Читать книгу Sekt(e) oder Selters - Hannes Wildecker - Страница 7

2. Kapitel

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Es war ein langer Tag gewesen heute. Für mich und für Leni. Wir waren den ganzen Tag auf den Beinen und hatten unser Büro erst am Abend wiedergesehen, als wir uns entschlossen, den Dienst für heute zu beenden und die weiteren Ermittlungen auf den kommenden Tag zu verschieben.

Es war kein Mord, kein Totschlag, kein Gewaltverbrechen, das uns den ganzen Tag über in Anspruch genommen hatte. Nein, es waren Taten, von denen man glaubte, dass sie mit Beginn des deutschen Wirtschaftswunders ausgestorben seien. Es handelte sich schlicht und ergreifend um einfache Wildereien im Hunsrück, genauer gesagt im Schwarzwälder Hochwald, im südwestlichen Teil des Hunsrücks, dem Grenzbereich des nördlichen Saarlands zu Rheinland-Pfalz.

Ein Jagdpächter mit Heimatwohnsitz in der Schweiz hatte hier einen großen Jagdbezirk gepachtet und auf einem seiner Pirschgänge Wildaufbrüche gefunden, worüber er sehr erbost war und woraufhin er sich vornahm, den Frevler selbst zu stellen. Doch als er in den folgenden Tagen weitere drei Aufbrüche jungen Rehwilds vorfand, schaltete er die Polizei ein und Leni und ich wurden mit der Angelegenheit beauftragt.

Es muss eben nicht immer Mord sein und wenn es in dieser Hinsicht ruhig blieb, hatte auch uns der Alltag mit seinen „normalen“ Straftaten wieder. Auch wenn wir nicht unbedingt zuständig für diese Art von Freveln waren, wenn es erforderlich wurde, unterstützten wir die schwach besetzten Ressorts, denn Polizisten waren wir nun mal alle.

Die Ermittlungen hatten uns jedoch kaum weitergebracht. Diverse Reifen- und Schleifspuren, die noch ausgewertet werden mussten, hatten wir gesichert, aber einen Verdacht in eine bestimmte Richtung gab es nicht. Der oder die Täter konnten aus dem Saarland, genauso gut aber auch aus Rheinland-Pfalz kommen. Der Schwarzwälder Hochwald bot auf Grund der Nähe der Landesgrenze die Möglichkeit für beide Bundesländer.

Leni war anschließend mit ihrer neuen Kawa in ihre Wohnung gefahren, nicht ohne mich noch einmal daran zu erinnern, mich in Forstenau nach einer Wohnung für sie umzusehen. Sie war nach wie vor fest entschlossen, sich auf dem Lande niederzulassen, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass wir bei der Bildung einer Mordkommission stets als Team zusammenarbeiteten. Als Team unter einem neuen Chef. Das hatte seinen Grund.

Kriminaldirektor Willibald Wittenstein hatte die Brocken hingeworfen, denn seine Gesundheit, nein, anders gesagt, seine Krankheit, das Asthma, das schon chronisch geworden war, hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Und der Neue? Kriminalrat Peter Krauss? Na ja. Gewöhnungsbedürftig, glaube ich, war die richtige Bezeichnung. Wenig Praxis und das Bestreben, seine Bildung in jeder freien Minute zu erweitern. Genauer gesagt war es so, dass er ein Fremdwort-Fetischist war und bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihm unbekannte Fremdworte aus Zeitungen und Illustrierten notierte, um sie dann mithilfe eines Fremdwort-Lexikons zu entschlüsseln und auswendig zu lernen.

Diese Leidenschaft hatte sich schnell herumgesprochen und so war es kaum verwunderlich, dass man ihn schon nach kurzer Zeit aufs Glatteis führte.

Zwei Kollegen, die für ihren Schalk bekannt waren, begannen beim Herannahen ihres Chefs eine Diskussion, die damit endete, dass einer der beiden sagte: „Nein, nein, mein Lieber, das finde ich doch sehr homophiktisch!“

Damit beendeten sie ihre Diskussion und wandten sich wieder ihrer Arbeit zu. Krauss aber suchte sofort sein Büro auf und die beiden Kollegen, die durch den Türspalt mit ansahen, wie Krauss in seinem Lexikon blätterte, konnten ihr Lachen kaum zurückhalten.

Als ich vom Polizeipräsidium in Trier wegfuhr war es kurz nach zwanzig Uhr. Ich nahm mir vor, mir im Hochwaldstübchen in Forstenau noch ein Bier zum Abschluss zu genehmigen und den Abend mit hoffentlich anwesenden Stammtischbrüdern ausklingen zu lassen. Ich brauchte das heute nach den anstrengenden Exkursionen im Wald, der Suche nach dem für diesen Fachbereich zuständigen Förster, der nicht greifbar war, weil er als Ausbilder für Schweißhundeführer irgendwo in Deutschland im Einsatz war. Wenn es um diese Art von Hunden ging, wartete Förster Hans Reinhard mit großem Wissen auf. Das konnte man dann auch in entsprechender Literatur nachlesen, denn Reinhard bewies als Autor von einschlägigen Fachbüchern ausdrücklich seine Kompetenz.

Die Fensterscheiben des Hochwaldstübchens waren so stark beschlagen, dass es von außen keine Hoffnung auf eine Sicht nach innen gab. Entsprechend musste der Betrieb im Lokal sein. Ich war gespannt, wen ich von meinen Stammtischbrüdern antreffen würde und öffnete die Tür, um sogleich von einer Wolke aus Tabaksmog, Alkoholduft und Fritten-Fett empfangen zu werden.

Die Bude war krachend voll, das hatte ich lange nicht mehr erlebt. Und sogar der Stammtisch war komplett, bis auf Siggi, den ich in der Küche vermutete. Hatte ich etwas verpasst? Geschah hier etwas, das ich hätte wissen müssen?

„Dann sind Sie aber der einzige Ahnungslose hier im Ort“, legte Glasheber los, als ich die bescheidene Frage nach einem eventuellen besonderen Ereignis stellte.

„Und ob etwas los ist hier in Forstenau, kann man doch so sagen, oder nicht, Herr Pastor?“, warf er mir die für mich unverständliche Bemerkung mit einem Blick auf Schaeflein zu.

„Kommen Sie! Setzen Sie sich zu uns! Da müssen wir doch etwas unternehmen!“

Ich verstand überhaupt nichts.

„Das kommt davon, wenn man dienstlich den ganzen Tag auf den Beinen ist und nach Dienstschluss sofort nach Hause fährt, um die Beziehung nicht zu gefährden“, dachte ich und setzte mich auf den freien Platz neben den Pastor.

„Also, für diejenigen, die es noch nicht wissen, sage ich es jetzt noch einmal, in aller Ruhe zum Mitschreiben und hoffe, dass keine falschen Behauptungen nach außen getragen werden!“, begann Ortsbürgermeister Hildebrandt und fuhr sich durch seine dunklen kurz geschnittenen Haare über dem jugendlichen Gesicht.

Mit 34 Jahren war er zum Dorfoberhaupt gewählt worden, das war jetzt fünf Jahre her. Eine Wiederwahl stand in Kürze an, wenn … ja, wenn er nicht den Unmut der Gemeinde auf sich zöge. Und die Gefahr bestand durchaus und da spielte es auch keine Rolle, wie er in fragwürdigen Angelegenheiten persönlich abgestimmt hatte. Ein weiterer Aspekt sprach gegen eine Wiederwahl. Seine Ehefrau Margarethe saß wegen Totschlags im Gefängnis und würde dort noch einige Zeit verweilen müssen. Hildebrandt blickte von einem zum anderen in die Runde.

„Jeder von Ihnen kennt die ehemalige Fuchsfarm hinter der Diskothek, auf dem Weg zum Segelflugplatz, oder?“

Allgemeines Nicken und Glasheber, aber auch Lauheim, waren in ihren Oberkörpern ein wenig nach vorne übergeknickt, um ja kein Wort zu verpassen. Auch sonst war es plötzlich still am Stammtisch geworden.

„Bis in die fünfziger Jahre wurden dort noch Silberfüchse für die Pelzindustrie gezüchtet“, fuhr Detlef Hildebrandt fort. „Danach stand das Anwesen einige Zeit leer, wurde schließlich mehrere Jahre an die verschiedensten Leute vermietet, bis es endlich wieder ohne Bewohner war. Als sich in den Jahren danach niemand mehr für das Anwesen interessierte, hat die Ortsgemeinde das Haus mit dem Land drum herum erworben. Der Gemeinderat spielte mit dem Gedanken, dort ein Freizeitgelände zu errichten. Unmittelbar am Waldrand, mit dem Segelflugplatz in der Nähe und vor allem der Ruhe, die dort herrschte, war das doch eine gute Idee, das müssen Sie alle zugeben!“

„Bis dann vor einigen Jahren die Diskothek in unmittelbarer Nähe errichtet wurde“, warf Lauheim ein.

„Genau! Und seit diesem Zeitpunkt war das Gelände für uns als Gemeinde uninteressant geworden und wir suchten händeringend nach einem Käufer.“

„Und den haben Sie ja nun gefunden!“

Schaeflein beugte sich nach vorne, soweit es sein dicker Bauch zuließ und sah Hildebrandt direkt ins Gesicht.

„Dabei haben Sie nur an das Geld gedacht, nicht aber an die Folgen, die dieses für die Gemeinde offensichtlich lukrative Geschäft hinterlassen wird.“

„Kann mir mal einer sagen, worum es eigentlich geht?“, meldete ich mich nun auch zu Wort und erhielt vorerst einmal keine Antwort, weil Lissy eine Runde Bier brachte und die Gläser nacheinander vor uns abstellte.

Ich roch das Frittenfett in ihren Kleidern und sah das vor Anstrengung glänzende Gesicht. Lissy tat mir irgendwie leid. Sie hatte hier alles im Griff, aber sie war nicht mehr so stark wie noch vor einigen Jahren. Seit dem Tod ihrer Tochter war das Hochwaldstübchen ihr einziger Wirkungskreis. Sie brauchten beide Abwechslung, sie und ihr Siggi.

„Ich bin dabei, es zu erklären“, riss mich Hildebrandt aus meinen Gedanken. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, wischte er sich einen Rest Schaum vom Mund, ehe er weitersprach.

„Und ich betone noch einmal, dass die Transaktion an den Käufer von uns gut überlegt und heiß diskutiert wurde. Das sehen Sie auch an dem knappen Abstimmungsergebnis im Rat ...!“

„Das uns aber auch nicht weiterhilft!“

Schaeflein begann sich zu ereifern und hatte offensichtlich nicht vor, Hildebrandt noch einmal zu Wort kommen zu lassen.

„Meine Herren, um es kurz zu sagen: Die Gemeindeväter haben das Anwesen an eine Sekte verkauft. An eine Glaubensgemeinschaft, die in diesem Ort und über seine Grenzen hinaus nichts Gutes im Schilde führen wird, davon können Sie ausgehen!“

„Eine Sekte?“

Ich glaubte, nicht richtig zu hören.

„Eine Sekte? Na und? Was ist das Schlimme dabei. Jedem Tierchen sein Plaisierchen und jedem Menschen seine Glaubensrichtung. Gehen Sie doch mal in die Städte! Jede Menge religiöser Gemeinschaften. Katholische und evangelische Kirchen, Muslime werden ihre Moscheen mit Minaretten bauen. Na und? Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals zu Problemen gekommen ist.“

„Das ist die Stadt, Spürmann! Die Stadt! Aber wir leben hier in der Provinz!“

Schaeflein war außer sich. „Es wird zu Abwerbungen von Mitgliedern unserer Pfarrei kommen und es wird familiäre Probleme geben. Wenn die jemanden in ihren Fängen haben! Scientology! Ich sage nur: Scientology! Gehirnwäsche und so. Wer einmal in deren Krallen hängt, für den gibt es kein Zurück mehr! Wir haben seit Bestehen dieses Ortes unsere Religion. So soll es auch bleiben! Du sollst keine fremden Götter neben mir haben, spricht der Herr!“

„So schlimm wird es schon nicht sein. Irgendwo verehren doch alle Glaubensgemeinschaften den gleichen Gott“, gab ich einen vorsichtigen Einwand und erntete einen strafenden Blick.

„Und wir wissen doch nicht einmal, was da auf uns zukommt“, fuhr ich fort. „Ist es eine Sekte? Ist es eine Glaubensgemeinschaft? Das ist doch ein großer Unterschied.“

„Auf geradem Weg zu Gott!“

Glasheber hatte es mit Blick auf sein Weizenbierglas vor sich hin gesagt.

„Ja, so sollte es sein. Auf geradem Weg zu Gott!“ Schaeflein atmete schwer. „Aber …!“

„So nennt sich diese Sekte. Auf geradem Weg zu Gott. Klingt doch sehr religiös“, ließ sich Lauheim kleinlaut vernehmen. „Man sollte nicht voreingenommen sein!“

„Ich weiß auch nicht, worüber wir uns hier aufregen!“ Hildebrandt trank den letzten Schluck aus seinem Bierglas und stand auf. „Es ist doch eh alles unter Dach und Fach. Sie werden sehen: Viel Lärm um nichts! Ich muss weg. Habe noch einen Termin. Einen Todesfall, Sie verstehen.“

Wir verstanden. Inzwischen hatte Hildebrandt seinen Job als Leichenbestatter zum Hauptberuf gemacht und hatte alle Hände voll zu tun in Forstenau, aber auch in den Nachbargemeinden, denn gestorben wird ja bekanntlich immer. Mit der Art seines Stresses hatten sich die Gremien, die mit ihm zusammenarbeiteten, längst abgefunden. Sie wussten, dass er meist zu spät zu den Treffen kam und auch, dass er dieselben meist vorzeitig verlassen musste. Versuchte er dann doch einmal pünktlich zu sein, waren es Anrufe auf seinem Mobiltelefon, die für seinen vorzeitigen Abgang sorgten.

Auch Schaeflein erhob sich und legte einen Geldschein auf den Tisch.

„Ignoranten! Alles Ignoranten. Sie werden noch an mich denken, aber dann wird es zu spät sein!“, wetterte er im Hinausgehen und ich bildete mir tatsächlich ein, eine dunkle Zorneswolke über seinem Hut feststellen zu können, die ihn auf seinem Weg nach draußen begleitete.

Ich nahm mir vor, in den nächsten Tagen das Haus dieser Sekte aus entsprechender Distanz einmal in Augenschein zu nehmen, aber mehr auch nicht, ganz privat. Schließlich war die Existenz anderer Glaubensgemeinschaften als der gewohnten nicht strafbar und solange sie nicht gegen das Gesetz verstießen, waren ihre Anhänger harmlose Bürger wie alle anderen auch.

Lisa, meine Lebensgefährtin, hatte heute Kirchenchorprobe und mir deshalb einen Zettel mit einer Nachricht hinterlassen.

Seit dem Vorfall in Bad Sobernheim mit ihrer Freundin Christine war sie ängstlicher geworden und ließ mich stets wissen, wo sie erreichbar war.

Weder sie noch Christine hatten sich so richtig von dem erlittenen Schock erholt, als ihre Freundin fast Opfer einer illegalen Organhandel-Bande geworden war. In letzter Minute konnten wir sie aus den Fängen der Verbrecher befreien und den gesamten Ring sprengen. Ich war kaum zu Hause und hatte die Beine auf der Couch hochgelegt, da war ich auch schon eingeschlafen. Irgendwann weckte mich Lisa. Sie trug ihr dunkelblondes langes Haar heute offen, und als sie mich küsste, vereinnahmte ihre Haarpracht mein Gesichtsfeld komplett.

Widerstandslos ließ ich mich von Lisa ins Schlafzimmer führen und entschwand, kaum lag ich im Bett, mit einer geflüsterten Entschuldigung ins Reich der Träume.

Sekt(e) oder Selters

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