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Fünftes Buch Kapitel XIV Erdbeben von Caracas – Zusammenhang dieser Erscheinung mit den vulkanischen Ausbrüchen der Antillen-Inseln
ОглавлениеWir verließen Caracas am 7. Februar [1800] in der Abendkühle, um die Reise zum Orinoco anzutreten. Die Erinnerung an diese Abreise ist heute schmerzhafter für uns, als es vor einigen Jahren war. Unsere Freunde sind in den blutigen Revolutionen umgekommen, welche diesen fernen Regionen Zug um Zug wechselweise die Freiheit gaben oder raubten. Das Haus, welches wir bewohnt haben, ist nur noch ein Schutthaufen; schreckliche Erdbeben haben die Oberfläche des Bodens umgekehrt. Die Stadt, die ich beschrieben habe, ist nicht mehr vorhanden. Auf derselben Stätte, auf diesem zerrissenen Erdboden, erhebt sich allmählich eine neue Stadt. Bereits sind die aufgehäuften Trümmer, die Gräber einer zahlreichen Bevölkerung, neuerdings Wohnungen der Menschen geworden.
Indem ich Veränderungen von einem derart allgemeinen Interesse nachspüre, gedenke ich Ereignissen, die erst lange nach meiner Rückkehr nach Europa eintraten. Die Erschütterungen des Volkes und die Umwälzungen, die der gesellschaftliche Zustand erlitten hat, übergehe ich mit Stillschweigen. Die modernen Völker sorgen für ihr Gedächtnis, und sie retten die Geschichte menschlicher Revolutionen, welche die Darstellung glühender Leidenschaften und eingewurzelten Hasses ist, vor dem Vergessen. Anders verhält es sich mit den Revolutionen der physischen Welt; diese werden desto nachlässiger beschrieben, wenn sie mit dem bürgerlichen Zwist zusammenfallen. Die Erdbeben und die Ausbrüche der Vulkane wirken mächtig auf die Phantasie durch die Zerstörungen, die sie notwendig zur Folge haben. Die Überlieferung greift vorzugsweise nach allem, was unbestimmt und wunderbar ist, und der Mensch scheint in großer öffentlicher Not wie im privaten Unglück das Licht zu scheuen, das über die wahren Ursachen der Ereignisse Aufschluß gibt und die begleitenden Umstände in ihrer Verbindung darstellen könnte. Ich habe geglaubt, in dieses Werk aufnehmen zu sollen, was ich Zuverlässiges von den Erschütterungen des 26. März 1812 erfahren konnte, welche die Stadt Caracas zerstört haben und in der Provinz von Venezuela über 20.000 Einwohner fast in einem Augenblicke umkommen ließen. Die Verbindungen, welche ich fortgehend mit Menschen aus allen Schichten unterhalten habe, setzen mich in die Lage, die Erzählungen verschiedener Augenzeugen miteinander zu vergleichen und an sie über Gegenstände, die Licht über die allgemeine Naturkunde verbreiten können, Fragen zu richten. Als Historiker der Natur muß der Reisende die Daten großer Katastrophen feststellen, ihren Zusammenhang und ihre Wechselbeziehungen prüfen und im schnellen Lauf der Zeiten, in der ununterbrochenen Bewegung der einander folgenden Veränderungen Fixpunkte bezeichnen, die eines Tages zum Vergleich mit anderen Katastrophen dienen können. In der unermeßlichen Zeitfolge, welche die Geschichte der Natur umfaßt, nähern sich alle Epochen. Die verflossenen Jahre erscheinen nur noch als Augenblicke; und wenn auch die Naturbeschreibungen eines Landes kein sehr allgemeines und sehr lebhaftes Interesse erregen, haben sie wenigstens den Vorteil, daß sie nicht veralten. Von ähnlichen Betrachtungen geleitet, hat auch Herr de La Condamine in seiner ›Voyage à l’Equateur ‹ die denkwürdigen Ausbrüche des Vulkans Cotopaxi beschrieben, die lange nach seiner Abreise von Quito stattfanden. Wenn ich dem Beispiel dieses berühmten Gelehrten folge, glaube ich um so weniger Tadel zu verdienen, als die Ereignisse, welchen ich nachspüren werde, die Theorie der vulkanischen Reaktionen oder des Einflusses, den das Vulkansystem über einen weiten Umkreis benachbarter Länder ausübt, stützen werden.
In der Zeit, als Herr Bonpland und ich in den Provinzen Neu-Andalusien, Nueva Barcelona und Caracas weilten, herrschte überall die Meinung, es seien die östlichsten dieser Küstengegenden den zerstörenden Wirkungen der Erdbeben am meisten ausgesetzt. Die Einwohner von Cumaná scheuten das Tal von Caracas wegen seines feuchten und wechselnden Klimas und seines nebligen und melancholischen Himmels. Die Bewohner dieses gemäßigten Tals sprachen von Cumaná als von einer Stadt, in der man ständig eine glühende Luft atme und deren Boden heftigen periodischen Erschütterungen ausgesetzt sei. Der Verheerungen von Riobamba und anderer sehr hochgelegener Städte hatten sie vergessen und wußten nicht, daß die aus Glimmerschiefer gebildete Halbinsel Araya an den Bewegungen der Kalkküste von Cumaná teilnähme. So glaubten auch wohlunterrichtete Personen, in der Bildung des Urgebirgsgesteins von Caracas und in der hohen Lage dieses Tals Gründe für die Sicherheit zu finden. Kirchenfeste, die in Guaira und in der Hauptstadt selbst nächtlicherweile begangen wurden, erinnerten zwar daran, daß die Provinz Venezuela von Zeit zu Zeit Erdbeben erlitten habe; aber man fürchtet Gefahren wenig, die nur selten wiederkehren. 1811 hat eine grausame Erfahrung den Zauber der Theorien und des Volksglaubens zerstört. Caracas, im Gebirge gelegen, drei Grad westlich von Cumaná und fünf Grad westlich des durch die Vulkane der Cariben-Inseln gehenden Meridians, erlitt heftigere Erschütterungen, als solche je zuvor an den Küsten von Paria und Neu-Andalusien verspürt worden waren.
Mir war schon bei meiner Ankunft in Tierra Firme die Verbindung zweier Naturereignisse, der Zerstörung von Cumaná am 14. Dezember 1797 und der vulkanischen Ausbrüche in den Kleinen Antillen, aufgefallen. Die Zerstörung von Caracas am 26. März 1812 hat diese Verhältnisse erneut manifestiert. Der Vulkan von Guadeloupe schien 1797 auf die Küsten Cumanás rückgewirkt zu haben. Fünfzehn Jahre später war es ein dem Festland näherliegender Vulkan, der von Saint Vincent, der seinen Einfluß bis nach Caracas und an die Ufer des Apure auszuüben schien. In beiden Epochen befand sich wahrscheinlich das Zentrum der Explosion ungemein tief und in gleichmäßiger Entfernung von den Gegenden, nach denen hin sich die Bewegung auf der Erdoberfläche fortpflanzte.
Seit Anfang des Jahres 1811 bis zum Jahr 1813 ist ein weiter Bereich, der vom Meridian der Azoren, vom Tal des Ohio, von den Cordilleren Neu-Granadas, von den Küsten Venezuelas und von den Vulkanen der Kleinen Antillen begrenzt wird, fast gleichzeitig von Erschütterungen betroffen worden, die man unterirdischen Feuerherden zurechnen kann. Hier folgt die Aufzählung der Phänomene, welche Verbindungen in weiten Entfernungen anzuzeigen scheinen: Am 30. Januar 1811 erschien ein unterseeischer Vulkan nahe bei São Miguel, einer der Azoren-Inseln. An einer Stelle, wo das Meer 60 Faden Tiefe hatte, hob sich ein Fels über die Wasserfläche. Das Aufsteigen der erweichten Erdrinde scheint dem Flammenausbruch des Kraters vorangegangen zu sein, wie dies ebenso bei den Vulkanen von Jorullo in Mexico und zur Zeit der Entstehung der Insel Klein-Kameni nahe bei Santorin beobachtet worden ist. Das neue Inselchen der Azoren war anfänglich nur eine unbeträchtliche Klippe, die aber am 15. Juni durch einen neuen, sechs Tage andauernden Ausbruch vergrößert und nach und nach zur Höhe von fünfzig Toisen über der Meeresfläche erhoben wurde. Dies neue Land, wovon der Schiffskapitän Tillard im Namen der britischen Regierung ungesäumt Besitz ergriff und das er Insel Sabrina nannte, hatte 900 Toisen im Durchmesser. Es scheint seither wieder vom Ozean verschlungen worden zu sein. Zum dritten Mal haben bereits nun Unterseevulkane dieses außerordentliche Schauspiel wiederholt; und als geschähen die Ausbrüche dieser Vulkane in regelmäßigen, durch eine gewisse Ansammlung elastischer Flüssigkeiten bestimmten Zeiträumen, ist die kleine Insel jedesmal nach Verlauf von 91 oder 92 Jahren wieder zum Vorschein gekommen. Man kann nicht anders als bedauern, daß trotz der geringen Entfernung weder eine europäische Regierung noch eine gelehrte Gesellschaft Naturforscher und Geologen auf die Azoren zur näheren Untersuchung einer Erscheinung abordnete, die der Geschichte der Vulkane und der des Erdballs überhaupt wichtige Aufschlüsse liefern konnte.
Die 800 lieues südwestlich der Azoren gelegenen Kleinen Antillen verzeichneten zur Zeit des Erscheinens der neuen Insel Sabrina häufige Erdbeben. Über 200 Erdstöße wurden von Mai 1811 bis April 1812 auf der Insel Saint Vincent, einer der drei Antillen, die noch tätige Vulkane haben, verspürt. Die Bewegungen blieben keineswegs auf das Inselland des östlichen Amerika beschränkt. Seit dem 16. Dezember 1811 war die Erde fast andauernd bewegt in den Tälern des Mississippi, des Arkansas und des Ohio. Die Schwingungen waren schwächer auf der Ost- als auf der Westseite des Allegheny-Gebirges in Tennessee und Kentucky. Sie waren von einem beträchtlichen, von Südwest herkommenden, unterirdischen Donnern begleitet. An einigen Stellen zwischen New Madrid und Little Prairie sowie bei der Saline nördlich von Cincinnati, unter 37° 45′ Breite, wurden die Stöße täglich und fast stündlich mehrere Monate hindurch verspürt. Das Ganze dieser Erscheinungen währte vom 16. Dezember 1811 bis ins Jahr 1813 hinein. Die anfangs südwärts auf das Tal des unteren Mississippi begrenzten Bewegungen schienen allmählich gegen Norden vorzuschreiten.
Zur gleichen Zeit, als in den jenseits der Alleghenies gelegenen Staaten diese lange Serie von Erdbeben begann, im Dezember 1811, erlitt die Stadt Caracas, bei stillem und heiterem Wetter, einen ersten Stoß. Dieses Zusammentreffen der Erscheinungen war vermutlich kein bloßer Zufall; weil man nicht vergessen darf, daß trotz der weiten Entfernung dieser Gegenden die Niederungen Louisianas und die Küsten Venezuelas und Cumanás dem gleichen Becken, nämlich dem des Antillen-Meeres angehören. Dieses Mittelmeer mit mehreren Ausgängen nimmt seine Richtung von Nordost nach Nordwest, und man glaubt eine frühere Ausdehnung in den weiten Ebenen wahrzunehmen, die stufenweise um 30, 50 und 80 Toisen über der Wasserfläche des Ozeans erhoben, mit Sekundärformationen bedeckt sind und durch den Ohio, den Missouri, den Arkansas und den Mississippi bewässert werden. Betrachtet man das Wasserbecken des Antillen-Meeres und des Golfs von Mexico mit geologischem Blick, findet man, daß es südwärts durch die Küstenkette von Venezuela und von den Cordilleren von Mérida und Pamplona, östlich von den Bergen der Antillen-Inseln und Alleghenies, westlich von den mexicanischen Anden und den Rocky Mountains und nördlich von den unbeträchtlichen Hügeln begrenzt ist, welche die kanadischen Seen von den Zuflüssen des Mississippi trennen. Über zwei Drittel dieses Beckens stehen unter Wasser. Zwei Reihen tätiger Vulkane fassen es ein: östlich auf den Kleinen Antillen, zwischen dem 13. und 16. Breitengrad, und westlich auf den Cordilleren von Nicaragua, Guatemala und Mexico, zwischen dem 11. und 20. Grad. Wer sich erinnert, daß das große Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 fast im gleichen Augenblick an den schwedischen Küsten, am Ontario-See und auf Martinique verspürt wurde, der wird die Vermutung nicht allzu kühn finden, daß das ganze Becken der Antillen, von Cumaná und Caracas bis in die Ebenen von Louisiana, zuweilen gleichzeitig durch Erschütterungen, die von einem gemeinsamen Mittelpunkt ausgehen, betroffen werden kann.
Es ist eine auf den Küsten der Tierra Firme sehr allgemein verbreitete Meinung, die Erdbeben würden häufiger, wenn die elektrischen Entladungen einige Jahre hindurch seltener gewesen seien. In Cumaná und in Caracas hat man zu beobachten geglaubt, daß die Regengüsse seit 1792 seltener von Donner begleitet waren, und man verfehlte nicht, sowohl die gänzliche Zerstörung Cumanás 1797 wie die in den Jahren 1800, 1801 und 1802 in Maracaibo, Puerto Cabello und Caracas erlittenen Erdstöße „einer Anhäufung der Elektrizität im Inneren der Erde“ zuzuschreiben. Es fiele schwer, nach einem langen Aufenthalt in Neu-Andalusien oder in den Niederungen von Peru zu verneinen, daß die Jahreszeit, worin am meisten Erdbeben zu befürchten sind, die des Anfangs der Regenmonate ist, wo dann aber auch die meisten Gewitter eintreffen. Die Atmosphäre und der Zustand der Erdoberfläche scheinen auf eine uns unbekannte Weise auf die Veränderungen einzuwirken, welche in großen Tiefen vor sich gehen, und ich vermute, die Verbindung, welche man zwischen dem Mangel an Gewittern und den häufigen Erdbeben wahrzunehmen glaubt, sei mehr eine von den Halbwissern des Landes ersonnene Hypothese als das Ergebnis langer Erfahrung. Der Zufall kann das Zusammentreffen gewisser Erscheinungen begünstigen. Den außerordentlichen Erdstößen, die zwei Jahre lang anhaltend an den Gestaden des Mississippi und des Ohio verspürt wurden und die 1812 mit denen im Tal von Caracas zusammentrafen, war in Louisiana ein fast völlig gewitterloses Jahr vorangegangen. Diese Erscheinung wurde abermals allgemein sehr auffallend gefunden. Man darf sich nicht wundern, wenn im Vaterland Franklins eine große Vorliebe für Erklärungen angetroffen wird, die auf der Theorie der Elektrizität beruhen.
Der Erdstoß, der in Caracas im Dezember 1811 verspürt wurde, ist der einzige, der der schrecklichen Katastrophe vom 26. März 1812 voranging. Niemand kannte in Tierra Firme die Bewegungen, die einerseits der Vulkan der Insel Saint Vincent und andererseits das Becken des Mississippi erlitt, wo am 7. und 8. Februar 1812 der Boden sich Tag und Nacht in einem Zustand beständiger Schwingungen befand. Die Provinz Venezuela litt zu jener Zeit an großer Trockenheit. Kein Tropfen Regen war in Caracas und 90 lieues in der Runde während fünf Monaten unmittelbar vor der Zerstörung der Hauptstadt gefallen. Der 26. März begann als ein sehr heißer Tag, die Luft war ruhig und der Himmel wolkenlos. Es war Gründonnerstag und das Volk großenteils in den Kirchen versammelt. Nichts schien das drohende Unglück zu verkünden. Sieben Minuten nach vier Uhr abends verspürte man die erste Erschütterung. „Sie war stark genug, um die Kirchenglocken in Bewegung zu setzen. Sie dauerte 5 bis 6 Sekunden, und unmittelbar darauf folgte eine zweite Erschütterung von 10 bis 12 Sekunden, während der der Erdboden in beständiger Wellenbewegung wie eine Flüssigkeit zu kochen schien. Schon glaubte man, die Gefahr sei vorüber, als sich ein heftiges unterirdisches Getöse hören ließ. Es glich dem Rollen des Donners, war jedoch stärker und andauernder, als dies in der Jahreszeit der Gewitter zwischen den Wendekreisen gewöhnlich ist. Dem Donner folgte unmittelbar eine senkrechte, ungefähr drei bis vier Sekunden anhaltende Bewegung, die von einer etwas länger dauernden wellenförmigen begleitet wurde. Die Stöße erfolgten in entgegengesetzten Richtungen von Norden nach Süden und von Osten nach Westen. Dieser Bewegung von unten nach oben und sich durchkreuzenden Schwingungen vermochte nichts zu widerstehen. Die Stadt Caracas wurde gänzlich zugrunde gerichtet. Tausende ihrer Bewohner (zwischen 9000 und 10.000) fanden unter den Trümmern der Kirchen und Häuser ihr Grab. Noch hatte die Prozession ihren Umzug nicht eröffnet; aber das Hinströmen in die Kirchen war so groß, daß gegen 3000 oder 4000 Personen unter ihren einstürzenden Gewölben erdrückt wurden. Die Explosion war heftiger auf der Nordseite in dem dem Berg Avila und der Silla näher gelegenen Teil der Stadt. Die Kirchen der Dreifaltigkeit und Alta Gracia, die mehr als 150 Fuß Höhe hatten und deren Schiff durch 12 bis 15 Fuß dicke Pfeiler getragen wurde, lagen in einen Trümmerhaufen verwandelt, der nicht über 5 bis 6 Fuß Höhe hatte, und die Zermalmung des Schutts war so beträchtlich, daß von den Pfeilern und Säulen fast keine Spur mehr erkennbar geblieben ist. Die Kaserne el Quartel de San Carlos, die nördlich von der Dreifaltigkeitskirche, am Weg nach dem Zollhaus de la Pastora lag, ist fast völlig verschwunden. Ein Regiment Linientruppen stand darin unter Waffen und sollte sich eben zur Prozession begeben. Wenige einzelne ausgenommen, wurde es sämtlich unter den Trümmern des großen Gebäudes verschüttet. Neun Zehntel der schönen Stadt Caracas wurden gänzlich zerstört. Die Häuser, welche nicht einstürzten, wie die der Stadt San Juan beim Kapuzinerhospiz, waren dermaßen zerrissen, daß sie nicht weiter bewohnt werden konnten. Etwas weniger verheerend zeigten sich die Wirkungen des Erdbebens im südlichen und westlichen Teil der Stadt, zwischen dem Großen Platz und dem Hohlweg von Caraguata. Hier blieb die Kathedralkirche, von gewaltigen Strebepfeilern unterstützt, aufrecht stehen.
Wenn die Zahl der Toten in der Stadt Caracas auf 9000 bis 10.000 berechnet wird, sind dabei die Unglücklichen noch nicht berücksichtigt, die, schwer verwundet, nach Monaten erst aus Mangel an Nahrung und Pflege umkamen. Die Nacht vom Donnerstag auf den Karfreitag bot den Anblick eines unsäglichen Jammers und Unglücks dar. Die dichte Staubwolke, die sich über die Trümmer erhob und die Luft gleich einem Nebel verdunkelte, hatte sich zur Erde niedergeschlagen. Die Erschütterungen hatten aufgehört, und die Nacht war so hell und ruhig wie je zuvor. Der fast volle Mond beleuchtete die abgerundeten Dome der Silla, und die Gestalt des Himmels bildete einen furchtbaren Kontrast zu der mit Trümmern und Leichen bedeckten Erde. Mütter trugen Kinderleichen im Arm, die sie ins Leben zurückzubringen hofften. Jammernde Familien durchzogen die Stadt, um einen Bruder, einen Gatten, einen Freund zu suchen, dessen Schicksal unbekannt war und den man im Gedränge verloren glauben konnte. Man drängte sich in den Straßen, die man nur noch an den Trümmerhaufen der Fluchtlinie wiedererkannte.
Alles in den großen Katastrophen von Lissabon, Messina, Lima und Riobamba erlittene Unglück wiederholte sich am Schreckenstag des 26. März 1812. „Die unter dem Schutt begrabenen Verwundeten riefen die Vorbeigehenden laut flehend um Hilfe an; über 2000 wurden hervorgezogen. Nie hat sich das Mitleid rührender, man kann sagen, sinnreich tätiger, gezeigt als in den Anstrengungen, welche gemacht wurden, um den Unglücklichen, deren Seufzer man hörte, Hilfe zu leisten. Es mangelte gänzlich an geeigneten Werkzeugen zum Ausgraben und Wegräumen des Schutts; man mußte sich der Hände bedienen, um die Lebenden hervorzugraben. Die Verwundeten sowohl wie die aus den Hospitälern entflohenen Kranken wurden an das Gestade des kleinen Guaire-Flusses gelegt. Sie fanden hier keinen anderen Schutz als nur das Laubdach der Bäume. Die Betten, die Leinwand zum Verbinden der Wunden, chirurgische Instrumente, Medikamente, alle zuerst notwendigen Gegenstände waren unter den Ruinen vergraben. In den ersten Tagen fehlte alles, sogar Nahrungsmittel. Auch das Wasser war im Inneren der Stadt selten geworden. Die Erschütterung hatte die Brunnenleitungen zerschlagen. Der Einsturz der Erde hatte die Quellen verstopft. Um Wasser zu bekommen, mußte man bis zum Río Guaire hinabsteigen, dessen Hochwasser beträchtlicher war, und man ermangelte zudem der Schöpfgefäße.
Es blieb die Erfüllung einer Pflicht an den Toten, die von der Pietät und der Furcht vor Infektion zugleich gefordert wurde. Bei der Unmöglichkeit, so viele Tausende halb unter den Ruinen liegender Leichen ordentlich zu begraben, wurden Kommissare mit ihrer Verbrennung beauftragt. Scheiterhaufen wurden zwischen dem Schutt errichtet. Dies dauerte mehrere Tage. Inmitten des allgemeinen Jammers vollzog das Volk die religiösen Gebräuche, mit denen es am ehesten den Zorn des Himmels besänftigen zu können hoffte. Die einen vereinigten sich zu Prozessionen und stimmten Leichengesänge an; andere, von Geistesverirrung befallen, beichteten laut mitten auf den Straßen. Es ereignete sich damals in dieser Stadt, was auch nach dem schrecklichen Erdbeben vom 4. Februar 1797 in der Provinz Quito geschehen war: Viele Ehen wurden zwischen Personen geschlossen, die seit langen Jahren ohne priesterlichen Segen zusammengelebt hatten. Kinder bekamen jetzt Eltern, von denen sie bis dahin nie anerkannt worden waren; Rückerstattungen wurden von Leuten versprochen, die niemand eines Diebstahls beschuldigt hatte; Familien, die lange in Feindseligkeit gelebt hatten, versöhnten sich im Gefühl des gemeinsamen Unglücks. Wenn dieses Gefühl jedoch bei den einen die Sitten milderte und das Herz dem Mitleid öffnete, so hatte es bei anderen eine gegenteilige Wirkung: sie wurden hartherziger und unmenschlicher. In großen Nöten sieht man, daß gemeine Seelen weniger Güte als Stärke bewahren, denn es verhält sich mit dem Unglück wie mit dem Studium der Wissenschaften und mit der Betrachtung der Natur; es ist nur eine kleine Zahl, auf die sie ihren wohltuenden Einfluß ausüben, indem sie mehr Wärme des Gefühls und mehr Erhebung des Denkens, mehr Wohlwollen des Charakters schenken.
Solch heftige Erdstöße, die innerhalb einer Minute die Stadt Caracas zerstört haben, konnten nicht auf eine kleine Strecke des Kontinents beschränkt sein. Ihre traurigen Wirkungen dehnten sich über die Provinzen von Venezuela, Barinas und Maracaibo, der Küste nach, vorzüglich aber auch über das Gebirge im Landesinneren aus. La Guaira, Maiquetía, Antimano, Baruta, la Vega, San Felipe und Mérida wurden fast gänzlich zerstört. In La Guaira und Villa de San Felipe, unfern der Kupferminen von Aroa, betrug die Zahl der Toten wenigstens 4000 bis 5000. Das Erdbeben scheint in der Richtung einer Linie, die sich von Ostnordost nach Westsüdwest, von La Guaira und Caracas gegen die hohen Berge von Niquitao und Mérida ausdehnt, am heftigsten gewesen zu sein. Im Königreich Neu-Granada wurde es von den Verzweigungen der hohen Sierra de Santa Marta bis nach Santa Fé de Bogotá und Honda, an den Ufern des Río Magdalena, in einer Entfernung von 180 lieues von Caracas verspürt. Es war überall stärker auf den Gneis- und Glimmerschiefercordilleren oder unmittelbar an deren Fuß als in den Ebenen. In den Savannen von Barinas und Casanare war dieser Unterschied am fühlbarsten. (Er läßt sich am ehesten mit dem System der Geologen erklären, welche annehmen, daß alle Ketten vulkanischer und nichtvulkanischer Berge zur Zeit ihrer Bildung wie durch Spalten emporgestiegen seien.) In den zwischen Caracas und der Stadt San Felipe liegenden Teilen von Aragua wurden nur sehr schwache Erdstöße verspürt. La Victoria, Maracay, Valencia haben trotz der Nähe der Hauptstadt fast gar nicht gelitten. Bei Valecillo, wenige lieues von Valencia, warf die zerrissene Erde eine solche Menge Wasser aus, daß sich ein neuer Strom bildete. Das gleiche geschah auch in der Nähe von Puerto Cabello. Hingegen hatte sich der See von Maracaibo bedeutend vermindert. In Coro verspürte man keinerlei Bewegung, obgleich die Stadt an der Küste und zwischen anderen Städten liegt, die nicht unbeschädigt geblieben sind.“ Die Fischer, welche sich am 26. März auf der Insel Orchila, 30 lieues nordöstlich von Guaira, und auf dem Land befanden, verspürten keine Stöße. Es gründen sich diese Verschiedenheiten der Richtung und Fortpflanzung des Stoßes wahrscheinlich auf die besondere Anordnung der Gesteinslagen.
Nachdem wir die Wirkungen des Erdbebens auf der Westseite von Caracas bis zu den Schneegebirgen von Santa Marta und zum Plateau von Santa Fé de Bogotá verfolgt haben, wollen wir nunmehr auch die der Hauptstadt östlich gelegene Landschaft ins Auge fassen. Die Erschütterungen waren ungemein heftig – jenseits von Caurimare im Tal von Cupaya, wo sie sich bis zum Meridian des Kap Codera ausdehnten; äußerst merkwürdig aber ist es, daß sie sich an den Küsten von Nueva Barcelona, von Cumaná und von Paria nur sehr schwach zeigten, obgleich diese eine Fortsetzung des Küstenlandes von La Guaira sind und von alters her im Ruf stehen, öfteren unterirdischen Erschütterungen ausgesetzt zu sein. Wenn man annehmen dürfte, die gänzliche Zerstörung der vier Städte Caracas, La Guaira, San Felipe und Mérida sei von einem vulkanischen Herd ausgegangen, der unter der Insel Saint Vincent oder in ihrer Nähe liegt, würde dadurch begreiflich, wie sich die Bewegung von Nordost nach Südwest ausdehnen konnte, auf einer Linie, welche ihre Richtung durch die kleinen Inseln der Los Hermanos nimmt, nahe bei Blanquilla vorbei, ohne Berührung der Küsten von Araya, Cumaná und Nueva Barcelona. Diese Fortpflanzung des Stoßes könnte sogar auch stattfinden, ohne daß die Erdoberfläche der zwischenliegenden Punkte, zum Beispiel der kleinen Hermanos-Inseln, die geringste Erschütterung verspürte. Wir sehen diese Erscheinung öfters in Mexico und Peru bei Erdbeben, die seit Jahrhunderten eine bestimmte Richtung befolgen. Die Bewohner der Anden sprechen von einem Zwischenland, das nicht an der allgemeinen Bewegung teilnimmt, naiv „es bilde eine Brücke“ (que hace puente), als wollten sie dadurch andeuten, die Schwingungen pflanzten sich in sehr großer Tiefe unter einem unbewegten Gestein fort.
15 bis 18 Stunden nach der schrecklichen Katastrophe blieb der Erdboden ruhig. Die Nacht, wie oben bemerkt worden ist, war schön und ruhig; erst nach dem 27. März [1812] erfolgten wieder neue Stöße, die von einem unterirdischen, überaus heftigen und andauernden Donner (bramido) begleitet waren. Die Einwohner von Caracas zerstreuten sich in der Umgegend, weil aber Dörfer und Höfe ebenso gelitten hatten wie die Stadt, fanden sie nur jenseits der Berge von Los Teques, in den Tälern von Aragua und in den Llanos oder Savannen Obdach. Oftmals wurden an einem einzigen Tag bis zu 15 Schwingungen verspürt. Am 5. April [1812] geschah ein Erdbeben, das an Heftigkeit dem wenig nachstand, das die Hauptstadt zerstört hatte. Der Boden erlitt mehrere Stunden nacheinander ununterbrochene Schwingungen. Es erfolgten große Bergstürze; gewaltige Felsmassen lösten sich von der Silla de Caracas ab. Man behauptete sogar (und diese Meinung ist jetzt noch allgemein im Land verbreitet), die beiden abgerundeten Spitzen der Silla hätten sich um 50 bis 60 Toisen gesenkt. Diese Behauptung beruht aber auf keinerlei Messung. Mir ist bekannt, daß man sich auch in der Provinz Quito bei jeder großen Erschütterung einbildet, der Vulkan von Tunguragua sei niedriger geworden.
In mehreren anläßlich der Zerstörung von Caracas veröffentlichten Nachrichten wurde behauptet, der Berg la Silla sei ein erloschener Vulkan, man finde viele vulkanische Substanzen auf dem Weg, der von La Guaira nach Caracas führe, die Felsen böten keine regelmäßige Schichtung dar und trügen alle das Gepräge des Feuers. Man hat sogar hinzugesetzt, es hätten Herr Bonpland und ich zwölf Jahre vor der großen Katastrophe, zufolge unserer mineralogischen und physikalischen Untersuchungen, die Silla als eine gefährliche Nachbarschaft für die Stadt angesehen, indem dieser Berg viel Schwefel enthalte und die Erschütterungen von der Nord-Ost-Seite herkommen müßten. Es geschieht selten, daß Naturforscher sich wegen einer in Erfüllung gegangenen Vorhersage rechtfertigen müssen, doch ich halte mich verpflichtet, irrige Meinungen zu bestreiten, welche über die örtlichen Ursachen der Erdbeben allzu leicht Eingang finden.
Überall, wo der Boden monatelang in steter Bewegung bleibt wie auf Jamaica 1693, zu Lissabon 1755, in Cumaná 1766, in Piemont 1808, erwartet man den bevorstehenden Ausbruch eines Vulkans. Man vergißt, daß der wirksame Herd oder Mittelpunkt fern von der Erdoberfläche gesucht werden muß; daß nach zuverlässigen Angaben die Schwingungen, und zwar sozusagen im gleichen Augenblick, sich 1000 lieues weit über Meere von großer Tiefe hin fortpflanzen; daß die größten Zerstörungen nicht am Fuß tätiger Vulkane, sondern in Bergketten, die aus den ungleichartigsten Gesteinen bestehen, stattfinden. Wir haben im vorhergehenden Buch die geognostische Beschreibung der Gegend von Caracas geliefert; es finden sich dort Gneise und Glimmerschiefer, die Bänke von Urgebirgskalkstein enthalten. Je geringer die Schichten gebrochen sind, desto unregelmäßiger fallen sie ein wie bei Freiberg in Sachsen und allenthalben, wo das Urgebirge sich schnell zu großer Höhe erhebt; ich habe dort weder Basalt noch Dolerit gefunden, nicht einmal Trachyte oder Trapp-Porphyre, überhaupt keinerlei Spur erloschener Vulkane, es sei denn, daß man die Diabase oder uranfängliche, im Gneis vorkommende Grünsteine als Spalten ausfüllende Lavamassen betrachten wollte. Dieser Grünstein ist von gleicher Art mit dem in Böhmen, Sachsen und Franken, und was man auch immer über die vormaligen Ursachen der Oxidation der Erdoberfläche denken mag, wird man doch, denke ich, nicht alle Urgebirge, welche Mischungen von Hornblende und körnigem Feldspat, sei es in Gängen oder in Kugeln mit konzentrischen Schichten, enthalten, vulkanisches Gebiet nennen. Man wird den Mont Blanc und den Mont d’Or nicht in die gleiche Klasse einordnen. Die Anhänger des Universalvulkanismus oder der geistvollen Huttonschen Theorie unterscheiden sogar die Laven, welche unter dem bloßen Druck der Atmosphäre auf der Oberfläche des Erdballs ausgeflossen sind, von denen, die unter dem gewaltigen Druck des Ozeans und aufliegender Felsmassen durch Feuer gebildet wurden. Sie würden die Auvergne und das granitische Tal von Caracas nicht unter dem gemeinsamen Namen einer Landschaft erloschener Vulkane vereinen.
Nie konnte mir in den Sinn kommen, auszusprechen, daß die Silla und der Cerro de Avila, Gebirge die aus Gneis und Glimmerschiefer beständen, eine gefährliche Nachbarschaft für die Hauptstadt seien, weil sie in untergeordneten Bänken des Urkalksteins viel Schwefelkies enthalten; wohl aber erinnere ich mich, während meines Aufenthalts in Caracas gesagt zu haben, das östliche Ende der Tierra Firme scheine sich seit dem großen Erdbeben von Quito in einem Zustand heftiger Bewegung zu befinden, der die Besorgnis erwecken könne, die Provinz Venezuela möchte nach einiger Zeit ebenfalls gewaltsame Erschütterungen erleiden. Ich setzte hinzu, wenn eine Landschaft lange Zeit Erdstößen ausgesetzt gewesen sei, schienen sich neue unterirdische Verbindungen mit den Nachbarländern zu öffnen, und die in der Richtung der Silla nordöstlich von der Stadt gelegenen Vulkane der Antillen seien vielleicht Luftlöcher, wodurch zur Zeit der Ausbrüche die elastischen Flüssigkeiten, welche die Erdbeben auf den Küsten des Festlandes verursachen, ihren Ausgang nähmen. Es ist aber ein großer Unterschied zwischen diesen, auf Kenntnis der Örtlichkeiten und bloße Analogien gegründeten Vermutungen und einer durch den Gang der Naturereignisse gerechtfertigten Vorhersage.
Während man gleichzeitig im Mississippital, auf der Insel Saint Vincent und in der Provinz Venezuela diese heftigen Erdstöße erlitt, wurde man am 30. April 1812 in Caracas, in Calabozo, das mitten in den Steppen liegt, und an den Gestaden des Río Apure, in einer Ausdehnung von 4000 Quadratures, durch ein unterirdisches Getöse erschreckt, das dem wiederholten Losbrennen von Kanonen des größten Kalibers glich. Dieses Getöse fing um zwei Uhr morgens an. Es war von keinen Stößen begleitet und, was sehr bemerkenswert ist, an der Küste ebenso stark wie 80 lieues weit im Inneren des Landes. Allenthalben glaubte man, es werde durch die Luft übertragen, und man war so weit entfernt, seine unterirdische Natur zu erkennen, daß in Caracas wie in Calabozo militärische Maßnahmen getroffen wurden, um den Ort gegen einen, wie es schien, mit grobem Geschütz anrückenden Feind zu verteidigen. Herr Palacio hörte beim Übergang des Río Apure unterhalb von Orivante, unfern des Zusammenflusses des Río Nula, aus dem Munde der Eingeborenen, „die Kanonenschüsse“ seien ebenso deutlich am westlichen Ende der Provinz Barinas wie im Hafen von Guaira auf der Nordseite der Küstenkette gehört worden.
Der Tag, an dem die Einwohner von Tierra Firme durch ein unterirdisches Getöse erschreckt wurden, war der gleiche, an welchem der große Ausbruch des Vulkans der Insel Saint Vincent stattfand. Dieser nahezu 500 Toisen hohe Berg hatte seit dem Jahr 1718 keine Lava ausgeworfen. Kaum bemerkte man einigen Rauch aufsteigen, als im Mai 1811 häufigere Stöße verkündeten, das vulkanische Feuer habe sich entweder neu entzündet oder diesem Teil der Antillen zugewandt. Der erste Ausbruch erfolgte nicht eher als am 27. April 1812, um Mittag. Es war nur ein Aschenauswurf, aber von einem entsetzlichen Krachen begleitet. Am 30. April geschah der Abfluß der Lava, die nach vier Stunden das Meer erreichte. Das Getöse des Ausbruchs glich „den wechselnden Abschüssen von Kanonen groben Kalibers und einem Musketenfeuer; und, was sehr bemerkenswert ist, man fand es stärker auf offener See, in großer Entfernung von der Insel, als im Angesicht des Landes, ganz nahe beim brennenden Vulkan“.
Die Luftlinie beträgt vom Vulkan von Saint Vincent zum Río Apure bei der Mündung des Nula 210 lieues; die Explosion wurde demnach in einer Entfernung gehört, die der des Vesuvs von Paris gleichkommt. Dieses Phänomen, mit dem sich eine Menge anderer, in der Cordillere der Anden beobachteter Tatsachen verknüpfen, beweist, wieviel ausgedehnter die unterirdische Tätigkeit eines Vulkans ist, als man den kleinen, auf der Erdoberfläche bewirkten Veränderungen nach zu glauben versucht sein sollte. Die Detonationen, die in der Neuen Welt tagelang auf 80, auf 100 und bis auf 200 lieues von einem Krater entfernt gehört werden, gelangen nicht durch Fortpflanzung des Tones in der Luft zu uns; das Getöse teilt sich durch die Erde mit, vielleicht sogar an der Stelle, wo wir uns befinden. Würden die Ausbrüche des Vulkans von Saint Vincent, des Cotopaxi oder des Tunguragua so weithin ertönen wie eine Kanone von ungeheurem Umfang, müßte die Stärke des Donners im umgekehrten Verhältnis der Entfernung wahrgenommen werden; die Erfahrung zeigt aber, daß dies nicht der Fall ist. Noch mehr: In der Südsee, während der Überfahrt von Guayaquil nach den Küsten Mexicos, kamen Herr Bonpland und ich auf Stellen, wo unsere sämtlichen Matrosen von einem dumpfen, aus der Tiefe des Ozeans aufsteigenden und durch das Wasser uns mitgeteilten Getöse erschreckt wurden. Es geschah dies zur Zeit eines neuen Ausbruchs des Cotopaxi, und wir waren von diesem Vulkan ebensoweit entfernt wie Neapel vom Ätna. Man rechnet nicht weniger als 145 lieues vom Vulkan Cotopaxi bis zu der kleinen Stadt Honda am Ufer des Río Magdalena; indessen hörte man zur Zeit der heftigen Ausbrüche dieses Vulkans im Jahr 1744 in Honda ein unterirdisches Getöse, das für Entladungen groben Geschützes gehalten wurde. Die Franziskanermönche streuten die Nachricht aus, Cartagena werde von den Briten belagert und bombardiert, und sie fand bei den Einwohnern überall Eingang. Der Vulkan Cotopaxi ist aber ein Kegel, der sich mehr als 1800 Toisen über das Becken von Honda erhebt; er entsteigt einem Plateau, dessen Erhöhung über dem Magdalena-Tal noch 1500 Toisen beträgt. Sämtliche kolossalen Berge sowie die zahllosen Täler und Schluchten Quitos, der Provinz de Los Pastos und von Popayán finden sich dazwischen! Es läßt sich nicht denken, daß sich unter diesen Umständen das Getöse durch die Luft oder durch die Schichten der Erdoberfläche fortgepflanzt und von dem Punkt hergekommen sei, wo der Kegel und der Krater des Cotopaxi stehen. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß der erhobene Teil des Königreichs Quito und der benachbarten Cordilleren keineswegs aus einer Gruppe vereinzelter Vulkane besteht, sondern daß sie eine einzige gewölbte Masse bilden, eine mächtige vulkanische Mauer, die von Süden nach Norden ausgedehnt einen Gebirgskamm von nahezu 600 Quadratlieues Oberfläche darbietet. Der Cotopaxi, der Tunguragua, der Antisana, der Pichincha befinden sich auf diesem Gewölbe und stehen sämtlich auf diesem Erhebungsboden. Sie führen unterschiedliche Namen, obgleich sie nur verschiedene Gipfel ein und derselben vulkanischen Grundmauer sind. Das Feuer bricht sich bald durch den einen, bald durch den anderen dieser Gipfel Bahn. Die verstopften Krater erscheinen uns als erloschene Vulkane; aber es ist zu vermuten, wenn der Cotopaxi oder der Tunguragua während eines Jahrhunderts nur ein oder zweimal ausbreche, daß das Feuer darum nicht geringer tätig ist unter der Stadt Quito, unter dem Pichincha und Imbaburu.
Weiter nordwärts erblicken wir zwischen dem Vulkan Cotopaxi und der Stadt Honda zwei andere vulkanische Bergsysteme, die von los Pastos und von Popayán. Die Verbindung dieser Systeme hat sich in den Anden auf eine ganz unzweideutige Weise durch eine Erscheinung bezeugt, die ich bereits anführte, als von der letzten Zerstörung Cumanás die Rede war. Eine dichte Rauchsäule stieg seit November 1796 aus dem Vulkan von Pasto, der westlich der gleichnamigen Stadt in der Nähe des Tals des Río Guaytara liegt. Die Mündungen des Vulkans sind seitwärts und befinden sich am westlichen Abhang; dennoch stieg die Rauchsäule drei einander folgende Monate lang über dem Bergkamm derart empor, daß sie den Bewohnern der Stadt Pasto ständig sichtbar blieb. Zu ihrem größten Erstaunen, so erzählten sie uns alle, sei am 4. Februar 1797 der Rauch plötzlich verschwunden, ohne daß irgendeine Erschütterung verspürt wurde. Dies geschah in dem Augenblick, als 65 lieues südwärts zwischen dem Chimborazo, dem Tunguragua und dem Altar (Capac Urcu) die Stadt Riobamba durch eines der schrecklichsten Erdbeben, welche die Geschichte kennt, zerstört wurde. Wie ließe es sich bei diesem Zusammentreffen der Erscheinungen bezweifeln, daß die aus den kleinen Mündungen oder ventanillas des Vulkans Pasto aufsteigenden Dünste nicht mit dem Druck der elastischen Flüssigkeiten zusammenhingen, die den Boden des Königreichs Quito erschüttert und in wenigen Augenblicken 30.000 bis 40.000 Einwohnern den Untergang gebracht haben?
Um die mächtigen Wirkungen der vulkanischen Reaktionen zu erklären und um zu erweisen, daß die Gruppe oder das Vulkansystem der Antillen von Zeit zu Zeit Tierra Firme zu erschüttern vermag, mußte ich die AndenCordillere erwähnen. Geologische Urteile können nur durch Analogie jüngster und demnach unzweideutig bewährter Tatsachen unterstützt werden; und in welch anderer Region der Erde ließen sich vulkanische Erscheinungen wahrnehmen, die zugleich größer und mannigfaltiger wären als in dieser durch das Feuer emporgehobenen doppelten Gebirgskette, auf diesem Boden, den auf jedem Gipfel, in jedem Tal die Natur mit ihren Wundern bedeckt hat? Betrachtet man einen entzündeten Krater als eine abgesonderte Erscheinung, schätzt man nur die Masse seiner ausgeworfenen steinartigen Erzeugnisse, kann uns die vulkanische Wirksamkeit auf der gegenwärtigen Oberfläche des Erdballs weder sehr mächtig noch sehr ausgedehnt erscheinen. Aber das Bild dieser Tätigkeit vergrößert sich in unserem Geist in dem Maß, wie wir die Beziehungen studieren, welche die Vulkane einer gemeinsamen Gruppe untereinander verbinden, zum Beispiel die von Neapel und Sizilien, die der Canarischen Inseln, der Azoren, der Kleinen Antillen, der Vulkane Mexicos, Guatemalas und der Plateaus von Quito; nach der Maßgabe, wie wir entweder die gegenseitigen Reaktionen dieser vulkanischen Systeme aufeinander oder die Entfernungen würdigen, in denen sie durch unterirdische Verbindungen gleichzeitig die Erde bewegen. Das Studium der Vulkane zerfällt in zwei Abteilungen. Die eine, rein mineralogische, hat die Untersuchung der wechselnden Gesteinsschichten oder der von der Wirkung des Feuers erzeugten Gesteine, von der Bildung der Trachyte oder Trapp-Porphyre, der Basalte, Phonolithe und Dolerite bis zu den jüngsten Laven zum Gegenstand. Die andere, weniger zugängliche und bis jetzt vernachlässigtere Abteilung umfaßt die physikalischen Verhältnisse, welche die Vulkane untereinander verbinden, den Einfluß, den ein vulkanisches System auf das andere ausübt, den Zusammenhang, welcher sich zwischen den feuerspeienden Bergen und den Stößen offenbart, die auf große Entfernungen hin und lange anhaltend in gleichen Richtungen die Erde erschüttern. Diese Abteilung kann erst dann Fortschritte machen, wenn man exakte Daten besitzen wird über die verschiedenen Epochen gleichzeitiger Wirksamkeit, Richtung, Ausdehnung und Stärke der Erschütterungen, über ihr allmähliches Vorschreiten in vorher unberührt gebliebene Gegenden, über das Zusammentreffen einer entfernten vulkanischen Eruption mit dem unterirdischen Getöse, das die Bewohner der Anden um seiner Stärke willen auf eine ausdrucksvolle Weise mit dem Namen des „unterirdischen Gebrülls und Donners“ belegt haben. Diese sämtlichen Angaben sind das Gebiet der Naturgeschichte, einer Wissenschaft, der nicht einmal ihr Name gesichert geblieben ist und die wie alle Geschichte von Zeiten ausgeht, welche uns fabelhaft vorkommen, und von Katastrophen, deren Gewalt und Größe unsere Phantasie nicht fassen kann.
Man hat sich lange Zeit darauf beschränkt, die Geschichte der Natur mittels alter, in der Erde vergrabener Denkmäler zu studieren; wenn aber auch der enge Kreis, worauf zuverlässige Überlieferungen beschränkt sind, so allgemeine Umwälzungen nicht bietet, wie die es sind, welche die Cordilleren emporhoben und Myriaden pelagischer Geschöpfe begruben, dann bietet die vor unseren Augen wirksame Natur nichtsdestoweniger solche tumultuarischen, obgleich nur partiellen Veränderungen dar, deren Studium auch die entferntesten Zeiträume erhellen kann. Im Inneren des Erdballs herrschen diese geheimnisvollen Kräfte, deren Wirkungen sich auf der Oberfläche manifestieren, durch die Erzeugung von Dämpfen, von glühenden Schlacken, von neuen vulkanischen Gesteinen und Thermalquellen, durch emporsteigende Inseln und Berge, durch Erschütterungen, die sich mit der Schnelligkeit des elektrischen Schlages fortpflanzen, und endlich durch diese unterirdischen Donner, die ganze Monate lang und ohne Erschütterung des Erdbodens in Gegenden, die von den wirksamen Vulkanen sehr weit entfernt liegen, gehört werden.
In dem Maß, wie die Äquinoktial-Länder Amerikas in ihrer Bevölkerung und Kultur fortschreiten und wie die Vulkan-Systeme des mexicanischen Zentral-Plateaus, der Kleinen Antillen, die Vulkane von Popayán, von Los Pastos und von Quito emsiger beobachtet werden, wird auch der Zusammenhang der Ausbrüche und der Erdbeben, die ihnen vorausgehen und sie zuweilen begleiten, allgemeiner erkannt werden. Die vorhin genannten Vulkane, vorzüglich die der Anden, welche die gewaltige Höhe von 2500 Toisen übersteigen, bieten der Beobachtung große Vorteile dar. Die Epochen ihrer Ausbrüche sind sehr ausgeprägt. Sie bleiben 30 bis 40 Jahre untätig, ohne Schlacken, Asche oder auch nur Dämpfe auszustoßen. In dieser Zwischenzeit bemerkte ich keine Spur von Rauch über dem Gipfel des Tunguragua und des Cotopaxi. Eine dem Krater des Vesuvs entsteigende Rauchwolke zieht kaum die Aufmerksamkeit der Einwohner von Neapel auf sich; sie sind an die Bewegungen dieses kleinen Vulkans gewöhnt, der zuweilen zwei bis drei Jahre durch Schlacken auswirft. Es ist dann schwer zu entscheiden, ob der Schlackenauswurf zum Zeitpunkt eines in den Apenninen verspürten Erdbebens häufiger war. Auf dem Rücken der Cordilleren gewinnt alles eine entschiedenere Ansicht. Ein Aschenauswurf, der nur einige Minuten dauert, folgt öfters einer zehnjährigen Ruhe. Unter solchen Umständen fällt es nicht schwer, Epochen festzustellen und das Zusammenfallen von Erscheinungen zu erkennen.
Wenn, woran sich in der Tat nicht zweifeln läßt, die Zerstörung von Cumaná 1797 und von Caracas 1812 den Einfluß der Vulkane der Kleinen Antillen auf die Erschütterungen der Küsten der Tierra Firme zeigen, wird am Schluß dieses Kapitels ein kurzer Blick auf diesen mediterranen Archipel nützlich sein. Die vulkanischen Inseln bilden ein Fünftel des Bogens, der sich von der Küste von Paria bis zur Halbinsel Florida erstreckt. Vermöge ihrer Ausdehnung von Süden nach Norden schließen sie auf der Ostseite dieses Binnenmeeres, während die Großen Antillen gleichsam die Trümmer einer Gruppe von Bergen der Urgebirgsformation bilden, deren höchster Teil sich zwischen Kap Abacou, Kap Morant und den Kupferbergen an der Stelle befunden zu haben scheint, wo die Inseln Santo Domingo, Cuba und Jamaica einander am nächsten stehen. Betrachtet man das Atlantische Becken als sehr großes Tal, das die beiden Kontinente voneinander trennt und in dem von 20° Süd bis 30° Nord die vorspringenden Winkel (Brasilien und Senegambien) den einwärtsgehenden Winkeln (der Golf von Guinea und das Antillenmeer) entsprechen, dann wird man auf die Vermutung geleitet, dieses letztere Meer sei durch Strömungen gebildet worden, die wie die gegenwärtige Kreisströmung von Osten nach Westen gerichtet waren und den Südküsten von Puerto Rico, von Santo Domingo und Cuba eine so einförmige Gestalt gaben. Diese ziemlich wahrscheinliche Vermutung eines pelagischen Einbruchs hat zwei andere Hypothesen über die Entstehung der Kleinen Antillen entstehen lassen. Einige Geologen nehmen an, diese ununterbrochen Inselkette von Trinidad bis Florida stelle die Trümmer einer vormaligen Bergkette dar. Sie verbinden diese Kette entweder mit den Graniten des französischen Guayana oder mit den Kalkbergen von Paria. Andere, die von der Verschiedenheit der geognostischen Constitution des Urgebirges der Großen Antillen und der vulkanischen Kegel der Kleinen Antillen beeindruckt sind, sehen diese als Erzeugnisse des Meergrundes an.
Erinnert man sich der geraden Richtung, welche vulkanische Erhebungen meist bevorzugen, wenn sie durch weithin verlängerte Spalten geschehen, sieht man, daß es schwerhält, nach der bloßen Lage des Kraters zu beurteilen, ob die Vulkane früher zur gleichen Kette gehört haben oder ob sie immer isoliert waren. Angenommen, eine Eruption erfolgte aus dem Ozean heraus, sei es im östlichen Teil der Insel Java, sei es in den Cordilleren Guatemalas und Nicaraguas, da, wo so viele feuerspeiende Berge eine zusammenhängende Kette bilden, dann würde diese Kette in mehrere kleine Inseln zerteilt werden und vollkommen dem Archipel der Kleinen Antillen gleichen. Auch die Vereinigung der Urgebirgsformationen und der vulkanischen Gesteine in derselben zusammenhängenden Bergkette ist nichts Befremdendes: Man erkennt sie deutlich in meinen geognostischen Durchschnitten der Anden-Cordillere. Die Trachyte und die Basalte von Popayán finden sich durch die Glimmerschiefer von Almaguer vom System der Quito-Vulkane getrennt, wie die Vulkane an Quito durch die Gneise des Condorasto und des Guasonto von den Trachyten von Assuay separiert sind. Es gibt keine wirkliche Bergkette in der Richtung von Süd-Ost nach Nord-West, vom Oyapoc zu den Mündungen des Orinoco, als deren nördliche Verlängerung die Kleinen Antillen betrachtet werden könnten. Die Granite Guayanas sowie die Hornblendschiefer, die ich in der Nähe von Angostura, an den Ufern des unteren Orinoco sah, gehören den Bergen von Pacaraimo und La Parima an, die sich von Westen nach Osten ins Landesinnere ausdehnen, keineswegs aber parallel mit der Küstenrichtung zwischen den Mündungen des Amazonas und des Orinoco; wenn jedoch schon am nordöstlichen Ende der Tierra Firme keine Bergkette in gleicher Richtung mit dem Archipel der Kleinen Antillen vorhanden ist, folgt hieraus allein noch keineswegs, daß die vulkanischen Berge der Inselgruppe nicht ursprünglich dem Kontinent und der Küstenkette von Caracas und Cumaná angehört haben könnten.
Wenn ich hier die Einwürfe einiger berühmter Naturforscher bekämpfe, liegt es mir fern, eine vormalige Verbindung aller Kleinen Antillen zu stützen. Ich bin eher geneigt, sie für Inseln anzusehen, die, durch Feuer emporgehoben, in der Richtung von Süden nach Norden mit der Regelmäßigkeit aufgereiht wurden, die sich uns in so vielen vulkanischen Hügeln der Auvergne, in Mexico und in Peru auf das merkwürdigste darbietet. Das wenige, das uns bis dahin über die geognostische Constitution dieses Archipels bekannt ist, läßt ihn uns den Azoren und den Canarischen Inseln sehr ähnlich erkennen. Die Urgebirgsformationen liegen nirgends zutage, und es findet sich nur, was unmittelbar den Vulkanen zugehört: feldspatartige Laven, Dolerite, Basalte, aus Erdschlacken, Bims- und Tuffstein bestehende Konglomerate. Unter den Kalkformationen muß man die den vulkanischen Tuffarten wesentlich untergeordneten von denen unterscheiden, die von Madreporen und anderen Zoophyten herrühren. Diese letzteren scheinen nach Herrn Moreau de Jonnès Klippen vulkanischer Herkunft zur Grundlage zu haben. Die Berge, die Spuren mehr oder weniger neuer Entzündungen darbieten und deren einige fast 900 Toisen Höhe haben, stehen alle auf der Westseite der Kleinen Antillen. Jede dieser Inseln ist nicht durch einmaliges Aufsteigen entstanden, die meisten scheinen aus abgesonderten Massen, welche sich allmählich vereinigt haben, gebildet zu sein. Der vulkanische Stoff wurde nicht von einer, sondern von mehreren Mündungen ausgeworfen, so daß oftmals eine Insel von geringem Umfang ein ganzes System von Vulkanen, rein basaltische Teile und andere, die mit rezenten Laven bedeckt sind, vereinigt. Noch brennende Vulkane sind die von Saint Vincent, Santa Lucia und Guadeloupe. Der erste hat 1718 und 1812 Laven ausgeworfen; im zweiten wird durch die Kondensation der aus den Spalten eines vormaligen Kraters aufsteigenden Dämpfe fortlaufend Schwefel gebildet. Der Vulkan von Guadeloupe spie zum letzten Mal Feuer im Jahr 1737. Der Schwefelberg von Saint Christopher brannte noch 1692. Auf Martinique müssen der von den fünf Pitons du Carbet umgebene Krater, der Vauclin und der Berg Pelée als drei erloschene Vulkane betrachtet werden. Man hat dort öfters die Wirkungen des Blitzes mit denen des unterirdischen Feuers verwechselt. Der angebliche vulkanische Ausbruch vom 22. Januar 1792 ist durch keine zuverlässige Beobachtung bestätigt worden. Es verhält sich mit der Vulkangruppe der Kleinen Antillen wie mit der von Quito und Los Pastos. Mündungen, die mit dem unterirdischen Feuer weiter keine Verbindung zu haben scheinen, stehen auf derselben Linie mit den feuerspeienden Kratern und wechseln mit ihnen ab.
Trotz der innigen Beziehungen, die sich zwischen der Wirksamkeit der Vulkane der Kleinen Antillen und den Erdbeben der Tierra Firme darstellen, geschieht es jedoch nicht selten, daß Erdstöße, welche auf der vulkanischen Inselgruppe verspürt werden, sich weder auf die Insel Trinidad noch an die Küsten von Cumaná und Caracas fortpflanzen. Dieser Umstand hat nichts Befremdendes. Auch in den Kleinen Antillen selbst bleiben die Erschütterungen öfters auf eine einzige Insel beschränkt. Der große Ausbruch des Vulkans von Saint Vincent im Jahr 1812 verursachte kein Erdbeben auf Martinique und auf Guadeloupe, wohl aber hörte man dort wie in Venezuela heftige Detonationen, während der Erdboden ruhig blieb.
Die gleichen Detonationen, die man mit dem Rollen nicht verwechseln darf, welches überall auch den geringsten Erschütterungen vorangeht, läßt sich nicht selten an den Ufern des Orinoco und, wie uns an Ort und Stelle versichert wurde, zwischen dem Río Arauca und dem Cuchivero hören. Der Pater Morello erzählt, wie in der Mission von Cabruta das unterirdische Getöse zuweilen dem Losfeuern von Steinböllern (pedreros) dermaßen gleicht, daß man ein fernes Treffen zu hören glaubte. Am 21. Oktober 1766, dem Tage des furchtbaren Erdbebens, das die Provinz Neu-Andalusien verheerte, bewegte sich der Boden gleichmäßig in Cumaná, in Caracas, in Maracaibo, an den Ufern des Casanare, des Meta, des Orinoco und des Ventuario. Der Pater Gili hat diese Erschütterungen einer völlig granitischen Gegend in der Mission von Encaramada, wo sie von heftigen Detonationen begleitet waren, beschrieben. Es erfolgten große Bergstürze am Paurari, und in der Nähe des Felsens Aravacoto verschwand eine kleine Insel im Orinoco. Die schwingenden Bewegungen hielten eine ganze Stunde an. Es war gleichsam das erste Signal dieser heftigen Erschütterungen, die länger als zehn Monate an den Küsten von Cumaná und Cariaco verspürt wurden. Man sollte glauben, zerstreut in Wäldern lebende Menschen, die kein anderes Obdach haben als aus Schilfrohr und Palmblättern verfertigte Hütten, müßten sich nicht vor den Erdbeben fürchten. Allein die Indianer vom Crevato und Caura erschrecken darüber wie über eine ziemlich seltene Erscheiung, die auch den Waldtieren Schrecken einjagt und die Krokodile aus der Tiefe des Wassers ans Ufer treibt. Näher am Meer, wo die Stöße häufiger vorkommen, fürchten sich die Einwohner keineswegs, sondern betrachten sie befriedigt als Vorboten eines feuchten und fruchtbaren Jahres.
Ich habe in dieser Diskussion über die Erdbeben der Tierra Firme und über die Vulkane des nahen Archipels der Antillen den allgemeinen Plan befolgt, welchen ich mir in diesem Werk vorsetzte. Erst brachte ich eine große Zahl vereinzelter Tatsachen bei, die ich nachher in ihrem Zusammenhang darstellte [Hervorhebung vom Hrsg.]. Alles kündet im Inneren des Erdballs von einer Wirksamkeit lebendiger Kräfte, die aufeinander einwirken, sich die Waage halten und sich modifizieren. Je unbekannter uns die Ursachen dieser Schwingungen, dieser Wärmeentbindungen, dieser Bildungen elastischer Flüssigkeiten sind, um so mehr ist Pflicht des Naturforschers, die Übereinstimmungen zu ergründen, welche diese Erscheinungen in weiten Entfernungen und auf eine so gleichförmige Weise darstellen. Dann nur, wenn diese verschiedenen Beziehungen unter einem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet und über eine weite Ausdehnung der Erdoberfläche durch verschiedenste Gesteinsformationen hindurch verfolgt werden, ist man geneigt, auf die Vermutung kleiner Lokalursachen von Pyritschichten oder brennender Steinkohle zu verzichten.
Folgendes ist die Reihe der Erscheinungen, welche die Nordküsten von Cumaná, Nueva Barcelona und Caracas darbieten und von denen man glaubt, sie dürften mit den Ursachen der Erdbeben und der Lavaergießungen in Verbindung stehen. Wir wollen am östlichsten Ende, mit der Insel Trinidad beginnen, die, wie oben bereits bemerkt wurde, mehr dem Küstenland als dem System der Berge der Antillen-Inseln anzugehören scheint.
Der Schlund, der Asphalt ausspeit in der Bucht von Mayaro, an der Ostküste der Insel Trinidad, südwärts der Guataro-Spitze. Es ist die Mine von Chapapote, die den mineralischen Teer dieses Landes liefert. In den Monaten März und Juni sind, wie man versichert, die Ausbrüche öfters von starken Detonationen, von Rauch und Flammen begleitet. Fast auf derselben Parallele, ebenfalls im Meer, aber auf der Ostseite der Insel (nahe Punta de la Brea, südwärts vom Hafen von Naparaimo), findet sich ein ähnliches Luftloch. An der nahen Küste, in einem tonigen Boden, befindet sich der berühmte Asphaltsee (Laguna de la Brea), ein Sumpf, dessen Wasser die Temperatur der Atmosphäre besitzt. Die kleinen Kegel, die am südwestlichen Ende der Insel zwischen der Spitze Icacos und dem Río Erín liegen, scheinen einige Ähnlichkeit mit den Luft- und Schlammvulkanen zu haben, die ich bei Turbaco im Königreich Neu-Granada antraf. Wenn ich der Asphalt-Lagerstätten gedenke, so geschieht es um der merkwürdigeren, ihnen in diesen Gegenden eigentümlichen Verhältnisse willen, da ich ansonsten wohl weiß, daß das Naphta, das Petroleum und der Asphalt zugleich im vulkanischen und im Sekundärboden vorkommen, und in letzteren sogar auch öfter. Das Petroleum schwimmt, dreißig lieues nordwärts von Trinidad, um die Insel Grenada herum, die einen erloschenen Vulkan und Basalte hat.
Die heißen Quellen von Irapa, am nordöstlichen Ende Neu-Andalusiens, zwischen Río Caribe, Soro und Yaguarapayo.
Der Luftvulkan oder die Salse von Cumacatar, südlich von José und Carúpano, nahe der Nordküste des Kontinents, zwischen der Montaña de Paria und der Stadt Cariaco. Man hört fast ununterbrochen anhaltende Detonationen in einem tonigen Boden, der Schwefel enthalten soll. Heiße Schwefelwasserquellen drängen sich aus dem Boden mit solcher Heftigkeit hervor, daß dieser durch die Stöße merklich erschüttert wird. Man behauptet, seit dem großen Erdbeben von 1797 auch öfters das Aufsteigen von Flammen gesehen zu haben. Diese Tatsachen verdienten durch einen sachkundigen Reisenden festgestellt zu werden.
Die Petroleumquelle von Buen Pastor, nahe dem Río Areo. Man hat im tonigen Erdreich von Guayuta wie im Tal von San Bonifacio und in der Nähe des Zusammenflusses des Río Pao mit dem Orinoco große Schwefelmassen angetroffen.
Die Aguas calientes, südlich des Río Azul, und das hohle Terrain von Cariaco, das zur Zeit der großen Erdbeben von Cumaná Schwefelwasser und klebriges Petroleum ausgespien hat.
Die heißen Wasser des Golfs von Cariaco.
Die Petroleumquelle im gleichen Golf, nahe Manicuare. Sie quillt aus dem Glimmerschiefer.
Die Flammen, die der Erde entstiegen, in der Nähe Cumanás, an den Ufern des Manzanares und in Mariguitar, auf dem südlichen Ufer des Golfs von Cariaco, zur Zeit des Erdbebens von 1797.
Die feurigen Erscheinungen des Berges Cuchivano, nahe Cumanacoa.
Die in einer Untiefe nördlich der Caracas-Inseln entspringende Petroleumquelle, deren Geruch den Schiffen die Gefahr einer Untiefe von nur einem Klafter schon von weitem ankündigt.
Die warmen Quellen des Berges Bergantín, in der Nähe von Nueva Barcelona, deren Temperatur 43,2° des hundertteiligen Thermometers beträgt.
Die warmen Quellen des Provisor, in der Nähe von San Diego in der Provinz Nueva Barcelona.
Die warmen Quellen von Oñoto, zwischen Turmero und Maracay, in den Tälern von Aragua, westlich von Caracas.
Die heißen Quellen von Mariara, in eben diesen Tälern, deren Temperatur 58,9° beträgt.
Die heißen Quellen von las Trincheras, zwischen Puerto Cabello und Valencia, die aus dem Granit hervorkommen gleich denen von Mariara und einen heißen Bach bilden, Río de aguas calientes. Die Temperatur ist 90,4°.
Die Siedequellen der Sierra Nevada de Mérida.
Das Luftloch von Mena, am Gestade des Maracaibo-Sees; es speit Asphalt, und daraus treten (wie man versichert) Gasdünste hervor, die sich von selbst entzünden und weit umher sichtbar werden.
Dies sind die Quellen von Petroleum und heißem Wasser, die feurigen Meteore, die von Detonationen begleiteten Schlammauswürfe, welche mir in den ausgedehnten Provinzen von Venezuela in einem Umfang von 200 lieues von Osten nach Westen bekanntgeworden sind. Diese verschiedenen Erscheinungen haben die Phantasie der Einwohner seit den großen Katastrophen von 1797 und 1812 vielfach beschäftigt und beunruhigt, obgleich sie eigentlich nichts enthalten, was zu einem Vulkan, dem bisher gewohnten Sinne des Worts nach, gehörte. Wenn die Luftlöcher, die mit Geprassel Dünste und Wasser auswerfen, bisweilen volcancitos genannt werden, geschieht dies von solchen Einwohnern, die glauben, es müsse notwendig Vulkane in einem Lande geben, welches so häufigen Erdbeben ausgesetzt ist. Von dem brennenden Krater auf Saint Vincent an findet sich südwärts, westwärts und südwestwärts zuerst in der Kette der Kleinen Antillen, dann in der Küstenkette von Cumaná und Venezuela und endlich in den Cordilleren Neu-Granadas in einer Ausdehnung von 380 lieues kein tätiger Vulkan bis zum Puracé, in der Nähe von Popayán. Dieser gänzliche Mangel von Öffnungen, durch welche geschmolzene Materien in dem ostwärts der Cordillere der Anden und der Rocky Mountains gelegenen Teil des Festlands ausfließen könnten, ist eine der merkwürdigsten geologischen Tatsachen.
Wir haben in diesem Kapitel die großen Bewegungen untersucht, welche die Steinkruste des Erdballs von Zeit zu Zeit erfährt und durch die Landschaften verwüstet werden, die die Natur mit ihren köstlichsten Gaben ausgestattet hat. Eine ununterbrochene Ruhe herrscht in der oberen Atmosphäre; aber um mich eines Ausdrucks von Franklin zu bedienen, der geistreich eher als wahr ist: Der Donner rollt öfters in der unterirdischen Atmosphäre, in der Mischung elastischer Flüssigkeiten, deren heftige Bewegungen uns auf der Erdoberfläche fühlbar werden. In der Beschreibung des Untergangs so vieler volkreicher Städte haben wir Bilder des größten menschlichen Elends dargestellt. Ein Volk, das im Kampf für seine Unabhängigkeit begriffen ist, wird plötzlich der Nahrungsmittel und aller Lebensbedürfnisse beraubt. Hungrig und ohne Obdach verstreut es sich durch das Land. Sehr viele derer, die nicht unter den Trümmern ihrer Wohnungen das Grab fanden, werden von Krankheiten dahingerafft. Weit von gefestigtem Vertrauen entfernt, zerstört die Empfindung des Unglücks unter den Bürgern gerade eben dieses Vertrauen noch mehr; das physische Elend verstärkt noch die bürgerlichen Zwiste, und der Anblick einer mit Blut und Tränen getränkten Erde kann den Furor der siegreichen Partei nicht besänftigen.
Nach dem Bericht über soviel Elend kann ein Ruhepunkt bei tröstlicheren Erinnerungen der Phantasie nur erwünscht sein. Als man in den Vereinigten Staaten die große Katastrophe von Caracas erfuhr, beschloß der in Washington versammelte Kongreß einmütig die Entsendung von fünf mit Mehl beladenen Schiffen zur Verteilung an die ärmsten Einwohner nach den Küsten Venezuelas. Die großmütige Hilfe wurde mit dem lebhaftesten Dank empfangen, und dieser feierliche Akt eines freien Volkes, dieses Zeichen einer nationalen Anteilnahme, deren die wachsende Zivilisation unseres alten Europa wenig neuere Beispiele bietet, erschien als ein Pfand gegenseitigen Wohlwollens, das die Völker der beiden Amerika für immer versöhnen soll.