Читать книгу Die betrogene Frau - Gwen Hunter - Страница 6

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Ich fand New Orleans gerade um diese Zeit des Jahres herrlich. Wenn der Mardi Gras vorbei ist und die Touristenhorden abgereist sind, wenn die glühende Sommerhitze mit den Mückenschwärmen noch fern ist – in dieser kurzen Zeitspanne im März ist New Orleans am schönsten. Das ist die Zeit, wenn die Einwohner selbst durch die Straßen des French Quarter flanieren, an den Straßencafés zu einem Beignet und einem Café au lait halt machen oder bei Johnny’s auf ein Sandwich mit gebratenen Austern oder Krebsen.

Das ist die Zeit, wenn tägliche Regenschauer die offenen Abflußkanäle ausspülen und den Gestank menschlicher und chemischer Abfälle vertreiben; wenn die bittere Kälte der Winterwinde, die von Kanada die Mississippi-Ebene herunterfegen, nur noch unangenehme Erinnerung ist; wenn der Ponchartrain-See blitzt und funkelt, als sei er noch ein lebendiges Gewässer und nicht in Wirklichkeit ein totes Meer. Das ist die Zeit, wenn die sanften Winde den milden Duft knospender Blumen, frischen Kaffees, heißer Beignets, das Aroma gebratener Meeresfrüchte und den immer strengen Geruch des Hafens zu dem wunderbaren Parfum vermengen, das New Orleans im Frühling atmet.

Seit mehreren Jahren verbrachte ich jedes Jahr den März in New Orleans bei Sonja. Wir gingen einkaufen, besuchten Restaurants, trafen uns mit Freunden, nahmen an zahllosen kulturellen und politischen Veranstaltungen teil, die von der Familie Rousseau gesponsert wurden. Ich gab vieles auf, um den Mann, den ich geheiratet hatte, bei Laune zu halten, aber Sonja gab ich niemals auf. Ich mußte leiden um dieser Jugendfreundschaft willen, aber ich war nicht bereit, auf sie zu verzichten. Sonja war mein Schutzengel.

Meine Reisen zu Sonja waren Oasen der Freiheit. Sie schenkten mir Tage heiterer Unbeschwertheit, in denen kein Kind an meinem Rockzipfel hing, keine häuslichen Pflichten mich in Anspruch nahmen – kein Ehemann Unterwerfung von mir verlangte. Montgomery erlaubte mir diesen alljährlichen Urlaub, weil ich stets erfrischt zurückkehrte, mit neuer Gelassenheit und Bereitschaft, meine Rolle als seine Ehefrau zu erfüllen. Aber er sah ihn nicht gern.

Wir standen im Sonnenschein des späten Vormittags vor dem Petunias in der St. Louis Street, gesättigt von dem opulenten Brunch, den wir mit zwei Freundinnen Sonjas von NOW, der Nationalen Frauenorganisation, eingenommen hatten. Wir hatten Unmengen pain perdu vertilgt, den mit Ei panierten Toast, der mit Zuckerrohrsirup bestrichen und Puderzucker bestreut wird. Wir hatten Eier Melanza gegessen und ein Wurstfrühstück nach Cajun-Art mit geräucherter andouille und Blutwurst und Eiern St. Louis. Mein Cholesterinspiegel war bestimmt in Wahnsinnshöhen hinaufgeschnellt, aber das war mir egal.

Ohne auf meine Umgebung zu achten, trottete ich mit halbgeschlossenen Augen hinter Sonja her, den Blick auf ihre lavendelfarbenen Pumps gerichtet. Ich genoß die Wärme der Sonne auf meiner Haut und war mit mir und der Welt zufrieden. Die Freude der letzten beiden Tage wallte in mir auf, so klar und hell wie frisches Grundwasser in einem Sumpf, das allen Schlamm und allen Moder fortspült. Ich freute mich, daß ich meine Seidenbluse nicht bekleckert hatte; daß ich zwei Wochen in New Orleans vor mir hatte; daß Montgomery ausnahmsweise einmal nicht versucht hatte, mir die Reise auszureden; daß ich satt und faul und möglicherweise wieder einmal schwanger war. Ich war zwar nur zwei Tage zu spät dran, aber ich fühlte mich so schläfrig und friedlich, wie ich das immer wurde, wenn ich »guter Hoffnung« war.

Das war Sonjas Ausdruck. Sie achtete dieser Tage sehr darauf, sich so zu benehmen, wie der gute Ton es verlangte. Diese neue, seit ihrer Einheirat in die einflußreiche Familie Rousseau um ein korrektes öffentliches Image bemühte Sonja war mit der rebellischen Wildkatze, die ich aus unserer Schulzeit kannte, zu einer kultivierten, politisch interessierten jungen Frau und Mutter verschmolzen. Eine Rebellin war Sonja immer noch, bereit, für eine Sache, von der sie überzeugt war, Kopf und Kragen zu riskieren, aber sie wählte die Sachen, für die sie sich einsetzte, jetzt mit kritischerem Verstand. Hatte sie früher elterliche Mißbilligung riskiert, indem sie mit Montgomery und mir im offenen Wagen, mit einem Kasten Bier auf dem Rücksitz durch die Gegend kutschiert war, so riskierte sie heute täglich die Exkommunikation mit ihren liberalen politischen Ansichten und ihrer Unverblümtheit.

Nur dank Geld und Einfluß der Familie Rousseau blieb ihr öffentlicher Tadel seitens der gesetzteren und konservativeren Mitglieder der vornehmen Gesellschaft, in der sie jetzt verkehrte, erspart. Sie entrüstete die guten Leute, aber bis jetzt hatte niemand es gewagt, sie in die Schranken zu weisen. Sicher taten da auch ihre natürliche Anmut und Wohlerzogenheit einiges dazu. Selbst bei einer Demonstration wäre Sonja gelassen und selbstsicher geblieben und vom eleganten Strohhut bis zu den Gucci-Schuhen vorbildlich gekleidet erschienen.

Bei dem Gedanken lächelte ich leicht vor mich hin.

»Dein Wachhund ist wieder da.«

»Hm?« Ich sah auf und kniff die Augen zusammen, geblendet von der grellen Helligkeit der weißen Bürgersteige.

Sonja sperrte gerade ihren weißen Volvo auf. »Dein Wachhund. Spürst du die Leine?«

Ich seufzte. »Dein Bild ist ziemlich schief. Ich bin nicht an der Leine. Du weißt, das ist nur zu meinem Schutz. Montgomery engagiert diese Leute nur, damit – damit uns auf der Straße nichts passiert. Ihm ist nicht wohl bei den Verbrechen und den Autodiebstählen und ...«

»Montgomery engagiert sie, damit sie dich überwachen, das weißt du ganz genau. Aber laß nur, ich habe mich inzwischen schon daran gewöhnt und finde es affengeil, auf Schritt und Tritt von zwei miesen kleinen Detektiven in einem alten Falcon beschattet zu werden.«

Der Tag schien sich plötzlich zu verdüstern, aber ich war entschlossen, mir nichts anmerken zu lassen. »›Affengeil‹? Die alte Schwester Louey würde der Schlag treffen, wenn sie das hören könnte.«

Sonja lachte. »Okay, weich mir nur aus. Wie geht’s denn Schwester Louey eigentlich?«

Schwester Louey hieß eigentlich Schwester Mary Agnes, aber sie sah Louis Armstrong zum Verwechseln ähnlich und war den Spitznamen nie wieder losgeworden. »Es geht ihr gut. Sie ist ein bißchen zerbrechlich geworden und verirrt sich manchmal im Rosengarten, aber sie ist noch gut beieinander, wenn man bedenkt, daß sie fast achtzig ist. Ich weiche übrigens nicht aus.«

Montgomerys Detektive waren seit Jahren ein Streitpunkt zwischen Sonja und mir, und obwohl Sonja behauptete, sie zu hassen, war es ein Spiel zwischen uns geworden, zu sehen, wer sie zuerst entdeckte.

»Dann geh doch hin und stell dich ihnen vor. Und gib ihnen auch gleich einen Plan unserer heutigen Route. Das wird ihnen die Arbeit erleichtern.«

»Laß sie sich nur ruhig ihr Geld verdienen.« Ich stieg in den Wagen und knallte die Tür zu.

Sonja folgte. Ich wußte, daß es ihr auf die Nerven ging, diese Männer ständig auf den Fersen zu haben, immer in Sichtweite, zwei Autos zurück oder gegenüber vom Haus geparkt, aber mehr als einmal waren sie uns auch zu Hilfe gekommen.

Wie damals zum Beispiel, als sie den Burschen aufgehalten hatten, der uns die Handtaschen entrissen hatte und mit ihnen verschwinden wollte. Oder als sie die Straße freimachten, nachdem ein betrunkener Weißer ein fünfjähriges schwarzes Kind überfahren hatte, und die Menge ungemütlich zu werden begann. Aber natürlich war es nicht immer ein angenehmes Gefühl, sie um sich zu haben.

Es war befremdlich und irritierend, sich ständig beobachtet, überwacht und bei allem, was man tat, fotografiert zu wissen. Einmal, als ich auf glitschigem Pflaster ausrutschte und mir bei dem Versuch, den Sturz abzufangen, das Handgelenk brach, erschien Montgomery prompt höchst besorgt in der Notaufnahme des Krankenhauses, obwohl Sonja ihn noch gar nicht angerufen hatte. Und dabei hätte er um diese Zeit eigentlich gar nicht in New Orleans sein sollen.

Es kam mehrmals vor, daß ich Montgomery irgendwo in der Menge sah oder zu sehen glaubte, und er sich rasch abwandte.

Wenn ich dann aus New Orleans zurückkehrte, pflegte er mich so fest an sich zu drücken, daß mir die Luft wegblieb, Ermahnung daran, daß ich einzig ihm gehörte. Nur ihm allein. Niemals würde er teilen, was seins war. Gott, ich haßte schon den Klang dieser Worte. Er war in solchen Zeiten schroff und gewaltsam bei der Liebe, benutzte gewissermaßen meinen Körper, um seine Eigentumsrechte zu besiegeln. Um mich an mein Eheversprechen zu erinnern.

»Du solltest dich von diesem mißtrauischen Schwein scheiden lassen. Ich finde schon einen guten Mann für dich«, sagte Sonja.

Ich lachte, und es klang beinahe normal. »Und Montgomery käme mit sämtlichen Brüdern zur Hochzeit, um meinen frischgebackenen Ehemann mit Böllerschüssen zu durchlöchern.«

Seufzend lenkte Sonja den Wagen in den Verkehr hinaus. »Es gibt genug andere Männer. Nette Männer.«

Ich lächelte angespannt. »Ein Mann im Leben reicht mir, besten Dank. Außerdem habe ich mit irgendeinem ausgehungerten Burschen, der sich beweisen muß, daß er noch kann, nun wirklich nichts am Hut.«

Sonja warf mir einen Blick zu, aber ich tat so, als bemerkte ich ihn nicht, während ich im Spiegel in der Sonnenblende den Wagen beobachtete, den Sonja heute schon zweimal registriert hatte. Ja, er folgte uns. Kein alter Falcon, sondern ein neuerer erbsengrüner Buick.

»Hm. Kein Falcon. Dieses Jahr hat Montgomery sich meinen Schutz richtig was kosten lassen. Da werde ich mich besonders dankbar zeigen müssen, wenn ich heimkomme.« Ich hörte den ironischen Unterton in meiner Stimme und ärgerte mich über den Ausrutscher. Wut und Zorn überfielen mich. Ich vergaß zu denken. »Fahr an den Bürgersteig!« sagte ich.

Ohne Kommentar lenkte Sonja den Wagen in eine kleine Einbahnstraße. Es war eigentlich nur eine Gasse, höchstens vier Meter breit, aber sie ging zur Parallelstraße durch. Ich kritzelte rasch etwas auf einen Zettel, faltete ihn und öffnete die Wagentür. Ich hatte gerade so viel Platz, daß ich mich hinauszwängen konnte, ohne den Lack des Wagens an der Mauer zu zerkratzen.

»Wohin willst du?« Sonjas Stimme klang beunruhigt, und ich lächelte. Es war offenbar ein häßliches Lächeln, denn sie wollte ihren Gurt öffnen.

»Ich gebe den Kerlen unseren heutigen Fahrplan. Das hast du doch selbst vorgeschlagen.«

Sonja starrte mich mit aufgerissenen Augen an, und ich lachte, laut und ärgerlich, ehe ich mit dem Zettel in der Hand losrannte.

»Mach bloß Montgomery nicht wütend!« Die Worte prallten von den Backsteinmauern ab, die den Wagen einschlössen.

Ich hielt nach dem Buick Ausschau. Er stand mitten auf der Straße und blockierte den Verkehr. Ich lächelte wieder und richtete meine Aufmerksamkeit auf den Mann auf der Beifahrerseite, während ich zwischen zwei geparkten Autos hindurchschoß. Sein Fenster war offen.

Ich neigte mich hinunter und stützte einen Ellbogen auf die Fensterumrandung, als hinter uns die Leute zu hupen begannen. Der Mann auf dem Beifahrersitz, dessen Gesicht kaum eine Handbreit von mir entfernt war, war ein grünäugiger Mulatte mit einem Spitzbärtchen und schokoladenbrauner Haut. Er wich vor mir zurück. Der Fahrer war ein Weißer mit dunklen Augen und einem runden Gesicht. Zwischen seinen Lippen hing eine Zigarette. Beide hatten sie Jeans und T-Shirts an, und zwischen ihnen auf dem Sitz lag ein ganzes Waffenarsenal: ein Schlagring, ein Gummiknüppel, eine kurze Stahlkette, eine 3 5-mm-Kamera mit Teleobjektiv und eine Pistole.

»Wieviel bekommen Sie bezahlt?« fragte ich, überrascht über mich selbst.

Der Spitzbärtige wandte sich mit zitternden Barthaaren dem Fahrer zu. Der nahm die Zigarette aus dem Mund.

»Lady, Sie halten den Verkehr auf.«

Ich lachte, wieder dieses mir so fremde, hysterisch anmutende Lachen, bei dem mich fröstelte. »Nein, Sie halten ihn auf. Und wir können den Verkehr weiter aufhalten, bis unsere Freunde und Helfer erscheinen, um die Straße freizumachen und Ihre Spielzeuge hier finden«, ich wies auf die Kollektion auf dem Sitz, »oder Sie können meine Frage beantworten. Also, wieviel?«

Das Hupkonzert hinter uns wurde lauter. Einige Fahrer schimpften wütend zu den Fenstern hinaus.

»Wieviel?«

In der Ferne erklang Sirenengeheul.

»Fünfundsiebzig pro Tag plus Spesen«, murmelte der Spitzbärtige.

Ich warf ihm den zusammengeknüllten Zettel in den Schoß. »Ich habe ihnen soeben Ihre Arbeit erleichtert.« Damit machte ich kehrt und rannte zum Volvo zurück.

»Was hast du getan?« Es war eine Anklage.

Ich wurde unsicher bei ihrem Ton. Ich holte tief Luft und sagte: »Ich habe ihnen unseren Fahrplan für heute gegeben. Wie schnell kannst du fahren?«

»Warum?« Sie bog rasch nach links ab, dann wieder nach rechts und fuhr auf eine breite Straße hinaus. Ich hatte schon die Orientierung verloren. Dies war Sonjas Stadt. Ich drehte mich um und hielt nach dem erbsengrünen Buick Ausschau, aber der war weit und breit nirgends zu sehen.

»Einen falschen Plan natürlich.«

»Scheiße!« Der Kraftausdruck erstaunte mich, und ich sah Sonja an. Ihre vollen Lippen waren schmal, die Nasenflügel gebläht. Ich hatte das Gefühl, sie wäre zu den Kerlen zurückgefahren, wenn es nicht schon zu spät gewesen wäre.

»Was ...«

Aber Sonja achtete nicht auf mich. Sie fuhr auf dem kürzesten Weg nach Hause, obwohl wir vorgehabt hatten, noch einen Einkaufsbummel im French Quarter zu machen und später an einer Sitzung des National Political Congress of Black Women teilzunehmen, ebenfalls im Petunias, Sonjas Lieblingsrestaurant für Geschäftsessen und politische Zusammenkünfte.

Meine gute Laune war mit einem Schlag dahin. Wir sprachen nichts während der Fahrt, und ich dachte in der bedrückenden Stille des Wagens nüchtern über Sonjas widersprüchliche Einstellungen nach. Seit Jahren stachelte sie mich auf und versuchte, mich dazu zu bringen, Montgomery Paroli zu bieten, mich gegen die Einschränkungen aufzulehnen und gegen diese Überwachung zu wehren. Und nun, da ich ein wenig eigenen Willen gezeigt und aufgemuckt hatte, war sie in Panik geraten. Dabei geriet Sonja niemals in Panik. Niemals.

Und ich lehnte mich niemals auf. Jedenfalls nicht gegen Montgomery. Das wäre ja gefährlich gewesen, und ich war zu klug, um das zu riskieren. Im allgemeinen. Natürlich sagte und tat ich Dinge, die Montgomery mißfielen. Wie damals, als ich ihm klipp und klar erklärt hatte, daß ich seine Brüder nicht mochte – von Miles, dem jüngsten und sanftesten DeLande abgesehen – und ihre Besuche nicht wünschte. Und wie vor ein paar Wochen, als ich von ihm verlangt hatte, er solle einen Psychologen für Dessie besorgen, weil sie nicht mehr essen wollte und sich von allen zurückzog.

Auch auf andere Weise hatte ich mir schon seinen Unmut zugezogen. Als ich beispielsweise nach Shalenes Geburt nicht schnell genug wieder gesund wurde, oder wenn ich, gerade wenn er mit mir schlafen wollte, meine Tage hatte und nicht verfügbar war. Dann pflegte ich den Kopf zu schütteln, weil ich seine Einstellung zu Frauen während ihrer Menses kannte, und er zog sich verärgert zurück und brummte: »Du blutest und bist nicht verfügbar?« Worauf ich mit einem kleinen Lächeln zu nicken pflegte.

Während dieser wenigen Tage pflegte er im Haus herumzustreichen wie ein Tiger im Käfig, oder aber er verreiste plötzlich, schützte dringende Geschäfte vor, um von mir wegzukommen. So hatte er es zumindest in den frühen Jahren gehalten. In letzter Zeit zog er sich nur ins Gästezimmer zurück, und ich hatte dann unser Schlafzimmer für mich allein und genoß dieses egoistische Vergnügen.

Ich beobachtete Sonja, die ihre Aufmerksamkeit auf den Verkehr gerichtet hielt. Sie wirkte kühl und ruhig, vielleicht war sie also gar nicht in Panik. Nur ... beunruhigt. Und ärgerlich. Sie blickte immer wieder in den Rückspiegel. Kein Buick.

Wir überquerten die St. Charles Avenue und bogen in die Straße im Garden District ein, in der sie und Philippe wohnten, eine jener breiten Alleen mit renovierten Herrenhäusern, die unter mächtigen alten Eichen in großen, üppig blühenden Gärten standen.

New Orleans ist eine alte Stadt mit Enklaven von Geld und Wohlstand mitten in einem Meer von Sozialwohnungen und Slums. Und alle diese Häuser der Reichen werden rund um die Uhr von Wachgesellschaften und privaten Leibwächtern bewacht. Ich war mir nicht sicher, ob mir das Ambiente alter Südstaaten-Herrlichkeit diesen Aufwand wert gewesen wäre.

Anstatt den Wagen in die Garage zu fahren, die einmal Remise und Dienstbotenhaus gewesen war, parkte Sonja auf der Straße vor dem Anwesen. Nachdem sie den Motor ausgeschaltet hatte, blieb sie sitzen und trommelte mit ihren manikürten Fingernägeln auf das Lenkrad. Ein Sonnenstrahl blitzte auf dem Chrom der Windschutzscheibe, ehe er hinter einer Wolke verschwand. Der Wind frischte auf und legte sich wieder.

Ich sagte nichts. Ich wartete. Ich hatte den Eindruck, daß ich dieser Tage eigentlich ständig auf jemanden oder etwas wartete.

»Wenn du Montgomery verlassen willst, helfe ich dir. Aber keine solchen albernen Spielchen mehr, bitte.«

Ich reagierte nicht auf den Befehlston. Ich hatte mir angewöhnt, meine Reaktionen auf Befehle zu verbergen. Ruhig sagte ich: »Seit Jahren drängst du mich, mich zu wehren. Und wenn ich’s tue, sagst du, ich soll’s lassen.«

Ich starrte zum Fenster hinaus. Ich sah Sonja nicht an, aber ich spürte ihren Blick. In der Ferne pfiff ein Vogel. Ein anderer antwortete. Sonja lehnte sich in ihrem Sitz zurück und seufzte.

»Ich habe versucht, dir zu zeigen, daß du in einem Käfig sitzt, damit du etwas dagegen unternehmen kannst.«

»Damit ich Montgomery verlasse«, sagte ich ruhig. Ich drehte meinen Kopf, so daß ich ihr Profil sehen konnte. Ich war zornig, aber ich unterdrückte das Gefühl.

Sonja nickte, während sie die Straße hinter uns im Auge behielt. »Aber damit habe ich nicht gemeint, daß du Spielchen machen sollst. Bei Montgomery gibt es nur alles oder nichts. Entweder du gibst klein bei und führst ein Leben der Unterwerfung oder du nimmst deine ganze Kraft zusammen und kämpfst. Laß dich scheiden. Ein Mittelding gibt es nicht.«

Ich wußte, wie wahr ihre Worte waren, doch es überraschte mich, daß sie so genau Bescheid wußte. »Das klingt ja, als hättest du dich sehr gründlich mit dieser Sache beschäftigt«, sagte ich langsam.

Einen Moment blieb es still. Die Luft im geschlossenen Wagen begann stickig zu werden, aber keine von uns kurbelte das Fenster herunter. Wir saßen da, atmeten die schale Luft und sahen einander nicht an.

»Vor vier, fünf Jahren. Nach Shalenes Geburt. Da warst du doch so krank.«

Ich nickte. Ich hatte über ein Jahr gebraucht, um mich von der Entbindung zu erholen. Der Kaiserschnitt war kompliziert gewesen, und ich hatte eine Menge Blut verloren. Doch Montgomery erlaubte keine Transfusionen aus der Blutbank. Die Angst vor Aids und Gelbsucht war damals groß in Moisson, da kurz zuvor ein junger Mann, der nach einem Unfall eine Transfusion bekommen hatte, aidskrank geworden war.

Montgomery sagte also nein. Kein Blut. Ich war zu schwach, um mich aufzuregen. Nach zwei Wochen verließ ich das Krankenhaus mit einem Hämoglobinwert von 4,4 – 12,6 war er gewesen, als ich eingeliefert worden war. Ich war so schwach, daß ich mich um mein Kind nicht kümmern konnte. Ich schaffte es nicht einmal bis zum Badezimmer, ohne ohnmächtig zu werden.

Montgomery engagierte Rosalita, eine junge spanische Frau, die keine Aufenthaltsgenehmigung hatte, als Haushälterin und Kindermädchen. Nach zwei Monaten war ich immer noch so schwach, daß ich mich kaum auf den Beinen halten konnte, und versank in tiefer Depression. Ich lag tagelang nur im Bett und weinte und bemitleidete mich selbst. Ich versank immer tiefer in meinem Elend.

Montgomery verabreichte mir Valium und alle möglichen Tranquilizer, und ich konnte nicht mehr schlafen. Essen ebensowenig. Ich sah aus wie der wandelnde Tod, und es war mir egal.

In seiner Verzweiflung rief Montgomery Sonja an. Sie kam, packte mich in ihr Auto und nahm mich für zwei Monate mit nach New Orleans. Das war der Anfang meiner alljährlichen Ausflüge nach New Orleans.

»Montgomery hat mich in Wirklichkeit gar nicht angerufen«, sagte Sonja. Ich starrte sie an, aus meinen Erinnerungen gerissen, die plötzlich falsch und trügerisch waren. »Er stand eines Morgens um sechs betrunken bei uns vor der Tür. Er sah grauenvoll aus. Er war verzweifelt und aggressiv und, offen gestanden, völlig aus dem Gleichgewicht.« Sie machte eine Pause und starrte zum Fenster hinaus. »Er war gekommen, um zu bitten, aber am Ende drohte er. Er verfügte einfach, könnte man sagen.« Sie sah mich flüchtig an und lächelte.

»Er erzählte Philippe und mir, wie krank du seist und wie dringend du Hilfe brauchtest. Daraufhin sagte ich, ich würde kommen und dich und die Kinder holen. Aber das paßte ihm nicht. Er sagte, ich könne dich mitnehmen, aber die Kinder müßten bei ihm bleiben. Als Garantie, vermute ich, um sicher zu sein, daß du zurückkommen würdest. Aber du hättest die Kinder in diesem Moment sowieso nicht versorgen können, wie sich zeigte. Du brauchtest vor allem Ruhe.« Sonjas Hände, die auf dem Lenkrad lagen, ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. »Bevor er wieder abfuhr, sagte er mir, was er mir antun würde, wenn ich je zulassen sollte, daß du ihn verläßt. Er machte praktisch mich für den Fortbestand seiner Ehe mit dir verantwortlich.«

Ich warf Sonja einen hastigen Blick zu. Sie starrte mit gerunzelter Stirn zum Fenster hinaus, und ich sah rasch wieder weg, ohne zu begreifen, wohin dieses Gespräch führen sollte. Aber ich wußte, daß Sonja selten etwas ohne Grund sagte. Nur war ich mir nicht sicher, ob ich in diesem Fall den Grund wissen wollte.

»Bevor er abfuhr, brach er Philippe die Finger.«

Ich zuckte erschrocken zusammen. Ich erinnerte mich Philippes geschienter Finger und der Schmerzen, die er während der ersten Wochen meines Aufenthalts hatte. Ich schloß die Augen.

Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Er sagte, wenn du ihn je verlassen solltest, würde er dafür sorgen, daß Philippe es bedauert. Und daß ich einen Mann nie wieder mit denselben Augen sehen würde.«

Ich merkte, daß ich die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, und atmete tief aus. Einen Mann nie wieder mit denselben Augen ansehen. Ich wußte, was diese Worte bedeuteten. Sonja glaubte es ebenfalls zu wissen.

Und die DeLandes konnten so etwas ungestraft tun. Sie konnten die Rousseaus unter Druck setzen, sie finanziell und politisch angreifen. Gedungene Schläger schicken, die nicht schützen, sondern Schaden anrichten würden. Männer, die sich ohne Skrupel an einer Frau vergreifen und sie mißbrauchen würden, bis sie ihren eigenen Anblick und jede Berührung eines Mannes haßte. Für solche Maßnahmen brauchte man nur Geld und Geduld und Gewissenlosigkeit.

Sonja holte tief Atem. »Ich bin zu jedem Risiko bereit, wenn es dir hilft, von dem Schwein loszukommen. Aber keine Spiele. Es muß dir ernst sein. Du mußt es wirklich wollen und bei deinem Entschluß bleiben.«

»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«

Sonja sah mich an und lächelte. »Ich hab’s doch eben getan.«

Sie öffnete die Tür und stieg aus. Im Stehen beugte sie sich nach vorn und sah in den Wagen hinein. »Ich lasse das Auto hier, damit sie die Motorhaube prüfen können, wenn sie kommen. Allzu lange wird es nicht dauern. Daran, wie kühl der Motor ist, werden sie sehen, daß wir direkt nach Hause gefahren sind. Und wenn sie dann einfach wieder Posten beziehen, können wir annehmen, daß sie Montgomery nicht informiert haben und es auch nicht tun werden. Komm jetzt.« Sie schloß die Tür und ging zum Haus.

Ich drückte meine Tür auf und rief ihr hinterher: »Warum hat Philippe Montgomery nicht wegen der Finger verklagt?«

Sie drehte sich herum, während sie den Schlüssel ins Schloß schob. »Weil du meine Freundin bist«, rief sie zurück. »Und weil wir die ganze Sache mit der Überwachungskamera auf Band aufgenommen haben, damit du es benutzen kannst, wenn es einmal nötig werden sollte. Ich habe eine Kopie im Tresor.«

Sie verschwand im dunklen Vestibül. Die Wolken hatten sich dichter zusammengezogen, und die Stadt lag in einem falschen Zwielicht. Ich wußte, daß Sonja mir noch nicht alles gesagt hatte. Immer hielt sie ein kleines Detail für später zurück. Der Wirkung halber. Deshalb würde sie jetzt, wenn ich sie drängte, nur lächeln und eine Unschuldsmiene aufsetzen. Darin war Sonja Expertin.

Ich erkannte, was sie in den vergangenen Jahren für mich getan hatte. Die Sticheleien sollten mich wenigstens einen Teil der Wahrheit über Montgomery erkennen lassen. Das Schweigen sollte mich vor irgend etwas schützen. Das hieß, daß ich zu einem von Sonjas Anliegen geworden war, zu einer Sache, für die sie zu kämpfen bereit war wie für das Überleben des beinahe schon ausgestorbenen braunen Louisiana-Pelikans, für schwarze Frauenpolitik durch schwarze Frauen, für das Frauenhaus und das Pflegeheimprogramm.

Ein plötzlicher Windstoß fegte die ersten Regentropfen an die Windschutzscheibe und riß an meinem Rock, als wollte er mich aus dem Wagen ziehen, ehe das Unwetter losbrach. Was würde mein kleiner Scherz Montgomery über mich verraten, über meine Gefühle – jene, die ich niemals näher betrachtete, die ich ignorierte und totzuschweigen versuchte? Ich fröstelte im plötzlich kalten Wind. Und was würde ihm meine kleine Eskapade über Sonja sagen? Würde er sie mir nun nehmen?

Ich lief zur Haustür und trat ein. Drinnen war es still. Sonja stand im Dunkeln am Fenster und beobachtete durch die Ritzen der Jalousie die Straße. Sie sagte nichts, als ich zu ihr trat, und ich wußte sowieso nicht, was ich sagen sollte.

Reifen quietschten, als ein Wagen um die Ecke bog, ein Motor heulte auf, dann hielt der erbsengrüne Buick mit kreischenden Bremsen wie in einem drag race Film der fünfziger Jahre neben dem Volvo. Im plötzlichen Regenguß, der durch die Bäume herunterprasselte, beugte sich der Spitzbart aus dem Wagen, legte kurz seine Hand auf die Motorhaube des Volvo und zog seinen klatschnassen Arm rasch wieder zurück. Sie wendeten, natürlich wieder mit quietschenden Reifen, und brausten durch den Regen zur Hauptstraße zurück.

Sonja lehnte seufzend ihren Kopf an den Fensterrahmen. »Sieht nicht gut aus. Sie haben Montgomery informiert.«

Ich drehte mich um und ging auf Strümpfen, meine nassen Pumps in der Hand, langsam die Treppe hinauf zum Gästezimmer. Sonja hatte Angst. Es war das erstemal, daß ich das bei ihr erlebte. Sie war der einzige furchtlose Mensch, den ich kannte. Sie konnte sich vor einem Orkan aufbauen und ihn durch das Feuer in ihren Augen zum Stillstand bringen. Natürlich würde sie sich dann mit einem höflichen Lächeln bedanken.

Ich trat in mein Zimmer. Sonja hatte es mir nie gesagt, aber ich wußte, daß sie an mich gedacht hatte, als sie es eingerichtet hatte. Die Wände waren mit glyzinienblauer Seide bespannt. Auf der Steppdecke, auf dem Sofa beim Fenster wucherten Glyzinien, glyzinienblaue Streifen durchzogen den Stoff der Vorhänge und der Sofakissen.

Sonja hatte Angst. Ich hatte immer geglaubt, niemand außer mir fürchte Montgomery Ich starrte auf das Telefon. Nie wieder einen Mann mit denselben Augen sehen.

Vor ungefähr zwei Jahren hatte eine Frau Marcus, Montgomerys Bruder, angeschossen. In einem Hotelzimmer, ganz in der Nähe des French Quarter, hatte sie mehrmals auf ihn geschossen. Sie war eine kleine Nutte, die er in der Bourbon Street aufgegabelt und mit der er ein paar Monate lang ein Verhältnis gehabt hatte. Es hatte Streit zwischen ihnen gegeben, er hatte sie geschlagen und sie hatte auf ihn geschossen. Ich hatte die Geschichte von Montgomery, der sie mir abends im Dunkeln im Bett flüsternd erzählt hatte. Ich hatte die Lüge schon erkannt, als er noch gesprochen hatte, aber ich wußte nicht, was an der Geschichte gelogen war und was nicht. Ich wußte es immer noch nicht, obwohl ich auf eigene Faust ein wenig geforscht hatte.

Die Frau hieß Eve Tramonte. Mit dem ersten Schuß hatte sie Marcus’ Rückenmark durchtrennt, mit den anderen seinen Unterleib zerfetzt. Marcus war von der Taille abwärts gelähmt, und es bestand keine Hoffnung, daß er je wieder würde gehen können. Er konnte froh sein, daß er überhaupt noch am Leben war.

Die Brüder DeLande hatten sich der Sache angenommen. Gegen die Frau war zwar niemals Anklage erhoben worden, aber man hatte sie sich »vorgenommen«. Das waren Montgomerys Worte. Er hatte diese nächtliche Erzählung mit der Bemerkung geschlossen, daß Eve Tramonte nie wieder einen Mann mit denselben Augen ansehen würde.

Ein paar Tage später hatte er beim Zeitunglesen leise gelacht, vor sich einen Bericht über drei schwarze Jugendliche aus Chicago, die im Quarter eine junge Frau mehrfach vergewaltigt und, im Glauben, sie wäre tot, liegengelassen hatten. Nachdem er zur Arbeit gefahren war, hatte ich mir die zusammengefaltete Zeitung geholt, die noch auf dem Sofa lag, und den Artikel über die Vergewaltigung herausgesucht. Ich hatte ihn gelesen.

Wahrscheinlich wußte ich sofort, was dieser Bericht zu bedeuten hatte. Tagelang war mir danach ständig kalt. Ich pflegte mich in eine Decke einzuwickeln und mit meinen Händen auf meinem angeschwollenen Leib, dem Kind, das ich trug, dazusitzen. Ich hatte begriffen. Und ich hatte nichts unternommen.

Langsam griff ich jetzt zum Telefon und dem schmalen Adreßbuch, das neben dem Apparat lag. Es war in pfirsichfarbene Seide gebunden, ein Geschenk von Montgomery. Tränen schossen mir in die Augen. Am liebsten hätte ich mich unter die Steppdecke gekuschelt und einen Monat lang nur geweint. Aber wenn ich auch manchmal Vogel-Strauß-Politik betrieb, so war ich doch in meinem Leben nie vor etwas oder jemandem davongelaufen. Nicht einmal vor Montgomery. Und ich würde jetzt nicht damit anfangen.

Ich hatte eine Freundin aus der Schwesternschule, Ruth Derouen, die jetzt beim Krisendienst für vergewaltigte Frauen arbeitete. Schnell, ehe ich es mir anders überlegen konnte, sah ich ihre Nummer nach und wählte. Und ich hatte Glück, ich erreichte sie sofort, und sie hatte auch Zeit, mit mir zu sprechen. Sie schwatzte gern und war, so wie ich sie kannte, unfähig, ein Geheimnis zu bewahren.

Ich gab mich unbekümmert und ein bißchen albern, sagte, ich wolle nur mal hören, was unsere Mitschülerinnen von damals in den letzten Jahren so getrieben hätten, wer wen geheiratet hätte und wie viele Kinder da seien und so weiter und so fort. Irgendwann brachte ich die Rede dann auf Eve Tramonte und fragte, wie es ihr jetzt ginge. Ruth erzählte mir voller Empörung die Geschichte dieser Frau, mit welcher Kraft sie sich jetzt gegen die Krankheit wehre und so weiter. Irgendwie beendete ich das Gespräch, oder vielleicht beendete auch Ruth es, und dann stand ich einen Moment lang nur da und starrte den Telefonhörer an. Schließlich legte ich ihn langsam auf und ließ mich im dunklen Zimmer auf den Boden nieder. Draußen blitzte es, und Regen prasselte an die Fensterscheiben.

Eve Tramonte, eine hübsche junge Frau von zweiundzwanzig Jahren, halb Cajun und halb Indianerin, war auf ihrem Heimweg von Jax Brewery, wo sie als Cocktailkellnerin arbeitete, überfallen worden. Drei junge Schwarze waren aus der dunklen Türnische eines ehemaligen Restaurants, das pleite gemacht hatte, herausgesprungen, hatten sie hineingezogen und mehrmals vergewaltigt. Bevor sie von ihr abließen, hatten sie ein Messer mit fünfzehn Zentimeter langer, beidseitig geschliffener Klinge herausgezogen und sie auch damit noch vergewaltigt.

Während sie geschrien, geweint und gefleht hatte, hatten zwei Weiße mit Dreieckstüchern vor den Gesichtern wie altmodische Eisenbahnbanditen tatenlos dabeigesessen und alles mitangesehen. Der eine hatte durch einen Schlitz in seinem Tuch geraucht. Der andere hatte getrunken. Der Trinker hatte Cowboyhut und Cowboystiefel getragen. Und als die beiden mit den schwarzen Gangstern gegangen waren, hatte der Trinker seinen Hut gelüftet wie ein wohlerzogener Rinderbaron, der auf der Straße der Frau Lehrerin begegnet.

Die schwarzen Jugendlichen hatten sich mit ihrer Tat gebrüstet und damit angegeben, daß ihnen die zwei Weißen eine Menge Geld dafür bezahlt hatten, zusehen zu dürfen. Sie saßen jetzt im Zuchthaus. Einer von ihnen war inzwischen an Aids gestorben. Eve Tramonte hatte ebenfalls Aids und würde bald sterben.

Im dunklen Zimmer griff ich noch einmal zum Telefon und wählte die Nummer von Montgomerys Büro. Meine Hand zitterte leicht, während ich wartete.

Ich zog die Steppdecke vom Bett und wickelte die Ranken der Glyzinie um mich herum, als wüchsen sie dort und erstickten mich in ihrer Umarmung. Mir war so kalt, so schrecklich kalt.

Beim vierten Läuten meldete sich LadyLia, gewandt und kultiviert wie immer. LadyLia, ein Viertel italienisches Blut, ein Viertel irisches, zwei Viertel schwarzes Blut mit einem Schuß Choctaw, war Montgomerys rechte Hand. Sie war vierundfünfzig, gebildet, gewandt und tüchtig, Juristin mit zehn Jahren Berufserfahrung bei Matthesion, Dumont und Svoboda, den führenden Investmentbrokern von New Orleans. In den fünf Jahren ihrer Tätigkeit bei Montgomery hatte sie ihm mit ihren Tips eine Stange Geld eingebracht. Sie bat mich zu warten.

Es klickte und knackte mehrmals. Montgomery war offensichtlich nicht in seinem Büro. Ungefähr zehn Minuten später meldete er sich. Ich hatte lange genug Zeit gehabt, mich zu beruhigen und nachzudenken.

»Nicole.«

»Oh, Montgomery Entschuldige, es tut mir so leid. Ich habe eine Riesendummheit gemacht.« Nun begannen die Tränen doch zu fließen, und ich suchte unter der Decke in meiner Rocktasche nach einem Papiertaschentuch, um mich zu schneuzen. »Sonja hat mir eben gründlich die Leviten gelesen, und ... und ...« Ich schluchzte und putzte mir geräuschvoll die Nase.

Nie wieder einen Mann mit denselben Augen sehen.

Montgomery sagte nichts.

»Ich habe mich unglaublich blöd benommen, und du wirst dir sicher Sorgen machen, wenn du davon hörst.« Immer wenn ich erregt bin, wird mein weicher Südstaatenakzent noch ausgeprägter. Die Worte ziehen sich dann wie Sirup. Ich fand es gräßlich. Montgomery fand es hinreißend.

Er schwieg immer noch, und ich begann, noch heftiger zu weinen. Ich zitterte vor Kälte und Angst, gleichzeitig aber empfand ich etwas wie Respekt vor mir selbst. Ich hatte Montgomery nie zuvor belogen, denn schweigen ist ja nicht dasselbe wie lügen. Und das war normalerweise meine Taktik.

»Du weißt ja, du sagst mir ja selbst dauernd, daß ich voreilig bin und nicht nachdenke. Heute habe ich dafür wieder ein Paradebeispiel geliefert. Sonja hat mich richtig fertiggemacht deswegen, und ich fühle mich total ...« Mein Atmen war das einzige, was zu hören war. Ich schneuzte mich wieder, um nur irgendein Geräusch zu vernehmen. »Montgomery?«

Endlich seufzte er. »Was hast du diesmal angestellt?« Es war ein Hoffnungsschimmer. Ich gab mich keineswegs der Illusion hin, daß er von meiner Eskapade noch nichts wisse, aber wenn er noch mit mir sprach ...

Ich erzählte von dem Zettel, den ich geschrieben hatte, stellte es als albern und kindisch hin – was es ja auch gewesen war – und als gefährlich – was es ja auch sein konnte. Gefährlich für mich. Gefährlich für Sonja. »Ich weiß, daß sie zu unserem Schutz da sind. Sonja fand es gemein von mir, sie zu hänseln. Es war nicht meine Absicht, sie zu beunruhigen. Oder dich, wenn sie es dir erzählen sollten.« Ich babbelte angstvoll darauf los.

Nie wieder ein Mann mit denselben Augen sehen.

»Montgomery?« sagte ich schließlich. »Bist du mir böse? Ich weiß, es war ein dummer Streich.«

»Nicole, du weißt, daß ich mir Sorgen mache, wenn du von zu Hause weg bist. Das weißt du. Aber ich bin froh, daß wenigstens Sonja vernünftig ist. Hat sie dir gesagt, du sollst mich anrufen?«

Ich witterte eine Falle und zögerte. Um das kurze Schweigen zu vertuschen, sagte ich mit kleiner Stimme: »Nein. Ich hab’ nur gedacht...«

»Du hast richtig gehandelt. Es ist gut, daß du angerufen hast. Und du solltest in Zukunft mehr auf Sonja hören.«

Ich atmete auf. »Ich weiß, Montgomery. Wirklich, es tut mir von Herzen leid.«

»Ich würde ja kommen und dich holen, aber Richard ist hier«, er sprach den Namen nach Cajun-Art »Reschar« aus, »und wir sind mit dem Fausse-Pointe-Projekt beschäftigt. Ich kann jetzt nicht weg.«

Ich war froh darüber. Ich haßte Richard, und Montgomery wußte das. Richard war ein aufgeblasener, kaltäugiger, bigotter Mensch. Wenn er mich ansah, fühlte ich mich nackt und schmutzig. Aber jetzt verschaffte seine Anwesenheit mir etwas Spielraum.

»Also, wirst du in Zukunft auf Sonja hören und keine Dummheiten mehr machen?«

»Ja, Montgomery Du kannst dich darauf verlassen. Und wenn die ...«, beinahe hätte ich Gorillas gesagt wie Sonja, »Leibwächter sich melden, würdest du sie dann für mich um Entschuldigung bitten? Ich wollte ihnen ihre Arbeit wirklich nicht noch schwerer machen.«

Montgomery lachte. Es klang so wie damals in der unbeschwerten Zeit, als er um mich geworben hatte. Tief drinnen fühlte ich einen messerscharfen Schmerz. Ich schloß die Augen und setzte mich langsam auf.

»Darüber haben sie sich nicht beschwert. Aber sie haben dir ein paar Namen gegeben, die du wahrscheinlich verdient hast.« Jetzt kam bei Montgomery der Südstaatenakzent durch, und das bedeutete, daß er nicht mehr ärgerlich war. Ich sank wieder zu Boden und zog mir die Steppdecke über den Kopf. »Sie haben einen Strafzettel wegen Verkehrsbehinderung bekommen. Ich hab’ ihnen gesagt, ich bezahl’ ihn nicht, weil sie sich so dämlich benommen und euch verloren haben. Keine Sorge, Baby. Sie werden's überleben. Ich muß Schluß machen. Ich liebe dich.«

»Ich ... liebe dich auch, Schatz.«

Er legte auf, und ich ließ langsam den Hörer sinken. Ich war gerade noch einmal davongekommen, das wußte ich. Natürlich würde ich bezahlen müssen. Für meine Besuche bei Sonja mußte ich immer bezahlen.

Ich fröstelte, als ich an den Preis dachte, den er von mir verlangen würde. Diesmal würde er höher sein. Höher vielleicht als ich bezahlen konnte. Nicht daß Montgomery mich je geschlagen hätte. Niemals hätte ein DeLande zu derart primitiven Methoden gegriffen. Die DeLandes hatten Phantasie, und ich hatte diese Phantasie in den Jahren meiner Ehe schon mehrmals zu spüren bekommen.

Leises, aber beharrliches Klopfen weckte mich. Ich kroch tiefer unter die Steppdecke. Rosalita würde schon wieder verschwinden, wenn ich mich nicht rührte. Sie hatte ihre Anweisungen. Aber das Klopfen hörte nicht auf, und schließlich hob ich den Kopf, um ihr zu sagen, sie solle mich in Frieden lassen. Da fiel mir auf, daß ich auf dem Boden lag.

Mit einem Schlag erinnerte ich mich an alles. Die Dummheit mit den Gorillas. Sonjas kurze Enthüllung. Eve Tramonte. Montgomery. Ich war auf dem Boden eingeschlafen.

Wieder klopfte es, und diesmal wurde die Tür einen Spalt geöffnet.

»Collie?«

Ich lächelte. Als wir Kinder gewesen waren, hatte Sonja Wolfie geheißen – eine Abkürzung für russischer Wolfshund wegen ihres russisch klingenden Namens. Und ich hatte Collie geheißen, kurz für Nicolette.

»Komm rein.« Meine Stimme war heiser vom Schlaf. »Ich bin hier auf dem Boden eingeschlafen.«

Die Tür ging ein wenig weiter auf, aber draußen im Korridor war es dunkel, noch dunkler als im Glyzinienzimmer.

»Der Strom ist ausgefallen. Wir haben draußen auf der Terrasse auf dem Gasgrill was gekocht. Es gibt Maiskolben, gebratene Zwiebeln und Paprika. Bratkartoffeln, Shrimps und etwas angekohlte Forellen. Wenn du Lust hast, kannst du runterkommen. Es ist alles fertig.«

Ich hatte den Eindruck, daß Sonja immer noch Angst hatte. Vielleicht würde Montgomery plötzlich auftauchen und wieder jemandem die Finger brechen. Mir vielleicht. Oder ihr.

Stöhnend rappelte ich mich auf und schälte mich aus der Steppdecke. »Ich hab’ Montgomery angerufen. Es ist alles okay. Ich putz’ mir nur noch die Zähne, dann komme ich runter.«

Sonja kam ins Zimmer und zündete mit einem Streichholz die Sturmlaterne auf der Kommode an. Ich hatte sie noch nie gebraucht, doch es gab in jedem Zimmer eine. Dazu Öl, Kerzen, Batterien und ein mit Batterien betriebenes Radio. Die Standardausrüstung für einen Hurrikan.

»Vielleicht möchtest du dich umziehen. Es sind ein paar Verwandte gekommen. Da es keinen Strom gibt, hat jeder etwas zu essen mitgebracht.« Sie war immer noch nervös, sah sich im Zimmer um, als befürchte sie, irgendwo in den zuckenden Schatten hielte sich Montgomery versteckt, um plötzlich herauszuspringen und sie zu erschrecken. »Wir essen bei Kerzenlicht und von Papptellern. Es ist kühl geworden. Du solltest dir etwas Warmes überziehen.«

Ich sah an mir hinunter, während sie sprach. Bluse und Rock waren zerknittert vom Schlaf auf dem Boden, und die Bluse hatte außerdem Flecken von dem Gemisch aus Tränen und Wimperntusche, das auf sie getropft war.

Sonja schloß die Tür und blieb, während ich das Seidenensemble gegen einen grauen Kaschmirpulli und eine dunkelgraue lange Hose vertauschte, mir das Gesicht wusch und mich ein wenig schminkte.

Ich sprach, während ich mich zurechtmachte, und Sonja hörte mir still und aufmerksam zu wie immer. Nur einmal reagierte sie heftig, als ich ihr von Eve Tramonte erzählte. Sie sah mich aus tiefliegenden dunklen Augen an und schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war gerötet.

»Du mußt dich entscheiden«, sagte sie, als ich endete.

»Nein.« Ich schüttelte abwehrend den Kopf, während ich mein Haar bürstete. »Montgomery war in der Nacht zu Hause. Außerdem habe ich überhaupt keine Beweise.«

Sie sah mich mit seltsamem Blick an. »Es hört sich an, als seien die beiden Weißen Miles Justin und Richard gewesen. Richard ist außer Marcus der einzige DeLande, der raucht.«

»Ich brauche Beweise. Aber ich habe keine. Und Verdächtigungen reichen nicht.«

»Du weißt, wer es getan hat.« Rote Flecken brannten auf Sonjas Wangen. »Du weißt es.« Sie hatte plötzlich ihre Kämpfermiene auf – die, welche sie aufzusetzen pflegte, wenn sie zu den Versammlungen der Organisation zur Rettung unserer Marschen ging; oder in eine Suppenküche. Unerbittlich. Sonja war die Langmut in Person, aber Kompromisse kamen für sie nicht in Frage.

Ich nickte langsam. »Vielleicht.«

»Nichts da vielleicht! Du kannst nicht einfach ...«

»Du wirst nie wieder einen Mann mit denselben Augen sehen. Das hat Montgomery doch zu dir gesagt, nicht? Was glaubst du wohl, was er zu mir sagen würde, wenn ich das, was ich vermute – oder befürchte, um genau zu sein – der Polizei erzählen würde? Was glaubst du wohl, was seine Brüder mit mir anstellen würden? Wenn sie fähig waren, ruhig zuzusehen, wie Eve Tramonte vergewaltigt wurde, dann sind sie zu allem fähig.«

Sonja starrte mich mit großen Augen an, die im ungewissen Licht wie dunkle Höhlen wirkten.

»Und auch wenn Montgomery mich schützen könnte – ich weiß nicht, ob er es täte.« Die Worte blieben mir beinahe im Hals stecken. »Ich weiß wirklich nicht, was Montgomery tun würde.« Schon wieder kamen mir die Tränen. Dabei hatte ich geglaubt, ich hätte mich leergeweint.

»Das Essen ist fertig«, sagte Sonja nur und wandte sich mit einer schnellen Bewegung ab. Ein schwaches Licht flackerte am Fuß der Treppe, als ich langsam folgte.

Das Abendessen war langweilig, die Stimmung zwischen Sonja und mir gespannt. Sie warf mir immer wieder anklagende Blicke zu und fuhr mehrmals bei irgendwelchen Geräuschen schreckhaft zusammen. Ich sah, wie sehr Zorn und Furcht von ihr Besitz ergriffen hatten. Zorn darüber, daß ich nicht bereit war, die DeLandes wegen Eve Tramontes Vergewaltigung anzuzeigen. Furcht vor Montgomery.

Und ich spürte genau, daß da noch etwas mit Montgomery war. Sie wußte etwas, das sie mir nicht sagen wollte, das sie mir verschwieg. Etwas, das Montgomery getan hatte.

Als ich sie später an diesem Abend damit konfrontierte, erklärte sie, ich solle mich gefälligst um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, verdammt noch mal. Und sie knallte mir die Tür vor der Nase zu.

Ich fand keinen Schlaf in dieser Nacht, und das hatte nichts damit zu tun, daß ich ein wenig betrunken war, als ich zu Bett ging; und auch nicht damit, daß um zehn vor vier im ganzen Haus die Lichter wieder angingen und alle weckten; und auch nicht damit, daß ich am Nachmittag sechs Stunden geschlafen hatte. Es hatte einzig mit Sonjas Vorwürfen gegen die DeLandes zu tun. Und das nahm ich ihr äußerst übel.

Jedesmal, wenn ich die Augen schloß, konnte ich die Szene vor mir sehen. Das schäbige, kleine, verlassene Restaurant, das Mädchen, das von den Männern festgehalten wurde, während sie ihr Gewalt antaten.

Am nächsten Morgen fuhr ich nach Hause.

Die betrogene Frau

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