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Urteil: Elterngespräch

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Die zweite Schulwoche hatte bereits angefangen, als es so weit war.

Luna war gereizt. Dieser Elias war aber auch gemein! Er hatte sie im Unterricht nicht nur regelmäßig mit Papierkügelchen abgeworfen, sie beschimpft oder sonst irgendwelche unhöfliche Sachen gemacht, jetzt hatte er sie auch noch an den Haaren gezogen.

„Aua! Das tut weh!“, schrie sie.

Es war große Pause. Die Direktorin hatte Pausenaufsicht. Aber noch schenkte sie ihnen keine Aufmerksamkeit. Sie stand nur in ihrer Ecke herum und rauchte.

„Haha! Du bist ja so eine Heulsuse!“, behauptete Elias und grinste sie an.

Das machte sie wütend. „Sag das noch mal!“, knurrte sie ihn an.

„Heulsuse!“, sagte er herausfordernd und schaute sie funkelnd an.

Sofort stürzte Luna sich auf ihn. „Das nimmst du sofort zurück!“, schrie sie.

„Werd ich gar nicht!“, entgegnete er, obwohl er unter ihr lag.

„Du bist so gemein!“, behauptete sie.

„Heulsuse!“, wiederholte er und spuckte aus.

Sie griff ihn am T-Shirt und schüttelte ihn. „Du nimmst das zurück!“, brüllte sie.

„Nein!“, schrie nun auch er und stieß sie von sich.

„Doch!“, sagte sie. Sie war nicht hingefallen.

Nun standen die Beiden sich gegenüber und lauerten sich auf. Die Atmosphäre war geladen. Sie schlichen umeinander herum und gingen sich dann an die Gurgel.

Und dann – war es soweit. Sie verbissen sich ineinander. Wortwörtlich verbissen sie sich. Ihr Gebiss steckte in seiner Schulter, seines in ihrem Oberarm.

„Hört ihr wohl sofort auf! Wenn euch jemand sieht!“, fuhr ihr Klassenlehrer, der gerade erst aus dem Schulgebäude herausgekommen war, sie an und ging dazwischen.

„Aber er hat angefangen!“, protestierte Luna.

„Hab ich gar nicht!“, entgegnete Elias.

„Hast du wohl!“

„Hab ich nicht!“

„Wohl!“

„Nicht!“

„Wohl!“

Bevor Elias nochmal etwas entgegnen konnte, kam die Direktorin an und rief: „Was ist denn hier los? Malis, Zahnmeister, wie seht ihr denn aus? Herr Deroll, wie habe ich das zu verstehen?“

„Ähm. Es scheint, die Beiden haben sich unter Ihrer Pausenaufsicht geprügelt und gebissen, Frau Direktorin“, sagte er kleinlaut.

„Ach ja? Und was machen Sie dann hier?“, fragte sie.

Er schluckte. „Nun, da Sie nicht dazwischen gegangen sind, hielt ich es für nötig, einzugreifen. Wer weiß – vielleicht wäre die Sache sonst noch schlimmer ausgegangen, als es sowieso schon ist“, erläuterte er.

Sie starrte ihn an. „In mein Büro! Alle drei!“, ordnete sie an.

Alle drei gehorchten.

„So. Jetzt noch mal von vorne, was ist passiert?“, hakte die Direktorin wenig später in ihrem Büro nach.

„Elias hat mich an den Haaren gezogen und eine Heulsuse genannt!“, sprudelte es aus Luna raus.

„Ja, und dann hat sie mich angegriffen!“, fuhr Elias dazwischen.

„Aber er hat angefangen!“, behauptete Luna.

„Nein, habe ich nicht!“, schrie er.

„Hast du wohl!“, erwiderte sie genauso laut.

„Ruhe jetzt! Alle Beide!“, rief die Direktorin und schlug auf den Tisch.

Die Kinder und Herr Deroll zuckten zusammen.

„Herr Deroll“, fuhr sie ihr Verhör fort, „Was ist denn ihrer Sicht nach geschehen?“

„Nun – ich kenne die Zwei hier jetzt noch nicht so lange, aber, was sich nicht verleugnen lässt, ist, dass ein gewisser Hass zwischen den Beiden da ist“, erklärte er leise.

„Und woher kommt dieser Hass?“, hakte die Direktorin nach.

Dellis zuckte mit den Achseln. „Ich vermute, dass es vielleicht daher kommen könnte, dass Lunas Mutter und Elias Vater sich nicht ausstehen können“, erläuterte er.

Sie schaute ihn an. „Und woher wissen Sie das?“, hakte sie misstrauisch nach.

„Ich – hatte mit Beiden schon in der Vergangenheit zu tun. Wegen des Abrisses des Veilchenviertels“, erklärte er kurz angebunden.

„Ach, stimmt ja. Das hatte ich ganz vergessen“, murmelte die Direktorin.

Nach einer Pause fuhr sie fort: „Ich denke, wir sollten das Problem bei der Wurzel packen, denken Sie nicht? Ich schlage vor, wir schicken den Eltern am besten mit den Kindern zusammen einen Brief nach Hause. Und wehe euch Beiden, eure Eltern sitzen heute Abend um acht nicht vor meiner Nase, dann könnt ihr aber was erleben!“

Es war eine Drohung. Es war eine Drohung und Luna hatte dies klar und deutlich verstanden. Also nahm sie den Brief, den die Direktorin ihr soeben überreichte, mit Ehrfurcht entgegen.

„Schatz, wie siehst du den aus?“, wurde Luna von ihrer Mutter entsetzt empfangen.

„Hab mich geprügelt“, nuschelte Luna und überreichte Clema den Brief. Ihre Mutter arbeitete halbtags, damit sie den Rest des Tages zusammen sein konnten.

„Was denn? Ein Brief von der Direktorin?“, fragte Clema verwundert und öffnete den Brief. Sie las ihn und nickte nur immer und immer wieder. Dann fragte sie: „Schatz, willst du mir vielleicht verraten, was das zu bedeuten hat?“

Luna schluckte. „Es ist alles Elias‘ Schuld! Der hat damit angefangen! Der hat mich an den Haaren gezogen und mich eine Heulsuse genannt!“, protestierte Luna.

Clema schaute ihre Tochter zweifelnd an. „Wer war noch mal Elias?“, hakte sie nach.

„Na, Elias Zahnmeister! Von dem hab ich dir doch schon so viel erzählt! Ich kann ihn überhaupt nicht ausstehen! Herr Deroll hat gemeint, das liegt daran, dass du seinen Papa nicht magst?“, erklärte Luna leicht verwirrt.

Clema schluckte. „Ja, ja, das kann man so sagen. Genau genommen, kann ich Frederik Zahnmeister überhaupt nicht ausstehen. Dass sein Sohn genauso wird, wie er, wundert mich nicht. Ich kann verstehen, dass seine Frau ihn verlassen hat“, meinte Clema leise.

Luna runzelte die Stirn. „Kennst du seine Mama denn?“, fragte sie.

Clema überlegte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich bin ihr nie begegnet. Aber die Frau, die es auf längere Zeit mit Zahnmeister aushält, die hat meiner Meinung nach einen Preis verdient! Ich halte es ja kaum eine Stunde mit ihm in einem Raum aus!“, erklärte sie.

Luna nickte. „Wenn er so ist, wie sein Sohn, dann kann ich das nur zu gut verstehen“, meinte sie.

Clema nickte. Dann schlug sie ihre Hände über dem Kopf zusammen.

„Herrje! Wer soll denn dann auf dich aufpassen, wenn ich in der Schule bin?“, fragte sie entsetzt.

Luna zuckte mit den Achseln.

Etwa eine halbe Stunde vor acht klingelte es.

„Mama?“, fragte Clema irritiert, als sie die Tür öffnete.

„Hallo, Schatz! Wie geht es dir?“, fragte ihre Mutter.

„Wer ist da, Mami?“, rief die Kleine von innen.

„Oh, ist sie das? Darf ich reinkommen?“, hakte Salida nach. Clema seufzte, da sie sich bereits an ihr vorbei gedrückt hatte.

„Hallo, meine Kleine! Na, du bist aber schon ganz groß geworden! Oh, Clema, sie sieht genauso aus wie du!“, stellte Salida entzückt fest.

Clema nickte. „Höre ich öfter. Es ist ja wirklich nett, dass du dich – nach sechs Jahren – mal bei mir blicken lässt!“, meinte sie.

„Ach, jetzt sei doch nicht so nachtragend!“, beschwerte Salida sich.

„Naja, aber es ist eigentlich ein Segen, dass du gerade jetzt hier auftauchst!“, erklärte Clema.

„Wieso? Es ist doch ganz natürlich, dass ich mein Enkelkind mal kennenlernen will!“, behauptete Salida.

Clema nickte. „Na, wenn das so ist“, meinte sie und zog sich ihre Jacke an, „dann will ich deinem Glück nicht länger im Wege stehen. Ich muss jetzt nämlich zu einem Elterngespräch in der Grundschule. Es wäre schön, wenn du so lange auf die Kleine aufpassen könntest. Tschüss!“ Und schon war sie weg.

„So, wenn wir jetzt vollständig sind, können wir ja anfangen“, meinte die Rektorin, als sie in ihrem Büro versammelt waren.

„Wenn diese Person Ihre Tochter nicht im Griff hat, kann ich ja nichts dazu!“, behauptete Frederik. Das sah ihm ähnlich.

„Ich habe meine Tochter sehr wohl im Griff!“, erwiderte Clema.

„Ach ja? Dann haben Sie sie wohl darauf trainiert, meinen Sohn zu beißen, was? Haben Sie eigentlich auch nur irgendeine Ahnung, wie seine Schulter aussieht? Ich sage Ihnen jetzt mal was, Frau Malis, Ihre Tochter, das ist ein Monstrum!“, behauptete er.

Clema erhob sich empört.

„Na, na, na! Herr Zahnmeister, jetzt übertreiben Sie aber!“, mischte sich eine Stimme von hinten ein.

„Herr Deroll, halten Sie sich bitte mal da raus!“, bat die Rektorin ihn. Dann wandte sie sich wieder den beiden Eltern zu.

„Na, es wundert mich überhaupt nicht, dass Sie das Miststück verteidigen! Schließlich ist das Balg ja Ihre Tochter!“, behauptete Freddy.

„Stimmt das, Herr Deroll?“, fragte die Direktorin erstaunt.

Dellis schwieg.

Clema auch.

„Frau Malis“, wandte sie sich nun an sie, „stimmt das?“

Clema seufzte. Dann schaute sie der Frau direkt in die Augen.

„Ja“, sagte sie leise.

Die Direktorin starrte Dellis an. „Und warum erfahre ich das erst jetzt? Herr Deroll, Sie kennen meine Prinzipien! Warum haben Sie mir das nicht gesagt?“, fuhr sie ihn aufgebracht an.

Dellis schluckte. „Ich – ich kenne sie doch kaum. Ich wusste zwar, dass sie es ist – aber das Kind, ich meine, Luna – sie weiß doch nichts davon!“, erklärte er.

„Aha. Und warum nicht?“, wollte die Rektorin wissen.

Dellis seufzte.

„Jetzt hören Sie mir mal zu, Herr Deroll – es hat schon mehrere Beschwerden über Sie gegeben! Und dass Sie mir das hier vorenthalten haben – nein, also wirklich! Jetzt reicht es! Wissen Sie was? Sie sind gefeuert! Raus! Gehen Sie! Ihre Klasse wird von heute an von jemand anderem unterrichtet!“, schrie die Rektorin und schmiss ihn raus.

Er schaute sie geschockt an, erwiderte nichts und verließ das Büro.

„Musste das sein?“, fragte Clema besorgt.

„Ach, das? Das wollte ich schon lange mal machen. Und jetzt zu Ihnen Beiden! Wenn Ihre Kinder sich auch nur noch einmal streiten sollten, dann wird es fürchterlichen Ärger geben, haben wir uns da verstanden?“, fuhr sie Clema und Freddy an.

Die Beiden nickten. Clema erhob sich. „Wenn Sie dann fertig sind? Ich gehe jetzt“, meinte sie und ging.

Dellis stand noch – vollkommen fassungslos – vor der Tür.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.

Er nickte. „Ja – doch – schon“, murmelte er. Er war blass.

Clema spürte, wie ihr Blut in Wallung geriet.

„Dellis“, flüsterte sie fast schon, „es – es tut mir leid. Ich meine, dass ich – ich – du weißt schon.“

Er nickte. „Dass du mich betrogen hast?“, fragte er und schaute sie direkt an.

Sie schüttelte den Kopf. „Wir haben doch Schluss gemacht!“, protestierte sie unter Tränen.

Er nickte. „Ich vergaß“, brummte er.

Sie wollte ihn umarmen, aber er wandte sich ab.

„Pass auf unser Kind auf“, sagte er noch, bevor er verschwand. Sie seufzte und machte sich auf den Heimweg.

„Und? Wie war es?“, fragte ihre Mutter, als sie zu Hause ankam.

„Nicht gut. Der Klassenlehrer meiner Tochter wurde gefeuert“, sagte sie, so neutral wie möglich. Sie musste ja nicht gleich alles verraten.

„Was? Herr Deroll wurde gefeuert? Aber – aber – warum denn das?“, fragte Luna verzweifelt.

Clema seufzte. „Ich weiß nicht recht. Irgendwie hatte die Rektorin es auf ihn abgesehen“, meinte sie.

„Deroll? Dellis Deroll? Dein Freund ist Grundschullehrer?“, fragte Salida irritiert.

Clema seufzte. „Er ist nicht mein Freund“, sagte sie bestimmt.

„Nicht? Wann habt ihr euch denn getrennt?“, hakte Salida nach.

„Wann warst du denn mit Herr Deroll zusammen?“, fragte Luna verwirrt.

Clema starrte ihre Mutter an. Sie merkte es nicht.

„Aber – wieso kann ich mich denn nicht daran erinnern?“, fragte sie weiter.

Salida antwortete: „Aber Schatz, Dellis ist doch dein Vater!“

Luna starrte Clema an. „Mama – stimmt das?“, fragte sie. Sie fühlte sich irgendwie komisch.

Clema seufzte. „Mutter! Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass es besser wäre“, sie verstummte und verzog nur ihr Gesicht, damit die Kleine nicht mitbekam, was sie sagen wollte.

„Was wäre besser?“, wollte Luna aufgebracht wissen.

Clema schluckte. „Das alles. Hör nicht auf meine Mutter. Sie ist alt. Viel zu alt. Geh! Mama, geh weg! Hau ab, ich will nicht, dass du noch weiter redest. Bitte, geh“, sagte sie matt.

Salida raffte ihre Sachen eingeschnappt zusammen und verschwand durch die Tür.

Luna schaute Clema noch immer herausfordernd an.

„Ich möchte jetzt nicht mehr darüber reden“, erklärte sie, als sie den Blick ihrer Tochter bemerkte.

„Aber“, wollte sie gerade protestieren, als Clema sie unterbrach:

„Und wehe dir, du legst dich auch nur noch ein Mal mit Elias Zahnmeister an! Das nächste Mal, wenn er dich irgendwie beleidigt oder provoziert, dann ignorierst du ihn einfach, verstanden?“

Luna schluckte. So wütend hatte sie ihre Mutter nur selten gesehen.

„Ja, verstanden“, murmelte sie und ging zu Bett.

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