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1. Moderne Theorien des Kulturbegriffs 1.1. Theorien zur Kultur

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Dimensionen des Kulturbegriffs

Beschäftigen wir uns mit dem Phänomen „Kultur“ in all seinen Erscheinungsformen, so werden wir mit einer beinahe unüberschaubaren Literatur konfrontiert, die Kultur aus unterschiedlichen Perspektiven heraus betrachtet und eine breite Vielfalt von Dimensionen des Kulturbegriffs präsentiert. Beispiele hierfür sind die differierenden Kulturbegriffe der Psychologen, Soziologen, Ethnologen, Anthropologen, Pädagogen oder Philosophen.1 Spannend und zugleich problematisch sind dabei interne Konflikte innerhalb der einzelnen Fachgebiete, die – trotz ihrer offensichtlichen Ergänzungs- und Revisionsbedürftigkeit – bisweilen einen verbindlichen Anspruch erheben.

Erfassung des Kulturbegriffs

Dabei verfolgen alle Theorien gemeinsame Erkenntnisziele. Sie wollen erfassen, was Kultur ist bzw. was sie nicht ist, welche symbolischen Formen, Sitten, Gebräuche sowie Normen und Werte bestimmend sind oder welche Stellung und Funktion dem Menschen innerhalb einer „Kultur“ oder „Subkultur“ im Kontext einer bestimmten Gesellschaft, Gruppe oder Gemeinschaft zukommt. Es geht um die Frage, inwieweit der Mensch Kultur hervorbringt und zugleich von ihr selbst beeinflusst wird. Zur Debatte steht auch, wie sich Subkulturen innerhalb einer Kultur oder mehrere Kulturen zueinander verhalten.

Geschlossener Kulturbegriff

Lange wurde die Ansicht vertreten, einzelne Kulturen seien in sich abgeschlossene Gebilde, die gewissermaßen wie Billardkugeln aufeinanderprallen. Ein solches Verständnis, das nicht vom Menschen, sondern von Kulturen als in sich abgeschlossenen Universen mit konstanten, unveränderbaren Merkmalen ausgeht, ist empirisch inadäquat, weil hier eine Realität konstruiert wird, die es so nicht gibt.

Offener Kulturbegriff

Trotz bestehender Divergenzen und Konvergenzen scheint das folgende, einigermaßen offen formulierte Kulturverständnis alle Theorien zumindest teilweise anzusprechen:

Definition: Kultur impliziert als ein offenes und dynamisch-veränderbares Sinn- und Orientierungssystem, wie die Beziehungen innerhalb einer Gruppe sowie deren Außenbeziehungen strukturiert sind und wie diese erfahren, verstanden und interpretiert werden. Kultur stiftet soziale Ordnungsrahmen und umfasst unter anderem politische Organisationen, Wirtschaftsformen, moralische Traditionen und das Streben nach Wissen und Kunst.

Ausgehend von diesem Vorverständnis als Arbeitshypothese besteht die Aufgabe der folgenden Überlegungen darin, zunächst das Mensch-Kultur-Verhältnis zu erläutern und in gebotener Kürze diskurshistorisch verschiedene Theorien vorzustellen.

Mensch als kulturstiftendes Wesen

Mensch-Kultur-Verhältnis

Als ein Lebewesen ist der Mensch mit allen seinen biologischen Funktionen ein Bestandteil der Natur, der in ein bestimmtes kulturelles Milieu hineingeboren und hineinsozialisiert wird, das sein Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln, sein Menschenbild, seine Werte, Sprache, Toleranz sowie die Begegnung mit dem Anderen in vielerlei Hinsicht prägt. Nach erfolgter Primärsozialisation ist der Einzelne dazu fähig, den kulturellen Prozess mitzugestalten und das System, in dem er lebt, maßgeblich mitzubestimmen oder gar zu verändern.

Kulturen sind keine vorgegebenen Größen, sondern sie werden als menschliche Produkte gebildet. Der handelnde und gestaltende Mensch ist ein naturhaftes und kulturstiftendes Wesen. Der Mensch ist zwar ein Teil der Natur, steht ihr aber auch leibhaftig gegenüber und reflektiert über sie.

Wie Menschen insgesamt über eine ähnliche kognitive Ausstattung verfügen, sind auch ihre kulturellen Fähigkeiten in unterschiedlichen Kulturregionen ähnlich. Beispiele hierfür sind Denken, Handeln, Sprechen und Schreiben, Fühlen, Sicherinnern, Vergessen, Heiraten, Trauern, symbolische Formen, Tabubereiche oder Freude empfinden. Vom menschlichen Standpunkt aus ist Kultur ein endlicher Ausschnitt aus der nicht erfassbaren Unendlichkeit des Weltgeschehens, der mit Sinn und Bedeutung bedacht ist.2

Kultureller Einfluss auf den Menschen

Kulturen beeinflussen die Innen- und Außenperspektive unseres Denkens, Wahrnehmens, Handelns und die Empathiefähigkeit, die für die zwischenmenschliche Kommunikation wesentlich ist.

Die Kultur einer Gemeinschaft spezifiziert sich durch eine Reihe von Adjektiven wie „religiös“, „politisch“, „weltanschaulich“, „wissenschaftlich“ usw., ohne in einem dieser Adjektive restlos aufzugehen. Intern verändert sich Kultur durch Austausch- und Überlappungsprozesse kontinuierlich. Das folgende Schaubild zeigt ihre zentralen Einflussbereiche:


Kulturelle Komponenten

Die Kultur besteht aus einer Reihe von Komponenten, die Stellung und Funktion des Menschen und sein Verhältnis zu sich und seiner Umwelt beeinflussen. Dementsprechend lässt sie sich folgendermaßen auffassen:

Kultur ist ein offenes und dynamisch veränderbares Sinn- und Orientierungssystem, das

1 sich entwicklungsgeschichtlich vor allem durch Religion und Wissenschaft sowie im Medium der Kunst ausprägt;

2 es uns ermöglicht, eigenes Verhalten so zu planen, dass es von anderen Angehörigen unserer Kultur verstanden und interpretiert werden kann;

3 uns zugleich die Möglichkeit einräumt, das Verhalten anderer Menschen, welcher Herkunft und Hautfarbe auch immer, einzuschätzen und entsprechend zu bewerten;

4 kollektive Identitäten, vornehmlich durch Ausbildung kultureller Traditionen, konstituiert.

Die Mannigfaltigkeit kultureller Prozesse stellt die traditionellen Formen des Kulturbegriffs in ein neues Licht. René König hat darauf hingewiesen, dass es die Kultur nicht gebe, dass sie nicht „allgemein und einheitlich sei. […] Es gibt in Wahrheit so starke kulturelle Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft zwischen ihren unterschiedlichen Teilen, dass sie unter Umständen größer sind als die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen“.3

Zusammenfassung

Kulturen sind weder in sich homogene Gebilde noch Bereiche, die hermetisch voneinander abgeriegelt sind. Sie können als offene Sinn- und Orientierungssysteme angesehen werden, die sich gegenseitig durch Austausch- und Überlappungsprozesse kontinuierlich verändern.

Übungsaufgaben:

1 Was bedeutet „Kultur“ und welche Argumente sprechen für oder gegen den Gebrauch der explizierten Wortbedeutung?

2 Wie definiert sich für Sie Kultur und wie macht sie sich in Ihrem sozialen Umfeld bemerkbar?

3 Bestimmen Sie die Rolle des Menschen im Kontext der Kultur und nennen Sie erklärend ihre Einflussbereiche.

Interkulturalität

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