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Der Blick in eine andere Dimension

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Musik erinnert uns daran, dass es etwas gibt, das man mit dem Verstand nicht begreifen und auch nicht erklären kann. Etwas, das wir nicht greifen, nicht sehen können. Man kann Musik zwar analysieren, sie beschreiben, sie folgt auch bestimmten Regeln, aber in ihrem Wesen ist sie etwas Immaterielles. Musik wird physisch auf Instrumenten oder mit Stimmbändern hergestellt, vielleicht auf Papier notiert, trotzdem bringen uns die Frequenzen, die dabei übertragen werden, auf eine andere Schwingungsebene und verbinden uns mit einer anderen Dimension. Ich möchte Menschen den Blick in diese Dimension ermöglichen, sei es durch ein rauschhaftes Erleben oder durch die Einkehr in Stille. Musik ist in der Lage, uns den Klang der Stille und die Intensität des Augenblicks bewusst zu machen. Die Energie und die Emotion, die Musik in mir auslöst, möchte ich weitergeben. Wenn ich Musik mache, fühle ich mich am stärksten bei mir. Ich habe das Bedürfnis, mich durch Musik auszudrücken, mich durch Musik mitzuteilen. Mit Musik bin ich am authentischsten, mehr als mit Sprache oder anderen Mitteln der Kommunikation. Alles, was Musik mit mir macht, möchte ich mit Kammermusikpartnern, mit einem Orchester und natürlich mit dem Publikum teilen. Musik führt unterschiedliche Menschen, verschiedene Persönlichkeiten aus allen Kulturen zusammen, weil sie sich gemeinsam auf etwas einlassen wollen. Gemeinsam singen, gemeinsam spielen, gemeinsam tanzen – das alles verbindet Menschen. Diese Synchronisation ist intensive emotionale Kommunikation. Das Publikum ist ein ganz wichtiger Teil davon, denn die Aufmerksamkeit eines Publikums in einem stillen Saal zu erleben, ist eine Voraussetzung dafür, dass wir Musik machen können. Ich saß einmal in Bayreuth bei der Liebesszene von Tristan und Isolde hinter der Bühne, hörte diese unglaubliche Musik fantastisch gesungen, dirigiert und musiziert. Da verstand ich plötzlich, dass die Musik auch deshalb besonders spannend war, weil die Aufmerksamkeit drum herum so groß war. Die Stille des Publikums, die Konzentration aller Mitwirkenden, der Raum an Bewusstsein, der dabei entsteht, sind das eigentlich Spannende, das Magische. Wagner oder Mozart schaffen die Musik, um diesen Raum, diese Stille erlebbar zu machen. Auch wenn die Musik sehr laut ist, hat man 2000 Menschen in einem Saal, die durch ihre Stille und Aufmerksamkeit für ein Konzert oder eine Opernaufführung zu wichtigen Mitspielern werden.

Jeder im Publikum nimmt etwas anderes wahr. Man erlebt sich dabei in einem Spiegel, hat die Möglichkeit, bewegt zu werden und darüber nachzudenken, was die Musik in einem auslöst. Menschen kommen dabei in verschiedene emotionale Zustände, in andere Dimensionen, um letztendlich näher zu sich zu kommen. Dabei wird man mit den schönen – aber auch den weniger schönen – Seiten in sich konfrontiert. Wenn ich zum Beispiel Musik von Johann Sebastian Bach höre, sortieren sich meine Gedanken und Gefühle, der Körper ist still und die verschiedensten Parameter können sich verknüpfen.

Jeder, der selbst Musik macht, weiß, dass dabei die emotionale Intelligenz gefördert wird. Deshalb halte ich es für eine Katastrophe, dass der Musikunterricht in den Schulen zunehmend verschwindet. Er wird als musisches Fach abgetan, in dem man ein wenig Spaß haben soll oder Fingerfertigkeit übt. Für die linke Gehirnhälfte, für das rationale Denken, haben wir Mathematik, Physik, Biologie und vieles andere. Auch den Sport halte ich in der Schule für wichtig. Obwohl ich selbst als Kind den Sport hasste, denke ich, dass sich Kinder körperlich ausdrücken müssen. Was im Unterricht jedoch vernachlässigt wird, ist die Kunst, vor allem die Musik, denn man muss denken können, rechnen, lesen und schreiben können, man muss analysieren können, aber man muss auch fühlen und mitfühlen können, aufeinander hören und auf den anderen zugehen können, auch sich öffnen können, um sich auszudrücken. Die Gesellschaft verkümmert, wenn sie darauf keinen Wert mehr legt.

Wenn ich die Musik nicht hätte, wäre ich vielleicht nicht verloren, aber ich hätte keinen Boden unter den Füßen und müsste sehr mühsam andere Wege gehen, um meinen Platz zu finden. Ein Leben ohne Musik kann ich mir nicht vorstellen.

Der Klang der Stille

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