Читать книгу Bon Courage - Band 3 - Hannelore Gottschalk - Страница 11
27 D Im Tal der Loire
ОглавлениеAmboise
Zu allen Zeiten haben die Dichter es gepriesen, das Tal der Loire, seine sanfte Sinnlichkeit, sein silbernes Licht, seine mehr als dreihundert châteaux am pastellfarbenen Ufer unter dem reinen Blau eines Himmels, der seinen heiteren Glanz auch noch den grauen Gebilden der Wolken mitzuteilen scheint, die mit den wandernden Sandbänken im gemächlich dahinziehenden Strom korrespondieren. Und nicht nur, weil sie Frankreichs längster Fluß ist, hat man die Loire die »Königin der Flüsse« genannt. Sie ist es auch ihrer besonderen Atmosphäre wegen. Wenn sie von ihrem Ursprung aus, einer Vulkankuppe im südöstlichen Massif Central, ihre Mündung bei Saint-Nazaire, westlich von Nantes, in den Atlantik erreicht hat, dann liegen 1012 Kilometer Wegstrecke hinter ihr. Dabei verbindet sie in einem etwa 300 Kilometer langen Abschnitt zwischen Gien, südöstlich von Orléans, und Angers, das an einem Nebenfluß liegt, vier Provinzen miteinander, in denen die berühmtesten Schlösser, Städte und Kirchen zu finden sind: Orléanais, Blésois, Touraine und Anjou.
Wo heute auf idyllischen Sandbänken Fischer ihre Angelschnüre auswerfen, zogen früher Flachkähne mit Weinfässern vorüber. Eisenbahn- und Lastwagenverkehr haben die Loire als Wasserstraße entthront. Erst ab Angers flußabwärts ist sie heute noch schiffbar. Aber gerade, daß man sie nicht reguliert und begradigt hat, macht ihren Charme aus. »Die Loire, diese Pulsader unseres Frankreich! Strom des Lichtes, süßen glücklichen Lebens!« schrieb der französische Bildhauer Auguste Rodin (1840–1917). »Wo findet man, außer in diesen Gegenden, solche beruhigende, stärkende Gleichmäßigkeit von Luft und Licht?«
Das fragten schon in früheren Jahrhunderten die Könige von Frankreich und errichteten ihre Schlösser an der Loire. Das größte unter ihnen ist Château de Chambord, nur wenige Kilometer östlich von Château de Blois. Franz I. begann mit dem Bau dieses Prunkschlosses, dessen Architekt unbekannt ist und das wegen seiner zu gigantisch geplanten Ausmaße unvollendet blieb. Trotzdem war das château bereits 1539 so beeindruckend, daß Karl V., dem der ehrgeizige Bauherr darin einen pompösen Empfang bereitete, es als Inbegriff dessen bezeichnete, »was menschliche Kunst hervorzubringen vermag«.
Erst im Todesjahr Franz I., 1547, konnten die persönlichen Räume des Königs fertiggestellt werden. Das Schloß zählt 440 Zimmer, 365 Schornsteine, 14 große und 70 kleine Treppen – ein Arrangement skurriler, launiger Überraschungen und Extravaganzen. Wie in Blois finden wir auch hier überall die königlichen Embleme Franz I. wieder. Mit Raffinesse ist die ineinander verschlungene doppelte Wendeltreppe gestaltet. Sie diente der Diskretion: Hinauf- und Hinuntergehende können sich nicht begegnen. Eine phantastische Kulisse von Türmen, Lukarnen und Kaminen bildet die verspielte Dachkonstruktion mit ihren wie in die Lüfte hochgewehten Turmhelmen und Kuppeln. François René Vicomte de Chateaubriand, der französische Dichter der Frühromantik, sagte einmal: «Chambord se présente comme une femme dont le vent aurait soufflé en l’air la chevelure.» – »Chambord gleicht einer Frau, deren Haar der Wind in die Höhe getragen hat.«
Im Unterschied zu Blois war Chambord aber nie Residenz. Es diente ausschließlich repräsentativen Vergnügungen und der Jagdleidenschaft des Königs. Von der Dachterrasse aus konnten die Damen die Treibjagden verfolgen, die in den wildreichen Wäldern rings um das Schloß abgehalten wurden.
Eines der schönsten Schlösser an der Loire ist Château d’Amboise. Der dort geborene Karl VIII. (1470–1498) ließ die mittelalterliche Burg im Stil der Renaissance ausbauen. Und wieder ist es Franz I., welcher in Amboise seine Jugend verbrachte, der es zum Zentrum eines glanzvollen Hoflebens und prächtiger Feste machte. Auch die adeligen Damen spielten dabei eine große Rolle. »Ein Hof ohne Frauen gleicht einem Jahr ohne Frühling, einem Sommer ohne Rosen«, soll er gesagt haben. Bedeutsamer aber ist, daß François Ier Künstler aus Italien an seinen Hof holte, unter ihnen Leonardo da Vinci (1452–1519). Dieser seinem Zeitalter weit vorauseilende Maler, Ingenieur und Erfinder technischer Zukunftswerke verbrachte unter dem Mäzenat Franz I. seinen Lebensabend auf Château de Cloux, dem heutigen Clos-Lucé, bei Amboise. In der chapelle St-Hubert, die als ein Juwel der Gotik im Schloß von Amboise erhalten blieb, erinnert ein Gedenkstein an den «uomo universale», den großen Universalmenschen der italienischen Renaissance.
Le château de Chambord
Wie in Blois werden wir in Amboise aber auch mit dem dunklen Kapitel des 16. Jahrhunderts, den Religionskriegen, konfrontiert. 1560, vier Jahrzehnte nach Leonardos Tod, wurden Hugenotten, die den jungen König Karl IX., den Sohn der Katharina von Medici, als Geisel nehmen wollten, auf Schloß Amboise grausam ermordet.
Mit solchen Erinnerungen aber wollen wir uns im Tal der Loire nicht länger beschweren, ist das Val de Loire doch trotz aller blutigen Ereignisse der Geschichte mit Recht als das Gebiet des «douce France», des lieblichen Frankreich, bekannt. Wenn wir uns Zeit nehmen, auf seine Schönheiten zu achten, zu denen neben zahllosen profanen und sakralen Bauten bedeutender Architektur auch prähistorische Menhire und Dolmen, alte Höhlenwohnungen im weichen Kalkstein und eine fast zweitausendjährige Kultur des Weinbaus gehören, dann werden wir gewahr, daß auch heute noch gilt, was der aus der Touraine stammende Honoré de Balzac (1799–1850) über das Loire-Tal schrieb: »Wenn du die Natur schön und jungfräulich wie eine Braut sehen willst, dann mußt du an einem Frühlingstag dort weilen. Im Frühling strömt dort alles Liebe aus.«
Wir verweilen auch noch im Tal der Loire und treffen uns zur nächsten Sendung in Tours. N’oubliez pas notre prochain rendez-vous.