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Kapitel XV Abreise von Caracas – Berge von San Pedro und von Los Teques – Victoria – Täler von Aragua

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Um auf dem kürzesten Wege von Caracas an die Ufer des Orinoco zu gelangen, hätten wir die südliche Bergkette zwischen Baruta, Salamanca und den Savannen von Ocumare übersteigen, die Steppen oder Llanos von Orituco durchqueren und uns in Cabruta in der Nähe der Mündung des Río Guarico einschiffen müssen; dieser gerade Weg jedoch hätte uns des Vorteils beraubt, den schönsten und vorzüglich angebauten Teil der Provinz, die Täler von Aragua, zu sehen, das Nivellement eines interessanten Teils der Küstenkette mit dem Barometer aufzunehmen und den Río Apure bis zu seiner Verbindung mit dem Orinoco hinabzufahren. Ein Reisender, der sich das Studium der Gestalt und der natürlichen Reichtümer eines Landes vornimmt, läßt sich nicht von der Entfernung, wohl aber vom Interesse an den Gegenden bestimmen, die er besuchen will. Dies war der mächtige Beweggrund, der uns auf die Berge von Los Tequos, nach den heißen Quellen von Mariara, an die fruchtbaren Ufer des Valencia-Sees und durch die weit ausgedehnten Savannen von Calabozo nach San Fernando de Apure, in den östlichen Teil der Provinz Barinas geführt hat. Auf diesem Wege gelangten wir anfangs in westlicher Richtung auf dem Apure in den Orinoco, auf der Parallele von 7° 36′23″.

Weil auf einem Weg von 600 bis 700 lieues die Längen durch das Zeitmaß von Caracas und von Cumaná bestimmt worden sind, wurde unumgänglich notwendig, die Lage dieser beiden Städte genau und mittels absoluter Beobachtungen zu fixieren. Ich habe oben, im zehnten Kapitel, das Ergebnis der astronomischen Beobachtungen mitgeteilt, die im ersten Punkt der Abreise, in Cumaná, angestellt wurden; was den zweiten Punkt, das nördlichste Ende von Caracas betrifft, so befindet es sich unter 10° 30′ 50″ Breite und 69° 25′ 0″ Länge. Die magnetische Deklination fand ich am 22. Januar 1800 außerhalb der Stadt, unfern vom Tor de la Pastora, 4° 38′ 45″ nordöstlich und am 30. Januar, innerhalb der Stadt, im Universitätsgebäude, 4° 39′ 15″, demnach um 26′ größer als in Cumaná. Die Inklination der Magnetnadel war 42,90° (der hundertteiligen Skala). Die Zahl der Schwingungen, welche die Stärke der magnetischen Kraft bezeichnet, stieg in 10′ zu Caracas auf 232; in Cumaná auf 229. Diese Beobachtungen konnten nicht sehr vervielfältigt werden: Sie sind das Ergebnis dreimonatiger Arbeit.

Am Tage unserer Abreise aus der seither von schrecklichen Erdbeben zerstörten Hauptstadt von Venezuela nahmen wir unsere Nachtlager am Fuß der waldigen Berge, von denen das Tal südwestwärts geschlossen wird. Wir folgten dem rechten Ufer des Río Guaire bis zum Dorf Antimano auf einer sehr schönen und zum Teil in den Felsen gehauenen Straße. Man kommt durch La Vega und Carapa. Die Kirche von La Vega hebt sich ungemein malerisch von einer kleinen Hügelreihe ab, die mit dichtem Pflanzenwuchs bekleidet ist. Verstreute Häuser, die um die Dattelbäume stehen, scheinen den Wohlstand ihrer Bewohner zu verkünden. Eine Kette niedriger Berge trennt den kleinen Guaire-Fluß von dem in der Geschichte des Landes berühmten Tal de la Pascua sowie von den vormaligen Goldminen von Baruta und Oripoto. Beim Aufsteigen nach Carapa genießt man nochmals die Ansicht der Silla, die sich als eine gewaltige, zum Meer steil abfallende Kuppel darstellt. Dieser abgerundete Gipfel und der einer Mauer gleich gekerbte Kamm des Galipano sind in diesem aus Gneis und Glimmerschiefer gebildeten Becken die einzigen Formen, welche der Landschaft Eigentümlichkeit gewähren. Die übrigen Bergspitzen haben eine traurig einförmige Gestaltung.

Kurz vor der Ankunft im Dorf Antimano stößt man rechts auf eine sehr merkwürdige geologische Erscheinung. Wegen eines neuen, in den Felsen gehauenen Weges wurden zwei mächtige Gneisgänge im Glimmerschiefer freigelegt. Sie sind fast senkrecht, durchschneiden alle Schichten des Glimmerschiefers und sind 6 bis 8 Toisen mächtig. Diese Gänge enthalten nicht Bruchstücke, sondern Kugeln von körnigem Diabas mit konzentrischen Schichten. Diese Kugeln bestehen aus einer innigen Mischung von Hornblende und blättrigem Feldspat. Diese nähert sich einige Male dem glasigen Feldspat, wenn er in sehr dünnen Blättern in einer Masse von zersetztem und einen starken Tongeruch ausströmendem körnigem Diabas verstreut ist. Der Durchmesser der Kugeln ist sehr ungleich und beträgt bald nicht über 4 bis 8 Zoll, bald vergrößert er sich auf 3 bis 4 Fuß; ihr Kern ist dichter, ohne konzentrische Schichten und von schwärzlichem Flaschengrün. Ich fand keinen Glimmer darin, hingegen, was sehr merkwürdig ist, viel zerstreuten Granat. Dieser Granat, von schönem Rot, kommt nur im Grünstein vor und weder im Gneis, der den Zement der Kugeln bildet, noch in dem Glimmerschiefer, den die Gänge durchziehen. Der Gneis, dessen Bestandteile sich in einem Zustand von beträchtlicher Auflösung des Zusammenhanges befinden, enthält große Feldspatkristalle; und obgleich er die Gangmasse im Glimmerschiefer bildet, wird er selbst doch von Quarzadern durchzogen, die zwei Zoll mächtig und von einer ganz neuen Formation sind. Der Anblick dieser Erscheinung hat etwas Seltsames. Man möchte sagen, Kanonenkugeln seien in einer Felsenmauer eingesät worden. Ich glaubte in derselben Gegend, in der Montaña de Avila und am Kap Blanco, auf der Ostseite von Guaira, einen körnigen Diabas, mit etwas Quarz und Pyrit vermengt, aber ohne Granat, nicht in Gängen, sondern in untergeordneten Bänken im Glimmerschiefer erkannt zu haben. Diese Lagerung kommt unzweifelhaft auch in Europa in Urgebirgen vor; aber im allgemeinen ist der körnige Diabas häufiger an das System des Übergangsgebirges, insbesondere an den Übergangstonschiefer gebunden, der in Schichten von stark kohlenhaltigem Lydischem Stein, von Kiesel-Alaunschiefer und schwarzem Kalkstein in Menge vorkommt.

In der Nähe von Antimano standen alle Obstgärten voll blühender Pfirsichbäume. Dieses Dorf sowie das Tal und die Ufer des Macarao liefern dem Markt von Caracas Pfirsiche, Quitten und andere europäische Früchte im Uberfluß. Zwischen Antimano und Las Ajuntas muß man siebzehnmal über den Río Guaire setzen. Der Weg ist sehr beschwerlich; doch statt der Anlage einer neue Straße würde man besser das Bett des Flusses verlegen, der infolge der kombinierten Wirkung der Infiltration und der Verdunstung viel Wasser verliert. Jede Krümmung bildet eine mehr oder weniger ausgedehnte Lache. Dieser Verlust muß bedauerlich sein in einer Provinz, deren angebauter Boden überall, mit Ausnahme der zwischen dem Meer und der Küstenkette von Mariara und Niguatar gelegenen Landschaft, überaus trocken ist. Die Regenniederschläge sind dort viel seltener und unbedeutender als im Inneren Neu-Andalusiens, in Cumanacao und an den Gestaden des Guarapiche. Zwar stiegen manche Berge von Caracas in die Wolkenregion empor; aber die Schichten des Urgebirges sind unter einem Winkel von 70 bis 80° geneigt und fallen großenteils in nordwestliche Richtungen ein, so daß sich das Wasser entweder im Inneren des Bodens verliert oder in reichlichen Quellen nicht auf der Süd-, sondern auf der Nordseite der Küstenberge von Niguatar, Avila und Mariara zutage kommt. Die Erhebung der Gneis- und Glimmerschieferschichten im Süden scheint mir großenteils die extreme Feuchtigkeit des Küstenlandes zu erklären. Im Inneren der Provinz finden sich Gegenden von zwei bis drei Quadratlieues Umfang ohne Quellen. Das Zuckerrohr, der Indigo und der Kaffeebaum können nur da gedeihen, wo sich laufendes Wasser findet, das während der großen Trockenheit zu künstlicher Bewässerung gebraucht werden kann. Die ersten Kolonisten haben sehr unklugerweise die Wälder zerstört. Die Verdunstung ist extrem auf einem steinigen Boden, der von Felsen umgeben ist, die überall Wärme zurückstrahlen. Die Küstenberge gleichen einer Mauer, die sich von Osten nach Westen, von Kap Codera gegen die Tucacas-Spitze ausdehnt; sie halten die feuchte Luft der Küste, die unteren Schichten der Atmosphäre, die unmittelbar dem Meer aufliegen und die größte Menge Wasser gelöst enthalten, vom Eindringen in das Innere ab. Es finden sich nur wenige Lücken und Schluchten, die wie die Bresche von Catia oder Tipe vom Küstenland nach den hochgelegenen Längstälern führen. Kein großes Flußbett und kein Golf erlaubt dem Wasser des Ozeans, sich in das Land einzubuchten und dort Feuchtigkeit mittels reichlicher Verdunstung zu spenden. Zwischen dem 8. und 10. Breitengrad lassen viele Bäume im Januar und Februar in den Regionen, wo die Wolken den Boden nicht streifen, Laub fallen, gewiß nicht wegen der kälteren Temperatur wie in Europa, sondern weil in dieser von der Regenzeit entferntesten Jahreszeit die Luft nahe dem Maximum ihrer Trockenheit ist. Einzig die Pflanzen mit glänzenden und überaus zähen Blättern können diesem Mangel an Feuchtigkeit widerstehen. Den Reisenden befremdet der Anblick einer fast winterlichen Landschaft unter dem schönen Himmel der Tropenländer; sobald man die Ufer des Orinoco erreicht hat, erscheint aber auch wieder das frischeste Grün. Ein anderes Klima herrscht hier, und die großen Wälder erhalten durch ihren eigenen Schattén dem Erdboden einen gewissen Grad von Feuchtigkeit und schützen ihn gegen die verzehrende Sonnenhitze.

Jenseits des kleinen Dorfes Antimano verengt sich das Tal beträchtlich. Der Fluß wird von Lata, einer schönen Graminee mit zweizeiligen Blättern, eingefaßt, die bis zu 30 Fuß Höhe erreicht, die wir unter den Namen Gynerium [G. saccharoides] beschrieben haben. Um jede Hütte stehen gewaltige Stämme der Persea [Laurus persea, Avocayer], an deren Fuß Aristolochien, Paullinien und noch viele andere Kletterpflanzen wachsen. Die waldbedeckten benachbarten Gebirge schienen an diesem nördlichen Ende des Tals von Caracas Feuchtigkeit zu verbreiten. Die Nacht vor unserer Ankunft in Las Ajuntas brachten wir in einer Zuckerpflanzung zu. Ein viereckiges Haus bewohnten rund 80 Neger; sie lagen auf Ochsenhäuten, die auf dem Boden ausgebreitet waren; in jedem Zimmer des Hauses gab es vier Sklaven und das Innere glich einer Kaserne. Im Hof der Hacienda brannte ein Dutzend Feuer, an denen gekocht wurde. Die lärmende Fröhlichkeit der Schwarzen fiel uns erneut auf, wir hatten Mühe einzuschlafen. Der bewölkte Himmel verhinderte Sternbeobachtungen. Der Mond schien nur von Zeit zu Zeit. Der Anblick der Landschaft war traurig und einförmig und alle umstehenden Hügel von Maguey bedeckt. Man arbeitete an einem kleinen Ableitungskanal, welcher der Hacienda in 70 Fuß Höhe das Wasser des Río San Pedro zuführen sollte. Nach einer barometrischen Beobachtung liegt der Boden der Hacienda nur 50 Toisen über dem Bett des Río Guaire bei La Noria nahe Caracas.

Man fand den Boden dieser Gegenden wenig günstig für die Kultur des Kaffeebaums, der überhaupt im Tal von Caracas einen geringeren Ertrag gibt, als man anfangs, zur Zeit seiner ersten Pflanzungen in der Nähe von Chacao, geglaubt hatte. Um sich einen allgemeinen Begriff von der Wichtigkeit dieses Handelszweiges zu machen, muß man sich erinnern, daß die ganze Provinz Caracas im Zeitraum ihres größten Wohlstands vor den Revolutionskriegen von 1812 bereits 50.000 bis 60.000 Zentner Kaffee erzeugt hat. Dieser den vereinten Ernten von Guadeloupe und Martinique fast gleichkommende Ertrag muß um so beträchtlicher erscheinen, wenn man weiß, daß erst seit 1784 ein achtungswerter Bürger, Don Bartolomeo Blandín, die Einführung dieses Kulturzweigs an den Küsten der Tierra Firme versucht hatte. Weil Herr de Pons in seiner statistischen Beschreibung des Generalkapitanats von Venezuela über den Zustand des Handels und der Landwirtschaft nur bis zum Jahr 1804 Nachrichten geben konnte, dürfte es angenehm sein, hier einige neuere und ebenso zuverlässige Angaben zu finden. Die schönsten Kaffeepflanzungen befinden sich gegenwärtig in der Savanne von Ocumare, in der Nachbarschaft von Salamanca, und in Rincón sowie in den Berggegenden von Los Manches, San Antonio Hatillo und Los Budares. Der in den drei letzten Orten gezogene Kaffee ist von vorzüglicher Güte; hingegen ist der Ertrag der Sträucher geringer, was man der Höhe des Orts und dem kühlen Klima zuschreibt. Die großen Pflanzungen in der Provinz Venezuela, wie Aguacates in der Nähe von Valencia und Rincón, können in guten Jahren Ernten von 3000 Zentnern liefern. 1796 betrug noch die Gesamtausfuhr der Provinz nicht mehr als 4800 Zentner, 1804 war sie auf 10.000 gestiegen, und doch hatte sie bereits seit 1798 begonnen. Die Preise betrugen abwechselnd 6 bis 18 Piaster pro Zentner. In Havanna hat man sie bis auf 3 Piaster sinken sehen; es lagen aber auch in dieser, für die Kolonisten höchst verderblichen Zeit, in den Jahren 1810 und 1812, über 2.000.000 Zentner Kaffee (im Wert von 10.000.000 Pfund Sterling) in den Vorratskammern Englands angehäuft.

Die große Vorliebe, die in dieser Provinz für die Kaffeepflanzung vorhanden ist, gründet sich zum Teil auf den Umstand, daß die Körner sich viele Jahre aufbewahren lassen, während trotz aller angewandten Sorgfalt Cacao nach zehn Monaten oder einem Jahr in den Magazinen zugrunde geht. Während der lang andauernden Kriege der europäischen Mächte, zu einer Zeit, wo der Mutterstaat zu schwach war, um den Handel der Kolonien zu schützen, mußte sich der Arbeitsfleiß vorzugsweise einem Erzeugnis zuwenden, dessen Absatz weniger Eile hatte und demnach günstigere politische sowohl als Handelsverhältnisse abwarten konnte. In den Kaffeepflanzungen von Caracas sah ich, daß für die Anpflanzungen seltener die zufällig unter den Sträuchern gekeimten jungen Pflanzen gesammelt wurden, hingegen mehr die von der Beere zwar getrennten, aber doch einem Teil ihres Fleisches noch anhängenden Körner fünf Tage zwischen angehäufte Bananenblätter gelegt und zum Keimen gebracht wurden. Diese keimenden Samen werden hernach in die Erde gelegt; sie liefern Pflänzchen, die der Sonnenhitze besser widerstehen können als die in der Kaffeepflanzung selbst und im Schatten auf gewachsenen. Es werden hierzulande meist 5300 Stück im Umfang einer fanega, welche 5476 Quadrat-Toisen hat, gepflanzt. Wenn ein solches Stück Land zur künstlichen Bewässerung tauglich ist, kostet es im nördlichen Teil der Provinz 500 Piaster. Der Kaffeebaum blüht erst im zweiten Jahr, und seine Blüte dauert nicht über 24 Stunden. Während dieser Zeit gewährt der Strauch einen überaus schönen Anblick. Von ferne betrachtet, sieht er wie mit Schnee bedeckt aus. Die Ernte des dritten Jahres ist schon sehr ansehnlich. In sorgfältig gejäteten und gut bewässerten Pflanzungen, in frisch umbrochenem Boden trifft man erwachsene Bäume an, die bis 16, 18 und selbst 20 Pfund Kaffee geben. Im Durchschnitt aber kann man nicht mehr als anderthalb bis zwei Pfund von jeder Pflanze auf eine Ernte rechnen, was bereits ein günstigerer Durchschnittsertrag ist als der auf den Antillen. Der Regen, wenn er zur Blütezeit fällt, der Mangel an Wasser für die künstliche Bewässerung und eine Schmarotzerpflanze, die eine neue Art des Loranthus ist und sich um die Äste schlingt, werden den Kaffeepflanzungen sehr schädlich. Wenn man in Pflanzungen von 80.000 und von 100.000 Sträuchern die ungeheure Masse organischer Substanz betrachtet, die in der fleischigen Beere des Kaffeebaums enthalten ist, erstaunt man, daß man niemals versucht, Alkohol daraus zu gewinnen.

Wenn die Unruhen von Santo Domingo, die augenblickliche Teuerung der Kolonialwaren und die Auswanderung der französischen Pflanzer die ersten Ursachen der Anlegung von Kaffeepflanzungen auf dem amerikanischen Kontinent, auf der Insel Cuba und auf Jamaica gewesen sind, hat doch dieser Ertrag nicht das Defizit der Ausfuhr der französischen Antillen kompensiert. Er hat sich relativ zu der Bevölkerung, der veränderten Lebensart und dem steigenden Luxus der europäischen Völker vergrößert. Die Insel Santo Domingo hatte zu Herrn Neckers Zeit, im Jahr 1780, eine Ausfuhr von nahezu 76.000.000 Pfund Kaffee. Die Ausfuhr im Jahr 1812 und in den drei vorhergehenden Jahren betrug nach den Angaben des Herrn Colquhoun noch 36.000.000. Die weniger beschwerliche und weniger kostspielige Kultur des Kaffeebaums hat seit Einführung der Herrschaft der Schwarzen weniger gelitten als der Anbau des Zuckerrohrs. Das Defizit von 40.000.000 Pfund aber ist gegenwärtig ersetzt durch

26.500.000 Pfund Ertrag von Jamaica;

20.000.000 Pfund Ertrag von Cuba;

11.400.000 Pfund Ertrag von Surinam, Demerary, Berbice und Curaçao;

6.000.000 Pfund Ertrag Venezuelas;

13.000.000 Pfund Ertrag der Insel Java

75.900.000 Pfund

Die Gesamteinfuhr des amerikanischen Kaffees in Europa übersteigt gegenwärtig 106.000.000 Pfund französischen Marktgewichts. Rechnet man dazu noch 4.000.000 bis 5.000.000 von der Île de France und der Insel Bourbon, nebst 30.000.000 aus Arabien und Java, findet man, daß der europäische Gesamtverbrauch 1817 fast 140.000.000 Pfund erreicht hat. In den Untersuchungen, die ich 1810 über die Kolonialwaren anstellte, blieb ich bei einer kleineren Summe stehen. Dieser ungeheure Kaffeeverbrauch hat dem des Tees keine Einbuße gebracht, zumal die Ausfuhr von diesem aus China in den 15 letzten Jahren um mehr als ein Viertel gestiegen ist. Tee könnte so gut wie Kaffee im bergigen Teil der Provinzen von Caracas und Cumaná angebaut werden. Es finden sich dort alle Klimate gleich Stockwerken übereinandergeschichtet, und dieser neue Kulturzweig würde dort ebenso gut gedeihen wie in der südlichen Halbkugel, wo die brasilianische Regierung, die Arbeitsfleiß und religiöser Duldung großzügigen Schutz leiht, gleichzeitig den Tee, die Chinesen und die Glaubenslehren des Fo einwandern ließ. Noch sind nicht 100 Jahre verflossen, seit die ersten Kaffeebäume in Surinam und auf den Antillen gepflanzt wurden, und bereits steigt der Ertrag der amerikanischen Ernten zum Werte von 15.000.000 Piaster an, wenn der Zentner Kaffee auch nur zu 14 Piaster gerechnet wird.

Am 8. Februar [1800], bei Sonnenaufgang, machten wir uns auf den Weg zur Überquerung des Higuerote, einer Gruppe hoher Berge, welche die zwei Längstäler von Caracas und Aragua voneinander trennen. Nachdem wir nahe bei Las Ajuntas die Vereinigung der Flüßchen San Pedro und Macarao, die den Río Guaire bilden, überschritten hatten, erstiegen wir einen steilen Abhang, der zum Plateau von Buena Vista führt. Man trifft hier einige vereinzelte Häuser an. Die Aussicht weitet sich nordöstlich über die Stadt Caracas und südlich über das Dorf Los Teques aus. Die Landschaft ist wild und sehr waldig. Die Pflanzen des Tales von Caracas waren allmählich verschwunden. Wir befanden uns 835 Toisen über dem Meer. Es ist dies fast die Höhe von Popayán, aber die mittlere Temperatur des Orts beträgt wahrscheinlich nur 17 bis 18°. Die Passage über diese Berge wird häufig benutzt; man begegnet unaufhörlich langen Zügen von Maultieren und Ochsen; das ist die Landstraße, die aus der Hauptstadt nach Victoria und in die Täler von Aragua führt. Der Weg ist in einen talkigen und verwitterten Gneis eingeschnitten. Eine mit Glimmerblättchen vermischte Tonerde bedeckt den Fels drei Fuß hoch. Im Winter leidet man unter dem Staub, während in der Regenzeit das Land zum Sumpf wird. Beim Hinabsteigen vom Plateau von Buena Vista findet sich etwa 50 Toisen tiefer südostwärts eine wasserreiche Quelle, die aus dem Gneis hervorkommt und mehrere von dichtestem Pflanzenwuchs eingefaßte Kaskaden bildet. Der Fußweg, welcher zur Quelle führt, ist so steil, daß man die Spitze der Baumfarne, deren Stamm über 25 Fuß hoch ist, mit der Hand erreichen kann. Die umstehenden Felsen sind mit Jungermannia und Mosen aus der Hypnum-Familie überzogen. Der von der Quelle gebildete und von der Heliconia beschattete Bergstrom entblößt in seinem Sturz die Wurzeln von Plumeria, Cupey, Brownea und Ficus gigantea. Diese feuchte und von Schlangen unsicher gemachte Gegend bietet den Botanikern die reichsten Ernten dar. Brownea, von den Einwohnern Rosa del Monte oder Palo de Cruz genannt, trägt bis 400 oder 500 Purpurblüten in einem einzigen Strauß. Jede Blüte hat sehr beständig elf Staubfäden. Das prachtvolle Gewächs, dessen Stamm die Höhe von 50 bis 60 Fuß erreicht, wird selten, weil sein Holz eine sehr gesuchte Kohle liefert. Der Boden ist mit Ananas, Hemimeris, Polygalas und Melastomen überzogen. Eine kletternde Graminee [Carice] vereinigt mit leichten Gewinden Bäume, deren Vorkommen das sehr kühle Klima dieser Berge bezeugt. Darunter sind Avalia capitata, Vismia caparosa und Clethra fagifolia. Mitten unter diesen der schönen Region der Baumfarne (región de los helechos) eigentümlichen Gewächsen erheben sich an lichten Stellen einige Palmbäume und einzelne Gruppen des Guarumo oder der silberblättrigen Cecropia, deren dünne Stämme gegen die Spitze zu schwarz und wie durch den Sauerstoff der Atmosphäre verbrannt aussehen. Es ist ein befremdlicher Anblick, daß ein derart schöner Baum, der die Gestalt der Theophrasta und Palmbäume hat, gewöhnlich nur acht bis zehn Kronblätter trägt. Die Ameisen, die im Stamm des Guarumo oder Jarumo nisten und seine inneren Gefache zerstören, scheinen sein Wachstum zu hemmen. Wir hatten schon früher auf diesen gemäßigten Bergen des Higuerote herborisiert, im Dezember nämlich und in Begleitung des Generalkapitäns, des Herrn de Guevara, bei einer Exkursion, die er mit dem Intendanten der Provinz nach den Valles de Aragua unternahm. Damals entdeckte Herr Bonpland im dichtesten Teil des Waldes einige Stämme des Aguatire, dessen durch seine schöne rote Farbe berühmtes Holz einst ein Ausfuhrartikel nach Europa werden kann. Es ist die Sickingia erythroxylon, welche die Herren Bredemeyer und Willdenow beschrieben haben.

Im Hinuntersteigen auf der Südwestseite des mit Wald bedeckten Higuerote kommt man zu dem Dorf San Pedro, das in einem Becken liegt, in dem sich mehrere Täler vereinen und das fast 300 Toisen niedriger ist als das Plateau Buena Vista. Man baut zugleich die Banane, Kartoffeln und Kaffee an. Das Dorf ist sehr klein, und der Kirchenbau war noch nicht vollendet. In einem Gasthof (pulpería) trafen wir mehrere, bei dem Tabakpachthof angestellte spanische Europäer. Ihre Stimmung war von der unsrigen sehr verschieden. Von der Reise ermüdet, ergossen sie sich in Klagen und Verwünschungen über das unselige Land (estas tierras infelices), worin sie zu leben gezwungen seien. Wir hingegen konnten das Rühmen der wilden Schönheit der Gegend, des fruchtbaren Bodens und des milden Klimas nicht lassen. In der Nähe von San Pedro geht der talkartige Gneis von Buena Vista in einen Glimmerschiefer über, worin sehr viel Granat vorkommt und der untergeordnete Serpentinlager enthält. Diese Lagerung gleicht der von Zöblitz in Sachsen. Der Serpentinstein, der sehr rein und von einer schönen grünen Farbe ist, scheint öfters nur dem Glimmerschiefer aufzuliegen. Ich fand einigen Granat darin, aber keinen körnigen Strahlstein.

Das Tal von San Pedro, worin der gleichnamige Fluß strömt, teilt zwei große Gebirgsmassen, die von Higuerote und Las Cocuyzas. Westwärts stiegen wir durch die kleinen Höfe von Las Lagunetas und Garavatos wieder bergan. Es sind dies nur einige einzelne Häuser, die als Herbergen dienen; die Maultiertreiber finden hier ihr Lieblingsgetränk, den guarapo oder den Gärungssaft des Zuckerrohrs. Die Indianer, welche diese Straße besuchen, sind dem Trunk besonders ergeben. Nahe Garavatos findet sich ein Glimmerschieferfels von bizarrer Form; es ist ein Kamm oder eine steile Wand, auf der zuoberst ein Turm steht. Wir öffneten das Barometer auf der Spitze des Berges Las Cocuyzas und fanden, daß wir uns fast auf der gleichen Höhe wie auf dem Plateau von Buena Vista oder doch kaum 10 Toisen höher befanden.

Man genießt in Las Lagunetas eine sehr weite, aber ziemlich einförmige Fernsicht. Die bergige, unbebaute Landschaft zwischen den Quellen des Guaire und des Tuy umfaßt mehr als 25 Quadratlieues. Es befindet sich darin nur ein einziges, sehr elendes Dorf, Los Teques genannt, südostwärts von San Pedro. Der Boden ist wie gefurcht von einer Menge Täler, von denen die kleinsten einander parallellaufen und rechtwinklig in den breitesten Tälern enden. Die Gipfel der Berge sehen ebenso einförmig aus wie die Schluchten. Man sieht weder pyramidalische Gestaltungen noch Auszackungen, noch steile Bergwände. Ich vermute, daß die meist sanfte und wellenförmige Bewegung dieses Terrains weniger ein Ergebnis der Beschaffenheit der Gesteine, zum Beispiel der Verwitterung des Gneises, ist als vielmehr des langen Aufenthalts der Gewässer und der Kraft ihrer Strömungen. Die Kalkberge von Cumaná zeigen nördlich vom Tumiriquiri eine gleichartige Gestalt.

Von Las Lagunetas stiegen wir ins Tal des Río Tuy hinab. Dieser nördliche Abhang der Berggruppe von Los Teques führt den Namen Las Cocuyzas; er ist mit zwei agaveblättrigen Pflanzen bewachsen, dem Maguey de Cocuyza und dem Maguey de Cocuy. Der letztere gehört der Gattung Yucca an; aus seinem zuckerhaltigen Gärungssaft wird mittels Destillierung Branntwein bereitet; ich sah, wie die jungen Blätter als Speise genossen wurden, aus den reifen Blättern werden überaus zähe Seile verfertigt. Wenn man die Berge von Higuerote und Los Teques verläßt, kommt man in ein reich angebautes Land mit Weilern und Dörfern, deren mehrere in Europa Städte heißen würden. In einer Entfernung von zwölf lieues findet man von Osten nach Westen la Victoria, San Mateo, Turmero und Maracay, die zusammen mehr als 28.000 Einwohner haben. Die Ebenen von Tuy können als das östliche Ende der Täler von Aragua angesehen werden, die sich von Güigüe, an den Ufern des Valencia-Sees, bis an den Fuß von Las Cocuyzas ausdehnen. Das barometrische Nivellement hat mir 295 Toisen als absolute Höhe des Valle del Tuy nahe beim Hof von Manterola und 222 Toisen für die Wasserfläche des Sees gegeben. Der Río Tuy, der in den Bergen von Las Cocuyzas entspringt, nimmt anfangs seinen Lauf westwärts, nachher wendet er sich nach Süden und Osten, zieht längs der hohen Savannen von Ocumare hin, empfängt die Gewässer des Tals von Caracas und mündet unter dem Wind von Kap Codera. Es ist der kleine, westwärts gerichtete Teil seines Beckens, der, geologisch gesprochen, den Tälern von Aragua zugerechnet werden könnte, wenn die aus Kalktuff bestehenden Hügel, die zwischen Cansejo und Victoria den Zusammenhang dieser Täler trennen, nicht einige Beachtung verdienten. Wir erinnern hier nochmals daran, daß die Berggruppe von Los Teques, die 850 Toisen Höhe hat, zwei Längstäler voneinander trennt, die in Granit, Gneis und Glimmerschiefer eingetieft sind, und daß das östliche Tal, worin die Hauptstadt Caracas liegt, 200 Toisen höher liegt als das westliche, das als der Mittelpunkt der Landwirtschaft betrachtet werden kann.

Da wir seit geraumer Zeit an eine gemäßigte Temperatur gewöhnt waren, fanden wir die Ebenen von Tuy außerordentlich heiß. Dennoch stieg das Thermometer am Tag, zwischen 11 Uhr morgens und 5 Uhr abends, nicht über 23 und 24°. Die Nächte waren frisch, da die Temperatur der Luft bis auf 17,5° sank. In dem Maß, wie sich die Temperatur verminderte, schien die Luft von den Wohlgerüchen der Pflanzen erfüllt zu werden. Wir unterschieden zunächst die köstlichen Aroma der Lirio hermoso, einer neuen Pancratiumart [undulatum], deren Blüte 8 bis 9 Zoll lang ist und welche die Ufer des Río Tuy schmückt. Wir brachten zwei Tage sehr angenehm in der Pflanzung des Don José de Manterola zu, der in seiner Jugend bei der spanischen Gesandtschaft in Rußland angestellt gewesen war. Als Zögling und Günstling des Herrn de Xavedra, eines der einsichtigsten Intendanten von Caracas, wollte er sich, nachdem dieser berühmte Mann in das Ministerium gelangt war, nach Europa einschiffen. Der Gouverneur der Provinz, der den Einfluß des Herrn de Manterola fürchtete, ließ ihn im Hafen arretieren, und als der Befehl des Hofes, der die willkürliche Verhaftung aufhob, eintraf, stand der Minister bereits nicht mehr in der Gunst. Auf 1500 lieues Entfernung von den Küsten Äquinoktial-Amerikas ist es nicht leicht, zu rechter Zeit einzutreffen, um von der Macht eines Mannes vor Ort zu profitieren.

Der Hof, in dem wir uns aufhielten, war eine schöne Zuckerrohrpflanzung. Ihr Boden ist eben wie der Grund eines ausgetrockneten Sees. Der Río Tuy schlängelt sich durch einen Landstrich, der mit Bananenbäumen und einem Wäldchen aus Hura crepitans, Erythrina corallodendron und dem nymphäablättrigen Feigenbaum bewachsen ist. Das Flußbett besteht aus Quarzkies. Ich kenne keine angenehmeren Bäder als die im Tuyfluß. Das kristallklare Wasser behält auch den Tag über die Temperatur von 18,6°. Für dieses Klima und für eine Höhe von 300 Toisen ist dies eine beträchtliche Kühle; aber die Quellen des Flusses finden sich in den benachbarten Bergen. Die auf einem 15 bis 20 Toisen hohen Hügel stehende Wohnung des Gutsherrn ist von Hütten der Neger umgeben; die Verheirateten unter ihnen sorgen selbst für ihre Nahrung. Man überläßt ihnen hier wie überall in den Tälern von Aragua ein kleines Stück Pflanzland, welches sie am Samstag und Sonntag, ihren einzigen freien Wochentagen, bearbeiten. Sie ziehen Hühner auf und manchmal sogar ein Schwein. Der Gebieter rühmt ihr Glück, wie im nördlichen Europa die Grundherren gern den Wohlstand der leibeigenen Bauern rühmen. Am Tage unserer Ankunft sahen wir, daß drei flüchtige Neger zurückgebracht wurden; es waren kürzlich gekaufte Sklaven. Ich fürchtete, Zeuge einer dieser Bestrafungen zu werden, die überall, wo Sklaverei herrscht, das Landleben widerwärtig machen; glücklicherweise wurden die Schwarzen menschlich behandelt.

In dieser wie in allen anderen Pflanzungen der Provinz Venezuela unterscheidet man von fernher an der Farbe der Blätter die drei Arten des Zuckerrohrs, die angebaut werden: das alte kreolische Zuckerrohr, das von Otaheiti [Tahiti] und das von Batavia. Die erstere Art hat Blätter von dunklerem Grün, einen dünneren Stengel und näher beisammenstehende Knoten. Es ist das Zuckerrohr, das aus Indien zuerst in Sizilien, auf den Canarischen Inseln und auf den Antillen eingeführt wurde. Die zweite Art unterscheidet sich durch ein helleres Grün. Ihr Stengel ist höher, dicker und saftiger. Die ganze Pflanze zeigt ein üppiges Wachstum. Man verdankt sie den Reisen von Bougainville, Cook und Bligh. Bougainville brachte sie nach Ile de France [Mauritius], von wo sie auf Cayenne und Martinique, seit 1792 auch auf die übrigen Antillen verpflanzt wurde. Das Zuckerrohr von Otaheiti, das To der Insulaner, ist eine der wichtigsten Erwerbungen, welche die Landwirtschaft der Kolonien seit einem Jahrhundert den Reisen der Naturforscher verdankt. Nicht nur liefert es auf gleichem Areal ein Drittel vezou [Saft des Zuckerrohrs. Anmerkung des Hrsg.] mehr als das kreolische Zuckerrohr; dank seines dicken Stengels und seiner zähen Holzfasern ergibt es auch ungleich mehr Brennstoff. Dieser letzte Umstand ist für die Antillen-Inseln sehr wichtig, weil die Zerstörung der Wälder die Pflanzer längst nötigte, sich des Tresters als Feuerung unter dem Siede kessel zu bedienen. Ohne die Kenntnis dieser neuen Pflanze, die Fortschritte der Landwirtschaft auf dem Festland des spanischen Amerika und die Einführung des indischen und Java-Zuckers würden die Revolutionen von Santo Domingo und die Zerstörung der großen Zuckerpflanzungen dieser Insel einen noch weit bedeutenderen Einfluß auf den Preis der Kolonialwaren in Europa gehabt haben. Das Zuckerrohr von Otaheiti wurde von der Insel Trinidad nach Caracas gebracht. Von Caracas ging es nach Cucuta und San Gil im Königreich NeuGranada über. Heutzutage hat ein 25jähriger Anbau die anfangs gehegte Furcht fast ganz zerstreut, es könnte, nach Amerika verpflanzt, allmählich ausarten und so dünn wie das creolische Zuckerrohr werden. Wenn es eine Abart ist, so ist es doch eine sehr beständige. Die dritte Art, das violette Zuckerrohr, welches Caña de Batavia oder de Guinea genannt wird, ist gewiß auf der Insel Java einheimisch, wo es besonders in den Bezirken von Japara und Pasuruan angebaut wird. Seine purpurfarbenen Blätter sind sehr breit; in der Provinz Caracas gibt man ihm für die Rumbereitung den Vorzug. Die tablones oder mit Zuckerrohr bepflanzten Felder werden von Hecken einer kolossalen Grasart (des Latta oder Gynerium) mit zweireihigen Blättern getrennt. In Tuy war man mit der Beendigung eines Dammbaus beschäftigt, um einen Bewässerungskanal herzuleiten. Diese Unternehmung hatte den Eigentümer 7000 Piaster an Baukosten und 4000 Piaster an Prozeßauslagen mit den Nachbarn gekostet. Während sich die Advokaten um einen erst noch halb beendigten Kanal stritten, fing Herr de Manterola sogar die Ausführbarkeit des Projektes zu bezweifeln an. Ich nahm das Nivellement des Bodens mit dem auf einen künstlichen Horizont gebrachten Probeglas vor und fand, daß der Damm um 8 Fuß zu niedrig angelegt war. Wieviel Geld sah ich in den spanischen Kolonien unnütz verschwendet für Bauanlagen, die auf irrige Nivellements berechnet waren!

Das Tal von Tuy hat „seine Goldmine“ wie fast jeder von Weißen bewohnte und an das Urgebirge stoßende Ort in Amerika. Fremde Goldwäscher, erzählte man, hätten im Jahr 1780 in der Goldschlucht Goldkörner gesammelt und eine Goldwäsche etabliert. Der Verwalter (oder Majordomus) einer benachbarten Pflanzung hatte diese Spuren verfolgt; man fand in seinem Nachlaß ein Kamisol, ein Wams mit Goldknöpfen, und der Logik des Volks zufolge konnte dieses Gold nur aus einem Erzgang stammen, dessen Aufschluß durch eingestürztes Erdreich verschüttet worden war. Ich mochte noch so sehr dagegenhalten, daß die bloße Ansicht des Bodens ohne einen tiefen Stollen in der Richtung des Ganges mir es kaum möglich mache, über das Vorhandensein des Metalles zu urteilen. Ich mußte mich dem Ansinnen meiner Hauswirte fügen. Seit zwanzig Jahren war das Kamisol des Majordomus ein Gegenstand aller Gespräche des Kantons gewesen. Das dem Schoß der Erde enthobene Gold besitzt in den Augen des Volks einen viel höheren Reiz als das, welches Ergebnis des durch Fruchtbarkeit des Bodens und Milde des Klimas begünstigten landwirtschaftlichen Fleißes ist.

Nordwestlich von der Hacienda del Tuy, in der nördlichen Reihe der Küstenkette, öffnet sich eine tiefe Schlucht. Man nennt sie Quebrada seca, weil der Bergstrom, welcher ihr das Dasein gab, sein Wasser in den Felsspalten verliert, noch ehe er das Ende der Schlucht erreicht. Dieses ganze Bergland ist mit dichtem Pflanzenwuchs bedeckt. Wir fanden hier das gleiche Grün wieder, dessen Frische uns in den Bergen von Buena Vista und Las Lugenatas, überall, wo sich der Boden bis in die Nebelregion erhebt und wo die dem Meer entsteigenden Dünste freien Zutritt finden, erfreut hatte. In den Ebenen hingegen lassen viele Bäume, wie schon oben bemerkt wurde, einen Teil ihres Laubs im Winter fallen, und sobald man ins Tal von Tuy hinabsteigt, ist man über das fast winterliche Aussehen des Landes betroffen. Die Trockenheit der Luft ist so groß, daß Delucs Hygrometer Tag und Nacht zwischen 36 und 40° zeigt. In einiger Entfernung vom Fluß sieht man nur selten einige Hura oder baumartige Piper, die ein dürres Gebüsch beschatten. Diese Erscheinung ist ohne Zweifel eine Folge der Trockenheit der Luft, die im Februar ihr Maximum erreicht, und keineswegs, wie die europäischen Kolonisten meinen, „des Wechsels der Jahreszeiten in Spanien, deren Wirkungen sich bis in die heiße Zone ausdehnen“. Nur die aus einer Halbkugel in die andere verpflanzten Gewächse bleiben in ihren organischen Funktionen, in der Entwicklung ihrer Blätter und Blumen, mit einem entfernten Klima gleichsam verbunden, indem sie, ihren Gewohnheiten treu, während langer Zeit die periodischen Wechsel beibehalten. In der Provinz Venezuela fangen die Bäume, welche ihr Laub verlieren, fast einen Monat vor dem Eintritt der Regenzeit zu treiben an. Wahrscheinlich ist um diese Zeit das elektrische Gleichgewicht der Luft bereits gebrochen, und die Atmosphäre, obgleich noch wolkenlos, wird allmählich feuchter. Die Azurfarbe des Himmels verblaßt, und die höheren Regionen bewölken sich mit leichten und gleichförmig verbreiteten Dünsten. Man kann diese Jahreszeit als das Erwachen der Natur ansehen; es ist ein Frühling, welcher, nach der in den spanischen Kolonien gewohnten Sprache, den Eintritt des Winters [Regenzeit] verkündet und auf die Sommerhitze folgt.

Vormals wurde Indigo in der Quebrada seca angebaut; weil aber ihr mit Pflanzen überwachsener Boden nicht soviel Wärme zurückstrahlt, wie das flache Land oder das Tal von Tuy empfängt und wieder ausstrahlt, wurde diese Kultur mit der des Kaffees vertauscht. Sowie man in der Bergschlucht vorrückt, vermehrt sich die Feuchtigkeit. Nahe beim Hato, am nördlichen Ende der Quebrada, fanden wir einen Bergstrom, der sich über geneigte Gneisbänke niederstürzt. Man arbeitete an einer Leitung, die das Wasser der Ebene zuführen soll. Ohne Bewässerung gibt es keine Fortschritte der Landwirtschaft in diesem Klima. Ein Baum [Hura crepitans] von riesenhaftem Wuchs zog unsere Aufmerksamkeit an. Er stand am Abhang eines Berges über dem Hause des Hato. Da beim kleinsten Erdschlipf sein Fall die Zerstörung des von ihm beschatteten Gebäudes nach sich ziehen mußte, wurde er nahe am Boden angebrannt und auf solche Weise gefällt, daß er zwischen gewaltigen Feigenbäumen zu liegen kam, die sein Herabrollen in die Schlucht hemmten. Wir maßen den umgestürzten Baum. Obgleich sein Oberteil vom Feuer verzehrt war, betrug die Länge seines Stamms doch noch 154 Fuß [ca. 50 Meter]; sein Durchmesser nahe an den Wurzeln war 8 Fuß und am oberen Ende 4 Fuß 2 Zoll.

Unsere Führer, denen die Baumdicken gleichgültiger als uns waren, drängten uns zum Weitergehen und zum Aufsuchen der „Goldmine“. Dieser weniger besuchte Teil der Schlucht ist interessant genug. Hinsichtlich der geologischen Constitution des Bodens beobachteten wir folgendes: Am Eingang des Quebrada seca sahen wir große Massen von ziemlich feinkörnigem Urkalkstein, der bläulich gefärbt und mit einer Menge Kalkspatadern von glänzendem Weiß durchzogen war. Man darf diese Kalksteinmassen nicht mit den viel jüngeren Niederschlägen von Tuff oder kohlensaurem Kalk verwechseln, welche die Ebenen von Tuy ausfüllen; sie bilden Bänke in einem Glimmerschiefer, der in Talkschiefer übergeht. Öfters bedeckt der Urkalkstein dieses letztere Gestein nur in konkordanter Schichtung. Ganz nahe beim Hato wird der Talkschiefer völlig weiß und enthält schwache Schichten von zartem und fettigem Zeichenschiefer. Einige Stücke, die keine Quarzadern haben, sind echter körniger Graphit, den man in der Kunst benutzen könnte. Der Anblick des Felsens hat etwas ganz Außerordentliches an den Stellen, wo dünne Blättchen schwarzer Kreide mit den bogigen und seidenartigen Blättern eines schneeweißen Kalkschiefers abwechseln. Man könnte sagen, der Kohlenstoff und das Eisen, die anderswo das Urgestein färben, haben sich hier auf untergeordnete Lager konzentriert.

Als wir uns nach Westen wandten, gelangten wir endlich in die Goldschlucht (Quebrada del Oro). Man hatte Mühe, die Spur einer Quarzader am Abhang eines Hügels aufzufinden. Von Regengüssen verursachte Bergstürze hatten die Oberfläche des Bodens verändert und machten jede Beobachtung unmöglich. Schon wuchsen große Bäume auf den Standorten, wo vor 20 Jahren die Goldwäscher gearbeitet hatten. Es ist wahrscheinlich, daß der Glimmerschiefer hier wie in der Gegend von Goldkronach in Franken und wie im Salzburgischen goldhaltige Gänge enthält. Wie könnte man aber entscheiden, ob eine abbauwürdige Lagerstätte vorhanden sei oder ob das Erz nur nestartig und um so seltener, je reicher es ist, vorkomme? Um die ermüdende Exkursion nicht ganz vergeblich getan zu haben, herborisierten wir eine geraume Zeit in der dichten Waldung, die sich jenseits des Hato ausdehnt und worin Cedrelas, die Browneen und die nymphäablättrigen Feigenbäume in Menge wuchsen. Deren Stämme sind mit wohlriechenden Vanillepflanzen bedeckt, die allgemein erst im Monat April blühen. Uns fielen hier abermals jene holzigen Auswüchse auf, die in Gestalt von Graten oder Rippen die Stammdicke der amerikanischen Feigenbäume so außerordentlich und bis auf 20 Fuß über den Boden ausdehnen. Ich habe Stämme angetroffen, die nahe an den Wurzeln 22½ Fuß Durchmesser hatten. Bisweilen trennen sich diese holzigen Grate acht Fuß hoch vom Stamm und verwandeln sich in zylindrische, zwei Fuß dicke Wurzeln. Der Baum erscheint alsdann wie von Strebepfeilern gestützt. Diese Stützen dringen jedoch nicht sehr tief in die Erde ein. Die Seitenwurzeln schlängeln sich auf der Oberfläche des Bodens dahin, und wenn man sie 20 Fuß vom Stamm entfernt mit der Axt durchhaut, quillt der Milchsaft des Feigenbaums hervor, der schlecht wird und gerinnt, sobald er der lebendigen Tätigkeit der Organe entzogen ist. Welch wunderbare Kombination von Zellen und Gefäßen in diesen vegetabilischen Massen, in diesen Riesenbäumen der heißen Zone, die vielleicht tausend Jahre ununterbrochen nährende Flüssigkeiten zubereiten, sie bis 180 Fuß in die Höhe treiben, sie dann wieder zur Erde hinableiten und unter einer rauhen und harten Rinde, unter holzigen und leblosen Schichten von Fasern alle Bewegungen des organischen Lebens bergen!

Ich benutzte die hellen Nächte, um in der Pflanzung von Tuy zwei Austritte des ersten und des dritten Jupitertrabanten zu beobachten. Diese zwei Beobachtungen gaben nach Delambres Tafeln die Länge von 4h 39′ 14″. Nach dem Chronometer fand ich 4h 39′ 10″. Dies sind die letzten Verdunklungen, die ich vor meiner Rückkehr vom Orinoco beobachtet habe; sie wurden gebraucht, um mit einiger Genauigkeit das östliche Ende der Täler von Aragua und den Fuß der Berge von Las Cocuyzas zu bestimmen. Mittels Meridianhöhen von Canopus fand ich die Breite der Hacienda de Manterola am 9. Febr. [1800] zu 10° 16′ 55″; am 10. Febr. zu 10° 16′ 34″. Trotz der ausnehmenden Trockenheit der Luft funkelten die Sterne bis zu 80° Höhe; eine unter diesem Himmelsstrich sehr seltene Erscheinung, die vielleicht das Ende der schönen Jahreszeit verkündete. Die Inklination der Magnetnadel war 41,60° (Hundertgradeinteilung), und 228 Schwingungen, mit 10′ Zeit korrespondierend, drückten die Intensität der magnetischen Kräfte aus. Die Deklination der Magnetnadel war 4° 30′ nordöstlich.

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