Читать книгу Der Katzenschatz - Hanna Nolden, Lea Baumgart - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеAls Jonas am nächsten Morgen erwachte, hatte er Kopfschmerzen. Es war bereits halb zwölf und schrecklich heiß in seinem Zimmer. Er rieb sich die Augen und dachte an die beiden Katzen. Während er sich aus dem Bett quälte, beschloss er, doch an einen Traum zu glauben. Er lachte einmal laut über sich selbst und sagte dann noch lauter, um sich zu überzeugen: „Was für ein verrückter Traum!“
Dann ging er zum Rattenkäfig und öffnete die obere Klappe. Er griff nach William und nahm die Ratte heraus. Ruhig saß die grau-weiße Farbratte auf seiner Hand, bloß der gehetzte Blick, mit dem sie sich zweimal nach dem Käfig umsah, verriet die Furcht des Tieres. Nicht zu fassen, dass ihm seine Ratten gestern Abend unheimlich gewesen waren!
Jonas hielt William ganz nahe vor sein Gesicht, so dass er der Ratte in die Augen sehen konnte. Dann fragte er: „Und, William? Hast du mir auch etwas zu sagen?“
„Allerdings!“, quiekte die Ratte, und Jonas schrie erschrocken auf. Beinahe hätte er William fallen gelassen. Er sah zum Käfig. Ignatio schaute ihn an und meinte gelassen: „William, du bist ein Idiot!“
Jonas ließ sich kraftlos auf sein Hinterteil sinken und blickte abwechselnd von William zu Ignatio. Ignatio knabberte inzwischen an einem Stück Apfel vom Vortag und tat ganz unbeteiligt. Vorsichtig setzte Jonas William zurück in den Käfig, dann betrachtete er seine Ratten ernst. Sein Herz schlug wie wild, und er fragte sich kurz, ob das alles wirklich passierte oder ob er sich das womöglich nur einbildete. Dann atmete er tief durch und fragte: „Wie geht es euch denn so?“
„Ganz gut“, erwiderte William, inzwischen mit vollem Mund. „Könnte natürlich besser sein.“
„Ohne Käfig“, fügte Ignatio vorwurfsvoll hinzu. Jonas schluckte. Das hätte er sich eigentlich denken können. Ignatio und William waren zwar in einer Zoohandlung geboren, aber er würde auch nicht gerne in einem kleinen Käfig wohnen, wenn er rundherum ein verlockend großes Zimmer sah.
„Mach dir mal keine Sorgen, Jonas“, sagte Ignatio etwas freundlicher. „Du bist schon in Ordnung. Und jetzt, wo wir miteinander sprechen können, kann's ja nur besser werden. Ich schätze, wir könnten schlimmer dran sein. Hier drinnen bekommt man zwar nicht viel mit von der Welt, aber ab und an plappern die Mücken und die Fliegen, und was ich so gehört habe, gibt es Ratten, denen es viel schlechter geht als uns. Laborratten und so. Du weißt schon.“
Jonas nickte.
„Ja. Da habt ihr wohl Recht.“
Er erholte sich langsam von dem Schrecken. Immerhin waren das hier seine Ratten und keine fremden Katzen. „Können sich eigentlich alle Tiere miteinander verständigen?“
„Nein. Nicht alle. Manche Tiere, so wie viele der Insekten, unterhalten sich auf eine andere Weise. Ameisen zum Beispiel über den Geruchsinn. Und die Unterwassertiere brauchen amphibische Dolmetscher, wenn sie uns Landtieren etwas sagen wollen. Aber alles in allem ist unsere Welt recht gut organisiert. Von allem weiß ich natürlich auch nicht. Immerhin komme ich nicht oft hier raus. Beim Tierarzt bekommt man was mit und im Sommer, wenn die lauteren Insekten hier ein und aus gehen.“
Jonas nickte. Ihm schwirrte immer noch der Kopf, aber inzwischen kam es ihm fast normal vor, sich mit seiner Ratte zu unterhalten.
„Was hat Lady gestern damit gemeint: sie schickt mir eine Libelle?“
„Libellen sind so etwas wie Expressboten. Sie halten sich an immer gleichen Stellen auf, wohin die anderen Tiere gehen können, um mit ihnen Nachrichten zu versenden. So wie Brieftauben. Viele arbeiten auch als Nachrichter. Fliegende Zeitungen. Das ist ganz praktisch, auch wenn sich hierhin leider eher selten eine verirrt.“
„Wow“, machte Jonas nur und stellte sich ein Büro voller beschäftigter Libellen vor. „Irre.“
Er stand auf.
„Hört mal, ich muss jetzt los. Delilah anrufen. Die war heute bestimmt schon hier. Ich hab so fest geschlafen. Hab wahrscheinlich nicht mal das Klingeln gehört. Und Mama war bestimmt auch schon hier drin. Die wollte mich ja eigentlich zum Arzt schleppen. Habt ihr noch irgendeinen Wunsch für nachher? Soll ich euch was mitbringen?“
„Oh ja!“, rief William, der schon wieder am Futtertrog saß. „Diese Knabberstangen von letzter Woche. Die waren super!“
Jonas grinste. „Okay. Geht klar!“
Das linderte sein schlechtes Gewissen ein wenig. Und doch war es merkwürdig, die beiden Ratten in ihrem kleinen Käfig zurück zu lassen, jetzt, wo er wusste, dass sie sprechen konnten.
Unten auf dem Küchentisch lagen seine Versichertenkarte und ein Zettel von seiner Mutter. Sie hatte für ihn einen Termin beim Arzt besorgt. Zum Glück erst um 15 Uhr. So hatte er noch ein paar Stunden Zeit. Er machte sich ein Toastbrot mit Marmelade. Dann rief er von seinem Handy aus bei Delilah an.
„De! Hey. Wie geht’s dir? Wo steckst du? Warst du schon hier?“
„Ja, war ich. Isst du gerade?“
Er schluckte.
„Tschuldigung.“
„Schon gut. Ich bin gerade Accessoires shoppen. Soll ich vorbei kommen?“
„Klar! Ach, und wenn du gerade in der Stadt bist, kannst du mir aus der Zoohandlung Rattenschmaus Knabberstangen Premium mitbringen.“
„Okay. Bin gleich da.“
Jonas aß sein Brot auf und ging erst einmal duschen. Kaum dass er fertig angezogen war, klingelte Delilah auch schon an der Tür. Heute trug sie zwei hohe, abstehende Zöpfe, die von Haarspangen zusammengehalten wurden, die wie reife Zwillingskirschen aussahen. Dazu ein schwarzes Top mit einem Mangamotiv und einen Minirock mit Schottenmuster.
„Wo warst du denn heute Morgen?“, fragte sie vorwurfsvoll und drückte ihm die Knabberstangen in die Hand.
„Ich war hier. Hab verschlafen. Ich hab vielleicht eine wilde Nacht hinter mir!“
„Wieso?“
Jonas war sich nicht sicher gewesen, ob er Delilah von dem Katzenbesuch berichten sollte. Aber er war so aufgeregt, dass er es einfach jemandem erzählen musste. De war seine beste Freundin. Wenn sie ihm nicht glaubte, wer dann?
„Komm mal mit rauf“, sagte er und nahm sie bei der Hand. Oben öffnete er wieder den Käfig.
„Hey ihr beiden!“ Er hängte eine der Knabberstangen in den Käfig. „Von Delilah“, sagte er.
„Oh! Firma dankt“, rief Ignatio und Jonas musste grinsen.
„Hast du gehört?“
Delilah runzelte die Stirn.
„Was denn? Deine Ratten freuen sich über Fressen.“
Jonas schüttelte den Kopf.
„Sie haben sich bedankt.“
Delilah verdrehte die Augen.
„Wann war noch gleich dein Arzttermin?“, fragte sie schnippisch und ließ sich auf sein Bett fallen.
„Um drei.“
Er setzte sich auf den Boden neben den Käfig und sah sie an. Das hatte ja schon einmal nicht so gut angefangen.
„Wenn du nachts sowieso wach bist, kannst du ja mal in den Chat kommen“, sagte sie gelangweilt, während sie einen ihrer pinkfarbenen Zöpfe um ihren Mittelfinger wickelte.
„Was soll ich denn mit dir chatten? Wir sehen uns doch eh jeden Tag. Und bei J-Rock kann ich nicht mitreden. Das ist deine Welt, De, nicht meine.“
„Ich mein’ ja nur.“ Sie setzte sich auf und ließ die Strähne von ihrem Finger hüpfen. Das Rosa ihres Nagellacks harmonierte sehr schön mit dem Rosa ihrer Haare. Sofort fing sie wieder an, ihre Haare aufzuwickeln.
„Was war denn nun los letzte Nacht?“
„Ich hatte Besuch.“
Sie hielt in der Bewegung inne und sah ihn an. In Windeseile entstanden rote Flecken auf ihren Wangen.
„Jonas! Du hast doch nicht etwa …“
Er lachte laut, aber sie lachte nicht mit. Sie sah ihn nur herausfordernd an.
„Quatsch!“, rief er.
„Was ist? Hast du eine Freundin? Wie heißt sie? Wer ist sie? Kenne ich sie?“
Er lachte immer noch.
„Ich habe keine Freundin! Und wenn: wie solltest du sie nicht kennen? Wir sind doch den ganzen Tag zusammen, De! Nein. Es war kein Mädchen.“
„Ein Junge?“, fragte sie und legte schnell die Hände auf die Wangen, weil sie spürte, dass sie rot geworden war.
„Jonas …“
Er schüttelte den Kopf.
„Was in deinem Kopf vorgeht, möchte ich auch nicht wissen.“