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I.2 Ludwig Tiecks Märchendramen
ОглавлениеLudwig Tieck hat insgesamt vier Märchendramen verfasst, die auf bekannte Märchenstoffe zurückgehen: Der gestiefelte Kater. Ein Kindermärchen in drey Akten, mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge (1797/1812), Ritter Blaubart. Ein Märchen in fünf Akten (1799/1812), Leben und Tod des kleinen Rothkäppchens. Eine Tragödie (1800/12) und Leben und Taten des kleinen Thomas, genannt Däumchen (1811).1 Die genannten Stücke sind alle im späteren Werk Phantasus enthalten, in dem sie neben anderen Texten von wechselnden Vorlesenden in geselliger Runde vorgetragen werden – dies erinnert daran, dass Tieck selbst aktiv an literarischen Salongesprächen teilgenommen hat, unter anderem im Kreis Friedrich Wilhelm Schlegels, dem auch der Phantasus gewidmet ist.2
In der „Ersten Abteilung“ des Phantasus sind sieben Novellen-Märchen, in der zweiten sieben Märchendramen enthalten; das Märchen hat demnach im Phantasus, dieser „Allegorie des romantischen Universalbuchs“3, einen großen Stellenwert.4 Im Sinne einer beispielhaften Analyse der satirischen Mittel, mit denen Tieck seine Märchendramen erschafft, gehe ich nun wie bei Gozzis Werk der Frage nach, gegen wen bzw. was die Märchensatire ihren Spott richtet und welche intertextuellen und selbstreferentiellen Ebenen existieren und gezeigt werden.
Tieck lässt sich neben Elementen der antiken Komödie, der Commedia dell’arte und Shakespeares Komödien auch von Gozzis Märchenspielen anregen; er geht allerdings künstlerisch vielfach über diese hinaus.5 So verkündet Tieck selbst: „Ohne Gozzi nachahmen zu wollen, hat mich die Freude an seinen Fabeln veranlasst, auf andere Weise und in deutscher Art ein phantastisches Märchen für die Bühne zu bearbeiten.“6 Dennoch ist Gozzi für Tieck bedeutsam, da ihn der Fokus auf das Wunderbare im Drama als Abgrenzung von der klassizistischen vraisemblance interessiert.7 Dies stärkt auch die Lesart von Gozzis Fiabe als Versuch, sich einer Abbildung von Wirklichkeit ästhetisch zu entziehen.
Tieck kreiert in seinen Märchendramen vor allem generische Ambivalenzen; diese manifestieren sich, so Scherer einsichtig, in drei Grundzügen: zum einen „im selbstbezüglichen Spiel mit dem Drama, indem die Aktualisierbarkeit älterer Dramenmodelle (z.B. Märchendramen) für ein bürgerliches Publikum, das im Märchen […] gegenwärtiges Illusions- und Rührtheater erwartet, szenisch reflektiert wird“8. Tiecks Anspielungen gestalten sich also explizit selbstreferentiell – in ihnen äußert er sich satirisch zu den Erwartungshaltungen, die Märchen, Märchendrama und Unterhaltungstheater wecken können.
Eine andere Eigenart zeigt sich „im szenischen Amalgamieren des Komischen mit dem Tragischen bzw. dem Humoristischen mit dem Grausamen oder Bizarren“, an die sich das dritte von Scherer erfasste Charakteristikum direkt anschließt: „Ein gemeinsames Merkmal der beiden Linien – der Dramaturgie der Unterbrechung auf der einen, der Dramaturgie der Dispersion auf der anderen Seite – besteht über deren Zugehörigkeit zu den Märchendramen hinaus im schnellen Themen- und Formenwechsel vom Erhabenen zum Unsinn.“9 Die hier benannten Stil- und Strukturbrüche sind teils der intertextuellen (und intermedialen) Konzeption geschuldet und machen aus einem scheinbar naiven und eindimensionalen Märchen ein vielschichtiges Ebenenspiel, das gerade mit der enttäuschten Vorstellung des typisch Märchenhaften spielt und diese kritisch reflektiert.10
Statt vom „Unsinn“ als Programm der Kenntlichmachung normativ gesetzter Märchenkonvention spricht Ruth Petzoldt eher von „Albernheit“, mit der Tieck die Verbindlichkeit etablierter Gattungskonventionen infrage stellt.11 Beide Begriffe verdeutlichen jedoch gut, wie sich Tieck ganz im Geiste der romantischen Poesie mit einer antirationalen und scheinbar kindlich-naiven Grundhaltung gegen einen Rationalismuskult und einen überhöhten Fortschrittsglauben wendet.12 Bernhard Greiner sieht in dieser Form der Ironie eben jene Manier der „Buffonerie“, die so typisch für die Commedia dell’arte ist.13 Inwiefern Tieck mithilfe der kindlich anmutenden Märchenvorlagen, die er vor allem aus Charles Perraults Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: Contes de ma mère l’Oye (1697)14 entleiht, satirisch-komplexe und intertextuelle Dramentexte mit selbstreflexiven Momenten konstruiert, werde ich nun im Einzelnen darlegen.