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DIE VERGANGENEN VIER JAHRE ZUVOR

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Meinen letzten Partner, mit dem nicht einmal richtig Schluss ist, weil wir eigentlich nie richtig zusammen waren, lernte ich an einem Institut in Leipzig kennen, an dem ich eine befristete Stelle bekommen hatte. Wir begegneten uns das erste Mal auf einer Vortragsveranstaltung. Er strahlte sofort eine starke Anziehungskraft auf mich aus und ich wohl auch auf ihn. Jedenfalls zog er immer enger werdende Kreise um mich herum und fing sinnlose Gespräche mit den Kollegen aus meiner Abteilung an, mit denen ich gekommen war. Es funkte. Marco war um die einen Meter neunzig groß, hatte dunkle Haare und braune Augen. Äußerlichkeiten bei Männern, auf die ich stand, so wie Boris Becker auf einen dunklen Frauentyp abfuhr. Die mediterrane Klimazone wäre für mich wahrscheinlich das Männerparadies auf Erden. Allerdings waren die Südländer in der Regel ziemlich klein. Das Aussehen allein machte natürlich noch keinen Partner passend. Zwischen Marco und mir war mehr. Wir begegneten uns auf den Fluren und auf dem Parkplatz des Instituts, grüßten uns und hielten Smalltalks über das Wetter. Unsere Blicke aber unterhielten sich währenddessen in der Sprache der Liebe. Doch erst als meine Stelle schon abgelaufen war und ich vor der Wahl zwischen zwei Jobangeboten in Leipzig und im hunderte Kilometer entfernten München stand, nahm ich allen Mut zusammen und fragte ihn um Rat. “Was würdest Du tun?”, fragte ich Dr. Marco Priester. Er antwortete sehr diplomatisch, nannte Vorteile hier und dort, ohne mir die Entscheidung abzunehmen. Das gefiel mir, ich verliebte mich noch mehr in ihn, beschloss die Stelle vor Ort anzunehmen und nahm noch einmal all meinen Mut zusammen und fragte ihn, ob wir ins Kino gehen wollen. Er wollte sehr gern. Wir sahen “Nordwand”. Der Film war toll, obwohl ich mich nicht durchweg auf die Leinwand konzentrieren konnte, denn während der Vorführung legte Marco seine Hand auf mein Knie und schob sie an meinem Oberschenkel langsam immer höher, beinahe unter meinen Rock, bis ich schnell nach seinen Fingern griff und sie festhielt. Er brachte mich nach Hause bis vor die Haustür unten. Es war schon dunkel. Der Regen hatte an diesem ungemütlichen Herbsttag endlich aufgehört. Wir standen ganz nah voreinander und sahen uns an. Seine Augen funkelten durch seine runde Brille, wie die Sterne am Himmel. Er zog mich an sich. Ich wehrte mich nicht. Unsere Lippen berührten sich. Meine Beine wurden butterweich. So hing ich an seinem Hals und lehnte am Eingang. Marco küsste anders. Wie ein Intellektueller, schien er darin nicht sehr erfahren zu sein. Ich fragte nicht, ob er mit hoch kommen wollte, denn das hätte unser erstes Date zu einem One-Night-Stand degradiert und für mehr als Küssen war ich auch gefühlsmäßig noch nicht soweit. Wir verabredeten uns schon für den nächsten Abend. Marco holte mich ab. Ich bat ihn in meine Wohnung. Mein Herz tanzte. Er gab mir zur Begrüßung nur die Hand und setzte sich mir gegenüber an den Tisch. Ich schenkte ihm ein Bier ein und trank selbst Rotwein. Wir plauderten ein wenig über dies und jenes, lachten dann und wann. Nicht nur ich, auch meine beiden Wellensittiche auf der Gardinenstange fanden hörbar Gefallen an dem Besuch und übertönten uns bald. Ich ermahnte sie, worauf sie eine Minute still waren, um gleich weiter zu trällern und zu krächzen. Marco lachte. Alkohol machte mich redselig und so erzählte ich Marco, wie ich zu Körni und Bronto gekommen war. “Zu meinen beiden Wellensittichmännern bin ich während der Recherche in einem Tierheim in Berlin Steglitz-Zehlendorf wegen eines auf Katzendiebstähle für Tierversuche verdächtigten ehrenamtlichen Tierpflegers gekommen. Ich half damit meiner Studienfreundin Caroline aus der Hauptstadt, die sich in einem Großteil ihrer Freizeit freiwillig in einem Tierschutzverein engagierte. Meine gefiederten Freunde waren zwei nebeneinander hockende Sittiche, die sich inmitten einer aufgeregt umherflatternden grüngelben Schar ihr hellblau-weißes Gefieder richteten, indem sie sich mit ihren Schnäbeln die Federn entlang zogen oder an der Brust zwirbelten. Ein Junge, den das eine Kerlchen nach drei Tagen nicht mehr interessierte und eine Familie, die nun eine Katze hatte, bestimmten die Schicksale von Bronto und Körni mit Endstation Tierheim. Die Vermutungen des Katzenraubs durch einen involvierten Tierpfleger mussten wegen Mangels an Beweisen fallen gelassen werden. Doch die beiden blau-weißen Vögel schwirrten eines Morgens im Übergang zum Aufwachen traumhaft durch meinen Kopf. Ich entschied mich spontan, sie zu holen und mit nach Hause zu nehmen. Allerdings wollte ich kein Pärchen, weil ich deren Vermehrung befürchtete. Ein Wellensittich allein kam mir zu einsam vor, denn Vögel sind gesellige Tierchen. Eigentlich mag ich sie am liebsten, wenn sie frei am Himmelszelt entlang segeln. Ich lehne den Einfang und Export exotischer Tiere generell ab, musst du wissen, wobei Wellensittiche heutzutage hierzulande gezüchtet werden. Am nächsten Tag kaufte ich eine große Voliere, holte die beiden Hähne - wie sich zu meinem Glück herausstellte - ab und platzierte sie dort, an dem nicht zu sonnigen Platz, wie es die nette Tierpflegerin empfohlen hatte. Die Jalousie war sowieso meistens auf nur halb lichtdurchlässig eingestellt. Mittlerweile lasse ich die Tür in die Freiheit des Zimmers immer auf, nur zum Lüften sperre ich sie ein. Wenn ich sie so sehe, träume ich davon, Wellensittiche in Freiheit in Australien zu erleben. Natürlich weiß ich, dass ich meine beiden in Gefangenschaft geborenen Vögel niemals freilassen kann. Sie würden in der gefährlichen Freiheit schnell verenden, denn sie kennen keine selbständige Nahrungssuche, keinen Nestbau und kein Leben in einer großen Vogelmeute mit natürlichen Feinden.”, erzählte ich nach einigem Quasselwasser intus in einem schier endlosen Redeschwall. Marco schien mein Geplapper nichts auszumachen und trank sein Bier. Wenn sich unsere Blicke trafen, wurde mir ganz schwindelig vor Verlangen. Ich ging an ihm vorbei auf die Toilette. Beim Zurückgehen legte ich meine Arme von hinten um seine Schultern. “Weißt Du noch, womit wir gestern Abend aufgehört haben?”, flüsterte ich ihm ins Ohr. Marco drehte seinen Kopf zu mir und endlich küssten wir uns wieder. Plötzlich sprang er auf. “Laura, das geht nicht!”, sagte er. Ich ließ von ihm ab. “Warum denn nicht?”, fragte ich. Er erzählte mir was von frei sein und sich nicht binden wollen. Ich fragte ihn, ob er es schön findet als Single und beruhigte ihn, dass wir ja nicht gleich heiraten müssten. Wir küssten uns wieder. So ging es eine ganze Weile. Wir trafen uns, gingen aus, er kam zu mir, wir landeten das erste Mal im Bett. Er blieb nicht, sondern wollte mitten in der Nacht nach Hause fahren. Ich verstand das nicht. “Ich habe eine Lebensgefährtin und drei Kinder.”, sagte er. Ich sah ihn ungläubig an, meine Worte blieben stumm. Darum schüttelte ich nur meinen Kopf. Ich fing mich. “Verheiratet bist du aber nicht?”, fragte ich Marco. Er trug keinen Ring. “Ich bin geschieden und lebe mit der Mutter meiner Kinder in einer Lebensgemeinschaft.”, sagte er. Ich ärgerte mich über mich selbst. Wie konnte ich so naiv sein und glauben, dass ein solcher Mann jenseits der fünfundvierzig Jahre allein sei? Warum hatte ich nicht beiläufig nach seiner Familie gefragt, um zu checken, wie es um seinen Beziehungsstatus steht? Wieso hatte ich nicht nach seinem vergangenen Liebesleben gefragt? Fragen über Fragen, die ich nicht stellte, weil ich auf Wolke Sieben schwebte. Liebe machte wirklich blind. Marco und ich trennten uns nicht. Ich hoffte, dass er mich bald so sehr liebte, dass er seine Familie verlassen und mit mir zusammen leben würde. Er braucht nur etwas Zeit, dachte ich. Anfangs vergötterte, respektierte und verehrte er mich regelrecht. Ich war selbstbewusst. Andere sahen in mir eine starke Frau und ich fühlte mich auch so. Ich glaube, er dachte ernsthaft über eine Partnerschaft mit mir nach, wollte aber, dass wir uns besser kennenlernen, bevor wir uns entschieden zusammenzuleben.

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Wir trafen uns heimlich. Nein, das ist falsch. Er traf mich heimlich. Ich hatte nichts zu verheimlichen, durfte meine Liebe zu ihm aber nicht offen zeigen. Aus unserer Beziehung wurde schleichend ein eingefahrenes Verhältnis. Ich verpasste quasi den Zeitpunkt, an dem ich ihm die Pistole hätte auf die Brust setzen müssen, weil ich Angst vor einer Abfuhr und in der Konsequenz vor einer möglichen Trennung gehabt hatte. An meinem einunddreißigsten Geburtstag kamen mich meine Eltern besuchen. Er kam am späten Nachmittag für eine Stunde als guter Freund vorbei. Als ich zweiunddreißig und dreiunddreißig Jahre alt wurde, nahmen wir beide frei und unternahmen zusammen Ausflüge. Ich genoss die Zeit mit ihm. Wir gingen gut essen und suchten uns danach ein lauschiges Plätzchen auf einer Wiese. Ich breitete eine Decke aus und wir legten uns aneinander gekuschelt in die Frühlingssonne. Ich schmiegte mich mehr an ihn, als er an mich, aber ich war ja auch die Frau. “So etwas habe ich noch nie gemacht.”, sagte Marco als wir uns das erste Mal auf eine Wiese hauten und streckte selbstzufrieden alle Viere von sich. Seine Geburtstage feierten wir nach. Marco nahm mich, wann immer es sich einrichten ließ, zu Dienstreisen mit. An Wochenenden und Feiertagen hatte er keine Zeit für mich und er fuhr jedes Jahr mit seiner Familie in den Urlaub. Einmal saßen wir in seiner Stammkneipe, der jedes Flair fehlte. Man kannte ihn hier und wusste, was er wollte. Marco machte sich nichts aus Ambiente oder Kult-und In-Lokalen. Er war ein Gewohnheitstier, blieb seinem Trott treu, Hauptsache das Bier floss. An jenem Abend hatte er vorher ausgedruckte Urlaubsbilder abgeholt. Als ich das erste Mal ein Foto von seiner Lebensgefährtin mit seinen Zwillingsmädchen und seinem Sohn sah, kam ich mir schäbig vor. Seine Partnerin war groß, dünn und hatte dunkles Haar, das ihr über die Schultern fiel. Ich dagegen maß einen Meter sechsundsechzig, hatte blondes Haar und war zu dieser Zeit am äußersten Rand meines Body-Maß-Indexes angelangt, noch normalgewichtig, aber nicht mehr ganz so schlank, weil ich mich nur noch selten zum Laufen motivieren konnte und mir aus Frust den Magen weit über den natürlichen Hunger hinaus vollstopfte. Sie sahen so glücklich aus auf dem Bild, das sich in mein Gedächtnis einnistete. Marco war verheiratet gewesen und wollte nicht unbedingt Kinder, als er Petra über den Weg lief. Sie war sehr in ihn verschossen, bettelte und flehte ihn laut seinen eigenen Worten noch massiver an als ich es tat und wurde von ihm schwanger. Er ließ sich scheiden und lebte seitdem mit Petra zusammen. Im Schlafzimmer lief angeblich nichts mehr seit das dritte Kind auf die Welt kam. Der Junge ging schon in die vierte oder fünfte Klasse.

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Seitdem betrachtete ich Marco aus einem anderen Blickwinkel. Das war der Anfang vom Ende. Ich hinterfragte meine Gefühle und sah unsere Beziehung endlich als das was sie war: eine Affäre mit mir in der Rolle der Geliebten. Er gab mir deutlich zu verstehen, dass er seinen Kindern zuliebe bei seiner Lebensgefährtin blieb. Marco erwähnte mir gegenüber nie ihren Namen. Trafen wir uns, stritten wir uns bald heftig. Er maß mich an meiner fachlichen Leistung und an meinem Wissen, kritisierte an mir herum und dabei wollte ich nur erfahren, ob er mich noch liebte, falls er mich jemals geliebt hatte. Ich versuchte mehrere Male, das Verhältnis zu beenden. Wir wollten Freunde bleiben. Das klappte nicht. Wir konnten nicht miteinander reden und umgehen wie Freunde es taten. Ich wollte jeden Kontakt zu ihm abbrechen. Er überredete mich, das nicht zu tun. Die Fassade meiner Liebe, die ich einst aus tiefsten Herzen für Marco empfand, begann zu bröckeln. Sie bekam tiefe Risse und stürzte ein. Ich war unendlich traurig und sehnte mich nach Liebe und Zweisamkeit. Ich wollte auch jemanden haben, der abends, an Wochenenden und Feiertagen für mich da war, mit dem ich morgens unter dem Küchentisch füßeln konnte, der mich in den Arm nahm, wenn ich das brauchte. Einen, der mir die Reißverschlüsse von Kleidern schloss, damit ich mich nicht verrenken musste und mir am Strand den Rücken eincremte, so dass ich keinen Sonnenbrand an für mich unerreichbaren Stellen bekam. Mein Selbstbewusstsein schwand. Ich wurde verletzlich und unsicher. Marco plagten Gewissensbisse. Jedenfalls merkte ich ihm an, dass auch er sich unwohl fühlte. Er schwitzte, strich sich unbeholfen über die Stirn und hatte Erektionsstörungen. Ich fragte mich allerdings, ob das sein generelles Problem war oder es am Fremdgehen lag. Er war ein unnahbarer Einzelgänger, vergrub sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit und betrank sich gern mit Bruder Alkohol wie Jugendliche beim Komasaufen. Er kippte die Krüge voll Bier in sich hinein bis es ihm aus den Mundwinkeln rann. Er hätte in Filmszenen mitspielen können, die das große Gelage mit Fressen und Saufen im Mittelalter darstellten. Er wirkte zunehmend ungepflegt und legte einige Kilos an Gewicht zu. Hin und wieder quälten ihn Gichtanfälle, die ich von meinem Vater her kannte. In dieser Zeit hatte ich einen One-Night-Stand mit einer über einen Meter achtzig großen, dunkelhaarigen, rehbraunäugigen Worldwideweb-Bekanntschaft, die fünf Jahre jünger war als ich. Wir schrieben nebenbei für das gleiche Internetportal und lebten zufällig in derselben Stadt. Wir chateten und verabredeten uns im Szenetreff “ZickZack”, einem Jazz-und Musik-Club am Leipziger Bahnhof. Karsten befand sich in der Trennungsphase einer On-Off- Beziehung. Ich glaubte, Karsten litt unter Liebeskummer und war ein bisschen einsam, weil er seine Freundin verloren hatte. Er wurde der erste jüngere Mann, mit dem ich ins Bett ging. Es passierte aus der aufgebauschten Abendlaune heraus und tat uns beiden gut. Ich bereute es nicht. Es brachte mir zudem die Erfahrung, dass die Konstellation, bei der die Frau älter war als der Mann, besonders und anders gestrickt war. Wir sind Facebookfreunde geblieben, obwohl er eine kleine Nervensäge sein konnte und rumbaggerte. Ich ging darauf nach dem Motto “einmal ist keinmal” nicht ein, denn ich mochte ihn, aber war nicht verliebt in ihn. Schnelle Abenteuer bedeuteten mir nichts. Körper und Geist mussten schon das gleiche wollen. Und mein Geist wollte Leidenschaft, Sinnlichkeit und Harmonie, wozu nur der magische Zauber der Liebe fähig war. Rohe körperliche Betätigung zur reinen Bedürfnisbefriedigung widerte mich dagegen an. Marco erfuhr von meinem Seitensprung, der eigentlich keiner war, da ich offiziell als Single galt, nie etwas. Treue und Ehrlichkeit waren für mich keine eingestaubten Tugenden, sondern das Fundament echter Liebe.

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Meine erneut befristete Arbeit ging zuneige. Ich bewarb mich bei einem Unternehmen, das sowohl in Mittelals auch in Nordostdeutschland Vertriebsstandorte hatte. Die Manager fragten mich, wo ich eingesetzt werden möchte. “Wenn Bedarf besteht, würde ich auch wieder zurück in den Norden gehen”, sagte ich spontan. Es gab keinen Mann mehr, der mich noch in der Leipziger Tieflandsbucht zwischen Harz und Erzgebirge hielt. Meinen vierunddreißigsten Geburtstag feierte ich bei und mit meinen Eltern und mit meiner Schwester, meinem Schwager, meinem Neffen und zwei längst verheirateten Freundinnen aus der Schulzeit. Jenny und Iris kamen auf einen Sprung zum Kaffee vorbei. Immerhin. Man traf sich sonst unter Paaren. Musste ich mir einen Mann suchen, um dazu zu gehören und möglicherweise ein Kind bekommen? Unter solchem Druck und aus Pflichtgefühl wollte ich keinen Mann! Mein Vater schlug mir, wann immer das Thema aufkam, einen Junggesellen aus dem Dorf vor. Das nervte. “Ein bisschen Liebe sollte schon im Spiel sein!”, antwortete ich darauf. Auf kleine Sticheleien und Verkupplungsversuche musste ich als Single gefasst sein. Zu Tonis Geburtstag grillte die ganze Sippschaft im Garten. Maxims Schwiegervati rief den dicken Nachbarn Konrad Meier herüber, er solle Bratwurst und Steak essen kommen. Herr Meier war jünger, als er aussah, stellte sich heraus. Wie ich ihn musterte, sagte Maxims Schwiegervati: “Laura, der ist noch zu haben!” und schlug Herrn Meier auf die Schulter. “Bei deinen Kochkünsten ist er auch bald schön schlank!”, floskelte Martin und prustete los. “Hä, hä!”, lachte ich ironisch. Natürlich konnte ich kochen, aber griff eben für Gratins, Pfannen und Suppen gerne auf Kochhilfen in Tüten zurück, die ich mit frischen Zutaten kombinierte. Maxim kochte ihre Brühe mit Suppengrün und ich hatte sie gefragt, welches Pulver sie nahm, weil es gut schmeckte. Sie lachte mich aus und erzählte überall herum, dass ich nicht kochen könne. Marco rief nur noch selten an. Ende Mai konnte ich endlich umziehen, weil die ausgesuchte Wohnung in der nächstgelegenen Kleinstadt erst jetzt frei geworden war, denn der Kumpel meines Schwagers, der bislang darin hauste, zog bei seiner Freundin ein. Zwei größere und ein kleineres Zimmer, Balkon, Küche und Wannenbad hatte ich nun für mich allein. Die neue Wohnung befand sich in einem Altbau gleich um die Ecke des Hauses der Eltern meines Schwagers, in dem meine Schwester mit ihrer Familie in der untersten Etage wohnte. Nach vier Monaten Einengung im elterlichen Keller, die ich erstaunlicherweise äußerst gelassen hingenommen hatte, freute ich mich auf meine eigenen Wände, wie eine Jugendliche, die sturmfrei hatte. Zwischendurch war ich ein Wochenende nach Leipzig gefahren, um schon Kisten zu packen und Wände zu weißen. Marco hatte immer noch die Zweitschlüssel zu meiner Wohnung. Als ich in Leipzig ankam und aufschließen wollte, musste ich feststellen, dass die Schlüssel nicht am Bund waren. Sie lagen im Kellerzimmer bei meinen Eltern über dreihundert Kilometer entfernt. Ich hatte sie abgemacht, damit ich sie nicht verliere. Mir blieb am späten Freitagnachmittag nichts anderes übrig, als bei Marco zuhause anzurufen, denn am Institut erreichte ich ihn nicht mehr. Eine Frauenstimme meldete sich. Entweder war es seine Partnerin oder eine Tochter. Ich fragte förmlich nach Dr. Priester. Er war nicht da. Ich bat die mädchenhafte Stimme, ihm auszurichten, dass er dringend bei Frau Klasen anrufen möchte. Sie schrieb meine Handynummer auf. Ich wusste, wo er wohnte und fuhr mit meinem Auto dorthin und stellte mich auf den Parkplatz des gegenüberliegenden Supermarktes. Ich ging für das Wochenende zu Essen einkaufen. Das Handy in meiner Jackentasche machte Zen-Töne. Marco war dran und motzte mich an, was mir einfiel, bei ihm privat anzurufen. Ich erklärte ihm, was passiert war und bat ihn, kurz runterzukommen und mir die zweiten Exemplare an Schlüsseln für meine Wohnung zu geben. “In zehn Minuten”, sagte er. Ich stand im Ausgangsbereich des Marktes und verstaute den Einkauf in Beutel. Da kam Marco herein. “Komm mir nicht hinterher!”, brummte er mir im vorbeigehen zu. Er ging zum Fleischer und kaufte Aufschnitt und Hack. Beim Hinausgehen streckte er mir mit grimmigem Gesicht den Schlüssel entgegen. Mir standen die Tränen in den Augen. Auf dem Rückweg verwandelte sich meine Traurigkeit in Wut über sein missbilligendes Verhalten. Wir sahen uns an dem Wochenende nicht. Er fuhr Samstag früh mit seiner Familie weg. Das wusste ich aus dem letzten Telefonat mit Marco. Ich fragte mich, warum er keine Ausreden erfand. Er war doch sonst so schlau und redegewandt, wenn es um die Wissenschaft ging. Er hätte sagen können, ich wäre eine Studentin, die etwas für ihre Abschlussarbeit wissen will oder so etwas Ähnliches. Er konnte nicht einmal für mich lügen. Warum zog er dann keinen Schlussstrich?

*

Ich hasste Umzüge wie die Pest, ging dieses Mal aber alles sehr organisiert und sortiert an und ließ es über mich ergehen. Dieses Kaputtmachen, Ausräumen und Verändern, machte mich regelrecht krank. Meine Schwester, ihr Mann, der damals ihr fester Partner war, und ich bereiteten zur Silberhochzeit unserer Ellies das Renovieren ihrer Stube vor. Das fünfundzwanzig Jahre lang verheiratete Paar machte eine Kreuzschifffahrt. Wir kratzten die alten Tapeten von den Wänden, damit der Vater meines Schwagers, der Maler war, anschließend tapezieren und streichen konnte. Am frühen Nachmittag unseres ersten Einsatztages bekam ich hohes Fieber. Die ganze Zeit lang, in der renoviert wurde, lag ich inmitten des Chaos` und schlürfte heißen Holunderbeersaft, den meine Schwester gemacht hatte. Am Tag nach meinem Umzug hielt Marco ein Referat auf einer Tagung in einem kleinen Nest an der Müritz, etwa eine Stunde Fahrzeit von meinem neuen Zuhause entfernt. Ich ließ mich überreden, dass wir uns sahen und er bei mir übernachten konnte. Ein Rückfall, wenn man so will. Ich wollte versuchen, mit ihm befreundet zu bleiben, obwohl Freunde bleiben, bei mir noch nie geklappt hat. Er kam, ich zeigte ihm meine neue Wohnung. Sie gefiel ihm, trotz des Chaos` aus Kisten und Möbeln, die noch nicht ausgeräumt und aufgestellt worden waren, sondern sich stapelten und im Weg herum standen. Wir gingen essen. Er pöbelte die Kellnerin voll, stellte Fragen zu den Gerichten in einem unhöflichen, arroganten Ton, dass es mir peinlich wurde. Ich nahm das teuerste Gericht mit drei Sorten Fleisch und den besten Wein. Er zahlte. Wir gingen zu mir und waren beide todmüde von Umzug und Fahrt. Er erwiderte meinen Kuss nicht. Morgens machte ich ihm einen Kaffee, dann musste er los zu der Veranstaltung. In mir drin waren auch die restlichen Gefühle für ihn abgetötet. Seitdem rief er mich etwa einmal im Monat an, um mir zu sagen, dass ich ihm fehlen würde. Der räumliche Abstand half mir. Mir wurde klar, dass mir diese Dreiecksgeschichte stärker zugesetzt hatte, als ich wahr haben wollte. Ich kam in sehr schlechter seelischer und emotionaler Verfassung bei meiner Familie an. Die neue Stelle, meine Familie und die Wohnungssuche lenkten mich ab und brachten mich auf andere Gedanken. Ich relativierte meine Beziehung zu Marco. Mir waren drei Partner auf Dauer einer zu viel. Ganze vier Jahre hatte ich gebraucht, um zu begreifen, dass er sich niemals entscheiden würde. Meine Liebe zu ihm war erkaltet. Ich zog für meinen Teil einen endgültigen Schlussstrich unter die Sache. Darüber mit ihm zu reden, erschien mir zu müßig. Seine Anrufe würgte ich mit Ausreden, wie keine Zeit oder es wäre gerade ungelegen ab. Nach anderthalb Monaten rief Marco an. Er hätte eine Anfrage für einen Vortrag in Bützow zwischen der mecklenburgischen Landeshauptstadt Schwerin und Güstrow, berichtete er mir und fragte mich allen Ernstes, ob ich den Tag vorher dorthin kommen wolle. Der Veranstalter des Symposiums hatte ein Hotelzimmer für ihn reserviert. “Dann könnte ich dich wieder sehen. Ich vermisse dich so.”, schmeichelte mir Marco. Meine Sirenen sprangen an. Untypisch für mich, heckte mein in Stress geratener Geist eine Gemeinheit aus. “Oh, wie schön”, antwortete ich, “ja, ich kann mir Urlaub nehmen. Schickst Du mir die Adresse von dem Hotel durch. Wann wollen wir uns treffen, gegen achtzehn Uhr?”. “Ach nein, wenn du schon zum Mittag kommen kannst, dann würde ich schon richtig früh in Leipzig losfahren. Dann haben wir mehr Zeit.”, gab Marco zurück. “Ja, du hast recht. Lass uns schon um die Mittagszeit dort sein.”, antwortete ich hinterlistig. An besagtem Vortag der Tagung, auf der Marco referieren wollte, fuhr ich vorsätzlich nicht zu der Verabredung und versetzte Marco. Der hielt es nicht einmal für nötig anzurufen. Ich hätte einen Unfall haben und am Verrecken sein können. Marco blieb sorglos. Ich hoffte, dass er sich wenigstens ordentlich ärgerte, sich langweilte und mich verfluchte, weil ich ihn eiskalt berechnet abserviert hatte. Seitdem hörte ich nichts mehr von Marco.

OHNE MILCH UND ZUCKER

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