auch ein distanzierter, schwieriger Vater. Er kaufte mir Faustfeuerwaffen, weil er wußte, daß ich mich gern im Schießen übte, und legte weit hinter dem Haus einen Schießplatz für uns an. Es war ein ausgetrockneter Kanal, auf dem früher Bohrinseln zu den Ölfeldern und wieder zurück befördert wurden, der jedoch gesperrt worden war, als der Staat nach der Überschwemmung neunzehnhundertdreiundsiebzig den Damm bei Moisson befestigen ließ. Im Lauf der Jahre war er an vielen Stellen ausgetrocknet, so daß wir nun hinten, am Ende unseres Grundstücks, einen trockenen Graben von etwa anderthalb Meter Tiefe hatten.

Er kaufte mir Schmuck und Kleider. Wir reisten viel, meistens in Geschäften der DeLandes, manchmal aber auch nur zu unserem Vergnügen. In einem Jahr unternahmen wir im Frühjahr und im Herbst Rundreisen zu den besten Winzern des Landes. Ich war besonders angetan von den Weinanbaugebieten im Norden Kaliforniens, Montgomery war ganz begeistert von einem Gebiet in South Carolina. Er meinte, der Boden sei dem Südfrankreichs so ähnlich, daß man meinen könnte, die Weine seien Importe.

Nach den ersten Jahren unserer Ehe begann Montgomery mehr zu reisen, und ich blieb mit Rosalita und den Mädchen zu Hause, während er zunehmend größere geschäftliche Verantwortung im Familienunternehmen übernahm. Seine eigenen Gelder steckte er in Grundbesitz und neue Industrieunternehmen am Golf und der Ostküste. Auch ich unternahm ab und zu eine Reise – nach New Orleans, um Sonja zu besuchen. Aber ich tat das nur ein oder zweimal im Jahr. Ich wollte keine längeren Trennungen von meinen Töchtern.

Montgomery war mir gegenüber selten grob oder kalt; das geschah eigentlich immer nur, wenn einer der DeLandes zu Besuch war. Immer wenn einer der Brüder bei uns aufkreuzte, bekam ich feuchte Hände, und eine schreckliche Beklommenheit überfiel mich.

Dann flackerte wieder dieses unheimliche Licht in Montgomerys Augen, ein harter, kalter Glanz, und er verschloß sich vor mir. Bald sah er mich mit völlig leeren Blicken an, bald sprühte in seinen Augen das Feuer eines wilden, mühsam unterdrückten Zorns, und er veränderte sich so sehr, daß von dem Montgomery, den ich geheiratet hatte, nur noch die Hülle übrig war. Er wurde zu einem reizbaren, jähzornigen Menschen. Bis zu dem Tag, an dem der Bruder endlich wieder abreiste.

Und dann bestrafte er mich. Manchmal begann er damit, noch ehe der Wagen, der den Bruder gebracht hatte, aus unserem Blickfeld verschwunden war. Es war, als gäbe er mir die Schuld an seinen Reaktionen auf seine Brüder. Er bestrafte mich für tausend Verstöße gegen Regeln, die ich nie gelernt und auf die er mich niemals aufmerksam gemacht hatte.

Die Strafen, die er mir zudachte, ob nun ausgefallen oder alltäglich, grausam oder gemein, waren unterschiedlicher Art und durchaus einfallsreich. Sie reichten von Liebesentzug wie beim erstenmal auf unserer Hochzeitsreise bis zu extravaganteren körperlichen Strafen. Ich ließ sie über mich ergehen und hielt durch, bis er die Dämonen, die ihn quälten, vertrieben hatte. Wenn es soweit war, wurde er wieder zu dem sanften, liebevollen Mann, den ich geheiratet hatte. Als wäre er verhext gewesen, und als sei der Bann nun gebrochen.

Nur wenn Miles Justin kam, veränderte sich Montgomery nicht. Er konnte ein ganzes dutzendmal im Jahr kommen, und tat das auch, und Montgomery blieb unverändert. Die Bezeichnung, die Miles sich am Tag unserer ersten Begegnung gegeben hatte, schien zu stimmen: Friedensstifter. Es gab Zeiten, da betete ich darum, daß er kommen möge, vor allem bei Besuchen von Richard oder Andreu, wenn Montgomery besonders verletzend und grausam zu werden pflegte. Aber es geschah selten, daß er dann erschien; er zog es vor, allein an Wochenenden zu kommen, wenn er schulfrei hatte, häufiger im Sommer und immer zu Weihnachten.

Er hatte eine Begabung dafür, die richtigen Geschenke für die Kinder auszusuchen, sei es zum Geburtstag oder zu Weihnachten oder auch ohne besonderen Anlaß. Einmal brachte er Dessie Plüschtiere mit und Shalene eine Eisenbahn. Beide Mädchen waren hingerissen, und er schaffte es sogar, daß sie mit ihren Spielsachen miteinander spielten, daß sie teilten, während ich im allgemeinen Schwierigkeiten damit hatte, sie wenigstens soweit zu bringen, daß sie nicht ständig stritten.

Als er die ersten Male in dem Cord, den er uns für unsere Heimfahrt geliehen hatte, bei uns aufkreuzte, war er zum Autofahren eigentlich noch zu jung. In Louisiana mußte man für den Führerschein mindestens fünfzehn Jahre alt sein. Aber ich verlor kein Wort darüber. Ich lernte sehr schnell, daß die DeLandes in diesem Staat ihre eigenen Gesetze machten. Außerdem mochte ich Miles Justin.

Im Lauf der Jahre begann Montgomery mich auch zu anderen Zeiten zu bestrafen. Wenn ich irgend etwas tat, das ihm mißfiel, wenn ich nicht seiner Meinung war, wenn ich ihn enttäuschte. Ich lernte, daß ich niemals nein sagen durfte. Niemals, ganz gleich, worum es ging. Doch diese Momente waren kurz und flüchtig und sie wanderten in den Kasten zu all den anderen Verletzungen.

Es war nicht so, daß ich aufhörte, ich zu sein. Es war nicht so, daß ich den Kampf darum aufgab, meinen Kindern und mir Geborgenheit und ein sicheres Zuhause zu schaffen. Und es war beileibe nicht so, daß alles schlimm und furchtbar war. Im Gegenteil, die meiste Zeit war Montgomery ein wunderbarer Ehemann. Aber es gab eben Zeiten, dunkle Momente, da entfernte sich Montgomery, und der Fremde, der seinen Körper und seinen Geist in diesen Momenten bewohnte, war der Feind, den ich fürchtete und haßte. Diese Zeiten stand ich durch. Stumm, fügsam, ohne zu klagen, wartete ich geduldig auf die Rückkehr jenes Montgomery, den ich liebte.

Er gab mir niemals eine Erklärung für diese seltsamen Wesensveränderungen. Er bat mich nie um Verzeihung. Und ich verstand nichts. Ich stopfte die Erinnerungen einfach in den Kasten, der sich im Lauf der Jahre füllte. Selten warf ich einen Blick hinein. Selten dachte ich über das nach, was der Kasten enthielt. Es war das einfachste, Schmerz und Demütigung einfach hineinzupacken, den Deckel zuzuschlagen und dem Ganzen den Rücken zu kehren.

Die betrogene Frau

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