Читать книгу Tante Daffis Haus - Hannah Opitz - Страница 4

Seltsames Ereignis

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Ihr gefiel es sehr gut in der Schule. Herr Deroll, ihr Klassenlehrer, war sehr nett. Sie mochte ihn sehr. Leider gab es auch Leute in ihrer Klasse, die sie nicht so sehr mochte, wie dieser Elias Zahnmeister.

Gerade dieser saß nun in der dritten Reihe, direkt hinter ihr, und bewarf sie mit Papierkügelchen. Luna war wütend. Das durfte er doch nicht!

„Elias!“, rief Herr Deroll auch schon, „Würdest du deine Mitschüler bitte nicht vom Unterricht abhalten?“

Mit Genugtuung schielte sie nach hinten und beobachtete, wie Elias sich schmollend nach hinten lehnte.

„Tja, Elias, irgendwelche Nachwirkungen muss es doch haben, dass deine Mama euch verlassen hat!“, behauptete ein anderer Junge, der neben ihm saß. Lasse.

Elias erstarrte. Die Klasse lachte.

„Lass meine Mutter da raus!“, schrie Elias und stand wütend auf.

„Elias, setzt du dich bitte wieder hin?“, fragte Herr Deroll, der gerade damit beschäftigt war, etwas an die Tafel zu schreiben und die Klasse strafend anblickte.

„Aber er hat meine Mutter beleidigt!“, protestierte Elias.

„Ja, das habe ich mitbekommen. Und, Lasse, das wird ein Nachspiel haben! Ich würde gerne mit deinen Eltern ein Elterngespräch führen, richtest du das ihnen bitte aus, ja? Morgen, nach dem Unterricht. So, und jetzt beruhigt euch wieder, ich will jetzt weitermachen!“, meinte er und setzt sich zurück ans Pult.

„Herr Deroll!“, rief Luna prompt und meldete sich.

„Ja, Luna?“, fragte er.

„Darf ich die erste Aufgabe lösen?“, wollte sie wissen.

„Wenn du möchtest“, erwiderte Herr Deroll, stand auf und reichte ihr die Kreide. Freudig lächelnd nahm sie sie entgegen und begann, die Aufgabe zu lösen. Addieren. Sie schrieb die Lösung an und setzt sich zufrieden wieder hin.

„Hey, Luna!“, zischte Elias ihr von hinten zu, „Hast du nicht 'ne Null vergessen?“

Sie drehte sich um, starrte ihn böse an, schaute auf die Tafel und wieder zurück zu ihm.

„Nein, wie kommst du denn darauf?“, hakte sie verwundert nach.

„Na, weil du doch 'ne Null bist!“, erklärte er.

Alle um sie herum lachten.

Luna wurde wütend. „Bin ich gar nicht!“, behauptete sie.

„Bist du doch!“, erwiderte er.

„Nein!“

„Doch!“

„Gar nicht!“

„Wohl!“, schrien sie sich an.

„Luna und Elias, hört ihr wohl sofort auf!“, ging Herr Deroll dazwischen. Dann fragte er, etwas ruhiger: „Was ist denn nun schon wieder passiert?“

„Er hat behauptet, ich bin eine Null!“, erklärte Luna beleidigt.

„Bist du ja auch!“, erwiderte Elias.

„Bin ich gar nicht!“, rief sie und setzte sich mit verschränkten Armen wieder hin.

„Elias, entschuldigst du dich bitte bei ihr?“, fragte Herr Deroll höflich.

„Warum sollte ich? Die dumme Kuh hat doch angefangen!“, beschuldigte er sie.

Nun war es Luna zu bunt. „Habe ich nicht!“, schrie sie.

„Was hat sie dir denn getan, dass du sie so ärgerst?“, wollte Herr Deroll wissen.

Elias starrte den Boden an.

„Nichts? Dachte ich es mir doch“, meinte ihr Lehrer leise. Dann ging er wieder nach vorne. „Also, wer kann mir sagen, was drei plus fünf ist?“, fragte er. Luna meldete sich.

Als Luna heute nach Hause kam, das dauerte immer eine Weile, weil sie einen Umweg durch das Talviertel nehmen musste, obwohl der Weg durch das Veilchenviertel viel kürzer gewesen wäre, war ihre Mutter bereits mit dem Zubereiten des Essens fertig.

„Und, hattest du einen schönen Tag?“, fragte Clema neugierig.

Luna nickte. Dann warf sie ein: „Wobei – dieser Elias, der ist ja so gemein! Nur, weil der keine Mama mehr hat, bildet der sich ein, er dürfte einfach alle anderen beleidigen! Und, weil der Lasse ihn deswegen beleidigt hat, will Herr Deroll jetzt mit seinen Eltern sprechen!“

Clema erstarrte. „Sag – sagtest du gerade Deroll?“, hakte sie nach.

„Ja, das ist unser Lehrer!“, erklärte Luna erstaunt, „Hast du etwa gar nicht aufgepasst?“

Clema schluckte.

Also hatte sie sich doch nicht getäuscht gehabt, dann hatte sie ihn wirklich bei der Einschulung vor ein paar Tagen kurz von hinten gesehen. Wäre nur nicht Freddy da gewesen, dann hätte sie ihn vielleicht schon früher bemerkt! Wobei – sie wusste ja nicht, wie er auf ihren neuen Partner reagieren würde. Wahrscheinlich würde er deswegen sehr sauer sein.

Aber, was hatte er denn erwartet? Dass sie sich aufhob, bis sie endlich wieder zusammen sein konnten? Das konnte er doch nicht von ihr verlangen! Gut, er war gewissermaßen ein halber Wolf und Hunde sind ja bekanntlich sehr treue Wesen – aber dennoch – das galt nicht für sie! Sie war kein Werwolf, sie war eine Hexe!

„Oh!“, rief sie, als ihr gerade etwas bei dem Wort „Hexe“ einfiel.

„Was ist?“, fragte Luna überrascht.

„Ich habe den Spruch ja noch gar nicht aufgesagt!“, erklärte Clema.

„Oh, ich will auch, ich will auch!“, rief Luna.

„Ach, na gut“, meinte ihre Mutter gutherzig und dann sagten sie ihn zusammen auf.

Damit Luna auch ja nichts falsch machte, hatte Clema sogar extra die Schriftrolle, die sie damals von Magnus zu ihrem 20. Geburtstag bekommen hatte, hervorgeholt.

„Hm, seltsam“, meinte Luna, als sie den Spruch zu ende aufgesagt hatten.

„Was denn?“, fragte Clema.

„Ich kann das zwar lesen, aber solche Schriftzeichen lernen wir in der Schule gar nicht! Oder meinst du, das kommt noch?“, fragte Luna interessiert.

Clema starrte sie an. „Das – glaube ich eher weniger. Wobei, vielleicht gibt es dann in der Oberstufe irgendwie so eine AG, wo man so etwas lernen kann – keine Ahnung“, meinte sie.

„Mami“, begann Luna.

„Ja?“

„Warst du eigentlich auf der Oberstufe?“, hakte die Kleine nach.

Clema schmunzelte. „Nein, nicht wirklich. Ich habe nach der zehnten Klasse aufgehört und bin dann gleich ins Berufsleben eingestiegen. Apropos einsteigen – Schatz, ich muss dir was sagen“, sagte sie, immer leiser werdend.

Der Moment der Wahrheit war gekommen. Jetzt musste sie es ihr endlich sagen. Sie schob es schon seit dem Tag der Einschulung vor sich her. Seit er sie gefragt hatte.

„Was denn?“, wollte Luna wissen.

Clema atmete tief ein. „Henry hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Wir wollen heiraten!“, verkündete sie.

„Nein!“, schrie Luna und hielt sich ihre Ohren zu.

Das wollte sie nicht. Ganz fest kniff sie auch ihre Augen zu und summte. „Lalalala, ich kann dich gar nicht hören!“, rief sie.

Sie spürte es. Sie wusste, ihre Mutter wollte ihr etwas entgegnen. Aber sie tat es nicht. Sie griff ihr nicht an die Arme und zerrte ihre Hände von ihren Ohren, um ihr etwas zu entgegnen, wie sie es sonst immer tat.

Vorsichtig lüftete sie eine ihrer Hände. Ihre Mutter schwieg. Dabei wollte sie etwas sagen, Luna spürte ihre Worte förmlich in der Luft. Aber es war generell sehr still.

Erstaunt ließ sie ihre Hände sinken und drehte sich um. Ihre Mutter stand einfach nur da. Starr. Ihr Mund war weit geöffnet, als wollte sie gerade etwas sagen. Ihre Augen – blickten – ins Leere. Luna schaute sie entsetzt an.

„Was habe ich getan?“, fragte sie sich leise. Sie zitterte.

„Mama?“, fragte sie, „Mama, so sag doch was!“

Sie wollte sie schütteln, traute sich aber nicht. Unbeweglich stand ihre Mutter da und Luna konnte nichts tun. Sie schaute auf die Uhr. Der Sekundenzeiger schien still zu stehen.

„Was?“, fragte sie, „Aber – wie – wie kann das sein? Was – was habe ich getan? Hilfe!“

Sie schrie nach Hilfe und nach Hilfe, doch niemand hörte sie.

Sie öffnete das Fenster und blickte nach unten. Erst war sie sich nicht sicher, ob sie richtig gesehen hatte. Die Stadt schien still zu stehen. In Panik rannte sie zur Tür, die Treppen hinunter, aus dem Haus heraus. Sie fand sich im Getümmel der Stadt wieder – oder auch nicht? Sie war die einzige Person, die sich bewegte. Bewegen konnte. Was war nur mit ihr geschehen?

Verzweifelt rannte sie die Straßen entlang, berührte versehentlich ein paar Leute, nichts geschah. Sie rannte und rannte, bis sie sich wohl irgendwo zwischen Talviertel und Seeviertel wiederfand. Und dann sah sie ihn – ihren Lehrer.

Er stand bewegungslos da, wie alle anderen auch, dennoch rannte sie auf ihn zu. Er schien sich gerade mit einem ziemlich protzigen Typen über irgendetwas weniger Belangloses zu unterhalten.

„Herr Deroll!“, schrie sie, „Herr Deroll, du musst mir helfen!“

Nun stand sie direkt vor ihm. Er bewegte sich nicht. Sie weinte.

Was sollte sie nur tun?

Vorsichtig ergriff sie seine Hand mit der ihren. Sie drückte sie ganz fest an sich und schluchzte. Sie war doch so ganz hilflos dieser merkwürdigen Situation ausgeliefert.

Plötzlich geschah etwas.

„Was – wie – aber – ich habe doch gar nicht …!“, bemerkte ihr Lehrer.

Freudig quiekte sie auf.

„Luna? Du?“, fragte er und beugte sich zu ihr runter.

Sie nickte.

„Gott sei Dank! Bitte, bitte, du musst mir helfen! Ich weiß nicht, was ich tun soll – irgendwie habe ich die Welt angehalten und niemand außer mir kann sich noch bewegen!“, erklärte sie verzweifelt.

Er schaute sie erstaunt an. „Hm, ja das ist allerdings ein Problem“, meinte er leise, dann wieder etwas lauter: „Allerdings kann ich dir da bestimmt irgendwie helfen!“

Sie nickte eifrig.

„Komm, wir gehen jetzt erst einmal zu dir nach Hause“, meinte er ruhig, „Dann sehen wir weiter.“

Sie führte ihn zu sich nach Hause.

„Aber meine Mama ist bestimmt nicht so erfreut, wenn du so plötzlich bei uns im Wohnzimmer stehst!“, erklärte sie.

Er nickte. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen“, meinte er.

Sie hatten das Talviertel schon fast hinter sich gelassen. Luna und ihre Mutter wohnten im Bergviertel, was günstiger wegen Mamas Arbeitsplatz war.

„Was war überhaupt der Grund dafür, dass du die Zeit angehalten hast?“, fragte er nach einer Weile Schweigen.

„Mama will ihren Freund heiraten, aber das ist ein Idiot. Ich mag ihn nicht. Er heißt Henry“, erklärte Luna bockig.

Dellis Deroll lächelte leicht.

„Was ist daran denn so lustig?“, fragte sie irritiert.

„Nichts. Es freut mich nur, dass du ihn nicht magst“, erklärte er kleinlaut.

Sie starrte ihn an. „Wieso denn das?“, wollte sie wissen.

Er seufzte. „Erklär ich dir ein andermal“, meinte er.

„Ein andermal, ein andermal! Das sagt Mama auch immer!“, behauptete Luna.

Er nickte. Das konnte er sich gut vorstellen.

Sie waren fast da. Die Haustür rein, die Treppen rauf. Da war auch schon die Tür.

„So“, meinte Dellis noch, bevor er sich verabschieden wollte, „du gehst da jetzt wieder rein und zählst etwa bis fünf, das kannst du doch, oder? Wenn nicht, dann wäre ich ein sehr schlechter Lehrer!“

Luna kicherte. „Nein, bist du nicht. Ich hab dich lieb!“, erklärte sie und gab ihm einen Wangenkuss.

Er errötete leicht. „Bis morgen!“, meinte er, „Ich muss jetzt leider wieder zu meiner Unterhaltung zurück. Mach deine Hausaufgaben, tschüss!“ Er ging die Treppen nur drei Stufen runter, wartete, bis sie die Tür geschlossen hatte und hielt seinerseits die Zeit an.

„Wirklich sehr interessant“, murmelte er, als er die Treppe wieder herunter lief, „Wie hat sie das nur gemacht, dass sie mich mit in ihre Zeitunterbrechung geholt hat? Das sollte man mal gründlicher untersuchen. Nur, leider – wann, wann? Ach, ist ja auch egal, ich muss jetzt erst mal wieder zurück zu Kalmir. Seine ach so spannende Geschichte von seiner Einhornfreundin ist zwar nur halb so spannend, wie das hier, aber dennoch – ein Freund ist ein Freund.“

Es dauerte nicht lange, dann war er wieder genau da, wo er gestanden hatte. Schon ging die Zeit für ihn normal weiter.

„Sag mal, alles OK bei dir? Du siehst so abwesend aus?“, fragte Kalmir irritiert, als er bemerkte, dass Dellis ihm gar nicht mehr richtig zuhören konnte.

Luna war wieder in der Wohnung. Ihre Mutter stand immer noch da, wo sie sie zurückgelassen hatte.

„OK. Eins, zwei, drei, vier, fünf!“, zählte sie und versuchte, von ihrem Zorn, ihrer Aufregung loszulassen.

Es klappte.

„Luna?“, fragte Clema irritiert, als sie ihre Tochter nicht mehr vor sich sah.

„Mami!“, rief Luna erleichtert und sprang sie von hinten an.

„Schatz – wie – wie bist du denn so schnell nach da hinten gekommen?“, fragte Clema irritiert.

„Ich weiß auch nicht so genau. Irgendwie habe ich wohl die Zeit angehalten. Zumindest hat das Herr Deroll so formuliert“, erklärte Luna achselzuckend.

„Herr Deroll? Wie konntest du denn mit ihm darüber reden?“, hakte Clema nach.

„Naja – ich habe seine Hand angefasst und dann konnte er sich bewegen. Und dann hat er mich hierher zurückgebracht und dann hat er gemeint, ich soll hier rein gehen und dann sollte ich bis fünf zählen und dann habe ich das gemacht und dann – dann konntest du dich wieder bewegen, weil ich irgendwie so losgelassen habe und dann war alles wieder ganz normal“, ratterte Luna die Ereignisse runter.

Clema starrte sie an.

Dann rannte sie rasch zur Tür und riss sie auf. „Dellis?“, fragte sie in den Gang hinein.

Keine Antwort. Er war schon weg. Enttäuscht ging sie wieder rein. Was hatte sie auch erwartet?

„Woher kennst du meinen Lehrer denn?“, fragte Luna neugierig.

„Ach, das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Clema abwinkend.

„Aber woher kennt ihr euch denn?“, ließ Luna nicht locker.

Clema seufzte. Sollte sie es ihr sagen? Lieber nicht, dann würde die Kleine nur noch mehr durchdrehen. Es war ja nicht so, dass es sie störte, dass Luna ihren Vater wohl mochte – aber dennoch – seltsam war es schon. Das Einzige, was Clema wirklich noch Sorgen bereitete, war der nächste Neumond – oder auch der Vollmond – ach, war ja auch egal, sie fürchtete sich vor dem Augenblick, an dem sich ihre Tochter zum ersten Mal verwandeln würde.

„Was ist?“, holte Luna sie aus ihren Gedanken.

„Hm? Ach, nichts. Ich habe nur nachgedacht“, erwiderte Clema.

„Also, woher kennt ihr euch denn jetzt?“, wiederholte Luna ihre Frage zum dritten Mal.

Clema schluckte. „Wir – waren mal Nachbarn“, erklärte sie kurz angebunden.

„Aber Herr Deroll wohnt doch im Veilchenviertel!“, protestierte Luna.

„Ja, ich weiß. Ich habe auch mal dort gelebt. Für ein Jahr oder so. Glaube mir, es ist besser, wenn du dich von diesem Viertel fern hältst“, erklärte Clema.

Luna starrte sie an. „Aber Mama!“, protestierte sie, „Wenn ich durch das Veilchenviertel laufen würde, anstatt durch das Talviertel, dann wäre ich fast eine Viertelstunde früher da!“

Clema seufzte. „Schatz, das hatten wir doch jetzt schon tausendmal! Ich erlaube nicht, dass du durch das Veilchenviertel gehst! Dort geschehen viel zu seltsame Dinge! Es ist dort viel zu gefährlich! Und jetzt sei ruhig, ich will nicht schon wieder mit dir streiten!“, beendete Clema das Gespräch.

Luna schmollte.

Tante Daffis Haus

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