Читать книгу Der Katzenschatz - Hanna Nolden, Lea Baumgart - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеFlatternd öffnete Jonas die Augen und schloss sie gleich wieder. Sein Kopf dröhnte.
„Ich glaube, er kommt zu sich“, drang eine ihm unbekannte, irgendwie fremdartig klingende Stim-me an sein Ohr.
„Es hat tatsächlich funktioniert!“, sagte eine andere ebenso unbekannte und ebenso sonderbare Stimme. „Er ist tatsächlich einer von denen.“
„Beruhigt euch, Kinder“, hörte er Frau Rigby sagen. „Lasst ihn doch erst einmal zu sich kommen.“
Jetzt machte er die Augen auf und sah in die Gesichter der alten Frau und zweier Katzen – der weißen und der schwarzen von draußen.
„Miau!“, machte die Weiße aufmunternd und stieß ihn mit dem Kopf an. Und dann … Jonas konnte es nicht fassen! Sein Sturz musste heftiger gewesen sein, als er zunächst angenommen hatte. Eine andere Erklärung gab es nicht. Die Katze sprach mit ihm. Sie maunzte zwar, aber er konnte sie verstehen! „Wie geht's dir, mein Kleiner?“
Ruckartig setzte Jonas sich auf. Er rieb sich den Kopf. Was war hier los? Die schwarze Katze schien zu lachen – ihn auszulachen!
„Caligula!“, sagte die Weiße streng. „Das ist nicht sehr nett.“
Jonas keuchte und rückte ein Stück von der sprechenden Katze weg, aber sofort waren andere Katzen da, die ihn beschnüffelten und ihre Köpfe und Leiber an ihm rieben und deren Schwanzspitzen seine Nase kitzelten.
„Delilah!“, rief er panisch. „Delilah!“
„Ich komme ja schon!“
Sie kam aus der Küche geeilt und hatte ein Glas Wasser in der Hand. Sie ging neben ihm auf die Knie. „Hast du denn nicht gefrühstückt?“, fragte sie besorgt.
Er rieb sich erneut den Kopf, dann nahm er das Glas entgegen.
„Doch, schon“, murmelte er verwirrt. „Ich weiß nicht …“
„Trink erst mal.“
Er nahm einen großen Schluck Wasser. Die Katzen schwiegen und verharrten jetzt, als würden sie auf etwas warten. Jonas ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.
„Ich will hier raus!“, rief er und stemmte sich hoch. Er stellte das Glas auf einem Tischchen ab und taumelte Richtung Tür. Er hörte noch, wie Delilah ein paar entschuldigende Worte an Frau Rigby richtete, dann waren sie draußen. Eilig durchquerte er den Vorgarten und auf der Straße rannte er fast. Delilah hastete hinter ihm her.
„Jonas!“ Sie schloss zu ihm auf und legte eine Hand auf seine Schulter. „Was ist denn nur los?“
„Ich hasse Katzen“, fauchte er und schüttelte Delilahs Hand ab. Er war sauer und wusste selbst nicht einmal warum. Vielleicht war es einfach seine eigene Angst, die ihn wütend machte. Er sprach nicht mehr mit Delilah auf dem Weg nach Hause. Er ging auch stets zwei Schritte vor ihr, und sie folgte ihm vorsichtig. In seinem Kopf hämmerte immer nur ein und derselbe Gedanke: Die Katze hat gesprochen! Jonas ging so schnell, als würde er vor dem Gedanken fliehen wollen, aber er konnte ihn nicht abschütteln. Sein Herz schlug wie verrückt und wollte sich nicht beruhigen. Als er die Haustür aufschloss, merkte er, dass seine Hände zitterten. Wieder wurde ihm schwindelig. Er schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen die Haustür. Da spürte er Delilahs Hand auf seiner Schulter.
„Soll ich mit reinkommen?“
Jonas nickte schwach und schob die Tür auf. Ihm war nicht nach Reden, aber er hatte Angst und wollte jetzt nicht allein sein. Kaum im Haus rannte er die Treppe hinauf in sein Zimmer, ließ sich auf das Bett fallen und starrte an die Decke. Dieser eine Satz rotierte immer noch in seinem Kopf und ließ keinen anderen Gedanken zu. Delilah setzte sich zu ihm auf die Bettkante und legte fürsorglich eine Hand auf seine Stirn.
„Soll ich deine Mutter anrufen? Vielleicht brauchst du einen Arzt.“
Jonas schüttelte den Kopf.
„Mir geht es gleich besser“, versprach er und versuchte inständig, selbst daran zu glauben. „Keine Ahnung, was das war!“
Das Reden half irgendwie. Ja. Er war ein Mensch und er konnte sprechen. Aber Katzen konnten definitiv nicht sprechen! Das war absolut unmöglich! Delilah strich ihm vorsichtig durchs Haar, aber als er unter ihrer Berührung zusammenzuckte, entschuldigte sie sich und stand auf.
„Ich hol dir was zu trinken“, sagte sie und verließ das Zimmer. Während sie weg war, versuchte Jonas sich zu sammeln. Delilah war hier zu Besuch. Eigentlich wäre es an ihm, ihr etwas zu trinken zu holen. Er setzte sich auf. Delilah war seine beste Freundin, trotzdem scheute er davor zurück, sich ihr anzuvertrauen. Sie würde ihn für verrückt halten. Er war drauf und dran, sich selbst für verrückt zu halten! Die Vorstellung, mit diesem Gedanken, nach diesem Erlebnis, hier ganz allein zu sein, war unerträglich. Delilah durfte jetzt auf keinen Fall nach Hause gehen!
Als Delilah nach einer Weile mit zwei Gläsern, einer Flasche Cola und einer Packung Kekse auf einem Tablett zurück kam, hatte Jonas sich einigermaßen sortiert und beschlossen, das seltsame Ereignis zu verdrängen.
„Danke, De“, sagte er etwas erschöpft. „Wollen wir die Playstation anschmeißen?“
„Okay.“
Delilah stellte das Tablett ab und griff nach der Fernbedienung. Es funktionierte. Das Spielen lenkte Jonas so gut ab, dass die Zeit verflog. Zumindest bis Delilahs Armbanduhr anfing zu piepsen.
„Die Internetsperre ist um“, sagte sie entschuldigend. So spontan fiel Jonas kein überzeugender Grund ein, sie noch länger zum Bleiben zu überreden. Daher machte sich Delilah auf den Nachhauseweg.
Jonas’ Mutter war immer noch nicht zuhause, und er begann ein bisschen unruhig zu werden. Zwar bemühte er sich, nicht an diesen unheimlichen Zwischenfall zu denken, aber der schlich sich trotzdem immer wieder zurück in seine Gedanken. Um sich abzulenken, versorgte Jonas erst einmal seine beiden Farbratten. Während er den Käfig saubermachte, saßen William und Ignatio in einem Pappkarton. Wieder bekam Jonas eine Gänsehaut. Wo die beiden Ratten sonst immer wie wild im Kreis herumrannten, saßen sie jetzt ruhig in einer Ecke des Kartons und sahen ihm bei der Arbeit zu. Gruselig! Jonas fing an zu schwitzen und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
„Verrückt“, murmelte er. „Verrückter Tag!“
Und er sollte noch viel verrückter werden.
Jonas' Mutter war sehr müde, als sie nach ihrem langen Tag in der Galerie nach Hause kam. Da es schon so spät war, hatte sie Cheeseburger und Pommes mitgebracht.
„Wie war es denn bei Frau Rigby?“, fragte sie, während sie in ihrem Feierabendkaffee rührte. Jonas zuckte zusammen, als hätte sie ihn aus tiefsten Träumen gerissen.
„Ich weiß nicht“, sagte er. „Es war merkwürdig. Ich bin …“ er sah beschämt zu Boden, „… ohnmächtig geworden.“
Seine Mutter ließ den Löffel los, der scheppernd in den Becher zurück fiel.
„Was?“
Besorgt kam sie um den Tisch herum und legte, wie Delilah zuvor, eine Hand auf seine Stirn.
Jonas machte sich los und fragte sich kurz, ob solche Fürsorge Frauen in die Wiege gelegt wurde.
„Bist du krank? Fühlst du dich nicht wohl? Warum hast du mich nicht angerufen? Du gehst gleich morgen zum Arzt!“
„Mama!“, wehrte er ab. „Es war nichts. Wirklich! Vielleicht war es einfach die Hitze.“
Seine Mutter schüttelte den Kopf.
„Trotzdem, Jonas. Ich möchte da lieber auf Nummer sicher gehen.“
Jonas verkniff sich ein genervtes Stöhnen. Auf einen sinnlos beim Arzt vergeudeten Vormittag hatte er nun wirklich keine Lust. Doch er wusste, dass er in diesem Punkt kein Mitspracherecht hatte. Seine Mutter betrachtete schuldbewusst die Papiertüten und die Verpackungen der Burger und Pommes. Dann seufzte sie. „Wir sollten uns besser ernähren.“
„Komm schon, Mama. Das ist okay.“
Er legte tröstend die Arme um sie. Er hatte seine Mama sehr gern und merkte es sofort, wenn sie wieder mal das Gefühl hatte, eine schlechte Mutter zu sein. Das kam häufiger vor, besonders dann, wenn die Ökomuttis vom Elternbeirat der Schule sie mal wieder zu fassen bekommen hatten.
„Wir ernähren uns gut genug“, sagte er und angelte sich demonstrativ einen Apfel aus der Obstschale. Sie lächelte versöhnlich und strich ihm über die Wange.
„Du bist ein lieber Junge, Jonas.“
„Ich weiß“, erwiderte er, biss von dem Apfel ab und fügte mit vollem Mund hinzu: „Trotzdem gehe ich jetzt in mein Zimmer.“
„Tu das. Ich mach auch nicht mehr lange. Ich guck nur noch meine Serien.“
Das war allerdings etwas, das seine Mutter nur tat, wenn sein Vater mal wieder auf Geschäftsreise war. Für die restliche Zeit des Jahres interessierte sie sich keine Spur für Daily Soaps. Aber wenn sie die Abende und Nächte allein verbringen musste, nahm sie sich am Tage alle möglichen Serien auf Video auf und sah sie sich abends zum Einschlafen an. Jonas war sich nicht einmal sicher, ob sein Vater von dieser Eigenart wusste.
Jonas machte sich bettfertig und beschloss, nur noch ein bisschen zu lesen. Als er in sein Zimmer kam, hatte er wieder den Eindruck, die beiden Ratten würden ihn beobachten. Der dicke William saß auf einem Stück Apfel, aber entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten aß er nicht. Er sah ihn bloß aus seinen schwarzen Knopfaugen an. Und Ignatio, dunkelbraun und weiß, saß in einer Ecke des Käfigs und tat … nichts! Für gewöhnlich waren die Ratten immer in Bewegung. Nur wenn sie schliefen, hielten sie still. Aber die beiden schliefen nicht. Nein, sie starrten ihn an! Das war so unheimlich, dass er einen Moment lang ernsthaft darüber nachdachte, seiner Mutter beim Seriengucken Gesellschaft zu leisten. Er schüttelte den Kopf. So ein Schwachsinn! Über sich selbst verärgert ging er zum Fenster und machte es weit auf. Eine leichte Brise fuhr ihm durchs Haar. Draußen war es inzwischen etwas abgekühlt, während es in dem Zimmer unter dem Dach immer noch unerträglich heiß war. Jonas beschloss, sich abzulenken und machte es sich auf seinem Bett gemütlich. Für die Sommerferien hatte er sich einen großen Stapel Bücher und Comics aus der Bibliothek ausgeliehen. Das Lesen würde ihn ablenken, und er freute sich schon darauf, mit der Nase in einem Buch einzuschlafen.
Genau so geschah es dann auch.
Als Jonas die Augen aufschlug, war es dunkel im Zimmer. Nur die Straßenlaterne draußen vor dem Fenster spendete ein wenig Licht. Die Ziffern seines Radioweckers verrieten ihm, dass es kurz vor halb zwölf war. Dieser verrückte Tag war also noch nicht vorbei. Das Fenster stand immer noch weit offen und der Vorhang flatterte im aufgefrischten Wind. Wieder hatte Jonas das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Und es war auch ungewohnt ruhig in seinem Zimmer. Die Rattenparty sollte längst im Gange sein, aber das Laufrad stand still. Nicht einmal ein Rascheln war zu hören. Jonas starrte zum Fenster. Er wusste, er sollte jetzt aufstehen, es schließen und sich einen Narren schimpfen, aber er konnte sich nicht rühren. Er hatte Angst. Richtig Angst!
Plötzlich huschte ein Schatten auf seine Fensterbank und direkt danach noch einer. Lautlos. Und da saßen sie nun: die sprechenden Katzen von Frau Rigby. Die schwarze und die weiße, die vor der Haustür gesessen hatten. Jonas machte einen Satz nach hinten, die Bettdecke mit sich reißend, und schlug schmerzhaft mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Im Rattenkäfig fing es an, laut zu werden. William und Ignatio hatten den Feind entdeckt. Die schwarze Katze fauchte in Richtung des Käfigs. Jonas zuckte heftig zusammen. Dann hörte er den gleichen maßregelnden Ausruf wie am Nachmittag: „Caligula!“
Das kam von der weißen Katze. Jonas schnappte nach Luft. Aber es war so – genau so! Die Katze hatte gesprochen, und er hatte sie verstanden. Die weiße Katze sah die schwarze an und sagte klar und deutlich zu ihr: „Caligula, wir haben einen Auftrag, und wenn du dich nicht benehmen kannst, fliegst du aus dem Team!“
Die schwarze Katze fauchte erneut. Dann hob sie stolz den Kopf und wandte demonstrativ den Blick ab. Sie tat so, als würde Jonas’ Deckenlampe sie außerordentlich interessieren. Die weiße Katze ließ ein missbilligendes Maunzen erklingen, dann sprang sie mit einem Satz auf Jonas’ Bett. Jonas’ Hände krallten sich in die Bettdecke. Er wollte vor dem Tier zurückweichen, aber er saß ja schon an der Wand. Die Katze schnurrte, offenbar, um ihn zu beruhigen. Das funktionierte aber nicht. Dann sah sie ihn, wie ihm schien, sehr ernst an.
„Hallo Jonas“, sagte sie freundlich. „Ich weiß, dass du Angst hast, aber das musst du nicht. Wir können dir alles erklären. Ich bin Lady. Und das dort drüben“, Sie nickte in Richtung Fenster, „ist Caligula. Er ist noch jung und sehr katzisch. Katerisch, um genau zu sein.“
Jonas schwirrte der Kopf. Erwartete sie, dass er antwortete? Die Katze sah ihn eine Weile lang nur an. Dann stieß sie ihn mit dem Kopf an und meinte: „Alles okay bei dir? Du wirst doch nicht wieder ohnmächtig, oder?“
„Ich …“ krächzte er. „Ich … warum kannst du sprechen?“
„Miau“, machte die Katze und es klang wie ein Lachen. „Das ist die falsche Frage. Alle Tiere können sprechen. Die richtige Frage wäre: warum kannst du mich verstehen.“
Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
„Die Limonade!“
„Helles Köpfchen!“, rief Caligula spöttisch von der Fensterbank, und Jonas fuhr erneut zusammen. Er hatte den schwarzen Kater fast vergessen. Der setzte sich nun in Bewegung und sprang mit einem eleganten Satz neben Lady auf Jonas' Bett. Allerdings rollte er sich am Fußende zusammen und begann zu schnurren, als wäre er eine ganz gewöhnliche Katze … oder war er eine gewöhnliche Katze? Konnten wirklich alle Katzen … alle Tiere sprechen?
Jonas sah Lady an, die wieder angefangen hatte zu schnurren. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus und kraulte sie zögerlich zwischen den Ohren. Ihr Fell war ganz seidig. Während er sie streichelte, begann er langsam etwas lockerer zu werden, was Lady wohl auch beabsichtigt hatte.
„Warum hat es bei Delilah nicht funktioniert?“, fragte er.
„Ach. Das wäre wirklich schön gewesen. Sie ist so ein nettes Mädchen!“
Das hörte Delilah sicher gern, beantwortete aber nicht seine Frage.
„Es funktioniert leider nicht bei jedem Menschen. Man braucht eine Grundbegabung dafür. Vermutlich ist es erblich. Aber da sind wir uns nicht sicher. Durch die Limonade wird die Fähigkeit aktiviert. Naja, natürlich nicht durch die Limonade selbst. Wir haben ein Zauberpulver hineingegeben, das im alten Ägypten entwickelt wurde, als die Katzen noch im Besitz des Schatzes waren.“
Caligula stieß ein Zischen aus. Seine Ohren zuckten, sonst rührte er sich nicht.
„Nicht so schnell, Lady!“, mahnte er, aber sie beachtete ihn gar nicht.
„Was für ein Schatz?“, fragte Jonas. Allmählich begann ihm das Gespräch Spaß zu machen. Vielleicht träumte er ja auch bloß. Er hatte zumindest nicht mehr das Gefühl, in Gefahr zu sein.
„Der Katzenschatz. Er ist uns gestohlen worden. Vermutlich von den Hunden. Aber so genau wissen wir das leider nicht. Es gibt Gerüchte …“
„Der Katzenschatz?“, unterbrach Jonas die weiße Katze. „Worum handelt es sich denn dabei? Und warum im alten Ägypten? Gab es tatsächlich schon damals Leute, die mit Katzen sprechen … oder sie verstehen konnten?“
„Tatsächlich wurde der Katzenschatz zuletzt in Ägypten gesehen. Aber das ist lange her. Ein weiser alter Kater hatte ihn in der Großen Bibliothek in Alexandria aufbewahrt. Doch nach dem verheerenden Brand war er verschwunden. Den Aufzeichnungen zufolge handelt es sich um einen Edelstein. Aber es ist keiner, wie man ihn sonst auf der Erde findet. Diesen Stein gibt es nur ein einziges Mal. Er ist unzerstörbar und er hat magische Kräfte.“
„Magische Kräfte?“ Jonas runzelte die Stirn. Er hatte nie an Magie und Zauberei geglaubt. Andererseits hatte er sich auch noch nie mit einer Katze unterhalten.
„Vielleicht sollte ich sogar sagen göttliche Kräfte“, fuhr Lady fort. „Der Schatz war ein Geschenk der Göttin Bastet. Eine Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit und des Schutzes. Der Schatz trägt die Liebe der Göttin in sich und die Tierart, die ihn besitzt, steht unter ihrem persönlichen Schutz.“
Jonas musste das Fragezeichen ins Gesicht geschrieben stehen, denn Caligula setzte nach: „Um das mal für einen Menschen deutlicher zu formulieren: die Tierart, die in Besitz des Schatzes ist, wird die beliebteste Tierart des Menschen. Alles klar?“
„Ja. Alles klar“, sagte Jonas schnell. Er hatte keine Lust, von einer Katze als Idiot abgestempelt zu werden. „Und der Schatz ist euch gestohlen worden. Von den Hunden. Seid ihr da sicher?“
„Ziemlich sicher“, erwiderte Lady überzeugt. „Wenn man bedenkt, wer heutzutage als der beste Freund des Menschen betrachtet wird.
Als wir noch in Besitz des Schatzes waren, damals in Ägypten, wurden wir Katzen hoch verehrt. Wie Götter! Man baute Tempel für uns und begrub uns neben Pharaonen. Es muss ein gutes Leben gewesen sein.“
Sie gab ein Geräusch von sich, das wie ein Seufzen klang.
„Ich habe nicht den Eindruck, dass es den Katzen gerade sonderlich schlecht geht“, sagte Jonas ehrlich.
„Ach nein? Und was ist mit den Laboratorien, wo sie Tierversuche machen? Was ist mit den Millionen kleiner Kätzchen, die kurz nach ihrer Geburt ertränkt werden? Davor kann man doch nicht die Augen verschließen!“
Sie klang nun richtig zornig, und Jonas zog seine Hand zurück. Caligula erhob sich von seinem Platz und setzte sich neben sie. Er stupste sie an, wie um sie zu trösten. Dann begann auch er zu sprechen: „Wir haben den Verdacht, dass derzeit die Hunde in Besitz des Schatzes sind. Wir vermuten, dass er sich ganz hier in der Nähe befindet. Statistiken zufolge ist der Hund das beliebteste Haustier der Deutschen. Und gerade in dieser Stadt gab es in letzter Zeit sehr viele neue Hunde. Überwiegend Möpse und Schnauzer. Daher gehen wir davon aus, dass ein Züchter im Umkreis der Stadt den Schatz in seinem Besitz haben muss. Wir wollen den Schatz zurück, und du wirst uns dabei helfen.“
„Warum sollte ich das tun?“, fragte Jonas kritisch. „Ich mag Katzen nicht besonders und ich finde, es gibt eine Menge Tiere, die den Schatz nötiger hätten. Eisbären zum Beispiel. Oder Seehunde. Walfische. Pandabären.“
Lady maunzte missbilligend.
„Jonas! Der Schatz gehört aber uns! Er heißt nicht umsonst der Katzenschatz. Man hat ihn uns gestohlen, und wir wollen ihn zurück!“
Ohne es zu wollen, wurde Jonas wütend. Klar, es gab Tierversuche, aber soweit er wusste, litten Affen viel mehr darunter. Oder Ratten. Er hatte wirklich nicht den Eindruck, dass es den Katzen gerade besonders schlecht erging.
„Ich brauche einen Tag Bedenkzeit“, sagte er. Lady schien beleidigt. Caligula zeigte sich unbeeindruckt, als hätte er nichts anderes erwartet. Die weiße Katze erhob sich und stolzierte über das Bett zum Fenster.
„Gut“, sagte sie hochnäsig über ihre Schulter hinweg. „Wir schicken dir eine Libelle.“
Bevor Jonas nachfragen konnte, was sie damit nun wieder meinte, waren die beiden Katzen verschwunden. Eine Weile lang starrte er reglos das offene Fenster an, dann sprang er auf und schaute hinaus. Der Garten und die Straße lagen verlassen da.
War das gerade wirklich geschehen? Oder hatte er doch nur geträumt? Kopfschüttelnd schloss er das Fenster. Dann kehrte er in sein Bett zurück.