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Einleitung:
Gang durch ein Minenfeld?

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Wer heute zum Thema „Weiblichkeit“ schreibt, wagt sich in ein Minenfeld – das Dynamit sind gängige Dekonstruktionen. Masken der Weiblichkeit werden mit dem Skalpell der Kulturkritik abgehoben oder aufklärerisch-leidenschaftlich abgerissen, und „dahinter“ verflüchtigt sich das Gesuchte und die Gesuchte unvermutet. Gibt es überhaupt das Weibliche, am Ende gar die Frau, woraus sich unschwer ein Wesen der Frau ableiten ließe? Wer solche Allgemeinbehauptungen ablehnt, kann noch mehr bisher Selbstverständliches abräumen. Anders betont kann nämlich dieselbe Frage weitere Zweifel auslösen: Gibt es überhaupt die Frau und nicht vielmehr nur fließende Übergänge in einem binären System, das die Wörter Mann und Frau logisch benötigt; aber trifft die Bezeichnung damit die Wirklichkeit? Der „Geschlechterdiskurs“ hat seit wenigen Jahren die fließende Identität auf der Grundlage möglicher Selbstwahl des Geschlechtes zum Passwort des neuen Ich gemacht. So gesehen ist Frau zunächst ein Konstrukt, eine soziale Jacke, die unter der Hand zur Zwangsjacke werden kann. Wer hingegen – sprachkritisch – den Schleier der Isis lüftet, wie der Jüngling im Verschleierten Bild von Sais in Schillers Ballade, entdeckt dahinter bekanntlich das Nichts. Das Nichts des Geschlechtsunterschieds nämlich, wie Sigmund Freud die Ballade weiterschrieb. Nichts wäre es also mit der Frau, und selbst wenn es sie „natural gesehen“ gäbe, würden die „naturalen“ Unterschiede zwischen Mann und Frau nachrangig, da ja schon die Unterschiede zwischen Mensch und Affe biologisch gesehen nur geringe Prozentanteile betragen.

In diesem Buch wird mit dem Stichwort „weiblich“ keine biologische Frage losgetreten, sondern eine kulturelle: Der Gang durch die Geschichte zeigt gelebte, geglückte, missglückte Leben von Frauen, einzeln oder gesamtkulturell betrachtet. Daraus gattungshafte Rückschlüsse abzuleiten, ist vergangener Stil. Allerdings sind geschichtliche Übereinstimmungen erkennbar: Aus Einzelprofilen entstehen übergreifende Signaturen. Sie sind selbstverständlich zeitabhängig, aber: Frausein ist in diesem Erfahrungsfeld weder einfach „naturalisiert“ noch ideologisch überhöht noch „dekonstruiert“ zu sehen.

Wäre sie nur von Natur oder Biologie her erfasst, dann wäre die Frau als Person unterbestimmt – und Personsein heißt Freisein: zu Selbstbesitz und Selbstdistanz. Da geschichtlich gesehen zuerst der Mann als Träger der Freiheit angesehen war, müsste die Frau erst Männin werden, um „sie selbst“ zu sein – dies war der „Umweg“ des frühen Feminismus, der die Lösung nur in einer Maskulinisierung und Entweiblichung der Frau fand. Es liegt auf der Hand, dass dieser Umweg nicht mehr überzeugt, weil er zu viel auf der Strecke lässt: die ganze lange Geschichte und Lebenswelt weiblicher Kultur, die keineswegs nur eine Kriminalgeschichte von „Unterdrückung und Ausbeutung“ vorstellt. „Männin“ ist ursprünglich die lutherische Übersetzung von ischa in Anlehnung an isch, den Mann: Diese Wortwahl in der Genesis zeigt die innige Zugehörigkeit der beiden, nicht aber Wechsel und Tausch von Frau mit Mann.

Wäre die Frau ideologisch überhöht zur „besseren Hälfte“, wie es in manchen Matriarchats-Utopien und esoterischen Sakralisierungen des „Großen Weiblichen“, ja mittlerweile sogar in der Behauptung genetischer „Überflüssigkeit des Mannes“ geschieht, so würden nur die Plätze des Ungleichgewichts getauscht. Wieder wäre die Geschlechtergerechtigkeit verscherzt, die Asymmetrie festgeschrieben.

Wäre die Frau dekonstruiert zum neutralen Menschen, gar zur MenschIn, verliert sich gespenstisch ihre Leiblichkeit. Leib ist mehr als Körper, er ist die Weise unseres Daseins – für uns und andere. Unbestimmtes Dasein gibt es nicht, es ist immer konkret leibbezogen und damit von Potenz geprägt, von einer je spezifischen Fähigkeit zu leben. Die Potenz zu Zeugung oder Geburt ist nicht neutral, sie prägt und entfaltet das ganze männliche oder weibliche Dasein, auch wenn diese Fähigkeit nicht unmittelbar auf das Kind hin gelebt wird. Aber mittelbar ist sie die Grundfärbung unseres Daseins, in seelischen Vermögen, geistigen Anlagen, personalen Qualitäten. Leibvergessenheit macht haltlos, identitätslos, nicht frei. Solche Virtualität ist Bedrohung, nicht Vollendung, weil sie sich der Wirklichkeit (und Endlichkeit) verweigert.

Um die zeitgenössischen Einseitigkeiten einer bloßen Männin oder MenschIn aufzubrechen, wird hier ein ideeller Hintergrund gewählt: der (weithin verdeckte) Anstoß des Christentums. Gerade er trieb Frauen an, Grenzen der Anlage, des sozialen Milieus, des Selbstverständnisses „aufzuheben“. Solche Grenzen wurden geweitet und rückgebunden an die Ursprungsgestalt einer neuen Inspiration, an die Erfahrung des Gottmenschen. In dieser Nähe zum Göttlichen traten milieubedingte Konzepte weiblichen Handelns in den Raum neuer Lösungen. Unter dem Ernst des Evangeliums blieb nichts, was es war: nur Natur. „Klassische“, kulturell durchgängige Elemente des Frauseins wurden so verändert: von der Mutter, der Sklavin, der Ehefrau und ihrer Haltung zu den Kindern bis zu modernen Berufsbildern. Das 20. Jahrhundert zeigt nie dagewesene Versuche, die Nachfolge Christi mit Arbeit an der Welt und ihren Strukturen zu verbinden: Mystikerinnen der Moderne betreten den Boden demokratischer Politik und sozialer Veränderungen. Dazu kam eine weltgeschichtlich neue Gestaltung des Frauseins: Lösung aus den Aufgaben der Sippe, zielend auf den Selbstand in der Nachfolge Christi. Schon seit der ersten Generation der Jüngerinnen (Lk 8) gibt es den Entschluss zur unmittelbaren Nachahmung seines Lebens, sei es früher in der monastischen Ordnung der evangelischen Räte, sei es heute in den der Welt verpflichteten Säkularinstituten. Die Transformation neu erschlossener Berufsfelder und Denkbereiche der wissenschaftlich-technischen Ära in christliche Lebenswelten bedarf weiterer Anstrengungen.

Christinnen sind zuerst von ihrem Selbstverständnis und der sie bedrängenden Aufgabe her zu deuten, also von ihrer eigenen Wahrnehmung als Frau und im Überstieg ihrer geschlechtsspezifischen Kräfte, in der (über-) fordernden, aber auch erfüllenden Dynamik einer Christus-Beziehung. Sie kann zuweilen in einer bestürzenden Unmittelbarkeit wahrgenommen werden, die zu einem leibhaften, seelischen, geistigen Mit-Sein führt, zu einer weiblichen Existenz und Pro-Existenz, die an ihrem Dasein nicht „wie an einem Raub festhält“, sondern das allzu Geschlechtsnahe lösend übersteigt.

Der (post)feministische Diskurs hätte an diesen Gestaltungen zu lernen: Er unterschlägt oder blendet weithin basale Fragen des Frauseins aus wie Leib-Bezogenheit, „Aufhebung“ des Geschlechts und Ich-Findung durch Transzendenz. Biblische Denkvorgaben verweigern weder die Leibvorgabe noch kulturelle Erfahrungen und Prägungen gemeinsamer Frauengeschichte, weil sie beide nicht absolut, nicht als Blickbeschränkung setzen. Immer wieder werden solche empirischen Gegebenheiten „aufgebrochen“ durch das Wirklichwerden persönlicher Freiheit, im Blick auf die göttlich verbürgten Ursprünge.

Bei der Arbeit am vorliegenden Band, der früher formulierte Ansätze aufgreift und weiterführt, zeigte sich (wieder), dass die Frauenfrage niemals nur eine Frage von Frauen, sondern von Geschichts- und Selbstverständnis des Menschen ist. Um genau zu sein: des Menschen in der Frau, des Menschen im Mann. Noch genauer: von Frau und Mann als je selbstständigen Personen. Mit dem Auswägen von Zugehörigkeit und Selbststand kommt die Kulturgeschichte wohl an kein Ende – aber das entspricht den ungeheuren, nicht ausgereizten Möglichkeiten des Daseins, die sich nach Gregor von Nazianz erstrecken „von Anfang zu Anfang, durch Anfänge, die nie ein Ende haben werden“.

Erlangen, 23. Juni 2009

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Frau - Männin - Menschin

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