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1.2.1. Normativ orientiertes Kulturkonzept

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Normative Kulturtheorie

Insbesondere ältere Kulturtheorien, aus der Zeit der Aufklärung und des Idealismus, sind normativ ausgerichtet.

Definition: Der normative Kulturbegriff ist ein nach festen Regeln beurteilendes und wertendes Konzept. Es setzt einen Lebensentwurf nach idealistischen Prinzipien voraus, der einen universalistischen Anspruch erheben kann, es aber nicht muss.

Aufgrund seiner affirmativen Grundhaltung ist das Hauptmerkmal bzw. die Hauptfunktion des normativen Kulturkonzepts ein Selbstbild, das häufig die „Fremdkritik“ zur Folge hat. Weil hier eine bestimmte Handlungsart für erstrebenswert gehalten wird, werden andere Lebensentwürfe notgedrungen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder als nicht erstrebenswert zurückgewiesen. Heuristische Verfahren, mit denen aufgezeigt wird, auf welchem Weg Erkenntnisse entdeckt und weitergeführt worden sind, decken dieses Merkmal auf.5

Hierzu ein Beispiel:

Immanuel Kant (1724–1804) und Norbert Elias (1897–1990) sind zwei herausragende Vertreter dieses Kulturkonzepts.

Kants Kulturbegriff

Nach Kants Verständnis besteht der erste wahre Schritt „aus der Rohigkeit zur Cultur […] in dem gesellschaftlichen Wert des Menschen“ als Gattung, die als „Naturbegebenheit“ existiert.6 Der Kultur kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, zwischen der „sinnlichen Natur“ des Individuums und seiner „Moralität“ zu vermitteln: „Wir sind zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns schon für moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Zivilisierung aus.“7

Der Bezug auf die „Idee“ der Moral in Kants normativem Kulturkonzept verweist auf einen idealisierenden Zug. Hier wird eine Form der Daseinsführung favorisiert, die nicht immer den realen Umständen des Lebens entspricht.

Orientkritik

Kant kommt ferner zu dem Ergebnis, „daß der Europäer einzig und allein das Geheimnis gefunden hat, sinnlichen Reiz einer mächtigen Neigung mit so viel […] Moralischem zu durchflechten […]. Der Bewohner des Orients ist in diesem Punkte von sehr falschem Geschmacke. Indem er keinen Begriff hat von dem sittlich Schönen […], so büßt er auch sogar den Werth des sinnlichen Vergnügens ein“.8

Indem er einen bestimmten Lebensentwurf für geboten oder gut hält, tendiert Kant zu einer Theorie der kulturellen Überlegenheit. Hierzu ist zu bemerken, dass der Königsberger Philosoph seine Heimatstadt bekanntlich nie verlassen und seine Urteile lediglich aufgrund der Kenntnis indirekter Quellen – etwa Reiseberichte von Händlern und Missionaren oder Berichte der Kolonialverwaltung – gebildet hat.

Kants Kulturauffassung bestätigt das Normgebende und Beurteilende von Kulturauffassungen, die in der Literatur als europazentrisch kritisiert werden. Derartige Theorien übersehen, dass die Grenzen zwischen Vernunft und Neigung in vielerlei Hinsicht fließend sind. Eine solche Verankerung setzt voraus, dass alle Menschen, weil sie „vernunftbegabt“ sind, aus der reinen Vernunft heraus handeln müssen. Auch hier wird vernachlässigt, dass es zwar eine universale Vernunft gibt, zugleich aber die Existenz vieler Denkformen im Vergleich und Verständnis kultureller Kontexte nicht zu leugnen ist.

Elias’ Zivilisationstheorie

Elias, der dem Inhalt nach wie Kant argumentiert, geht bei seinem Entwurf von einer „Theorie der Zivilisation“ von einer „abendländisch zivilisierten Verhaltensweise“ aus, die universal auf die gesamte Welt übertragen werden könne: „Von der abendländischen Gesellschaft – als einer Art Oberschicht – breiten sich heute, sei es durch die Besiedlung mit Occidentalen, sei es durch die Assimilierung von Oberschichten anderer Völkergruppen, abendländisch „zivilisierte“ Verhaltensweisen über weite Räume jenseits des Abendlandes hin aus, wie sich ehemals innerhalb des Abendlandes selbst von dieser oder jener gehobenen Schicht, von bestimmten, höfischen oder kaufmännischen Zentren her Verhaltensmodelle ausbreiteten.“9

Europa als globaler Königshof

Elias misst dem „Abendland als Ganzem“ im Weltkontext eine Oberschichtfunktion zu. Die zivilisierten Konkurrenzkämpfe der abendländischen Nationen bilden, ihm zufolge, einen „globalen Königshof“ der Weltgesellschaft, zu dem lediglich die Oberschicht anderer Gesellschaften „als untere, aufsteigende Schicht“ Zugang erhält. Für ihn nähern sich die orientalischen und afrikanischen Bevölkerungsschichten den „abendländischen Verhaltensstandards“10 , deren ehemalige Oberschicht repräsentiere im Vergleich zur abendländischen Oberschicht nun die aufsteigende Unterschicht.

Obwohl der Kulturbegriff bei Elias als Kontrast zum Terminus „Zivilisation“ eine Rolle spielt, hat er für seine Theorie keine Bedeutung. Es bleibt eine offene Frage, ob Elias seine These in diesem Zusammenhang als deskriptiv oder normsetzend auffasst. Elias lässt als wertende Frage bewusst offen, inwieweit der von ihm beschriebene „Figurationswandel“, den der Prozess der „Zivilisation“ darstellt, als Fortschritt anzusehen ist. Alle Vergleiche zwischen Epochen oder Regionen bleiben daher relational, da zwar im Untersuchungsbereich des Sozialwissenschaftlers Andere als inferior, weil „unzivilisiert“, bewertet werden, diese Verknüpfung von deskriptiven und normativen Begriffsanteilen zugleich aber für den Sozialwissenschaftler unstatthaft ist.

Zusammenfassung

Normative Kulturverständnisse gehen in der Regel mit den Imperativen „Ihr sollt“ bzw. „Ihr müsst“ einher. Inhalte der Kultur werden an moralische Forderungen gebunden, die die Maximen von Handlungen steuern wollen. Mit der Theorie von Elias verhält es sich insofern nicht anders, als auch dieser von Voraussetzungen ausgeht, die zur Kulturhierarchie neigen.

Normative Kulturkonzepte sind in der Regel eindimensional, weil sie nur eine bestimmte Lebensform favorisieren und damit jede Interdependenz übersehen oder vernachlässigen.

Übungsaufgaben:

1 Diskutieren Sie die normative Kulturauffassung und zählen Sie deren Vor- und Nachteile auf.

2 Wie macht sich ein solcher Kulturbegriff in Ihrem sozialen Umfeld bemerkbar?

3 Analysieren Sie Kants Argumentationsstrukturen und setzen Sie diese mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Elias in Beziehung.

4 Arbeiten Sie die zentralen Unterschiede heraus und belegen Sie sie mit einem Beispiel.

5 Besprechen Sie Vor- und Nachteile einer solchen Kulturtheorie für die Gestaltung interkultureller Kommunikation.

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