Читать книгу kleine Ewigkeit - H. Loof - Страница 6
Erstes Zwischenspiel
ОглавлениеEr hasste dieses Wetter. Schon immer hatte Kilian eine Aversion gegen Kälte und dies war ein Tag der wahrlich kalt war. In dicke Umhänge gehüllt saß er auf dem offenen Schlitten, fror und hoffte, dass die Reise bald zu Ende war. Am Horizont waren die Türme von Steterburg zu sehen, aber der Weg war noch weit und es wird wohl noch bis zum Abend dauern, bis sie endlich ankommen. Der Kutscher kannte Kilian gut und so trieb er die Zugtiere auch bis zum Äußersten an. Aber Ratten hatten mit dem Schnee so ihre Probleme und auch wenn der Kutscher sein Bestes probierte, würden sie dennoch nicht viel früher ankommen.
In der Zwischenzeit grübelte Kilian über die Situation nach. Die Nachricht vom Tod Gideons hatte ihn in Neu Braunschweig erreicht und er als ranghöchster Vertreter der EINZIG WAHREN KIRCHE in dieser Gegend hatte er nun die Aufgabe zu ermitteln, wie es dazu kommen konnte. Es war schon ein paar Monate her, dass er Gideon persönlich getroffen hatte. Zwar gehörten beide zum inneren Kreis der Kirche. Allerdings war Gideon ein Eigenbrötler gewesen, der immer versucht hatte, sich von den anderen fern zu halten. Im Grunde wusste Kilian nicht allzu viel von Gideon, nur die Besessenheit wegen dem legendären „Dunklen Schatten“ ist ihm in Erinnerung geblieben. Immer wenn mal ein Priester der einzig wahren Kirche umkam oder sonst ein Problem auftauchte, wurde es dieser ominösen Gestalt zugeschrieben. Nach der Meinung von Kilian existierte so ein Jungmensch nicht. Das sollte nicht heißen, dass keiner der Kirche feindlich gesinnt war. Aber eine Person, die über Jahrzehnte der Kirche nachstellte und dabei niemals gefasst werden konnte, passte einfach nicht in seine Vorstellungswelt.
Eine Schneeflocke landete auf seiner Nase und begann dort langsam zu schmelzen. Es sollte nicht die Einzige bleiben, denn unmittelbar danach fing es heftig an zu schneien. Fluchend zog Kilian seinen Mantel noch enger und rutschte unwillkürlich im Sitz etwas tiefer. Missmutig schaute er zur Seite und fing an rhythmische Verse aufzusagen, um sich in den Zustand der Meditation zu versetzten. So merkte er die Kälte weit weniger.
***
Es war schon dunkel als der Schlitten mit dem Großinspektor des inneren Kreises endlich die Stadt Steterburg erreichte. Selbst für so einen hohen Besuch wurden bei Dunkelheit die schweren Tore nicht wieder geöffnet. Steifgefroren stieg Kilian vom Schlitten und musste sich durch eine kleine Öffnung zwängen, die für solche Fälle vorgesehen war. Empfangen wurde er von einer Person in einer traditionellen braunen Kutte, die auf einen einfachen Priester oder auch niederen Diener der Kirche schließen ließ.
„Gepriesen sei Gott, dass er sie so schnell in dieser schweren Stunde zu uns geführt hat!“
Die unterwürfige Begrüßung wurde noch untermalt durch den Kniefall des Kuttenträgers. Gelangweilt hielt Kilian seinem Gegenüber die Hand hin, auf dass dieser seinen Ring küssen konnte.
„Bitte folgt mir, Sie werden schon erwartet.“, und mit diesen Worten machte der Diener sich daran Kilian durch die Gassen zu den Unterkünften von Gideon zu führen.
Die Gassen waren zu dieser Stunde menschenleer und Kilian beschlich ein ungutes Gefühl bei den Gedanken, was oder wer in den dunklen Ecken hocken konnte. Die kleine Gruppe aus dem Kirchendiener, Kilian und zwei Leibwachen schritt zügig durch die verlassenen Straßen. Das wenige Licht wurde durch die einzige Fackel erzeugt, die der Diener bei sich trug. Der Schnee ließ die nähere Umgebung trotzdem hell erscheinen. Nur außerhalb des begrenzten Lichtkreises der Fackel war es tiefschwarz und ließ Raum für die wilden Fantasien von Kilian.
Nach kurzer Zeit hatten sie ihr Ziel erreicht. Sie standen vor einer großen roten Tür und der Kuttenträger klopfte kräftig dagegen. Es dauerte nicht lange, bis sich die Tür öffnete und ein weiterer Kirchendiener in brauner Kutte ihn willkommen hieß. Es war offensichtlich, dass Kilian hier schon sehnsüchtig erwartet wurde. Im Inneren angekommen, genoss Kilian erstmal die Wärme, bevor er sich daran macht seinen Mantel abzulegen, um ihn einem Diener zu geben. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit dem Kirchenmenschen zu, der ihn hergeführt hatte.
„Wer kann mir über die Geschehnisse Auskunft geben?“
„Der ehrwürdige Priester Jaap. Er erwartet sie schon im ehemaligen Arbeitszimmer vom Großinspektor Gideon.“
Der Kirchendiener deutete an, dass er ihm folgen sollte und ging auch gleich vorweg.
So schnell geht das. Es ist schon das ehemalige Arbeitszimmer von Gideon und in einer Woche wird es nur noch das Arbeitszimmer sein, dachte Kilian missmutig.
Er fand es wirklich unangenehm daran erinnert zu werden, dass auch sie sterblich waren. Und zum x-ten Mal nahm er sich vor vorsichtig zu sein. Bisher hatte es auch gut geklappt, schließlich war er einer der ältesten Mitglieder des inneren Zirkels und dieser bestand nur aus Jungmenschen. Viele Mitglieder hatte er schon überlebt und dieser letzte Fall zeigte ihm erneut, dass die ewige Jugend nicht unbedingt das ewige Leben hieß.
Der Raum, in den Kilian geführt wurde, war für seine Ansprüche ziemlich kärglich eingerichtet. Immerhin hatten die wenigen Möbelstücke Stil. Neben dem verzierten Stuhl stand der Priester in seiner traditionellen Tracht und wirkte sichtlich nervös. Nach der formellen Begrüßung fing er auch gleich an Kilian von dem Vorgefallenen zu berichten, wie eine Frau zu Gideon geführt wurde und diese dann allein im Zimmer mit ihm den Mord begangen hatte. Kilian selber hörte nur am Rande zu und schaute sich gründlich im Zimmer um. Auf dem Boden gab es einen riesigen und ein paar kleinere Flecken von getrocknetem Blut. Auf dem Tisch lag ein Loyalitätsdolch an dem die Spieße zwar herausragten, der aber trotzdem seine Funktion offensichtlich nicht erfüllt hatte. Kilian kramte ein Taschentuch hervor, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen und hob den Dolch an. Dieses kleine, fiese Meisterwerk faszinierte ihn immer wieder. So ein Dolch sah im Ruhezustand wie ein normaler Dolch aus. Erst durch den Druck auf den Griff kamen mehrere Stacheln am Griff herausgeschossen und bohrten sich dann in die Hand. Dieser Loyalitätsdolch war offensichtlich benutzt worden. Der Griff und auch die Spitzen waren blutverschmiert. Gideon musste wohl seiner Mörderin diesen Dolch angeboten haben und diese hatte ihn wahrscheinlich ergriffen und damit Gideon getötet.
Welche unglaubliche Selbstkontrolle muss die Frau besitzen, dachte er anerkennend.
Bisher hatte er noch von keinem Fall gehört, dass jemand den Dolch ergriffen hatte und ihn dann auch noch verwenden konnte. Im Normalfall gibt es nur einen lauten Aufschrei vor Schmerzen, wenn sich die Dornen in die Hand bohren und der Dolch wird sofort fallengelassen.
Er legte das Mordwerkzeug wieder beiseite und fragte den Priester: „Wie hat sie ihn getötet?“
„Wir fanden den Großinspektor mit durchgeschnittener Kehle vor.“, erwiderte Jaap unterwürfig.
Kilian machte sich in Gedanken eine Notiz immer außer Reichweite zu stehen, falls jemand mit einem Loyalitätsdolch getestet werden sollte.
„Sind die Dornen vom Dolch vergiftet?“
„Nein Herr“
„Warum hat er die Frau zu sich kommen lassen?“, fragte Kilian weiter, während er durch den Raum schlenderte.
„Das weiß ich leider nicht Herr. Wir wissen nur, dass ein Mann und eine Frau von Gideons Leibwache hergebracht wurden. Der Mann wurde noch am Abend in einem Gefangentransport weggebracht und die Frau wurde zu Gideon geschafft.“
„Hm, dann holt mir die Leibwächter, ich will mit ihnen sprechen!“, sprach Kilian schon etwas angesäuert.
In Gedanken hielt er den Priester schon für unfähig, da die Leibwächter nicht hier waren, wurde aber durch die Antwort von Jaap eines Besseren belehrt.
Der Priester nahm eine noch unterwürfigere Haltung ein, bevor er antwortete: „Das ist leider unmöglich. Der eine Leibwächter ist auch von der Frau ermordet worden und der andere hat den Gefangenentransport begleitet.“
Was für ein verdammter Mist, dachte Kilian im Stillen.
„Nun gut, wo sollte der Gefangenentransporter denn hinfahren und wann kann ich mit dem anderen Leibwächter sprechen?“
Die Haltung von Jaap wurde nun noch demütiger. Er erinnerte schon beinahe an ein Kriechtier.
Kann es noch schlimmer kommen?, fragte sich Kilian sofort in Gedanken.
„Den Zielort wissen wir nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Der Hauptmann hat gleich nachdem Gideon tot aufgefunden wurde, ein paar Männer hinterhergeschickt.“
Der Priester machte eine Pause und es wurde deutlich, wie schwer es ihm viel weiterzusprechen.
„Die Kutsche wurde gefunden. Es waren alle tot bis auf den Leibwächter und dem Gefangenen. Die beiden sind verschwunden.“
„Gibt es noch mehr schlechte Nachrichten?“, fragte Kilian in einem undefinierbaren Ton.
„Nun ja, Die Frau wurde noch nicht gefunden und ein Suchtrupp hat sich bisher auch noch nicht zurückgemeldet.“, das Gesicht von Jaap sah wirklich gequält aus, als er das sagte.
Kilian lief eine Weile stumm durch das Arbeitszimmer und versuchte die Situation von allen Seiten zu durchdenken. Nur gab es eigentlich nicht viel zu durchdenken. Im Grunde hatten sie eine völlig aus dem Ruder gelaufene Situation. Er zählte noch mal in Gedanken alle Punkte zusammen.
1. Gideon ist tot. Getötet mit seinem eigenen Loyalitätsdolch.
2. Von der Mörderin und auch dem Gefangenen fehlt jede Spur.
3. Alle Zeugen sind weg oder tot.
4. Sie hatten es geschafft einen Gefangentransport zu überfallen und die Wachen zu töten.
5. Es wird auch noch ein Suchtrupp vermisst.
Entweder hatten sie es mit mächtigen Gegnern zu tun oder sie hatten hier Verräter, z.B. den verschwundenen Leibwächter oder die beiden hatten einfach nur unwahrscheinliches Glück. Er wusste es einfach nicht.
Wie sollte er in dieser Situation vorgehen?
Die beste Lösung wäre, die beiden zu fassen, vielleicht noch ein paar Freunde oder Verwandte dazu und sie dann einer öffentlichen grausamen Reinigung zuzuführen, bei der sie qualvoll starben. Damit wäre klargestellt, wer sich mit der EINZIG WAHREN KIRCHE anlegt, wird es bitter bezahlen. Nur sah es im Moment nicht danach aus, als ob sie die Beiden kurzfristig erwischen würden.
Die zweitbeste Lösung bestand wahrscheinlich darin, alles zu vertuschen. Wenn keiner erfahren würde, dass ein Großinspektor getötet wurde, musste die Kirche auch nicht unbedingt reagieren.
„Wie viele wissen von dem Vorgefallenen?“
„Der Hauptmann und die Soldaten natürlich. Außerdem habe ich mich in meiner letzten Predigt an die Gläubigen gewandt.“
„Also weiß es die ganze Stadt!“, stellte Kilian fest.
Nun damit kam die zweite Lösung nicht mehr in Frage. Die EINZIG WAHRE KIRCHE musste nun ihre Macht beweisen. Nur blieb das Problem, dass die Schuldigen nicht aufzufinden waren. Es musste also noch ein Alternativplan her.
Schweigend ging der Großinspektor auf und ab. Erst nach einer geraumen Zeit hatte er sich für die nächsten Schritte entschieden.
„Ich will morgen früh mit dem Hauptmann der Stadtgarde sprechen und schickt gleich eine Botschaft zum großen Tempel. Ich möchte den besten und grausamsten Foltermeister und Reinigungspriester hier haben.“
Ein grausames Lächeln bildete sich auf Kilians Gesicht. Nun wenn sie nicht an die richtigen Täter herankamen, mussten eben andere herhalten und die Schuld übernehmen. Kilian schlang seinen rechten Arm um die Schulter des Priesters und führte ihn langsam aus dem Raum.
„Und wir beide unterhalten uns jetzt mal über die Menschen hier. Es gibt doch bestimmt Leute die unserer Kirche nicht so freundlich gegenüberstehen oder mit denen wir Schwierigkeiten haben.“